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Arzneimittel und Therapie
Kinder(-sicher) therapieren
Neue Datenbank unterstützt Apotheker und Ärzte
Ein bekanntes Problem in der Kinder- und Jugendmedizin ist, dass die dort eingesetzten Wirkstoffe oftmals nicht für alle Altersgruppen oder alle Indikationen zugelassen sind. Off-Label-Anwendungen können zwar das Risiko für Nebenwirkungen und Medikationsfehler erhöhen, sind aber häufig die einzige Möglichkeit, Kinder und Jugendliche mit einer adäquaten Therapie zu versorgen. Entscheidend für eine sachgerechte On- oder Off-label-Anwendung ist eine positive Beurteilung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses basierend auf der vorhandenen wissenschaftlichen Literatur. Diese Voraussetzung fehlte bislang in Deutschland. Zwar liegen einige Kompendien mit Daten zum On- und Off-Label-Einsatz von Wirkstoffen vor, häufig fehlen aber Evidenz- und Quellenangaben. Diese sind jedoch notwendig, um eine richtige Therapieentscheidung treffen zu können – vor allem im Off-Label-Bereich. Diesem Problem stellte sich 2012 eine Arbeitsgruppe aus Erlangen und erarbeitete in Kooperation mit niederländischen, österreichischen und norwegischen Kollegen eine entsprechende Datenbank mit dem Ziel, evidenzbasierte Empfehlungen bereitzustellen und Dosierungsempfehlungen zu harmonisieren. Hierfür wurde unter anderem ein Lizenzvertrag mit dem niederländischen Kinderformularium geschlossen. Das Vorhaben wurde von 2016 bis 2018 vom Bundesministerium für Gesundheit im Rahmen des Aktionsplans zur Verbesserung der Arzneimitteltherapie unterstützt.
Ärzte und Apotheker an Entwicklung beteiligt
Die Erstellung der Datenbank PDIS (paediatric drug information system) erfolgte in mehreren Schritten. Hierzu gehörten die Schaffung der technischen und inhaltlichen Infrastruktur sowie die Entwicklung von Pilotdatensätzen. Nachfolgend wurden in einem zweistufigen Verfahren der Bedarf und die Nachfrage nach einem solchen Informationssystem erhoben. Über Interviews und einen Online-Benutzertest wurden die Wünsche der Nutzer integriert. Anschließend wurde die überarbeitete Plattform von Apothekern und Ärzten aus dem niedergelassenen und stationären Bereich evaluiert. 92% der Befragten waren der Meinung, eine Online-Plattform mit pädiatrischen Dosierungsinformationen verbessere die Verordnungen, da die bisher zugänglichen Informationen unzureichend seien. Durch Kooperation mit internationalen Partnern, insbesondere mit Mitarbeitern der niederländischen Kinderdatenbank, wurden weitere Verbesserungen integriert. Die jetzigen Dosierungsempfehlungen basieren auf den Ergebnissen der systematischen Literaturrecherchen des niederländischen Kinderformulariums. Damit wurde ein schon bestehendes, national etabliertes und evidenzbasiertes Arzneimittelinformationssystem als Projektpartner ausgewählt. Die Informationen wurden anschließend durch ein Expertenteam aus Apothekern und Ärzten sowie Angehörigen pädiatrischer Fachgesellschaften auf nationale Gegebenheiten hin geprüft, durch eigene Recherchen ergänzt und mit länderspezifischen Informationen erweitert. Die aktuelle Version der Plattform PDIS wurde im Rahmen des KidSafe-Projektes evaluiert. KidSafe verfolgt das Ziel, das bestehende Versorgungsdefizit bei der Arzneimitteltherapie von Kindern und Jugendlichen durch die Einführung einer rationalen, evidenzbasierten Pharmakotherapie zu vermindern und die medizinische Versorgung mit Arzneimitteln bei Kindern und Jugendlichen zu verbessern.
Umfangreiche Informationen
Die Datenbank ist seit Januar 2021 online verfügbar. Die wichtigsten Inhalte sind Dosierungsempfehlungen für Früh- und Neugeborene sowie für Kinder und Jugendliche. Ferner finden sich kinderspezifische unerwünschte Arzneimittelwirkungen, Warnhinweise und Kontraindikationen sowie Informationen zum Zulassungsstatus und zu in Deutschland verfügbaren Präparaten. Aktuell liegen 364 Monografien vor, die alphabetisch aufgelistet sind. Eine weitere Einteilung erfolgt nach den ATC-Gruppen alimentäres System und Stoffwechsel, Blut und blutbildende Organe, kardiovaskuläres System, Dermatika, Urogenitalsystem und Sexualhormone, systemische Hormonpräparate (exklusiv Sexualhormone und Insuline), Antiinfektiva zur systemischen Anwendung, antineoplastische und immunmodulatorische Mittel, Muskel- und Skelettsystem, Nervensystem, antiparasitäre Mittel, Insektizide und Repellenzien, Respirationstrakt, Sinnesorgane sowie Varia. Nach Auswahl einer Monografie erscheinen Handelsname des Wirkstoffs und ACT-Code sowie Links zu weiteren Informationen. Hierunter fallen
- Zulassung und Präparate, Pharmakodynamik und Pharmakokinetik: Hier finden sich Angaben über zugelassene Dosierungsempfehlungen in Abhängigkeit von Alter, Indikation und Applikationsart mit Hinweisen, wie die Gabe einzelner Applikationsarten zu erfolgen hat. Es folgt eine Tabelle mit ausgewählten Handelspräparaten mit Hinweisen auf problematische Hilfsstoffe, Angaben zu einer möglichen Teil- oder Mörserbarkeit und bei Liquida deren Geschmack (sofern aromatisiert). Ferner werden Parameter zur Pharmakokinetik und Pharmakodynamik (z. B. Bioverfügbarkeit) aufgeführt.
- Dosierungsempfehlungen: Hier werden die genauen Dosierungsempfehlungen in Abhängigkeit des Alters und der Indikation aufgelistet; ein Off-Label-Einsatz ist rot gekennzeichnet.
- Nierenfunktionsstörungen: Falls erforderlich, finden sich hier Dosisanpassungen in Abhängigkeit der Nierenfunktion (glomeruläre Filtrationsrate) oder Angaben zur Dialysierbarkeit.
- ähnliche Wirkstoffe: Auflistung ähnlicher Wirkstoffe
- unerwünschte Arzneimittelwirkungen: Angabe der Nebenwirkungen; teilweise mit Verweis auf die Fachinformation
- Kontraindikationen, Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Dieser Absatz kann bei einigen Wirkstoffen sehr ausführlich sein.
- Überdosierungen: Vorgehen bei einer Überdosierung; mit Angabe eines Antidots (falls bekannt)
- Wechselwirkungen
- Referenzen: Verzeichnis der konsultierten Literatur
- Änderungsverzeichnis
Rechenmodul ist geplant
Des Weiteren besteht die Möglichkeit, zwei Wirkstoffe direkt miteinander zu vergleichen, Kommentare zu erstellen sowie Meldungen an die Arzneimittelkommission zu übermitteln. Über einen weiteren Link sind Neuigkeiten zur Arzneimitteltherapie bei Kindern abrufbar. Besonders hilfreich sind die Informationen, die über den Link Nutzungshinweise/Zusatzinformationen zugänglich sind. Das sind beispielsweise Angaben zu Hilfsstoffen, die bei Kindern, insbesondere Neugeborenen, zu schweren Nebenwirkungen oder Hypersensitivitätsreaktionen führen, eine Zusammenstellung geeigneter Applikationsformen in der Pädiatrie oder ausführliche Erläuterungen zum Off-Label-Zulassungsstatus. Ein geplantes Rechenmodul bestehend aus einer Berechnungsoberfläche, die die Dosierungsempfehlungen des Kinderformulariums mit klinischen Patientenvariablen zusammenführt und somit in einer individuell empfohlenen pädiatrischen Dosis resultiert, ist geplant, derzeit aber noch nicht verfügbar. |
Literatur
Abschlussbericht PaedDos, Informationen des Bundesgesundheitsministeriums, www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Berichte/20190624_Abschlussbericht_PaedDos.pdf, Abruf am 5. März 2021
KidSafe, Informationen des Universitätsklinikums Erlangen, www.kidsafe.de/, Abruf am 5. März 2021
Kinderformularium.de, Informationen des Universitäts-Klinikums Erlangen, www.kinderformularium.de, Abruf am 5. März 2021
Kinderformularium, Informationen des Nederlands Kenniscentrum voor Farmacotherapie bij Kinderen, www.kinderformularium.nl/, Abruf am 5. März 2021
Zahn J et al. Development and Evaluation of a Web-Based Paediatric Drug Information System for Germany. Pharmacy 2021; 9(1):8. doi: 10.3390/pharmacy9010008
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