Debatte

„Hilfsmittelversorgung hat viele Facetten“

Thomas Friedrich stellt die Sichtweise der Apothekerverbände dar

Foto: DAZ/tmb

Dr. Thomas Friedrich, Diplom-Jurist, Geschäftsführer der Apothekerverbände Schleswig-Holstein und Hamburg

Der Meinungsbeitrag von Thomas Platz schildert weitgehend zutreffend die Situation der Apotheken bei der Hilfsmittelversorgung.

Die Chancen und Risiken lassen sich dabei kaum mit einem ein­fachen Einerseits – Andererseits beschreiben, wie es die Überschrift von den zwei Seiten einer Medaille auf den ersten Blick suggerieren mag. Die Lage der Apotheken im Hilfsmittelmarkt ist deutlich facettenreicher und durchaus ambivalent. Darauf weist Platz bereits hin. Das soll punktuell noch ergänzt werden.

Anders als bei der Arzneimittelversorgung besteht bei der Hilfsmittelversorgung durch Apotheken kein gesetzlicher Sicherstellungsauftrag. Es gilt an sich auch kein Kontrahierungszwang. Am Branchenumsatz der deutschen Apotheken mit mittlerweile über 50 Milliarden Euro hat der Hilfsmittelumsatz mit gut einer Milliarde Euro nur einen Anteil von rund zwei Prozent.

Seit Jahren dümpelt der GKV-Apothekenumsatz bei Hilfsmitteln trotz wachsendem Gesamtmarkt bei etwa 600 Millionen Euro, das sind im Durchschnitt etwa 30.000 Euro pro Apotheke. Gleichwohl darf dieser Durchschnittswert nicht dazu verführen, für alle gleichlautende Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Frage, ob sich das Engagement in diesem Bereich (noch) lohnt, muss durch jede Apotheke (und jeden Verband) einzeln von Versorgungsgruppe zu Versorgungsgruppe und von Vertrag zu Vertrag beantwortet werden.

Bei der Kostenbetrachtung dürfen dabei nicht nur die nominellen Ausgaben für die Präqualifizierung in den Blick genommen werden. Auch der Aufwand für die damit verbundene Bürokratie bis hin zu räumlichen Anforderungen gehört dazu – Stichwort behinderten­gerechte Kundentoilette. Zwischen Apotheke und Patient vereinbarte Aufzahlungen müssen inzwischen aufwendig dokumentiert werden. Für die an sich sinnvollen elektronischen Kostenvoranschläge verlangen die von den Kassen eingesetzten kommerziellen Dienstleister ein zusätzliches Entgelt. Und auch die erforderliche Aufrüstung der Apotheken-EDV gibt es nicht zum Nulltarif. Alles in allem stehen stetig steigendem Aufwand ­stetig sinkende Preise gegenüber. Da reicht dann manchmal ein für sich betrachtet kleiner Zusatzaufwand, und die Bilanz kippt ins Negative.

Stichwort Vertragskenntnis und Vertragsverhandlung. 2009 deckten in Schleswig-Holstein drei Verträge die gesamte GKV-Hilfsmittelversorgung ab: ein Vertrag mit den Primärkassen, einer mit den Ersatzkassen und ein bundesweiter Pflegehilfsmittelvertrag. 2019 hat sich die Zahl mehr als verfünffacht: 7 Verträge mit Primärkassen, 8 mit Ersatzkassen und immer noch ein Pflegehilfsmittelvertrag. Hinzu kommt der vertragslose Zustand mit den Primärkassen in anderen Ländern, was in jedem einzelnen Versorgungsfall eine Vorabgenehmigung erfordert. Doch damit nicht genug: Der aktuelle Hilfsmittel­vertrag mit der AOK NordWest umfasst moderate 24 Seiten, der Vertrag mit der AOK Rheinland/Hamburg hingegen mehr als das Zehnfache, nämlich aktuell 278 Seiten. Wer will es da dem Apotheken­personal verübeln, dass es ver­unsichert ist und lieber einmal mehr eine (nicht erforderliche) Genehmigung im Einzelfall be­antragt, als einmal zu viel in die Retaxfalle zu tappen? Schließlich ist es auch keine Seltenheit, dass selbst die Krankenkassenmitarbeiter oder Dienstleister ihre Verträge nicht kennen und unsere Hilfsmittelstelle „Nachhilfe“ erteilen muss.

Zurück zum Bild von den zwei Seiten einer Medaille: Neben der Vorder- und der Rückseite besitzen Medaillen auch noch einen Rand. Nicht selten erfolgt dessen Gestaltung mit einer Inschrift. Mein Vorschlag in den dafür üblichen Ver­salien lautet:

„Apotheken können Hilfsmittel, müssen aber nicht. Krankenkassen hingegen können Hilfsmittel nicht ohne Apotheken.“

Das gehört ins Stammbuch der Vertragsverhandler auf beiden Seiten. Es impliziert die Wertschätzung für die Apotheken, die die Flächendeckung (bisher noch) sicherstellen, und das Selbstbewusstsein, dass Preisverhandlungen sich nicht am Benchmark der aktuell niedrigsten Preise orien­tieren müssen.

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