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„Geimpfte werden zunehmend ihre Grundrechte einfordern“
Neue Teststrategie: Laborärzte-Chef Bobrowski über die Motive der Politik
DAZ: Herr Dr. Bobrowski, Antigen-Schnelltests – ob professionell durchgeführt oder in Laienhand – stellen für Sie kein geeignetes Mittel dar, die Bevölkerung aus dem Corona-Lockdown zu führen. Nun sehen Bund und Länder in der Schnellteststrategie einen wichtigen Pfeiler für die bereits in Gang gesetzten Lockerungsmaßnahmen. Weshalb ist das in Ihren Augen der falsche Weg?
Bobrowski: Wir haben den Schnelltests nicht generell eine Absage erteilt, sondern stets darauf hingewiesen, dass die Schnelltests ihre Schwächen haben und möglicherweise ein falsches Sicherheitsgefühl suggerieren. Bei symptomatischen Patienten erfüllen Schnelltests in vielen Fällen durchaus die Kriterien des Paul-Ehrlich-Instituts. Doch in diesen Fällen sollen sie ja hauptsächlich gar nicht zur Anwendung kommen.
DAZ: In einer Pressemitteilung sind Sie auf das Beispiel Slowakei eingegangen. Dort und auch in anderen Ländern wurden umstrittene Massentests organisiert, die aufgrund einer signifikanten Fehlerquote zu einem sprunghaften Anstieg der Infektionszahlen nachfolgend geführt haben. Aber hierzulande geht es doch nicht um das groß angelegte Durchtesten der Bevölkerung an einem Wochenende, sondern um mehr Sicherheit an sensiblen Stellen des öffentlichen Lebens durch ein niedrigschwelliges Testangebot.
Bobrowski: Wenn die Bundesregierung einen Anspruch der Bevölkerung auf mindestens einen kostenlosen Schnelltest pro Woche definiert, dann ist für mich das Kriterium der Massentestung erfüllt – egal, wo sie letztendlich stattfindet. Unabhängig von diesem Wording, über das man ja gerne streiten kann, ist das Ergebnis dasselbe: Der Staat sorgt für die Bereitstellung massenhafter Schnelltests und knüpft eine gewisse Erwartungshaltung der Bevölkerung an das Ergebnis. So wird zumindest in Aussicht gestellt, dass freigetestete Menschen wieder mehr Einkaufsmöglichkeiten und Freizeitangebote wahrnehmen können. Die Konsequenz aus beiden Modellen halte ich für sehr ähnlich. In der Slowakei hatte man wenigstens nach der Aktion noch epidemiologische Daten, weil die Tests zentral abliefen. Diese Informationen werden hierzulande fehlen.
„Wollen wir einem Lastenesel, der jetzt schon viel zu schleppen hat, noch mehr aufbürden? Mit den massenhaften Schnell- und Laientests werden wir das System sicher nicht entlasten.“
DAZ: Stattdessen machen Sie den Vorschlag, weiterhin auf individuelle Disziplin, also AHA-L-Regeln, zu achten und Infektionsketten konsequent nachzuverfolgen. Gerade Letzteres ist für die Gesundheitsämter bei den Inzidenzwerten der letzten Monate doch unmöglich geworden. Läuft diese Forderung dann nicht aktuell ins Leere?
Bobrowski: Wir haben hier in Lübeck ganz andere Erfahrungen gemacht. Die Digitalisierung des gesamten Meldewesens hat sich im Vergleich zum Frühjahr und Herbst 2020 massiv verbessert. Alle Gesundheitsämter sind an DEMIS (Anm.: Deutsches Elektronisches Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz) angeschlossen. Zwischenzeitlich gab es Inzidenzwerte an die 200 und unsere Behörden waren durchaus in der Lage, alle Kontaktpersonen zu identifizieren und zu testen.
DAZ: Das mag für einzelne Regionen zutreffen, aber über die gesamte Fläche gilt der öffentliche Gesundheitsdienst in Deutschland als überfordert und kommt mit der Kontaktverfolgung nicht hinterher. Es hapert beim Anschluss der Ämter an die einheitliche Software „Sormas“ und unabhängig vom Digitalisierungsgrad sind die Meldewege aus historischen Gründen sehr langsam.
Bobrowski: Natürlich ist das alles noch verbesserungsfähig. Doch was DEMIS betrifft, also die Übermittlung der pathologischen positiven Ergebnisse, hat sich die Leistungsfähigkeit der Ämter nach unserer Wahrnehmung enorm verbessert. Man muss das unter diesem Aspekt sehen: Wollen wir einem Lastenesel, der jetzt schon viel zu schleppen hat, noch mehr aufbürden? Mit den massenhaften Schnell- und Laientests werden wir das System sicher nicht entlasten.
DAZ: Das heißt: gezielter suchen und testen?
Bobrowski: Ganz genau. Unsere Laborkapazitäten in Deutschland für PCR-Analysen sind gerade mal zur Hälfte ausgeschöpft. Man sollte also lieber die bewährten Methoden ausgiebiger nutzen und valide Verfahren anwenden, die man nicht ständig nachkontrollieren muss. Antigen-Schnelltests sollten nur da zum Einsatz kommen, wo sichere Ergebnisse zu erwarten sind.
„Getestet haben wir in Deutschland bisher sicher nicht wenig. Was die PCR-Tests angeht, sind wir sogar Weltmeister.“
DAZ: In Ihrer Pressemitteilung heißt es auch, dass die Feststellung einer Infektion nur von qualifizierten Fachärzten im medizinischen Labor erfolgen sollte. Wie meinen Sie das genau? Ein positiver Antigen-Schnelltest wird doch immer mit einem PCR-Test von Labormedizinern nachgeschaltet überprüft. Oder geht es Ihnen darum, dass es vor dem PCR-Test am besten keine andere Testung geben darf?
Bobrowski: Das sind genau die beiden unterschiedlichen Situationen, die immer miteinander vermischt werden. Der symptomatische Patient hat laut nationaler Teststrategie ein Recht auf einen PCR-Test als Primärdiagnostik. Das eigentliche Problem besteht aber bei den asymptomatischen Patienten, die zukünftig eine mögliche Infektion dann vorrangig mit Antigenschnelltests, die keine so hohe Verlässlichkeit bieten – überprüfen sollen. Die Charité Berlin hat in einer aktuellen Untersuchung zeigen können, dass bei positiven PCR-Tests mit langen CT-Zeiten, also einer niedrigen Viruslast, die Sensitivitäten der Schnelltests bei unter 60 Prozent liegen. Das ist aus unserer Sicht zu wenig und im Fall von falsch-negativen Testergebnissen sogar gefährlich. Bei falsch-positiven Ergebnissen haben wir ja wenigstens noch die Option mit einem PCR-Test dieses Ergebnis zu korrigieren.
DAZ: Was ist denn Ihr konkreter Vorschlag im Hinblick auf asymptomatische Personen? Sollten diese dann direkt einen PCR-Test erhalten?
Bobrowski: Das wäre natürlich der Idealfall, den man aber nicht immer erreichen wird. Viel wichtiger ist, dass asymptomatische Personen mit negativem Antigen-Schnelltest sich bewusst sein sollten, dass ihr Testergebnis nur zu etwa 60 Prozent sicher ist und sie sich weiterhin an die Regeln halten müssen.
DAZ: Aber ist es nicht viel eher gefährlich, dass wir mit einem eingeschränkten Testangebot am Ende des Tages zu wenig Infektionsketten erfassen?
Bobrowski: Ich bin der Meinung, dass wir durch die nationale Teststrategie kein eingeschränktes Angebot haben. Wie gesagt: In den Laboren sind nur die Hälfte der Kapazitäten ausgenutzt. Offenbar besteht also nicht der Bedarf, der ursprünglich mal prognostiziert war. Daher ist es für uns unbegreiflich, warum man jetzt die ganze Teststrategie auf den Kopf stellt und auch noch Patienten- Selbsttests einführen will. Getestet haben wir in Deutschland bisher sicher nicht wenig. Was die PCR-Tests angeht, sind wir sogar Weltmeister.
DAZ: Sehen Sie denn überhaupt keinen positiven Effekt auf die Pandemieentwicklung, wenn die Testungen flächendeckend, niederschwellig und zum Teil kostenlos angeboten werden?
Bobrowski: Wenn alle Bedingungen – von der Abstrichentnahme, über die Testempfindlichkeit bis zur Meldung – tatsächlich sorgfältig und qualitätsgesichert gewährleistet sind, dann kann man die Antigen-Schnelltests natürlich einsetzen. Aber aktuell gibt es in allen drei Bereichen massive Defizite, und viele noch ungelöste Probleme, die das Scheitern der aktuellen von der Politik vorangetriebenen Initiative zu Massentestungen sehr wahrscheinlich macht. Das kann dazu führen, dass sich die Pandemie in eine unerwünschte Richtung bewegt, wie beispielsweise in der Slowakei, und das wollen wir als Laborärzte auf jeden Fall verhindern.
DAZ: Was halten Sie von den Selbsttests, die es nun unter anderem im Discounter gibt?
Bobrowski: Ich hoffe, dass Menschen, die sich zu Hause positiv testen, dieses Ergebnis nicht einfach ignorieren. Die Erfahrungen mit der Corona-Warn-App deuten allerdings darauf hin, dass nur jeder fünfte Corona-positive Nutzer bereit ist, sein positives Ergebnis mit der Gemeinschaft zu teilen. Warum sollte das bei den Selbsttests anders sein? Wahrscheinlich bleibt diese Person dann tatsächlich zu Hause und informiert höchstens den engsten Familienkreis. Aber viel wichtiger wäre, dass dieser Fall ärztlich abgeklärt und gemeldet wird, damit nach Kontaktpersonen gesucht werden kann.
DAZ: Insgesamt werden durch die neue Teststrategie deutlich mehr positive Antigen-Schnelltests auftreten, die per PCR nachgeprüft werden müssen. Das heißt, für Sie und Ihre Kollegen wird es ja nicht weniger Arbeit sein in den nächsten Monaten.
Bobrowski: Das kann ich nicht voraussagen. Möglicherweise ist das so. Aber darum geht es uns ja gar nicht primär. Wir wollen das Erreichte erhalten. Die Labormedizin ist ein systemrelevantes Fach und das darf nicht durch politischen Aktionismus in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt werden. In der Vergangenheit hat es übrigens immer wieder Situationen gegeben, in denen man Infektionserkrankungen durch Schnelltests nachweisen wollte und dabei die komplexe Einordnung der Ergebnisse unterschätzt hat. So etwas muss in professioneller Hand bleiben.
DAZ: Ihre niedergelassenen Kollegen, die Hausärzte, werden sich doch bedanken, wenn Sie fordern, dass jeder Abstrich bei einer asymptomatischen Person in einer Praxis erfolgen muss. Das ist nicht zu schaffen, darunter leidet am Ende die medizinische Versorgung.
Bobrowski: Das stimmt, das wäre so. Wenn Sie sich aber die ärztlichen Stellungnahmen anschauen, auch die der Hausärzte, werden Sie sehen, dass solche massenhaften Testungen ohnehin für nicht notwendig gehalten werden. Einzig die Politik hält dies für notwendig.
DAZ: Was, glauben Sie, ist das Motiv der Politik?
Bobrowski: Es geht darum, eine Gleichheit zwischen Geimpften und Ungeimpften herzustellen. Geimpfte Personen werden zunehmend ihre Grundrechte einfordern. Für die Ungeimpften muss man diese Freiheiten dann auch ermöglichen. Diesen Antrieb der Politik kann ich nachvollziehen.
DAZ: Rechnen Sie damit, dass Geimpfte relativ schnell diese Rechte erhalten?
Bobrowski: Auf jeden Fall. Das sieht man bereits in Ländern, in denen man mit der Impfung schon sehr weit fortgeschritten ist, wie beispielsweise in Israel. In Kombination mit einem positiven Test auf Antikörper wird es praktisch unmöglich sein, weiterhin die massiven Einschränkungen unserer Grundrechte auch weiterhin aufrechtzuerhalten.
DAZ: Verfassungsrechtlich mag man dem ja zustimmen. Aber medizinisch wissen wir Stand heute noch nicht abschließend, ob die Impfung zu einer ausreichenden Immunität bei jedem Einzelnen und in der Bevölkerung führt.
Bobrowski: Diese Auffassung teile ich nicht. Wenn neutralisierende Antikörper nachgewiesen werden können, dann sollte dies doch sehr wahrscheinlich sein. Die Höhe der Impfversager soll ja im Vergleich zu anderen Impfungen sogar noch etwas niedriger sein. Wenn man in der Presse dann vereinzelt hört, dass geimpfte Personen plötzlich doch eine COVID-19-Erkrankung aufweisen, dann muss man ganz genau hinschauen, was da schiefgelaufen ist.
DAZ: Blicken wir abschließend auf die nächsten Monate: Was wäre nach Ihren Vorstellungen der ideale Weg durch die Pandemie – auch im Hinblick auf die Bedeutung der Apotheken?
Bobrowski: Impfen, impfen, impfen – das ist derzeit unsere einzige Chance. Auf dem Weg dorthin wünsche ich mir von allen Beteiligten im Gesundheitswesen, ihrer Profession und Verantwortung weiterhin gerecht zu werden, damit wir dieser Pandemie Herr werden. Dazu gehören auch die Antigen-Schnelltests, allerdings in professioneller Hand, qualitätsgesichert durchgeführt unter einwandfreien Hygienebedingungen mit einem funktionierenden Meldesystem.
DAZ: Daraus höre ich, dass Sie akzeptieren, dass diese Testungen auch im nicht-ärztlichen Bereich durchgeführt werden.
Bobrowski: Wenn sich diese Einrichtungen an die Qualitätskriterien halten, die wir im ärztlichen Bereich definieren, und gleichzeitig die etablierten Meldewege für positiv Getestete einhalten, dann ist das ein verantwortungsvoller Umgang, den ich unterstützen kann.
DAZ: Herr Dr. Bobrowski, vielen Dank für das Gespräch. |
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