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Beratung

Den Krampf lösen ­

Was Magnesium, Chinin und Gurkenwasser leisten können

Fragt ein Apothekenkunde nach Hilfe bei Wadenkrämpfen, geht der Griff schnell ins Magnesium-Regal. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, sofern die Beratung nicht rein auf Evidenz fußen soll. Bei nicht wenigen Patienten werden dadurch aber die Symptome nicht gebessert. Seitdem Chinin der Verschreibungspflicht unterstellt worden ist, fehlt es in der Selbstmedikation an wirksamen Alternativen. Dafür ist heute eine Verordnung von Chinin-Präparaten zulasten der Krankenkassen möglich. Einige Ärzte sind wegen der potenziell tödlichen Nebenwirkungen verunsichert, andere mahnen, dass diese Sorge nicht zu therapeutischem Nihilismus führen darf. | Von Rika Rausch

Krämpfe, auch Crampi genannt, sind schmerzhafte und unwillkürliche Kontraktionen eines Teils oder der Gesamtheit eines Muskels oder einer umschriebenen Muskelgruppe. Sie dauern oft nur Sekunden bis Minuten und treten vorwiegend nachts auf. Die damit verbundenen Schmerzen können aber länger als der Krampf selbst dauern und die Lebensqualität deutlich beeinträchtigen, beispielsweise durch Störung des Schlafes und einer verminderten Leistungsfähigkeit im Tagesverlauf. Pathophysiologisch liegt eine neurogene Übererregbarkeit des Muskels zugrunde, die sich durch hochfrequente Entladungsserien der motorischen Einheiten äußert. Die Verhärtung ist in der Regel tastbar [1].

Wer hat das höchste Risiko?

Muskelkrämpfe können jeden treffen. Die Häufigkeit nimmt im Alter zu. So gut wie jeder zweite über 65-Jährige hat mindestens einmal pro Woche einen Muskelkrampf. Unter jüngeren Personen sind vor allem Sportler betroffen, mit einer Häufigkeit von über 90%. Es ist unbestritten, dass Muskelkrämpfe durch eine Dehydratation und Elektrolytstörungen begünstigt werden. Im Sommer ist das Risiko deshalb etwas höher.

Bekannte Risikofaktoren sind:

  • körperliche Arbeit oder sportliche Belastung, insbesondere unter Hitzebelastung (starkes Schwitzen, Salzverlust),
  • Schwangerschaft,
  • Hypovolämie, hypotone Dehydratation (Hyponatriämie) und unter der Hämodialyse,
  • Erkrankungen des zweiten Motoneurons (z. B. Mono- und Polyneuropathien, neurale Tumore),
  • endokrine Erkrankungen (Schilddrüsenfunktions­störung, Hypoparathyreoidismus, Morbus Addison),
  • Leberzirrhose,
  • Alkoholkonsum,
  • Einnahme von Arzneimitteln (Betasympathomimetika, Betarezeptorenblocker mit partiell agonistischer Aktivität, Cholinergika/Acetylcholinesterasehemmer, Kalziumantagonisten, Statine und Clofibrinsäurederivate, Diuretika),
  • hereditäre Belastung (sehr selten).

Differenzialdiagnostisch müssen Erkrankungen wie ischämischer Muskelschmerz, Tetanus, Dystonie etc. ausgeschlossen werden, ebenso das Restless-Legs-Syndrom (RLS). Im Unterschied zu Crampi bessern sich beim Restless-Legs-Syndrom die Beschwerden aber durch Bewegung. Eine neurologische Abklärung ist unbedingt erforderlich, falls die Krämpfe am Rumpf, an den Armen oder den Oberschenkeln auftreten. Weitere Warnsignale sind Taubheitsgefühl, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Nachtschweiß, Schwächegefühl in den Muskeln, Gang- oder Bewegungsunsicherheiten, Müdigkeit und Abgeschlagenheit, Hautveränderungen und Fieber.

Vor allem bei älteren Patienten muss an medikamentös induzierte Krämpfe gedacht werden. Insbesondere Diuretika, Statine und inhalative Beta-2-Sympathomimetika sind für diese unerwünschte Wirkung berüchtigt. Die Medikation ist sorgfältig zu prüfen, bevor eine Behandlung begonnen wird. Um später die Wirksamkeit der ergriffenen Maßnahmen besser einschätzen zu können, sollte der Patient vorab für etwa vier bis acht Wochen die Häufigkeit und die Schwere der Muskelkrämpfe erfassen.

Dehnübungen: wirksam und nebenwirkungsfrei

Die S1-Leitlinie „Crampi/Muskelkrampf“ wird derzeit überarbeitet [1]. An der Empfehlung, im Akutfall den verkrampften Muskel zu dehnen oder die Antagonisten anzuspannen, wird sich aber wohl nichts ändern. Die Wirksamkeit lässt sich unter Beteiligung von Golgi-Sehnen-Rezeptoren (Rezeptoren im Übergangsbereich zwischen Muskel- und Sehnenfasern) und Renshaw-Interneuronen (hemmende Interneurone des Rückenmarks) erklären. Bei wiederkehrenden Crampi eignen sich Dehnübungen auch zur Prävention. Abbildung 1 zeigt Beispiele, die sich gut in den Alltag integrieren lassen [2]. Sie sollten mehrmals am Tag für circa 30 Sekunden durchgeführt werden, jeweils dreimal wiederholt mit wenigen Sekunden Pause zwischen den Durchgängen.

Abb. 1. Die Wirksamkeit von Dehnübungen bei Wadenkrämpfen ist belegt. Diese müssen nicht lange (< eine Minute) dauern, aber wiederholt werden (etwa dreimal am Tag). Für die Übung rechts können sich ältere Personen bequem an einer ca. 1 m entfernten Wand abstützen. Die Übung links kann auch im Bett durchgeführt werden [nach 2].

Magnesium: nebenwirkungsarm, aber wenig wirksam

Bisher lässt die Studienlage keine ausreichende Wirksamkeit von Magnesium bei Wadenkrämpfen erkennen. Die kombinierten Ergebnisse von fünf scheinbar zuverlässigen Studien im Rahmen eines Cochrane-Reviews deuten darauf hin, dass Magnesium die Häufigkeit oder den Schweregrad von Muskelkrämpfen bei älteren Erwachsenen wahrscheinlich nicht verringert [3]. Da es aber ein günstiges Nebenwirkungsprofil aufweist, kann eine Substitution in aller Regel auch nicht schaden und sollte zumindest versucht werden, bevor andere Maßnahmen ins Spiel kommen. Darüber, ob Magnesium im individuellen Fall wirksam ist oder nicht, kann ein dreimonatiger Auslassversuch Aufschluss geben.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt insgesamt eine Zufuhr von 300 mg bis 400 mg pro Tag. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) begrenzt die Substitution auf 250 mg Magnesium pro Tag, da der Mineralstoff zusätzlich über die Nahrung aufgenommen wird [2]. Magnesium-reiche Nahrungsmittel sind Getreideprodukte, Nüsse, Samen, Hülsenfrüchte, Mineralwässer, grünes Gemüse, Trockenfrüchte, Milchprodukte, Fisch und Fleisch. Werden diese Nahrungsmittel kaum oder gar nicht konsumiert, stellen hochdosierte Magnesium-Präparate mit 300 mg bis 400 mg Magnesium pro Dosiseinheit eine Alternative dar (siehe Kasten „Spickzettel: Magnesium-Präparate“). Eine Überdosierung würde sich beispielsweise durch Durchfall und Magen-Darm-Beschwerden bemerkbar machen. Gefährlich wird sie bei Niereninsuffizienz, Herzrhythmusstörungen oder Störungen der Endplattenfunktion.

Spickzettel Magnesium-Präparate

Organisches oder anorganisches Salz?
Immer wieder wird postuliert, dass organische Magnesiumsalze zum Beispiel in Form von Citrat, Lactat oder Gluconat besser bioverfügbar sind als anorganische Salze wie Magnesiumcarbonat, -oxid oder -sulfat. Nach Aussagen von  Prof. Dr. Martin Smollich und Dr. Julia Podlogar (DAZ 2019, Nr.13, S. 38) scheint das nicht uneingeschränkt zuzutreffen. Zwar sei es richtig, dass z. B. Magnesiumoxid Simulationsmodellen zufolge im Magen nur zu 45% gelöst und damit im weiteren Verlauf resorbiert werden kann. In tierexperimentellen Untersuchungen konnte jedoch in Bezug auf den gelösten Anteil im Dünndarm kein signifikanter Unterschied zwischen den verschiedenen organischen und anorganischen Salzen festgestellt werden. Smollich und Podlogar betonen, dass neben der absolut zugeführten Magnesium-Menge der Versorgungsstatus entscheidend für das Ausmaß des Anstiegs der Magnesium-Konzentration im Blut ist: „Je schlechter dieser ist, desto mehr Magnesium wird aufgenommen.“ Bei Gesunden bestehe somit kein klinisch relevanter Unterschied zwischen den verschiedenen Salzen. Eine Ausnahme sehen Smollich und Podlogar bei Patienten mit eingeschränkter Magensäuresekretion, z. B. infolge einer Gastritis oder der Einnahme von Antazida: In diesem Fall sei die Löslichkeit anorganischer Salze stärker eingeschränkt und die Verwendung des auch im schwach-sauren Milieu löslichen Magnesiumcitrats sinnvoll.*

Mehrmals täglich oder lieber auf einmal?
Da Magnesium besser resorbiert wird, je größer der Bedarf ist, wird allgemein empfohlen, kleinere Mengen über den Tag verteilt einzunehmen. Für Personen, die die Einnahme über den Tag vergessen könnten oder deren Dauertherapie durch Wechselwirkungen mit zweiwertigen Kationen gefährdet ist, kann eine einmal tägliche Einnahme aber sinnvoller sein.

Dragée, Direktgranulat oder Zwei-Phasen-Präparat?
Welche Darreichungsform bevorzugt wird, ist reine Geschmackssache und richtet sich auch danach, ob man Diabetiker (besser Filmtabletten oder Kapseln) oder Veganer ist oder sich gluten- oder laktosefrei ernährt. In sogenannten Zwei-Phasen-Präparaten (z. B. Magnesium-Diasporal® Depot Muskeln + Nerven) gibt es eine „Sofort-Phase“ mit einem organischen Salz (z. B. Citrat), das im oberen Dünndarm aufgenommen wird und schnell wirken soll, und eine „Depot-Phase“ mit einer anorganischen Verbindung (z. B. Carbonat, Oxid), die erst in tieferen Darmabschnitten resorbiert wird – nach Meinung von Technologen ein sinnvoller Ansatz [10].

Chinin: wirksam, aber nebenwirkungsreich

Vor nicht allzu langer Zeit hielt die Selbstmedikation noch eine Option für Patienten mit Muskelkrämpfen bereit: Chininsulfat (z. B. Limptar®). Chinin ist ein in der Chinarinde (Cinchona pubescens, Rubiaceae) natürlich vorkommendes Alkaloid, das bereits seit den 1930er-Jahren zur Behandlung von idiopathischen Muskelkrämpfen eingesetzt wird. Die Totalsynthese ist möglich, doch bis heute wird Chinin durch Extraktion der Chinarinde gewonnen. Chinin schmeckt bitter und ist schlecht löslich. Für die Herstellung von Arzneimitteln wird das deutlich besser lösliche Chininsulfat genutzt, das eine hohe orale Bioverfügbarkeit (> 85%) aufweist. Das Alkaloid verlängert die Refraktärzeit der neuromuskulären Übertragung durch direkte Wirkung auf die Muskelfaser. Zugleich schwächt es die Erregbarkeit an der motorischen Endplatte und hat Einfluss auf die Verteilung von Calcium in der Muskelfaser. Im Ergebnis reagiert der Muskel nicht mehr so sensibel auf einen einzelnen Reiz.

Seit dem 1. April 2015 ist Chinin der Verschreibungspflicht unterstellt. Grund dafür waren neben Hinweisen auf Missbrauch (z. B. in Kombination mit Loperamid) insbesondere seltene, aber schwere Nebenwirkungen, die tödlich enden können. Heute darf das Arzneimittel erst ab 18 Jahren und nur nach Ausschluss behandelbarer Ursachen bei sehr schmerzhaften oder häufigen Muskelkrämpfen, bei regelmäßiger Störung des Nachtschlafes durch die Muskelkrämpfe oder bei Wirkungslosigkeit anderer Maßnahmen eingesetzt werden [1]. Die Startdosis beträgt 200 mg Chininsulfat nach dem Abendessen und kann auf 400 mg täglich gesteigert werden [4]. Der Behandlungserfolg lässt sich etwa nach vier Wochen beurteilen. Wird innerhalb dieses Zeitraums keine deutliche Besserung der Beschwerden erzielt, ist die Einnahme wieder zu beenden. Die Therapie sollte alle drei Monate unterbrochen werden, um die Notwendigkeit für eine weitere Behandlung zu überprüfen.

Die Wirksamkeit von Chinin gilt als belegt. In einem Cochrane-Review aus dem Jahr 2015 konnte die Behandlung mit Chinin in einer mittleren Tagesdosis von 300 mg (200 bis 500 mg) die Crampi-Häufigkeit über zwei Wochen um 28%, die Intensität der Muskelkrämpfe um 10% und die Anzahl der Nächte mit Muskelkrämpfen um 20% reduzieren [5]. Unberührt blieb dagegen die Dauer der Crampi.

Cave: Polymedikation!

Der Prüfung von Komedikationen kommt im Zusammenhang mit der Verordnung von Chinin eine große Bedeutung zu. Hier kann das pharmazeutische Personal Unterstützung anbieten. Das Alkaloid wird hauptsächlich über CYP 3A4 hydroxyliert und hat deshalb ein hohes pharmakokinetisches Interaktionspotenzial. Chinin kann die Wirkung von Digitalis-Präparaten und Muskelrelaxanzien verstärken. Da es die Produktion von Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren in der Leber herabsetzen kann, sollte es nicht mit Antiko­agulanzien wie Phenprocoumon kombiniert werden.

Problematisch gestaltet sich die Anwendung bei bestehender Herzerkrankung. Chinin verzögert die Repolarisierung im Reizleitungssystem des Herzmuskels, erkennbar an einer Verlängerung des QT-Intervalls im Elektrokardiogramm (EKG). Bei Bradykardien, Herzrhythmusstörungen und schwerer Herzinsuffizienz ist Chinin deshalb kontraindiziert. Patienten mit vorbestehendem verlängertem QT-Intervall von mehr als 500 ms sollten nicht mit Chininsulfat behandelt werden. Vorsicht ist geboten, wenn gleichzeitig Arzneimittel eingenommen werden, die ebenfalls das QT-Intervall verlängern, beispielsweise Antiarrhythmika der Klasse Ia/III (z. B. Amiodaron), Neuroleptika, Antibiotika (einige Makrolid-Antibiotika, Fluorchinolone, Imidazol-Antimykotika), einige nicht sedierende Antihistaminika (z. B. Terfenadin, Ebastin) und einige starke Schmerzmittel vom Opioidtyp (z. B. Methadon) [4].

Ebenso sind Hör- und Sehstörungen unter Therapie mit Chinin möglich. Eine Schädigung des Nervus vestibulocochleares oder des Nervus opticus sind allerdings nur bei hohen Plasmakonzentrationen zu erwarten, wie sie in der Malaria-Therapie (1 g bis 3 g/Tag), aber nicht in der Prophylaxe von Muskelkrämpfen (200 mg bis 400 mg/Tag) erreicht werden [2]. Todesfälle wurden mit Einzeldosen von 2 g bis 8 g berichtet.

Zusatztipps: Trinken, zum Beispiel Gurkenwasser

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Personen, die regelmäßig unter Muskelkrämpfen leiden, sollten für eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr sorgen. Alkohol sollte gemieden werden. Die Muskulatur darf nicht zu stark in ungewohnter Weise belastet werden. Auch die Schlafposition scheint Auswirkungen zu haben: Bauchschläfer sollten es vermeiden, die Füße gestreckt abzulegen, sondern lieber die Füße über das Matratzenende hängen lassen [8]. Als Hausmittel gilt das Trinken von Gurkenwasser bzw. der Sud aus einem Glas Gewürzgurken. Die Wirksamkeit dieser Methode konnte in einer Studie belegt werden. Die Autoren empfehlen darin 1 ml Gurkenwasser pro Kilogramm Körpergewicht, das entspricht etwa einer Tasse. Die Krampfdauer konnte im Akutfall so um fast die Hälfte auf durchschnittlich 85 Sekunden verkürzt werden. Vermutlich bewirkt der saure Geschmack im Rachen, dass die Aktivität der impulsgebenden Nervenzellen gedrosselt wird. Zur Prophylaxe eignet sich Gurkenwasser dagegen nicht.

Nasenbluten als Warnsignal

Am meisten gefürchtet unter Therapie mit Chinin sind Gerinnungsstörungen, insbesondere eine immunologisch, und damit dosisunabhängig vermittelte Thrombozytopenie. Das Risiko ist in den ersten beiden Wochen am höchsten [1]. Anzeichen sind petechiale oder ekchymatöse Blutungen, auch neu aufgetretenes Nasen- oder Zahnfleischbluten oder gastrointestinale Blutungen sollten aufhorchen lassen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beschrieb zum Zeitpunkt des Übergangs in die Verschreibungspflicht 81 Fälle seit dem Jahr 1978, darunter einen Todesfall [2].

Aufgrund der Schwere der unerwünschten Wirkungen ist Vorsicht geboten, allerdings darf diese nicht dazu führen, dass ungefährdeten Patienten eine wirksame Therapieoption vorenthalten wird, geben Ärzte zu bedenken [2]. Immerhin bergen auch andere übliche Arzneistoffe das Risiko für Thrombozytopenien, zum Beispiel Cotrimoxazol, Rifampicin, Diclofenac, Ibuprofen, Vancomycin und Heparin. Mehrere Fachleute beruhigen, dass die Kontraindikationen und Nebenwirkungen in der ärztlichen Praxis gut beherrschbar sind. Die Patienten müssen für etwaige Warnsignale wie spontane Haut- oder Schleimhauteinblutungen oder Nasenbluten innerhalb der ersten zwei Wochen sensibilisiert werden. Personen, die einmal unter einer Chinin-induzierten Thrombozytopenie gelitten haben, dürfen nicht wieder mit dem Wirkstoff behandelt werden und auch keine Chinin-haltigen Getränke (z. B. Tonic Water, Bitter Lemon) zu sich zu nehmen.

Sonderfall Schwangerschaft

Da Chinin in Schwangerschaft und Stillzeit keine Option ist, bleibt zur Behandlung von Muskelkrämpfen neben Dehnübungen nur Magnesium [1]. Immerhin spricht die Studienlage nicht gegen dessen Wirksamkeit, allerdings auch nicht dafür. Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert. Obendrein kann Magnesium-Mangel auch vorzeitige Wehen, Prä­eklampsie und Wachstumsverzögerung des Kindes begünstigen, sodass eine Substitution hierzulande zur etablierten Praxis gehört. Der Bedarf ist allerdings nur unwesentlich höher als für nicht schwangere Frauen (310 mg vs. 300 mg). Da Schwangere ein erhöhtes Risiko für Thrombosen haben, muss diese Gefahr vorab ausgeschlossen werden. Grund zur Vorsicht ist beispielsweise geboten, wenn die Waden­krämpfe nur einseitig auftreten. |

Wie halten es andere Länder mit ­Chinin?

Das für seine Kritik bekannte „Arznei-Telegramm“ riet schon vor der Rezeptpflicht vor Chinin zur Behandlung von Wadenkrämpfen ab und zitierte in diesem Zusammenhang oft Warnungen aus den USA [6]. Die dortige Arzneimittelbehörde FDA berichtete 2006 von 665 Zwischenfällen, darunter 93 Todesfälle. In den USA ist das Arzneimittel jedoch nicht zur Behandlung von Muskelkrämpfen zugelassen. Die amerikanische Gesellschaft für Neurologie bewertete Chinin 2010 in einem Review als wahrscheinlich wirksam. Der Erstautor brach fünf Jahre später in einem Leserbrief eine Lanze für Chinin, das unter ärztlicher Überwachung ein ausreichend sicheres Medikament für eine Indikation darstelle, die nur eingeschränkt behandelbar sei [2]. Die britische Arzneimittelbehörde hatte die Indikation von Chinin, das dort schon lange verschreibungspflichtig war, nachträglich auf häufige oder besonders schmerzhafte Krämpfe eingeschränkt [6]. Im Jahr 2017 ergab eine retrospektive Analyse der Versichertendaten von 175.195 Patienten, denen zwischen 1990 und 2014 über längere Zeit Chinin verordnet wurde, ein Anstieg des Sterberisikos [7]. Besonders deutlich war der Zusammenhang bei Patienten unter 50 Jahren. Die Autoren stellten auch eine Dosis-Wirkungs-Beziehung fest, die für eine Kausalität spricht.

Literatur

 [1] Crampi/Muskelkrampf. S1-Leitlinie der Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Stand: September 2016, abgelaufen, derzeit in Überarbeitung, AWMF-Registernummer: 030 - 037

 [2] Schumann C. Rationale Muskelkrampfbehandlung: Wenn die Wade krampft. Dtsch Arztebl 2021;118(42):A-1930/B-1591

 [3] Garrison SR et al. Magnesium for skeletal muscle cramps (Review). Cochrane Database of Systematic Reviews 2020;9:Art. No.: CD009402; doi: 10.1002/14651858.CD009402.pub3

 [4] Gebrauchsinformation Limptar® N, Stand: Dezember 2017

 [5] El-Tawil S et al. Quinine for muscle cramps. Cochrane Database Syst Rev 2015;4:CD005044

 [6] Chinin (Limptar N). Lebensbedrohliche Schadwirkungen. a-t 2010;41:99

 [7] Fardet L et al. Association Between Long-term Quinine Exposure and All-Cause Mortality. JAMA 2017;317:1907-1909

 [8] Nächtliche Muskelkrämpfe. Gute Pillen – Schlechte Pillen 2014;05:10

 [9] Miller KC et al. Reflex inhibition of electrically induced muscle cramps in hypohydrated humans. Med Sci Sports Exerc 2010;42(5):953-961

[10] Rausch R. Magnesium als Granulat und Co. – worauf man achten sollte. DAZ.online vom 14. April 2021, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2021/04/14/magnesium-als-granulat-und-co-worauf-man-achten-sollte

* Dieser Absatz wurde in der Online-Ausgabe am 28. Januar 2022 präzisiert.

Autorin

Rika Rausch ist Apothekerin und Journalistin. Seit 2017 arbeitet sie neben ihrer Tätigkeit in einer öffentlichen Apotheke als freie Mitarbeiterin bei der DAZ.

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