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Sand im Getriebe

TI-Anbindung sorgt für Ärger und Verunsicherung

Sie ist die Datenautobahn im Gesundheitswesen. Nach und nach wird sie von allen Beteiligten befahren: Die Telematikinfrastruktur – kurz TI – soll in Zukunft der Unterbau für alle digitalisierten Diagnose- und Verordnungsdaten sein. Doch derzeit gibt es einen Mega-Stau: Probleme mit Konnektoren und Haftungsfragen sorgen bei Ärzten für Ärger und Verunsicherung. Inzwischen gibt es sogar erste Rücktrittsforderungen in Richtung Spitze der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Eine Apothekergruppe aus dem Rhein-Neckar-Gebiet hat derweil eine eigene Lösung gefunden.

Zwischen der Gematik und der Ärzteschaft war es in den vergangenen ­Wochen heiß hergegangen. Der Grund ist ein Konfigurationsfehler in der TI, der dafür gesorgt hatte, dass viele Arztpraxen vom sogenannten Ver­sichertenstammdatenmanagement ab­geschnitten waren – und das für ­Wochen. Durch den Fehler waren die Konnektoren in den betroffenen Praxen nicht mehr in der Lage gewesen, sich in die TI einzuwählen. Es handelt sich dabei um die gleichen Konnektoren, die auch für die Nutzung in den Apotheken vorgesehen sind.

KBV fordert Notfallplan

Eigentlich sind die Praxen gesetzlich dazu verpflichtet, die Daten des Patienten auf seiner Gesundheitskarte jedes Mal auf Aktualität zu überprüfen, wenn der Versicherte in der Praxis erscheint. Die Regelung ist sanktionsbewehrt. Nur durch ein Update und mithilfe eines Technikers ließ sich das Problem beheben. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) forderte ­daraufhin einen Notfallplan für einen TI-Ausfall. Zudem dürften den Ärzten durch die Panne keinerlei Kosten entstehen.

Wer kommt für den Schaden auf?

Das „Handelsblatt“ titelte dazu in der vorletzten Woche: „Streit über möglichen Millionenschaden spitzt sich zu“. Inzwischen seien die ausgeknockten Konnektoren aktualisiert worden und die Störungen zumindest in Teilen behoben. Im Hintergrund beginne nun jedoch der Streit, wer für den Schaden aufkommen muss. Grund dafür sei „die komplexe Vertragsstruktur zwischen der Gematik, der mehrheitlich in Bundesbesitz befindlichen Gesellschaft, die für den Aufbau der TI verantwortlich ist, der Bertelsmann-Tochter Arvato, Betreiber der zentralen TI, den Ärzten und den IT-Dienstleistern. ­Dokumente, die dem ‚Handelsblatt‘ vorliegen, zeigen nun, dass langwierige Rechtsstreitigkeiten drohen. Ärzte und IT-Dienstleister befürchten, auf dem Schaden sitzen zu bleiben“, so die Zeitung. Weiter heißt es in dem ­Bericht: „Müsste die Gematik für den Schaden aufkommen, wäre das pikant, denn sie ist durch Gelder der gesetz­lichen Krankenversicherung ­finanziert.“

Die Rolle der Gematik

Auf Nachfrage verwies die Pressestelle der Gematik auf ihr Fragen-Antwort-Papier zu „zentralen Fragen“. Darin heißt es: „Zur Behebung der aktuellen Störung können die betroffenen Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten auf die bestehenden Vertragsbeziehungen zu den IT-Servicepartnern zurückgreifen. Sie wurden mit der Installation und dem Betrieb der für den Anschluss an die Telematikinfrastruktur erforderlichen Komponenten und Dienste beauftragt. Die IT-Servicepartner erhalten hierfür von den Leistungserbringern eine monatliche Vergütung. Diese in den bestehenden Finanzierungsvereinbarungen zwischen der Kassenärztlichen bzw. Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KBV/KZBV) und dem GKV-Spitzenverband geregelte Betriebskostenpauschale beinhaltet auch den ,Betrieb des Konnektors, inklusive Wartung, Support, Updates und Konfiguration‘ und somit die Verpflichtung des IT-Servicepartners gegenüber den Leistungserbringern zur Behebung der Störung. Über eine Lösung für etwaige Sonderfälle darüber hinaus finden intensive Gespräche statt. Eine gute und nachvollziehbare Dokumentation durch die Betroffenen ist in diesem Zusammenhang notwendig.“

Foto: axentis.de / Lopata

Probleme mit Konnektoren und Haftungsfragen im Zusammenhang mit der Telematik­infrastruktur treiben aktuell die Ärzte um. Massiv unter Druck ist die Spitze der Kassenärztlichen Bundesvereinigung geraten: Dr. Stephan Hofmeister, Dr. Andreas Gassen und Dr. Thomas Kriedel (v. l.)

Rücktrittsforderungen in Richtung KBV-Spitze

Allerdings war es gerade ein IT-Dienstleister, der kürzlich dieses Vorgehen infrage stellte. Seiner Auffassung nach könne die Gematik „weder juristisch noch vertraglich die Arztpraxen von möglichen Kosten der Dienstleister vor Ort freistellen – außer sie erteilt einen rechtlich bindenden Auftrag“. Die Gematik sei verantwortlicher Betreiber der zentralen Dienste und habe keinerlei vertragliche Bindung zu den IT-Dienstleistern vor Ort.

Wenn es um die TI geht, ist die Stimmung unter den niedergelassenen Ärzten folglich derzeit nicht die beste. Wie der in Hamburg erscheinende „Ärztenachrichtendienst“ berichtet, gibt es von Vertragsärzten aus Baden-Württemberg inzwischen sogar Rücktrittsforderungen in Richtung der ­Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Den Informationen zufolge ­haben der Hausärzteverband und der Medi-Verbund den Rücktritt des KBV-Vorstands gefordert, die Vertreterversammlung der KV habe „mit überwältigender Mehrheit“ zugestimmt. Der Vorwurf: die KBV-Spitze ignoriere beim Thema TI die Interessen der Vertragsärzte.

Gesetze auf Druck der IT-Industrie?

Massive Kritik am „Digitalisierungswahn“ kommt auch von der Freien Ärzteschaft (FÄ). In einem Kommentar für das Hamburger „KV-Journal“ schreibt Dr. Silke Lüder, FÄ-Vize und Hamburger Allgemeinmedizinerin, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verspreche zwar, die Digitalisierung mache vieles leichter. Aber: Genau das Gegenteil werde eintreten. „Eher auf Druck der IT-Industrie kommen aus dem Bundesgesundheitsministerium monatlich neue Gesetze. Alle haben etwas mit Digitalisierung zu tun und werden die Medizin in Deutschland verschlechtern, weil die neuen Vorgaben die Funktionalität und den Workflow in Praxen und Kliniken massiv belasten werden“, argumentiert Lüder.

Ein Kritikpunkt: In Sachen eRezept sei eine Überprüfung der Verordnung nicht mehr möglich, so Lüder. Demnach sei das Papierrezept hinsichtlich Funktionalität und Versorgungssicherheit ein Erfolgsmodell. Patienten könnten selbst am besten überprüfen, was ihnen verordnet wurde. Missverständnisse ließen sich noch in der Arztpraxis klären, Patienten können sich in der Apotheke ihrer Wahl ihre Medikamente besorgen. „Beim eRezept hingegen bekommt der Versicherte entweder einen Zugangscode auf sein Handy oder einen sogenannten Token wieder auf Papier. Sämtliche Informationen werden auf zentralen Servern gespeichert. Der Patient kann also nicht mehr nachprüfen, was der Arzt tatsächlich verordnet hat, und Missverständnisse werden erst in der Apo­theke sichtbar“, kritisiert Lüder.

Apothekengruppe setzt auf „Konnektorenfarm“

„Wir möchten keine weitere Technik in unserer Apotheke stehen haben, deren Funktionalität von uns überwacht werden muss“, sagt Frank Knecht von der Bahnhof-Apotheke in Eberbach. Vor allem aber möchte Knecht nicht, dass in Sachen Telematikinfrastruktur etwas schiefgeht. „Stellen Sie sich vor, das eRezept ist da und wir könnten es wegen eines Fehlers (beim Konnektor, Anm.) möglicherweise über Wochen nicht auslesen.“ Für betroffene Apotheken wäre das vermutlich existenzbedrohend, sagt der Apotheker. Er ist einer von 14 aus der Metropolregion Rhein-Neckar, die sich zur Nordbadischen Apothekengruppe (NobAG) zusammen- und mit dem Unternehmen Red Medical Systems einen Kooperationsvertrag abgeschlossen haben.

Dahinter steht ein Münchener Unternehmen, das web- und Rechenzen­trum-basierte Lösungen für das Gesundheitswesen entwickelt und vertreibt, zum Beispiel eine webbasierte Arztsoftware, ein System für Videosprechstunden und eben auch eine eigene Lösung für den TI-Anschluss für Ärzte und Apotheker. Im Gegensatz zu den gängigen TI-Angeboten steht der Konnektor nicht in der Apotheke oder Praxis, sondern im Rechenzentrum von Red Medical. Die Firma selbst nennt das eine „Konnektorenfarm“.

Die Kooperation sieht also vor, dass der Telematik-Anschluss über einen im Rechenzentrum gehosteten Konnektor läuft. „Die bewährten Prozesse der Red Medical, verbunden mit einem überschaubaren Serviceaufwand, haben uns überzeugt“, sagt Knecht. Ein weiterer Pluspunkt sei die Möglichkeit, alle Warenwirtschaftsanbieter einfach anzubinden. Die Gruppe der 14 Apotheker erhofft sich nun eine weitgehende Unterstützung der Apotheken-Softwarehäuser für das Projekt. Derzeit verlangten, so schreibt die NobAG in einer Presse­mitteilung in dieser Woche, zahl­reiche Softwareanbieter eine zusätz­liche Gebühr für die Anbindung der Apothekensoftware an einen Online-Konnektor.

Hardware-Konnektoren sieht die NobAG nur als Übergangslösung. Die Probleme innerhalb der TI der vergangenen Wochen hätten gezeigt, wie problematisch es werden könne. „So sind (Stand 2. Juli 2020) immer noch ca. 14.000 Arztpraxen von der TI abgeschnitten, weil innerhalb der Telematik ein fehlerhaftes Zertifikat auf dem Konnektor installiert wurde, das ihn unbrauchbar gemacht hat.“ Die Fehlerbehebung erfordere nun erhebliche Eingriffe an den Konnektoren vor Ort. Dagegen sei bei einem Konnektor im Rechenzentrum gewährleistet, dass Probleme unverzüglich behoben werden können. Möglich mache dies ein Techniker des Rechenzentrums.

Brandbrief aus der Ärzteschaft

In der vergangenen Woche vermeldete die Gematik, dass die TI-Störung bei den Ärzten behoben seien und „alle aktuell an die Telematikinfrastruktur angeschlossenen Konnektoren online sind“. Seit den Störungen ab dem 27. Mai habe die Gematik „über ihre Webpräsenz und eine Statusseite kontinuierlich berichtet sowie Hilfestellungen für betroffene Praxen und ihre IT-Servicepartner bereitgestellt“. Björn Kalweit, Leiter Operations bei der Gematik, spricht von einem Vorfall und lobt, die Zusammenarbeit mit allen Beteiligten habe gut funktioniert, „dafür sind wir dankbar“. Man habe in den vergangenen Wochen viel gelernt, allerdings gebe es noch Einiges zu tun. Es gehe vor allem darum, „Ereignisse schnellstmöglich zu erkennen, um funktionale Ausfälle und Leistungseinschränkungen bestmöglich zu verhindern oder diese – wenn sie eintreten – schnellstmöglich zu beheben“. Oberstes Ziel sei, „dass sich die Anwender darauf verlassen können, dass die Anwendungen und Dienste über die TI zuverlässig zur Verfügung stehen.“

Die Ärzte sind davon offenbar nicht überzeugt. In ihrem Brandbrief heißt es, man begrüße zwar nach wie vor die digitale Vernetzung und einen deutlich verbesserten Informationsaustausch zwischen allen Beteiligten im Gesundheitswesen. Aber: „Die hierfür zur Verfügung stehende Technik in Form des ,Steinzeitkonnektors‘, die weitere Hardware, das Management durch die Gematik, der Einfluss der Industrie, die politischen, gesetzgeberischen Rahmenbedingungen und auch die Rolle der KBV“ würden in keiner Weise mehr akzeptiert. Ältere Kollegen würden ihre Praxen zeitiger als geplant abgeben, „weil sie den absehbaren finanziellen und zeitlichen Aufwand nicht mehr leisten werden“. Die Freie Ärzteschaft (FÄ) unterstützt den Protest. „Vielleicht begreifen die politisch Verantwortlichen irgendwann, dass Verwaltungsmitarbeiter keine Medizin machen können“, sagte Dr. Silke Lüder am Mittwoch in der vergangenen Woche in Hamburg. Die FÄ-Vize befürchtet jedoch, dass diese Einsicht zu spät kommen könnte, viele Ärzte ihre Praxen aufgeben und der ambulante „Schutzwall“ bei der nächsten Corona-Welle löchrig werden könnte. „Wir brauchen sofort ein Moratorium für das offensichtlich gescheiterte TI-Projekt. Außerdem fordern wir ein sofortiges Ende aller Sanktionen gegen Praxen, die sich nicht an die zentrale TI angeschlossen haben.“

KBV-Spitze wettert gegen BMG

Unterdessen ist der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung offenbar dazu bereit, gesetzliche Vorgaben zur TI nicht umzusetzen, sollten diese sich gegen die Interessen der Vertragsärzteschaft richten. Das jedenfalls berichtet der „Ärztenachrichtendienst“ in Hamburg mit Verweis auf ein Schreiben der KBV-Spitze an die Absender des Brandbriefes. Darin verteidigt sich das KBV-Führungstrio um Vorstandschef Dr. Andreas Gassen und schiebt, so berichtet der „Ärztenachrichtendienst“, „den Schwarzen Peter weiter ans BMG.“ Das Ministerium habe demnach bisher „keine Bereitschaft erkennen lassen, auf die Anpassungswünsche von KBV und KVen einzugehen“. Das Ministerium zeigt sich bisher unbeeindruckt und duldet laut einem Bericht des Ärzteblatts keinen Aufschub. In einem Brief an die KBV habe das BMG bereits im April klargestellt, dass an den Fristen und gesetz­lichen Vorgaben für die TI nicht mehr gerüttelt werde. „Wie ernst es das Ministerium mit den gesetzlichen Fristen meint, zeigt auch ein Schreiben des BMG vom 7. Juli. In Bezug auf die IT-Sicherheitsrichtlinie warnt das BMG ganz offen die KBV. Man gehe davon aus, dass die KBV die ‚IT-Sicherheitsrichtlinie auch ohne aufsichtsrechtliche Maßnahmen schnellstmöglich verabschieden‘ werde“, berichtet das Ärzteblatt mit Verweis auf ein Schreiben von Gottfried Ludewig, zuständiger Leiter der Abteilung Digitalisierung und Innovation im BMG, an die KBV. Der Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg) kritisierte am Freitag das Verhalten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und fordert statt einer „Kommunikation im Hinterzimmer“ einen „aufrichtigen und transparenten Dialog zur Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben und einer Prüfung der Kapazitäten“. Dazu sollten das Bundesgesundheitsministerium, die Gematik, die DKG, die KBV und die Industrie zusammenarbeiten. |

Anja Köhler/eda

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