Arzneimittel und Therapie

Sind Antibiotika schuld an Kreidezähnen?

Welche Faktoren die zweithäufigste Zahnerkrankung bei Kindern begünstigen können

mab | Sie sind gelblich-bräunlich verfärbt und zum Teil so porös, dass sie beim normalen Zähneputzen abbrechen: Kreidezähne bei Kindern. Die Ursache ist bisher unbekannt. Im Verdacht stehen laut dem aktuellen Barmer-Zahnreport Anti­biotika, die in den ersten Lebensjahren bei den betroffenen Kindern angewendet wurden.

Nachdem die Verbreitung von Karies bei Kindern aufgrund der guten Aufklärungsarbeit in den letzten Jahren schon sehr zurückgegangen ist, berichtet die Barmer Krankenkasse in ihrem diesjährigen Zahnreport über eine andere, bisher kaum bekannte und dennoch tückische Zahnerkrankung bei Kindern: Kreidezähne, in der Fachsprache

molare inzisive Hypomineralisation (MIH) genannt. Betroffene Kinder haben gelblich oder bräunlich verfärbte Zähne, die vor allem die bleibenden ersten großen Backenzähne (Molaren) oder Schneidezähne betreffen. Die Krankheit wird meist ab dem sechsten Lebensjahr diagnostiziert. Durch die Störung des Mineralhaushalts der Zähne ist deren Struktur bei manchen Kindern so porös, dass sie beim einfachen Zähneputzen abbrechen oder zerbröseln. Zudem leiden die Kinder häufig unter Schmerzen und Überempfindlichkeit. Viele Eltern werfen sich vor, nicht ausreichend auf die Zahngesundheit ihrer Kinder geachtet zu haben. Die Barmer weist an dieser Stelle darauf hin, dass aufgrund des noch unbekannten Pathomechanismus eine Prävention von Kreidezähnen nahezu unmöglich ist.

Foto: Trifonenko Ivan/AdobeStock

Zusammenhang mit Arznei­mitteleinnahme wird diskutiert

In Deutschland sind mit 450.000 Kindern etwa 8% der Sechs- bis Zwölfjährigen betroffen. Mit 9,1% trifft die Krankheit etwas mehr Mädchen als Jungen (7,6%). Über die Entstehung ist bisher relativ wenig bekannt, diskutiert wird ein möglicher Zusammenhang mit der Einnahme von Arzneimitteln. Im Barmer Zahnreport wurde daher eine mögliche Verbindung zwischen der Einnahme verschiedener Therapeutika mit der Entstehung von Kreidezähnen untersucht. Diese konnte neben der Anwendung von Rhinologika, Otologika, antiobstruktiven Arzneimitteln auch bei Antibiotika gefunden werden. Kein Zusammenhang hingegen konnte mit der Einnahme von Paracetamol oder Ibuprofen, die ebenfalls bei klassischen Atemwegs­infekten eingesetzt werden, gesehen werden.

Tetracycline sind unschuldig

Bei den Antibiotika standen nicht die Tetracycline, wie man als Pharmazeut zunächst vermuten mag, sondern vielmehr Betalactam-Antibiotika, Peni­cilline, Makrolide, Sulfonamide, Trimethoprim und Nitrofuran im Verdacht. Kinder mit Kreidezähnen hatten der Barmer-Analyse zufolge innerhalb der ersten vier Lebensjahre bis zu zehn Prozent häufiger ein Antibiotikum aus diesen Gruppen zur Behandlung von Atemwegs- oder Harnwegsinfekten erhalten als gleichaltrige Kinder ohne Kreide­zähne. Ein Dosis-Wirkungs-Zusammenhang kann bisher nur vermutet werden – wenn, dann dürfte dieser jedoch schwach ausfallen. Der genaue Mechanismus ist bisher unklar, es wird vermutet, dass die Antibiotika in den Zahnmineralisationsprozess eingreifen. Die Barmer appelliert daher, Antibiotika für Kinder noch verantwortungsvoller und indikationsgerechter einzusetzen. Zudem wurde bei der Analyse ein Zusammenhang mit dem Alter der Mutter bei der Geburt gesehen: So waren Kinder, deren Mütter sehr jung oder aber mit über 40 Jahren ihr Kind geboren hatten, seltener von Kreidezähnen betroffen als Kinder, deren Mütter bei der Geburt zwischen 30 und 40 Jahre alt waren. |

Literatur

Rädel M, Bohm S, Priess HW, Reinacher U, Walter M. BARMER Zahnreport 2021. Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse – Band 28

 

„Frühzeitig zahnärztlichen Rat einholen“

Ein Gastkommentar zur molaren inzisiven Hypomineralisation (MIH)

Was können betroffene Eltern tun, wenn bei ihren Kindern Kreidezähne diagnostiziert werden? Dazu ein Gastkommentar von Prof. Dr. Rainer Hahn von der Danube Private University Krems. Er praktiziert in seiner eigenen Klinik in Tübingen, leitet seit 1997 die Fortbildungsakademie DentalSchool und ist Geschäftsführer der Firma Cumdente GmbH.

Univ.-Prof. Dr. Rainer Hahn

Die molare inzisive Hypomineralisation (MIH) stellt eine entwicklungsbedingte Erkrankung der Zahnhartsubstanz dar, die durch qualitative Schmelzdefekte in Form verringert mineralisierter, fehlstrukturierter Schmelzanteile gekennzeichnet ist. Diese führen in der einfachsten Form zu weißlichen Opazitäten, bräunlichen Verfärbungen oder Porositäten. In schwereren Fällen kommt es aber auch zu fortschreitenden Schmelzaus- und -abbrüchen bis hin zu umfangreichen Abrasionen. Häufig leiden die betroffenen Kinder unter einer ausgeprägten Hypersensibilität, die aufgrund von Schmerzen eine gute Mundhygiene nur eingeschränkt ermöglicht. Bei einigen Kindern werden die Kreidezähne zudem von einer rasch fortschreitenden Karies begleitet. Zumeist sind die (ersten) Molaren betroffen und klassischerweise auch (gehäuft) die oberen mittleren Frontzähne. Es können jedoch auch andere Zähne (seitliche Schneidezähne, Eckzähne, 2. Molaren) und auch bereits Milchzähne betroffen sein. Insgesamt tritt das Krankheitsbild häufiger im Oberkiefer als im Unterkiefer auf. Der Begriff MIH wurde erst in 2001 auf der Jahrestagung der European „Academy of Paediatric Dentistry“ vorgeschlagen und wird seitdem einheitlich verwendet. Die Prävalenz­daten in den europäischen Ländern schwanken stark – man geht davon aus, dass in Deutschland zwischen 4 und 14% der Kinder betroffen sind, etwa sechs Prozent leiden an einer schweren Verlaufsform. Schließt man weißliche Opazitäten ein, sind es sogar bis zu 28% der Kinder.

Die Ursachen sind bis heute unklar, auch wenn jüngst Zusammenhänge mit Arzneimitteln wie Antibiotika oder Erkrankungen des Respirationstraktes (auch bereits während der Schwangerschaft) beschrieben werden. Andere Thesen sehen ursächlich Zusammenhänge mit frühkindlichen Infektionserkrankungen mit häufigen Fieberschüben, Windpocken, Umweltbedingungen (Schadstoffe, Weichmacher usw.). Ein vermuteter Zusammenhang mit einer Bisphenol-A-Aufnahme hat sich bisher nicht bestätigt.

Was man tun kann

Betroffene Kinder und Eltern sollten möglichst frühzeitig zahnärztlichen Rat einholen. Für die häusliche Zahnpflege sollte eine fluoridhaltige Zahnpasta (ab dem sechsten Lebensjahr mit mindestens 1400 ppm Fluorid) mit mittleren Abrasionswerten (RDA-Wert: 70 bis 80), ggf. in Kombination mit einer weichen Zahnbürste verwendet werden. Die Kombination mit Hydroxyl­apatit-­Mineralien in der Zahnpasta hat sich ebenfalls sehr bewährt.

Bei Hypersensibilität oder zur Unterstützung der Rückbildung von weißlichen Verfärbungen oder Initialkaries empfiehlt sich die regelmäßige Verwendung von Hydroxylapatit-haltigen „Reparaturpasten“ (z. B. ApaCare® Repair Intensiv-­Reparatur, GC Tooth Mousse®) am besten mittels einer vom Zahnarzt hergestellten Zahnschiene. Bei regelmäßiger Anwendung verbessert sich die Hypersensibilität zumeist rasch. Das bioverfügbare Calcium und Phosphat aus der Reparatur­paste begünstigt zudem die weitere Schmelzreifung bis weit über die Pubertät hinaus. Unterstützend können Calciummineral-haltige Kaugummis auf Xylitol-Basis gekaut werden. Bei großflächigen Defekten oder irreversibler Karies sollte frühzeitig eine minimal­invasive, defektorientierte (wenn möglich kleinflächige), adhäsive Kompositfüllung mit modernen Haftvermittlern an der Zahnhartsubstanz durchgeführt werden. Überkronungen bei Kindern haben in der Regel nur eine eingeschränkte Prognose und sollten sehr zurückhaltend in Erwägung gezogen werden. In sehr seltenen, besonders schweren Fällen kann als „letzte“ Maßnahme die Entfernung der betroffenen ersten Molaren mit anschließendem kieferorthopädischem Lückenschluss in Erwägung gezogen werden – ins­besondere dann, wenn ohnehin ein Platzmangel mit der Indikation für eine kieferorthopädische Behandlung besteht.

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