Arzneimittel und Therapie

Die Arzneimittel­therapiesicherheit von allen Seiten verbessern

Welchen Platz können professionell Pflegende im Medikationsprozess zukünftig einnehmen?

Die Pflege leistet einen entscheidenden Beitrag im Medikationsprozess von Menschen, die pflegerische Unterstützung benötigen. Doch wie füllen Pflegende diese Rolle aus und wie lässt sich die Arzneimitteltherapiesicherheit durch Stärkung der Pflegefachpersonen verbessern? Diesen Fragen ging eine Untersuchung mit 14 europäischen Ländern nach. Ziel war es, die interprofessionellen Perspektiven der Rolle der Pflege im Kontext der Arzneimitteltherapiesicherheit zu erkunden.

Im Rahmen des Projekts Nurse and Pharmaceutical Care (NuPhaC, www.nuphac.eu/erasmus-demophac), das 14 europäische Länder einschließt, fanden die Befragungen im Zeitraum Dezember 2018 bis Oktober 2019 statt. Es wurden qualitative Interviews anhand eines mit allen Partnern konsentierten Leitfadens geführt. Die Gespräche dauerten durchschnittlich etwa 60 Minuten. Vier Settings standen im Mittelpunkt:

  • somatische Akutklinik,
  • Psychiatrie,
  • ambulante Versorgung und
  • stationäre Langzeitpflege.

Dafür wurden Pharmazeuten, Mediziner und Pflegende selbst zu ihren Wahrnehmungen der aktuellen Situation in den Arbeitsfeldern befragt. Darüber hinaus wurde in den Interviews der Blick erweitert auf Potenziale und Entwicklungsmöglichkeiten pflegerischer Kompetenzbereiche. Die Untersuchung zielte außerdem darauf ab, ein Idealbild in Form eines Modells zur Rolle von Pflegefachpersonen im multiprofessionellen Team der Arzneimittelversorgung zu entwickeln.

Foto: drubig-photo/AdobeStock

Den Beitrag des Pflegepersonals zur interprofessionellen pharmazeutischen Versorgung zu evaluieren und zu erweitern, ist das Ziel des internationalen Netzwerks Nurse and Pharmaceutical Care (NuPhaC).

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interviewten Angehörige von Gesundheitsprofessionen aus den verschiedenen Bereichen des Versorgungssystems in 14 europäischen Ländern (BE, CZ, DE, GR, HU, I, MKD, NL, NO, PT, SK, SI, ES, GB). Das Projekt wurde von einer Arbeitsgruppe an der Universität Antwerpen koordiniert. Für die Interviews sollten möglichst Gesprächspartner gefunden werden, die ausgeprägte Erfahrungen mit dem Medikationsmanagement mitbringen. Die gewonnenen Daten werteten die Forschenden mit qualitativen Methoden der empirischen Sozialforschung aus. Es zeigte sich, dass Pflegende in den einzelnen Ländern ganz unterschiedliche Ausbildungsniveaus erreichen und Aufgaben im Medikationsprozess jeweils anders verteilt sind. In einigen Ländern sind Pflegende sogar verschreibend tätig (z. B. im Vereinigten Königreich) [Maier 2019]. Insgesamt wurden 340 Interviews geführt, 24 davon mit deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Nach der inhaltlichen Auswertung wurden folgende AMTS-relevante Aufgaben­bereiche für Pflegende beschrieben:

  • Beobachtung erwünschter und unerwünschter Effekte einer Medikation
  • Beurteilung der Adhärenz der Menschen, die die Arzneimittel nutzen
  • Entscheidungen über die Medikation, einschließlich der Verschreibung
  • Informieren und Beraten der Patientinnen und Patienten

Autonomie und Kompetenzbereiche in der Pflege sind in den beforschten Ländern unterschiedlich ausgeprägt. Das Spektrum reicht von einem sehr eingeschränkten Verantwortungsbereich bei der Medikation (z. B. in Deutschland), der kaum über Verwalten und Verabreichen hinausgeht, bis zu komplexen Arbeitsfeldern und Verantwortlichkeiten (z. B. im Vereinigten Königreich). Entscheidende Voraussetzungen sind die erworbenen Kompetenzen und klinischen Erfahrungen der Pflegenden und die Beschaffenheit des Arbeitsumfeldes, in dem sie tätig werden. Sehr wichtig ist es zudem, die einzelnen Wirkstoffgruppen und die damit verbundenen Risiken adäquat zu berücksichtigen. Die Interviewten sahen Zeitmangel, Personalknappheit, unzulängliche rechtliche Rahmenbedingungen sowie begrenzte Ausbildung und Wissen der Pflegefachkräfte als Hemmnis für die Gestaltung erweiterter Rollen für professionell Pflegende und wie sie dies realisieren können. Alle befragten Berufsgruppen kommen zu dem Schluss, dass Pflegefachkräfte in Zukunft einen aktiveren Anteil an der multiprofessionellen, medikamentösen Versorgung einnehmen sollten und dass eine Erweiterung der Kompetenzen die Qualität der Versorgung verbessern kann. Pflegende hätten durch ihren häufigen und engen Kontakt zu Patientinnen und Patienten optimale Voraussetzungen, die Arzneitherapie engmaschig und zeitnah zu beobachten und erkennbare Risiken an Ärzte und Pharmazeuten weiterzugeben.

Interaktion auf Augenhöhe

Zu einem effektiven Medikations­management gehören aber auch eine Kommunikation auf Augenhöhe zwischen den beteiligten Berufsgruppen und die Nutzung moderner digitaler Übertragungswege. Das bedeutet, dass die Angehörigen der verschiedenen Professionen sich gegenseitig als gleichberechtigte Partner anerkennen und dementsprechend interagieren. Tradierte hierarchische Strukturen wurden von den Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern in diesem Zusammenhang als Hindernis beschrieben.

Dabei gehen die Forschenden davon aus, dass erweiterte Verantwortungsbereiche für die Pflege nur mit profunder klinischer Erfahrung und ergänzt durch eine gelingende Kooperation mit allen beteiligten Berufsgruppen erreichbar sind. Pharmazeutische Inhalte müssten verständlich und angemessen (wertschätzend) in Aus-, Fort- und Weiterbildung auch den Pflege­studierenden vermittelt werden. Gleichzeitig sind die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, die eine sichere Ausübung der jeweiligen Rollen der beteiligten Berufsgruppen und die zwingend notwendige Kooperation regeln.

Auf Grundlage der Ergebnisse der hier vorgestellten Studie wurde mittels Delphi-Verfahren ein einheitlicher Rahmen für Kompetenzen der Pflegenden im Medikationsprozess entwickelt. Dabei wirkten wiederum Expertinnen und Experten aus mehreren europäischen Regionen mit. Die Ergebnisse könnten bei der Gestaltung oder Überprüfung von Curricula für die Ausbildung von Pflegenden auf verschiedenen Niveaus als Hintergrund dienen [Dijkstra et al. 2021]. |

Literatur

De Baetselier E, DillesT, Batalha LM, Dijkstra NE et al Perspectives of nurses’ role in interprofessional pharmaceutical care across 14 European countries: A qualitative study in pharmacists, physicians and nurses. PLoS ONE 2021;16 (5):e0251982

Dijkstra N, De Baetselier E, Dilles T et al. Developing a competence framework for nurses in pharmaceutical care: A Delphi study. Nurse Education Today 2021;104926, 10.1016/j.nedt.2021.104926

Maier CB. Nurse prescribing of medicines in 13 European countries. Hum Resour Health 2019;17(1):95

Nurse and Pharmaceutical Care (NuPhaC). Internetauftritt des Konsortiums mit einem Überblick über den Forschungsprozess, www.nuphac.eu, Abruf am 24. November 2021

Thomas Klatt, wiss. Mitarbeiter, 
Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft 
an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Udo Puteanus, Münster

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