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Pandemie Spezial
Präzise das Unbekannte treffen
Kann man von monoklonalen Antikörpern bei COVID-19 Wunder erhoffen?
Die Therapie mit monoklonalen Antikörpern (monoclonal antibodies, mAbs) gehört zweifelsohne zu den großen Errungenschaften der modernen Pharmazie und Medizin. Immer mehr Indikationsgebiete wurden in den letzten Jahren und Jahrzehnten erschlossen, mittlerweile sind annähernd 100 monoklonale Antikörper zugelassen und ermöglichen bis dato nie dagewesene Behandlungserfolge. Das Spektrum reicht von zahlreichen potenten Wirkstoffen wie Adalimumab zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen (zum Beispiel Morbus Crohn, rheumatoide Arthritis oder Psoriasis), Denosumab und Romosozumab bei Osteoporose, Omalizumab und Co. bei schwerem allergischem Asthma bis hin zu vielfältigen onkologischen Einsatzgebieten wie Trastuzumab bei HER2-positivem Brustkrebs, um nur einen prominenten Vertreter zu nennen. Zuletzt erregte die Zulassung von gleich drei monoklonalen Antikörpern zur medikamentösen Migräneprophylaxe Aufsehen. Allerdings ist der Preis dieser Präparate bekanntermaßen hoch und schlägt meist mit mehreren zehntausend Euro pro Jahr zu Buche. Die hohen Behandlungskosten sind ein Umstand, der zuweilen eine Unterversorgung von Patienten mit sich bringt. Trotz niedriger verordneter Tagesdosen sind viele therapeutisch eingesetzte monoklonale Antikörper zu wahren „Kassenschlagern“ geworden: Von den zehn Arzneimitteln mit höchstem Umsatz im Jahr 2018 gehörten sieben der Gruppe der monoklonalen Antikörper an, im Jahr 2019 waren es aufgrund von Patentabläufen und Biosimilar-Zulassungen immerhin noch drei.
Monoklonale Antikörper bei Infektionskrankheiten
Während monoklonale Antikörper bei vielen Indikationen inzwischen fest etabliert sind, gestaltet sich ihr Einsatz bei Infektionskrankheiten derzeit noch sehr überschaubar. Das mag daran liegen, dass für viele ansteckende Krankheiten, die durch Bakterien, Viren oder Pilze hervorgerufen werden, wirksame Impfstoffe und/oder therapeutische Optionen vorhanden sind. Dennoch gibt es sie, die monoklonalen Antikörper bei Infektionskrankheiten. Zum Beispiel hemmt Palivizumab (Synagis®) die Membranfusion von Respiratory-Syncytial(RS)-Viren mit der Zellmembran und wird präventiv bei Risikogruppen eingesetzt. Mit Beslotoxumab (Zinplava®) ist ein monoklonaler Antikörper zur Rezidivprophylaxe einer Clostridioides-difficile-Infektion (CDI) bei Patienten mit hohem Rezidivrisiko verfügbar. Seit Kurzem können auch therapieresistente HIV-Patienten mit einem monoklonalen Antikörper behandelt werden (Ibalizumab, Trogarzo®), der das Eindringen des HI-Virus in CD4-positive menschliche T-Zellen verhindert. Wird diese Auflistung als nächstes mit einem oder mehreren Kandidaten zur Prävention und/oder Behandlung von COVID-19 fortgeführt?
Nach positiven (bisher nicht publizierten!) Zwischenergebnissen in ersten klinischen Studien haben die Firmen Regeneron und Eli Lilly in den USA Anfang Oktober Anträge zur Notfallgenehmigung gestellt [1, 2]: REGN-COV2 besteht aus zwei monoklonalen Antikörpern, LY-CoV555 (geplanter Wirkstoffname Bamlanivimab) wird als Monotherapie verabreicht. Für die Kombinationstherapie von LY-CoV555 mit LY-CoV016 (geplanter Wirkstoffname Etesevimab) will Eli Lilly erst im November eine Notfallgenehmigung beantragen [2]. Auch andere Pharmariesen wie der britische Konzern AstraZeneca befinden sich mit ihren Wirkstoffkandidaten (hier: AZD7442) auf einem guten Weg und durchlaufen klinische Prüfungen.
Sinnvolle Option oder Überbrückung?
Gelingt die Virus-Neutralisation bei einer SARS-CoV-2-Infektion zuverlässig mit Antikörpern, die von außen zugeführt werden? Kann bei einem Infizierten durch Reduktion der Viruslast die weitere Ausbreitung der Erkrankung gestoppt oder eine klinische Verbesserung erreicht werden (vergleiche HIV oder Hepatitis C)? Ergibt sich durch monoklonale Antikörper gar ein präventiver Schutz, zum Beispiel für Bewohner und Mitarbeiter von Pflegeeinrichtungen? Lassen sich durch Modifikationen effektivere, sicherere und langlebigere Antikörper, ausgehend von den natürlichen Vorbildern, erzeugen? Ließen sich diese Fragen mit Ja beantworten, wären monoklonale Antikörper als medikamentöse Option in der aktuellen Pandemiezeit äußerst attraktiv. Kritiker sprechen jedoch von reinen Überbrückungstherapien, bis Impfstoffe und wirksame Therapeutika verfügbar sind. Gegenüber Rekonvaleszentenplasma oder Hyperimmunglobulin-Therapien (s. Stahl V. „Geborgter Schutz: Was Rekonvaleszentenplasma bei COVID-19 leisten kann“ in der DAZ 2020, Nr. 42, S. 30 – 35) ergeben sich theoretische Vorteile, da man nicht auf geeignete Plasmaspenden angewiesen ist, sondern den Weg der synthetischen Herstellung definierter Antikörper gehen kann.
Rekonvaleszentenplasma versus monoklonale Antikörper
Rekonvaleszentenplasma enthält neben neutralisierenden Antikörpern auch andere Proteine wie z. B. entzündungshemmende Zytokine, Gerinnungsfaktoren, natürliche Antikörper, Defensine und Pentraxine. Hierdurch kann Rekonvaleszentenplasma neben direkten antiviralen auch immunmodulatorische Effekte haben, was für die Behandlung von COVID-19 vorteilhaft sein könnte. Gleichwohl können übertragene prokoagulatorischen Proteine das thromboembolische Risiko bei schwer erkrankten COVID-19-Patienten erhöhen [8].
Begrenzte Produktionskapazitäten
Diese ist jedoch aufwendig genug, entsprechende Produktionsstätten können nicht einfach aus dem Boden gestampft oder umgewidmet werden. Sollte sich ein Antikörper-Kandidat in Studien durch Nachweis von Wirksamkeit und Sicherheit als tauglich erweisen und eine Zulassung erhalten, steht neben dem zu erwartenden hohen Preis auch die produktionsbedingt knappe Verfügbarkeit einer breiten Anwendung entgegen. Zu beachten ist, dass die Produktion einer Charge durch die Komplexität der Herstellung in Zellkulturen oder mikrobiellen Expressionssystemen sowie umfangreichen Qualitäts- und Sicherheitskontrollen bis zu 90 Tage in Anspruch nehmen kann. Aktuell gibt Regeneron an, 50.000 Dosen REGN-COV2 bereitstellen zu können, Eli Lilly will im Oktober 100.000 Dosen LY-CoV555 produzieren können [1, 2]. Dies wäre der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein angesichts von mehr als 50.000 SARS-CoV-2-Neuinfektionen in den USA pro Tag (auch wenn nicht jeder Infizierte mit monoklonalen Antikörpern behandelt werden müsste)! Bis zum Jahresende plant Regeneron in Kooperation mit Roche die Bereitstellung von 300.000 und Eli Lilly dank einer Kooperation mit Amgen eine Million Dosen des jeweiligen Präparats [1, 2]. Man sollte allerdings nicht den Tag vor dem Abend loben, denn kontrollierte klinische Studien müssen noch zeigen, ob die Therapeutika wirksam und sicher sind und in welchen Settings sie eingesetzt werden sollten. Dass ein prominentes Individuum vermutlich von der Anwendung profitiert haben mag und sich vehement für die Erteilung einer Notfallgenehmigung einsetzt, darf nicht zu Abweichungen im üblichen Prozedere führen (s. Kommentar „ Die Wundermittel aus dem Himmel“).
Ungeklärte Fragestellungen
Vorrangig machen Antikörpertherapien für Patienten Sinn, die Gefahr laufen, einen schweren Krankheitsverlauf einzuschlagen (sowie präventive Gaben bei Risikopopulationen [PrEP] oder Postexpositionsprophylaxen [PEP] nach Risikokontakt). Wie und nach welchen Kriterien sollen aber diese Risikopatienten erkannt werden? Es wird zwar an Biomarkern geforscht, die hilfreich bei der Identifikation gefährdeter Patienten sein könnten, doch von einem Einsatz in der Routineversorgung ist man noch weit entfernt, besonders im ambulanten Bereich. Vermutlich wird man verallgemeinernd Ältere und Patienten mit einem geschwächten Immunsystem zu den potenziellen Empfängern zählen. Ein weiteres praktisches Problem besteht darin, den Zeitpunkt der Gabe nicht zu verpassen, denn Antikörper sind am besten wirksam, wenn die Infektion noch keine weiten Kreise gezogen hat. In vielen Ländern weltweit ist jedoch eine Verschleppung in der Diagnostik zu verzeichnen: Patienten werden mangels Testkapazitäten spät – oder gar nicht – getestet und erhalten mit tagelanger Verzögerung ihr Testresultat. Manche entwickeln eine schwere Symptomatik und stellen sich verhältnismäßig spät in einem Krankenhaus vor. Die Viren haben dann bereits die Oberhand gewonnen, und der Krankheitsverlauf wird von einem entzündlichen Geschehen dominiert, das gegebenenfalls bereits Organe in Mitleidenschaft gezogen hat. Es ist anzunehmen, dass der Nutzen einer Therapie mit neutralisierenden Antikörpern sehr wahrscheinlich nicht mehr groß ist, wenn man aufgrund von COVID-19-Symptomen hospitalisiert werden muss. Zu diesem Zeitpunkt hat womöglich auch das eigene Immunsystem bereits Antikörper gebildet und neutralisierende monoklonaler Antikörper von außen wären hier nur ergänzend wirksam.
Zielsicher auf welches Ziel?
Der große Vorteil monoklonaler Antikörper, extrem zielgerichtet zu wirken, entpuppte sich bei einem halbwegs unbekannten Target zunächst als Herausforderung. Daher haben sich viele Untersuchungen in der Vergangenheit und aktuell mit der Frage beschäftigt, welche antigene Zielstruktur(en) bei SARS-CoV-2 adressiert werden müssen, damit eine Virus-Neutralisation gelingt. Nicht alle Antikörper neutralisieren das Virus gleich gut. Um dies zu überprüfen, isolierte man SARS-CoV-2-spezifische Antikörper genesener Patienten oder infizierter transgener Mäuse und identifizierte aus der großen Masse gefundener Immunglobuline diejenigen, die das Virus am besten neutralisieren, das heißt, die Replikation am effektivsten stoppen. Ein anderer Ansatz ist das sogenannte Antikörper-Phagen-Display, bei dem aus sehr großen Antikörpergenbibliotheken geeignete Antikörper ausgewählt werden [3]. Eine hohe Neutralisationsfähigkeit wird Antikörpern zugeschrieben, die sich gegen das Spike-Protein von SARS-CoV-2 richten und so die Anheftung der Viren und den darauffolgenden Eintritt in menschliche Zellen blockieren. Der monoklonale IgG1-Antikörper LY-CoV555 wurde z. B. aus nur einer Blutprobe eines der ersten genesenen US-Patienten gewonnen und mit biotechnischen Methoden kopiert. Sein möglicher Kombinationspartner LY-CoV016 bindet die Rezeptorbindedomäne des Spike-Proteins mit hoher Affinität und ist gegenüber dem natürlich vorkommenden Antikörper durch Punktmutationen verändert, um das Risiko einer Antikörper-abhängigen Verstärkung der Erkrankung (Antibody dependent Enhancement, ADE) zu minimieren. Die Antikörper REGN10933 und REGN10987 in REGN-COV2 haben nicht überlappende Epitope des Spike-Proteins zum Ziel. Die beiden in AZD7442 enthaltenen Antikörper wurden gentechnisch dahingehend modifiziert, dass sie über sechs bis zwölf Monate stabil sind und so theoretisch einen langwirksamen Schutz ermöglichen können. Die südkoreanische Firma Celltrion forscht eigenen Angaben zufolge an einem „Super-Antikörper“, der in der Lage sein soll, durch Erkennung mehrerer Epitope nicht nur SARS-CoV-2, sondern auch verwandte Stämme neutralisieren zu können. Dies könnte nach Firmenauffassung bei Mutationen von SARS-CoV-2 oder Auftreten neuer Coronaviren vorteilhaft sein [4]. Grundsätzlich scheint die Kombination mehrerer monoklonaler Antikörper in einem „Cocktail“ sinnvoll, gerade vor dem Hintergrund möglicher Mutationen und Resistenzentwicklungen. Multiklonale Cocktails haben bei anderen Erkrankungen Vorteile bezüglich der Neutralisation erbracht [3].
Wirksamkeit
In Tierversuchen konnte bereits gezeigt werden, dass der zielgerichtete Einsatz monoklonaler Antikörper vor und nach der Infektion möglich ist und dadurch Lungenschäden vermieden werden. REGN-COV2 reduzierte bei Rhesusaffen (Modell für milde Verläufe) in prophylaktischer und therapeutischer Anwendung die Viruslast in den oberen und unteren Atemwegen und führte zu weniger virusinduzierten Folgeschäden in den Lungen im Vergleich zu Affen der Placebogruppe [5]. Bei Goldhamstern (Modell für schwere Verläufe) wurden bei prophylaktischer und therapeutischer Gabe von REGN-COV2 krankheitsbedingte Gewichtsverluste im Vergleich zu Placebo limitiert und das Auftreten bzw. die Ausprägung von Pneumonien reduziert [5]. In einer deutschen Untersuchung konnte zuvor unter Verwendung eines anderen Antikörpers (CV07-209) gezeigt werden, dass dieser im Hamster-Tiermodell vor der Erkrankung bzw. vor Lungenschäden und anderen Krankheitssymptomen schützte [6]. Die protektive Wirkung monoklonaler Antikörper scheint in klinischen Studien am Menschen auch die Viruslast reduziert, Symptome abgemildert und Hospitalisierungen vermieden zu haben [2]. Jedoch kann über die Evidenz noch nicht geurteilt werden, da Studien am Menschen bisher nicht publiziert wurden.
Sicherheit
Aktuell wurde eine Studie (ACTIV-3) mit hospitalisierten Patienten, die Bamlanivimab (LYCoV555) in Kombination mit Remdesivir erhalten, gestoppt. Die Sicherheitsbedenken der unabhängigen Expertengruppe wurden nicht genauer präzisiert, erfordern aber bei anderen laufenden Studien, die Bamlanivimab in Monotherapie oder in Kombination mit Etesevimab (LY-CoV016) bei nicht hospitalisierten Patienten untersuchen, keine Unterbrechung [7]. |
Literatur
[1] Statement on REGN-COV2 Emergency Use Authorization Request. Pressemitteilung von Regeneron Pharmaceuticals, Inc. vom 7. Oktober 2020, https://investor.regeneron.com/static-files/6feab76b-176d-402d-bf30-d40462e68b7b
[2] Lilly provides comprehensive update on progress of SARS-CoV-2 neutralizing antibody programs. Pressemitteilung von Eli Lilly and Company vom 7. Oktober 2020, https://investor.lilly.com/node/43776/pdf
[3] Dübel S et al. Coronaviren: Rekombinante, vollständig humane Antikörper zur Behandlung akuter COVID-19. Biospektrum 2020;26(4):444-446, doi: 10.1007/s12268-020-1404-4
[4] Celltrion completes neutralisation test on candidate monoclonal antibodies (mAbs) for COVID-19 antiviral antibody treatment. Pressemitteilung der Celltrion Group vom 13. April 2020, www.celltrionhealthcare.com/en-us/board/newsdetail?modify_key=185&keyword=&keyword_type=
[5] Baum A et al. REGN-COV2 antibodies prevent and treat SARS-CoV-2 infection in rhesus macaques and hamsters. Science, 9. Oktober 2020, doi: 10.1126/science.abe2402
[6] Kreye J et al. A therapeutic non-self-reactive SARS-CoV-2 antibody protects from lung pathology in a COVID-19 hamster model. Cell 23. September 2020, in press, https://doi.org/10.1016/j.cell.2020.09.049
[7] Lilly Statement on the NIAID Decision to Pause Enrollment in ACTIV-3 Clinical Trial. Pressemitteilung von Eli Lilly and Company vom 14. Oktober 2020, www.lilly.com/news/stories/statement-activ3-clinical-trial-covid19-niaid-decision-pause-enrollment
[8] Welchen Stellenwert hat die Behandlung mit COVID-19-Rekonvaleszenten-Plasma? Erfahrungen im Umgang mit COVID-19-Erkrankten – Hinweise von Klinikern für Kliniker. Informationen des Robert Koch-Instituts, Stand: 24. August 2020, DOI: 10.25646/7114.2, www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/COVRIIN_Dok/COVID-19-Rekonvaleszenten-Plasma.pdf?__blob=publicationFile
Autorin
Dr. Verena Stahl ist Apothekerin und wurde an der University of Florida als Semi-Resident im landesweiten Drug Information and Pharmacy Resource Center ausgebildet. Ihre berufsbegleitende Dissertation fertigte sie zu einem Thema der Arzneimitteltherapiesicherheit an.
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