Arzneimittel und Therapie

Diuretikum bessert Autismus-Symptome

Bumetanid reguliert Verhältnis der Neurotransmitter GABA und Glutamat

Das Schleifendiuretikum Bumetanid ist in mehreren europäischen und außereuropäischen Ländern zugelassen. Die Ergebnisse mehrerer Studien der vergangenen Jahre deuten darauf hin, dass der Wirkstoff auch die Kernsymptome autistischer Kinder lindert. Forscher konnten nun erstmalig zeigen, dass diese Verbesserungen mit einem reduzierten GABA/Glutamat-Verhältnis in bestimmten Hirnarealen im Zusammenhang steht.

Die den Autismus-Spektrum-Störungen zugrunde liegenden molekularen und neuronalen Mechanismen sind bislang weitgehend unbekannt. Studien deuten darauf hin, dass die Erkrankung aus frühzeitigen Veränderungen während der Entwicklung des Gehirns resultiert. Eine Schlüsselrolle scheint der Neurotransmitter Gamma-Aminobuttersäure (GABA) einzunehmen, der in Abhängigkeit von der intrazellulären Chlorid-Ionen-Konzentration entweder inhibitorisch oder exzitatorisch wirkt. In den Neuronen erwachsener Menschen liegt normalerweise eine niedrige Chlorid-Ionen-Konzentration vor, und GABA wirkt inhibitorisch. In Neuronen von Föten dagegen herrscht eine hohe Chlorid-Ionen-Konzentration, und GABA wirkt exzitatorisch. Es wird vermutet, dass die intrazelluläre Chlorid-Ionen-Konzentration unter physiologischen Bedingungen während der Geburt rapide sinkt und sich die GABA-Wirkung umkehrt. Es kommt zum sogenannten GABA-Switch. Bleibt der GABA-Switch aus, resultiert ein Ungleichgewicht zwischen Weiterleitung und Abschwächung neuronaler Reize.

Eine französische Arbeitsgruppe um Yehezkel Ben-Ari stellte bereits vor einigen Jahren die in der Fachwelt umstrittene Hypothese auf, dass der GABA-Switch bei autistischen Kindern nicht erfolgreich war. Mehrere Studien mit dem Chlorid-Import-Inhibitor Bumetanid unterstützen seine Hypothese. Daten zur klinischen Wirksamkeit bei Kindern sind jedoch limitiert. Bisher ist nicht direkt getestet worden, ob Bumetanid das Gleichgewicht zwischen Erregung und Hemmung im autistischen Gehirn reguliert, indem es den GABA-Switch unterstützt.

Foto: tomertu – stock.adobe.com

Über die genauen Ursachen von Autismus-Spektrum-Störungen ist bislang noch recht wenig bekannt. Womöglich ist das Gleichgewicht aus Erregung und Hemmung der Nervenzellen im Gehirn gestört.

Pilotstudie mit 83 Kindern

Chinesische und britische Wissenschaftler sind nun der Frage nachgegangen, ob Bumetanid das GABA/­Glutamat-Verhältnis im Gehirn beeinflusst und dadurch den Schweregrad autistischer Symptome bei kleinen Kindern mit Autismus-Spektrum-­Störungen reduzieren kann. In einer randomisierten, kontrollierten Pilotstudie wurde der Effekt von Bumetanid an 83 Kindern zwischen drei und sechs Jahren untersucht. In der Bumetanid-Gruppe erhielten 42 Kinder für drei Monate zweimal täglich 0,5 mg Bumetanid, 41 Kinder der Kontrollgruppe erhielten keine Medikation. Die Behandlung war nicht verblindet.

Eine Bewertung der Autismussymptome erfolgte mithilfe der Children Autism Rating Scale (CARS), die bei Kindern mit Autismus-Spektrum-­Störungen bei einem Punktwert von 30 und höher liegt. Im Vergleich zur Kontrollgruppe verbesserten sich die Symptome in der Bumetanid-Gruppe signifikant: Der CARS-Gesamtscore verringerte sich unter Bumetanid von durchschnittlich 37,40 auf 34,51, in der Kontrollgruppe von 38,15 auf 37,27. Auch in der Anzahl der CARS-Parameter mit einem Score von ≥ 3 Punkten zeigten sich signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen: Unter Bumetanid reduzierte sich deren Zahl von 5,93 auf 3,52, in der Kontrollgruppe von 6,32 auf 5,49. Die Besserung der klinischen Symptome wurde bestätigt durch den klinischen Gesamteindruck (Clinical Global Impressions, CGI).

Bumetanid wies bei den Kindern ein gutes Sicherheitsprofil auf. Am häufigsten trat eine milde und nicht behandlungsbedürftige Polyurie auf. Eine bei wenigen Patienten auftretende Hypokaliämie konnte mit diätetischen Maßnahmen behoben werden.

Bumetanid

Bumetanid hemmt den Natrium-Kalium-Chlorid-Cotransporter 1 (NKCC1) im aufsteigenden Ast der Henle‘schen Schleife. Das Schleifendiuretikum wirkt antiödematös, antihypertensiv und senkt die Vor- und Nachlast. In Deutschland ist der Wirkstoff nicht auf dem Markt. In anderen europäischen Ländern wie Österreich, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Norwegen, den Niederlanden und Schweden sowie in Kanada ist Bumetanid unter dem Namen Burinex® (Leo Pharma) erhältlich.

Die Konzentrationen der Neurotransmitter GABA (inhibitorisch) und Glutamat (exzitatorisch) wurden in zwei Arealen des sensorischen Gehirns (Inselrinde und Sehrinde) mittels Magnet­resonanzspektroskopie zu Beginn der Studie und nach drei ­Monaten bestimmt. In dieser Zeit ­verringerte sich das GABA/Glutamat-Verhältnis in beiden Hirnarealen in der Bumetanid-Gruppe schneller als in der Kon­trollgruppe. Die Abnahme des GABA/Glutamat-Verhältnisses war mit der Verbesserung der autistischen Symptome assoziiert. Die Autoren ­spekulieren, dass das GABA/Glutamat-Verhältnis in Zukunft als Neuro­imaging-Biomarker dienen könnte, um die Wirksamkeit einer Bumetanid-­Behandlung zu überwachen.

Auch wenn die Ergebnisse vielver­sprechend sind, sollte nun eine randomisierte Doppeblindstudie mit einer größeren Teilnehmerzahl durchgeführt werden, um die Wirksamkeit von Bumetanid in der Behandlung von Autismus-Spektrum-Störungen bei Kindern zu bestätigen. |

Literatur

Zhang L et al. Symptom improvement in children with autism spectrum disorder following bumetanide administration is associated with decreased GABA/glutamate ratios. Transl Psychiatry 2020;10(1):9

Tyzio R et al. Oxytocin-mediated GABA inhibition during delivery attenuates autism pathogenesis in rodent offspring. Science 2014;343(6171):675-679

Apothekerin Dr. Daniela Leopoldt

Das könnte Sie auch interessieren

Neue Hypothese zur Pathogenese und Therapie

Diuretikum gegen Autismus?

Gehirn-Organoid zeigt Zusammenhang mit GABAergen Neuronen

Autismus besser verstehen

Erhöhen Antidepressiva während der Schwangerschaft das Risiko für das Kind?

Autismus gibt weiterhin Rätsel auf

Keine Verbesserung bei Autismus-Spektrum-Störung

Oxytocin enttäuscht

Kein erhöhtes Risiko im Zusammenhang mit Masern-Mumps-Röteln-Impfung

Autismus-Hypothese nicht haltbar

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.