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Digitalisierung

Was bringen DiGAs?

Apps auf Rezept – (k)ein Fall für die Apotheke

„Apps auf Rezept“ oder DiGAs (digitale Gesundheitsanwendungen) – diese Form der mobilen und digitalen Therapiebegleitung steht seit Inkraft­treten des Digitale Versorgung Gesetzes (§ 33a und 139e SGB V) allen Mitgliedern der gesetzlichen Kranken­kasse in Deutschland zu. Ärzte und Psychotherapeuten können digital Gesundheitsanwendungen auf Rezept verordnen. Alternativ kann der Patient selbst, bei Nachweis einer entsprechenden Indikation, einen Antrag auf die Kostenübernahme direkt bei der Krankenkasse stellen. Deutschland ist damit das einzige Land weltweit, in dem die Verordnung von Apps zulasten der Krankenkasse möglich ist. Und auch die Rolle der Apotheken im Zusammenspiel DiGA, Patient und Arzt wurde kürzlich definiert. | Von Kathrin Wild

Bevor eine digitale Gesundheitsanwendung erstattungs­fähig wird, durchläuft sie ein Prüfverfahren des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Seit dem Startschuss des Verfahrens Ende Mai 2020 sind 54 Anträge eingereicht worden, aktuell sind 22 Antragsstellungen in Bearbeitung, elf Anwendungen haben das Verfahren bereits mit einem positiven Ergebnis durch­laufen.

DiGA und die Rolle der Apotheken

Die öffentlichen Apotheken haben bisher bei der Anwendung einer DiGA keine offiziell benannte Rolle gespielt. Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass, bedingt durch den niedrigschwelligen Zugang und damit häufig erste Anlaufstelle bei Gesundheitsfragen, keine Berührungspunkte mit der Apotheke aufgetaucht und sinnvoll wären. Das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) enthält nun eine Definition der Rolle der Apotheken bei der Anwendung von digitalen Gesundheitsanwendungen. Das Gesetz wurde Ende Januar 2021 vom Kabinett beschlossen und soll Mitte des Jahres in Kraft treten. Apotheker erhalten dann, nach Einwilligung des Patienten, Zugriff auf die Daten in der digitalen Gesundheitsanwendung. In Zusammenhang mit chronischen Erkrankungen, wie Diabetes mellitus oder Bluthochdruck kann die Apotheke den Patienten dann mit dem Wissen der Daten beratend unterstützen. Gerade bei chronischen Erkrankungen können Daten, wie zum Beispiel Messwerte im Verlauf, Verhaltenstagebücher oder Angaben zur Ernährung das Bild über den aktuellen Zustand des Patienten vervollständigen und bei der Beratung berücksichtigt werden. Eine Erweiterung der heilberuflichen Leistung der Apotheker oder die Übertragung von Leistungen, die nur dem Arzt unterliegen sind damit nicht verbunden, wie es in dem Kabinettsbeschluss heißt.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob auch Apps, die gezielt die pharmazeutische Fachkompetenz der vor Ort Apotheken einbeziehen, zukünftig als DiGA zum Einsatz kommen könnten. Denkbar wären in diesem Zusammenhang Anwendungen, die etwa das Eintragen und Pflegen von Einnahme- und Medikationsplänen ermöglichen und mit Einnahmeerinnerungen und Nachbestellhinweisen die Adhärenz von Chronikern unterstützen. Eine direkte Anbindung an eine Stammapotheke könnte die Betreuung in Richtung Medikationsmanagement ausbauen. Ob der­artige Apps die Kriterien an eine DiGA erfüllen und deren Hersteller eine Zertifizierung als Medizinprodukt anstreben, bleibt abzuwarten.

Die Paragrafen §§ 5 und 6 der DiGAV (Digitale Gesundheitsanwendungen Verordnung) führen die Interoperabilität der digitalen Anwendungen als ein entscheidendes Qualitätsmerkmal auf. Der vom BfArM veröffentlichte „DiGA-Leit­faden“ beschreibt ebenfalls die große Bedeutung der Interoperabilität. Digitale Gesundheitsanwendungen sollen perspektivisch untereinander, aber auch mit anderen digitalen Lösungen im Gesundheitswesen, wie z. B. der elektronischen Patientenakte kooperieren können. Für die elektronische Patientenakte bereits etablierte und definierte Standards sind für die digitalen Gesundheitsanwendungen dabei ebenfalls maßgeblich. Das Zusammenspiel aus DiGA, Arzt und Apotheke kann einen zusätzlichen Beitrag für den inter­sektoralen Austausch auf Basis der Telematikinfrastruktur leisten. Der Patient hat mit der digitalen Gesundheitsanwendung die Chance, selbst noch stärker am Erfolg seiner Behandlung mitzuwirken. Verschlechterungen, Komplika­tionen oder Folgen der Erkrankung können durch die gemeinsame Anwendung mit Arzt bzw. Psychotherapeut und Apotheke frühzeitig erkannt, abgemildert oder bestenfalls verhindert werden.

Wann ist eine App eine DiGA?

Eine App muss mehrere Voraussetzungen erfüllen, bevor sie von einem Arzt oder Psychotherapeuten zulasten der Krankenkassen verordnet werden kann. Eine digitale Gesundheitsanwendung ist als Medizinprodukt der Risikoklasse I oder IIa nach der EU-Verordnung für Medizinprodukte (MDR bzw. bei Übergangsvorschriften nach MDD) zertifiziert. Sie besitzt als Medizinprodukt das CE-Kennzeichen, ihre Hauptfunktion basiert auf digitaler Technologie. Eben durch diese Technologie wird der medizinische Zweck erreicht. Der Patient allein oder Arzt bzw. Psychotherapeut gemeinsam mit dem Patienten wenden die Applikation an. Eine DiGA dient nicht der Primärprävention einer Er­krankung, vielmehr unterstützt sie die Erkennung, Über­wachung, Behandlung und Linderung von Krankheiten, Verletzungen oder Behinderungen.

Erstattungsfähigkeit zulasten der Krankenkassen erlangt die digitale Anwendung durch die Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis des BfArM. Voraussetzung dafür ist ein positiv abgeschlossenes Prüfverfahren, das nach § 139e SGB V als „Fast-Track-Verfahren“ umgesetzt wurde. Innerhalb von höchstens drei Monaten nach Einreichung der voll­ständigen Antragsunterlagen durch den Hersteller ent­scheidet das BfArM über eine Aufnahme des Anwärters in das Verzeichnis.

Der Nachweis von positiven Versorgungseffekten

Entscheidend für eine endgültige Aufnahme der Anwendung in das DiGA-Verzeichnis ist der Nachweis über positive Versorgungseffekte. Die ergänzende Rechtsverordnung DiGAV definiert positive Versorgungseffekte entweder als medizinischen Nutzen oder patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserungen in der Versorgung. Ein medizinischer Nutzen wird durch einen verbesserten Gesundheitszustand, eine verkürzte Krankheitsdauer, verlängertes Überleben oder durch eine gesteigerte Lebensqualität erreicht. Die Patientensicherheit und Souveränität, die Adhärenz oder auch die Bewältigung von krankheitsbedingten Schwierigkeiten im Alltag sind neben anderen Zielen als positive Struktur- und Verfahrensverbesserung definiert.

Der Nachweis von positiven Versorgungseffekten erfolgt über die Einreichung von vergleichenden Studienergeb­nissen durch den Hersteller. Je nachdem, ob der Anbieter bereits Studienergebnisse nachweisen kann oder nicht, entscheidet er sich bei der Antragstellung für den Ver­fahrensweg einer endgültigen oder vorläufigen Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis.

Bei einem Antrag auf eine vorläufige Aufnahme, ist das Fast-Track-Verfahren so konzipiert, dass Studienergebnisse innerhalb von zwölf Monaten nachgereicht werden können. Nach positiver Bewertung der bereits eingereichten Unterlagen wird die App mit dem Status „vorläufig aufgenommen“ in dem Verzeichnis gelistet und ist ab diesem Zeitpunkt ebenfalls erstattungsfähig und kann verordnet werden.

Egal ob vorläufig oder endgültig aufgenommen – in den ersten zwölf Monaten nach Aufnahme der DiGA gilt ein vom Hersteller selbst festgesetzter Preis. Ab dem 13. Monat wird dieser durch einen vom Anbieter und dem GKV-Spitzen­verband verhandelten Preis ersetzt. An diesem freien Preismodell übt der GKV-Spitzenverband Kritik und beschreibt in einem Positionspapier, neben weiteren Themen, Nach­besserungsbedarf bei der Preisfindung. Die aufgerufenen Preise unterliegen laut GKV-Spitzenverband enormen Steigerungen im Vergleich zu den Kosten der Anwendung vor dem Erreichen der Erstattungsfähigkeit. Derzeit sind die Herstellerverbände und der GKV-Spitzenverband in Verhandlung, eine offizielle Einigung gab es hinsichtlich der Preise bisher auch über ein Schiedsverfahren nicht.

Die DiGAV definiert noch weitere Anforderungen, die eine digitale Gesundheitsanwendung im Hinblick auf Sicherheit und Funktionstauglichkeit, Datenschutz und -sicherheit sowie Qualität erfüllen muss. Wird eine vorläufig auf­genommene Anwendung auch nach Einreichung ver­gleichenden Studienergebnissen negativ bewertet, wird sie aus dem DiGA-Verzeichnis entfernt und verliert die Erstattungsfähigkeit.

Welche Anwendungen gibt es?

Das DiGA-Verzeichnis ist über eine vom BfArM betriebene Website einsehbar. (Geben Sie auf DAZ.online in das Suchfeld den Webcode P4PQ9 ein, um direkt zu der Liste zu gelangen.) Zu jeder App und Webanwendung sind für Patient, Leistungserbringer und Hersteller relevante Informationen und Hinweise hinterlegt. Über unterschiedliche Filter kann die Suche z. B. nach Anwendungsgebieten, Dia­gnosen oder Alter verfeinert werden. Besonders für Ärzte und Psychotherapeuten sind verordnungsrelevante Informationen zu den einzelnen Apps hinterlegt, die bei der Entscheidung für eine DiGA herangezogen werden können. Es finden sich z. B. die jeweiligen Indikationen, Verordnungsdaten und, wenn bereits vorhanden, die Ergebnisse von Studien.

Aktuell sind drei Anbieter dauerhaft in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen und können dementsprechend Studien­ergebnisse zu positiven Versorgungseffekten vorweisen. Bei allen drei Anwendungen wurden randomisierte kontrollierte klinische Studien durchgeführt. Zwei Hersteller haben die Effekte einer Kombination aus App und Standardtherapie gegen die übliche Versorgung gemessen. Ein Anbieter stellte die App einer Patientengruppe zur Verfügung und testete die Auswirkung gegen eine Wartelisten-Kontrollgruppe. Alle Ergebnisse konnten nachweisen, dass sich die Symptomatik der Patienten durch die Anwendung der DiGA bzw. durch die Kombination aus DiGA und ärztlicher bzw. psychotherapeutischer Behandlung signifikant verbesserte.

Das DiGA-Verzeichnis des BfArM enthält aktuell elf Anwendungen, die in Tabelle 1 dargestellt sind.

Tab. 1: Übersicht aktueller DiGAs aus dem BfArM-Verzeichnis
DiGA
Anwendungsgebiet und Methode
Status und Art
Anbieter
deprexis
depressive Episoden sowie Rezidivierende depressive Störung unterschiedlicher Stärke, ohne psychotische Symptome
Therapieunterstützung und Ergänzung zu einer sonst üblichen Behandlung, basiert auf kognitiver Verhaltenstherapie (KVT)
dauerhaft aufgenommen, Webanwendung
GAIA AG, Deutschland
elevida
multiple Sklerose mit zusätzlicher Fatigue
etablierte psychotherapeutische Ansätze und Verfahren der kognitiven Verhaltenstherapie
dauerhaft aufgenommen, Webanwendung
GAIA AG, Deutschland
Invirto
Agoraphobie, Panikstörungen oder soziale Phobie
Inhalte basieren auf kognitiver Verhaltenstherapie mit Expositionstraining. Zusätzliche Hardware: Virtual-Reality-Brille
vorläufig aufgenommen, App
Sympatient GmbH, Deutschland
Kalmeda
Tinnitus
leitlinienbasierte, verhaltenstherapeutische Therapie ergänzt durch Entspannungsanleitungen
vorläufig aufgenommen, App
mynoise GmbH, Deutschland
M-sense Migräne
Migräne
digitales Kopfschmerztagebuch und leitlinienkonforme Verfahren zur Prophylaxe und Akutbehandlung
vorläufig aufgenommen, App
Newsenselab GmbH, Deutschland
Rehappy
Nachsorge von Schlaganfallpatienten
individuell zusammengestellte Motivations- und Wissensversorgung. Zusätzliche Hardware: Aktivitätstracker
vorläufig aufgenommen, App
Rehappy GmbH, Deutschland
Selfapy
leichte bis mittelschwere Depressionen
Online-Kurs mit evidenzbasierten Theorien und Techniken der kognitiven Verhaltenstherapie
vorläufig aufgenommen, Webanwendung
Selfapy GmbH, Deutschland
somnio
Schlafstörungen
Inhalte der kognitiven Verhaltenstherapie für Insomnie
dauerhaft aufgenommen, App und Webanwendung
mementor DE GmbH, Deutschland
velibra
Angststörung, Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie
Methoden und Übungen der kognitiven Verhaltenstherapie
dauerhaft aufgenommen, Webanwendung
GAIA AG, Deutschland
Vivira
Knie- Hüft- Rückenschmerzen oder Arthrose
Anleitung für tägliche Übungen, Intensität und Komplexität anpassbar
vorläufig aufgenommen, App
Vivira Health Lab GmbH, Deutschland
zanadio
Adipositas
langfristige Veränderung der Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten basierend auf einer multimodalen, konservativen Adipositastherapie
vorläufig aufgenommen, App
aidhere GmbH, Deutschland

Verordnung digitaler Anwendungen derzeit auf Papierrezept

Arzt oder Psychotherapeut verordnen digitale Gesundheitsanwendungen über ein Muster-16-Rezeptformular unter Angabe der Bezeichnung und der PZN. Die empfohlene Verordnungsdauer für die ausgewählte Anwendung ist über die Pharmazentralnummer hinterlegt. Der Patient wendet sich mit dem Rezept an seine Krankenkasse, die wiederum einen persönlicher Rezept-Code generiert und diesen an den Patienten übermittelt. Der Patient kann die App aus dem jeweiligen Store auf dem Smartphone installieren und mit dem persönlichen Code freischalten. Die Anwendung kann nun für den definierten Verordnungszeitraum genutzt werden. Neigt sich dieser dem Ende zu, entscheiden Arzt und Patient erneut, ob eine weitere Verwendung sinnvoll ist. Aktuell gibt es noch keine Festlegung für die Höhe der Honorierung der ärztlichen oder psychotherapeu­tischen Leistung, die in Zusammenhang mit einer DiGA entsteht. Die Nutzung einer DiGA ist für den Patienten zuzahlungsbefreit, wobei weiterführende In-App-Käufe ausgenommen sind. |

Autorin

Kathrin Wild ist Apothekerin und im Produktmanagement von Pharma­technik tätig

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