Arzneimittel und Therapie

Perfekt getarnt in die Bakterienzelle

Cefiderocol – Ein Antibiotikum nach dem Trojaner-Prinzip

Seit Januar 2021 steht Deutschland Cefiderocol (Fetcroja®)als neues Reserveantibiotikum zur Verfügung. Als Vertreter der Cephalosporine ist der Wirkmechanismus altbekannt, gänzlich neu allerdings ist die Art und Weise, wie Cefiderocol in das Bakterium eindringt. Das Antibiotikum überlistet die Krankheitserreger, indem es sich mithilfe von Eisen tarnt und wie ein Trojanisches Pferd Zutritt zu den Zellen verschafft. Tief im Inneren entfaltet es dann seine bakterizide Wirkung.

Cefiderocol (Fetcroja®) ist zugelassen für die Anwendung bei Erwachsenen zur Behandlung von Infektionen durch aerobe gramnegative Erreger, wenn es keine andere Behandlungsalternative gibt. Seine Besonderheit findet sich bei einem genauen Blick auf die Struktur (s. Abb. 2): Als Siderophor-Cephalosporin besitzt Cefiderocol eine Bindungsstelle für Eisen(III)-Ionen. Der Begriff Siderophor kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „Eisenträger“. Es handelt sich dabei im Allgemeinen um niedermolekulare Verbindungen mit starker Bindungsaffinität zu Eisen(III)-Ionen.

Abb. 2: Struktur von Cefiderocol. Die Catecholseitenkette (= Siderophor) erlaubt die Bindung von dreiwertigem Eisen.

Maskiert in die Zelle

Durch die Bindung von Eisen(III)-Ionen kann Cefiderocol aktiv über einen Eisen-Transporter in die Bakterienzelle eintreten. Warum ist das möglich? Bakterien benötigen für ihr Wachstum Eisen. Um ihren teils hohen Eisen-­Bedarf zu decken, produzieren sie selbstständig Siderophore und geben diese in das umgebende Medium ab. So sorgt das Bakterium dafür, dass ­extrazelluläre Eisen-Ionen gebunden wird (Siderophor-Eisen-Komplex) und mittels aktivem Transport wieder zurück in den periplasmatischen Raum der Bakterienzelle gelangt. Indem Cefiderocol ebenfalls über eine solche ­Siderophor-Struktur verfügt, wird es nach der Bindung von Eisen über aktive Siderophor-Aufnahmesysteme (Eisen-Transporter) durch das Bakterium unbemerkt aufgenommen (s. Abb. 1). Das Cephalosporin gelangt somit, anders als andere Betalactam-Antibiotika, über zwei Wege in die Zelle: passiv und aktiv, im Sinne eines Trojanischen Pferdes. Nach der Aufnahme bindet Cefiderocol an Penicillin-bindende Proteine (PBP) und hemmt die Peptidoglycan-Synthese in der Bakterienzellwand. Die Zellwand wird instabil, es kommt zur Lyse und schlussendlich zum Tod der Zelle.

Abb. 1: Cefiderocol gelangt sowohl aktiv über einen Eisen-Transporter (links) als auch passiv über Porinkanäle (rechts) in die Bakterienzelle und hemmt dort durch Bindung an Penicillin-bindende Proteine die Peptidoglycansynthese. Die Zellwand wird instabil, es kommt zur Lyse und die Zelle stirbt.

Drei Resistenzwege umgangen

Cefiderocol gilt als Reserveantibiotikum. Besonders wirksam ist es bei Carbapenem-resistenten Infektionen. Das neue Siderophor-Cephalosporin umgeht nämlich drei der wichtigsten Resistenzmechanismen, die man bei Carbapenem-Resistenz kennt:

  • Trotz mutierter Porinkanäle und dem daraus resultierenden Verlust der passiven Diffusion kann Cefiderocol durch die aktive Aufnahme über die Eisentransporter in die ­Zelle gelangen.
  • Vermutlich durch eine Modifikation an C-7 und C-3 ist Cefiderocol stabil gegen alle bekannten Klassen von deaktivierenden Beta-Lactamasen (einschließlich Metalloenzyme).
  • Aufgrund der Siderophor-vermittelten aktiven Aufnahme in die Bakterienzelle hat eine Hochregulierung der bakteriellen Effluxpumpen nur geringen bis keinen Einfluss auf die In-vitro-Wirksamkeit gezeigt.

Fokus auf aerobe gramnegative Bakterien ...

Cefiderocol besitzt in vitro ein breites antimikrobielles Spektrum gegen gramnegative Erreger. Darunter finden sich auch solche, die laut der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation, WHO) auf der globalen Liste (global priority pathogens list, global PPL) antibiotikaresistenter Bakterien stehen. Dazu zählen Carbapenem-resistente Erregerstämme, wie Pseudomonas aeruginosa (bekanntester Krankenhauskeim), Acinetobacter baumannii und Enterobacteriaceae. Bei anaeroben Erregern zeigt es nur schwache bis gar keine Wirkung. Es ist also wichtig, vor dem Einsatz den Erreger zu bestimmen. Sollten an der zu behandelnden Infektion auch anaerobe Erreger beteiligt sein, ist der Einsatz zusätzlicher Antibiotika notwendig. Grundsätzlich sollte Fetcroja® nur von einem Arzt mit ausreichender Erfahrung eingesetzt werden.

... in der Blase und Lunge

Bisher hat der japanische Hersteller Shionogi nur wenige klinische Daten zu dem neuen Antibiotikum vorgelegt. In vorangegangenen klinischen Studien wurde Cefiderocol erfolgreich zur Behandlung von Patienten mit komplizierten Harnwegsinfektionen, be­atmungsassoziierter Pneumonie sowie weiteren Formen nosokomialer Pneumonien eingesetzt. In den USA ist das Antibiotikum zur Behandlung komplizierter Harnwegsinfektionen zugelassen. Die Zulassung in Deutschland hingegen stützt sich auf pharmakokinetische-pharmakodynamische Analysen und umfasst alle Infektionen, die durch gramnegative aerobe Erreger ausgelöst werden. In vitro agiert Ce­fiderocol als CYP-3A4-Induktor, vermittelt durch den Pregnan-X-Rezeptor (PXR). Es sind also die gängigen Wechselwirkungen mit CYP-3A4-Substraten zu beachten. Ebenso können auch andere durch PXR induzierbare Proteine, wie z. B. die CYP-2C-Familie und P-Glykoprotein, induziert werden. Die klinische Relevanz dieser Beobachtung ist bisher noch nicht bekannt.

Kurzes Zeitfenster für Stabilität

Das Antibiotikum wird intravenös angewendet. Die Fachinformation empfiehlt 2 g Cefiderocol alle acht Stunden als Infusion über einen Zeitraum von drei Stunden. Die rekonstituierte Lösung ist in der Durchstechflasche bei 25° C eine Stunde stabil. Es sollte also zügig zur Infusionslösung weiterverdünnt werden. Im applikationsfertigen Infusionsbeutel ist Fetcroja® für sechs Stunden bei 25° C stabil. Bei einer Infusionsdauer von drei Stunden sollte die Infusion also spätestens drei Stunden nach Herstellung angehängt werden. Ist dies nicht möglich, kann der Infusionsbeutel lichtgeschützt im Kühlschrank bei 2° bis 8° C bis zu 24 Stunden aufbewahrt werden (Näheres dazu ist der Fachinformation zu entnehmen). Bei bekannten Nierenfunktionsstörungen ist eine Dosisanpassung nötig. Die häufigsten bisher beobachteten Nebenwirkungen umfassen Diarrhö (8,2%), Erbrechen (3,6%), Übelkeit (3,3%) und Husten (2%).

Achtung, Durchfall!

Sollte es während der Behandlung zu Durchfällen kommen, ist besondere Vorsicht geboten. Einzelne Berichte über eine Clostridioides-difficile-assoziierte Diarrhö liegen vor. Im günstigsten Fall handelt es sich nur um einen leichten Durchfall. Im schlimmsten Fall entwickelt sich eine tödlich verlaufende Colitis. Der Hersteller Shionogi weist in der Fachinformation ausdrücklich darauf hin, bei Entwicklung einer Diarrhö dies in Betracht zu ziehen. Fetcroja® wurde von der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) als Qualified Infectious Disease Product (QiDP) eingestuft. Durch die weltweite Zunahme Carbapenem-resistenter gramnegativer Bakterien sind neuartige Therapieoptionen im Kampf gegen multiresistente Keime von großer Wichtigkeit. Das neue Siderophor-Cephalosporin unterliegt so kurz nach Marktzulassung noch einer besonderen Surveillance, um möglichst schnell neue Erkenntnisse über die Sicherheit zu sammeln. Jeder Verdachtsfall einer Nebenwirkung sollte daher an die zuständigen Behörden gemeldet werden. |

 

Literatur

Fetcroja® Fachinformation, Stand: April 2020, Shionogi GmbH

Fetcroja, Informationen von Shionogi Inc. www.fetroja.com, Abruf am 9. Februar 2021

Fetcroja, Informationen der European Medicine Agency, www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/fetcroja, Abruf am 9. Februar 2021

Global priority list of antibiotic-resistant bacteria to guide research, discovery, and development of new antibiotics. Informatioen der Weltgesundheitsbehörde WHO, www.who.int/medicines/publications/global-priority-list-antibiotic-resistant-bacteria/en/, Abruf am 9. Februar 2021
 

Apothekerin Dorothée Malonga Makosi, MPH

 

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