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Arzneimittel und Therapie
Neue Schizophrenie-Leitlinie
Welche Punkte für Apotheker wichtig sind
In vielen Bereichen bleibt die Leitlinie sehr konservativ. Viele Metaanalysen der jüngeren Vergangenheit – insbesondere zur Kombinationstherapie oder zu Depot-Antipsychotika – bleiben unerwähnt. Viele Empfehlungen sind wenig konkret, etliche Empfehlungen haben den Status „klinischer Konsensus Punkt (KKP)“, d. h. es liegen keine Studien vor, die die Empfehlung mit Evidenz belegen würden.
In der Leitlinie werden Apotheker an keiner Stelle erwähnt, wenngleich viele Empfehlungen auch für Pharmazeuten gelten dürften, die wie Ärzte Patienten beraten, Interaktionen erkennen und adhärenzfördernde Maßnahmen empfehlen, Screenings anbieten und somit einen festen Bestandteil des Versorgungssystems der Patienten darstellen.
Die neue Leitlinie gliedert sich in sieben Module. Von besonderem Interesse sind Modul 4 und Modul 5. Im Modul 4 werden die Pharmakotherapie und andere somatische Therapieverfahren inklusive Diagnostik und Behandlung unerwünschter Nebenwirkungen beschrieben. Ferner werden auch psychotherapeutische und psychosoziale Interventionen vorgestellt. Mit dem Modul 5 wurde eine umfassende Darstellung der Versorgungskoordination eingefügt, die insbesondere auf eklatante Lücken in der Versorgung von Menschen mit einer Schizophrenie hinweist und Entwicklungsperspektiven aufzeigt. Auch hier finden Apotheker keinerlei Erwähnung.
Cave Psychose
Bei der Identifikation von arzneimittelinduzierten Psychosen können Apotheker durch Medikationsanalysen jedoch einen wertvollen Beitrag zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung leisten. Folgende Wirkstoffe bergen laut Leitlinie ein Risiko für ein sekundäres psychotisches Syndrom:
- Am zentralen Nervensystem wirksame Medikamente: L-Dopa und andere dopaminerge Arzneimittel, Anticholinergika, Triptane
- Kardiovaskuläre Arzneimittel: Digoxin, Clonidin, Methyldopa, Betablocker, Angiotensin-Converting-Enzyme(ACE)-Inhibitoren, Angiotensin-II-Hemmer, Calcium-Kanalblocker, Diuretika, Statine
- Gastroenterologische Arzneimittel: Metoclopramid, H2-Blocker, Pantoprazol
- Hormonpräparate: L-Thyroxin, orale Kontrazeptiva, Steroide
- Analgetika: Nichtsteroidale Antiphlogistika, Opioide
- Antiinfektiva: Sulfonamide, Chinolone, Clarithromycin, Amoxicillin, Cephaloxine, Metronidazol, Chloroquin, Isoniazid, Aciclovir
- Immunsuppressiva und Immunmodulatoren: Corticosteroide, Methotrexat, Vincristin, Ifosfamid, Cyclosporine, 4-Fluorouracil, Cisplatin, Doxorubicin, Cyclophosphamid
Begleiterkrankungen im Blick behalten
Menschen mit einer Schizophrenie haben ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko für metabolische und kardiovaskuläre Erkrankungen, für Krebserkrankungen, für Lungenerkrankungen sowie für andere somatische Komorbiditäten, die in der Leitlinie nicht näher erläutert werden. „Menschen mit einer Schizophrenie, die hohen Blutdruck, abnorme Lipidwerte, Adipositas, einen Diabetes oder ein Risiko für einen Diabetes haben, Tabak konsumieren oder wenig körperlich aktiv sind, soll eine Behandlung entsprechend geltender Empfehlungen angeboten werden“. Hier können Apotheker niederschwellig beraten, Aufklärungsarbeit leisten, ein Screening anbieten (z. B. Cholesterol-Messungen, Blutdruckmessungen, Blutzuckermessungen), Tabakentwöhnungsmittel wie Nicotin-Pflaster empfehlen und zur weiterführenden Diagnostik an den Arzt verweisen. Dies gilt auch bei der Nebenwirkung „Gewichtszunahme“, welche unter Antipsychotika auftreten kann: Zu Beginn der antipsychotischen Behandlung oder spätestens bei dem Auftreten einer Antipsychotika-induzierten stärkeren Gewichtszunahme – als Schwellenwert gilt hier eine Zunahme von mehr als 7% vom Ausgangsgewicht – sollen psychotherapeutische und psychosoziale Interventionen (Ernährungsberatung, Psychoedukation, Bewegungsprogramme) zur Prävention einer Gewichtszunahme oder zur Gewichtsreduktion angeboten werden. Apotheker können eine Ernährungsberatung durchführen und zu mehr Sport motivieren. Sie können gegebenenfalls auch an Stellen vermitteln, die entsprechende Kurse für Patienten anbieten (z. B. die Krankenkassen vor Ort).
Nebenwirkungen kennen
Patienten soll zur Akutbehandlung und zur Rezidivprophylaxe ein Antipsychotikum angeboten werden. Die Auswahl des Wirkstoffs soll gemeinschaftlich mit dem Patienten getroffen werden. Dies setzt eine Kenntnis über die Unterschiede der einzelnen Präparate seitens des Patienten voraus, wobei Apotheker beratend tätig werden können. So suchen Patienten bei Nebenwirkungen oft Rat in der Apotheke. Die Leitlinie enthält eine hilfreiche Tabelle, in der die Nebenwirkungsprofile der einzelnen Antipsychotika anschaulich gegenübergestellt werden (s. Tabelle). Die Leitlinie gibt Heilberuflern zudem konkrete Behandlungsstrategien für häufige Nebenwirkungen an die Hand.
Akathisie |
Parkinsonoid |
Spätdyskinesien |
Gewichtszunahme |
metabolische Veränderungen |
Diabetes mellitus |
Obstipation |
Hyperprolaktinämie |
Dysmenorrhoe/Amenorrhoe |
sexuelle Dysfunktion |
Sedierung |
orthostatische Dysregulation |
QT-Zeit-Verlängerung |
Transaminasen-/Bilirubinanstieg |
Blutbildveränderungen |
Agranulozytose/Panzytopenie |
epileptische Anfälle |
malignes neuroleptisches Syndrom |
Pneumonie |
||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Amisulprid |
+ |
+ |
+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
++ |
+++ |
++ |
++ |
0/+ |
0/+ |
++ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
? |
0 |
|
Aripiprazol |
++ |
+ |
+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
? |
|
Cariprazin |
++ |
++ |
+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0/+ |
0/+ |
++ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
? |
|
Clozapin |
+ |
0 |
0 |
+++ |
+++ |
+++ |
+++ |
0/+ |
0/+ |
+ |
+++ |
+++ |
+ |
++ |
+ |
++ |
++ |
0/+ |
++ |
|
Flupentixol |
+++ |
+++ |
++ |
++ |
+ |
+ |
++ |
0/+ |
0/+ |
+ |
++ |
++ |
0/+ |
+ |
0/+ |
0/+ |
+ |
0/+ |
? |
|
Fluphenazin |
+++ |
+++ |
+++ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
+ |
0/+ |
0/+ |
+ |
++ |
++ |
+ |
+ |
+ |
0/+ |
++ |
0/+ |
? |
|
Haloperidol |
+++ |
+++ |
+++ |
+ |
0/+ |
0/+ |
+ |
+++ |
++ |
++ |
+ |
0 |
0/+ |
++ |
+ |
0/+ |
0/+ |
+ |
? |
|
Melperon |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
++ |
++ |
+ |
0/+ |
+ |
0/+ |
? |
0/+ |
? |
|
Olanzapin |
+ |
0/+ |
0/+ |
+++ |
+++ |
+++ |
++ |
+ |
0 |
+ |
+/++ |
++ |
0/+ |
+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
+ |
|
Paliperidon |
+ |
++ |
+ |
++ |
+ |
+ |
++ |
+++ |
+++ |
++ |
0/+ |
+ |
+ |
++ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
? |
|
Perphenazin |
++ |
++ |
++ |
++ |
+ |
? |
+ |
+ |
+ |
+ |
+ |
+ |
+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
? |
|
Pipamperon |
++ |
+ |
0/+ |
? |
? |
+ |
? |
0/+ |
++ |
++ |
++ |
++ |
+ |
+ |
+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
? |
|
Quetiapin |
+ |
0/+ |
0/+ |
++ |
++ |
++ |
+ |
0/+ |
0/+ |
+ |
++ |
++ |
+ |
++ |
++ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
+ |
|
Risperidon |
+ |
++ |
+ |
++ |
+ |
+ |
++ |
+++ |
++ |
++ |
+ |
+ |
+ |
+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
+ |
|
Sertindol |
+ |
0/+ |
+ |
++ |
+ |
+ |
+ |
+ |
+ |
+ |
0/+ |
+ |
+++ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
? |
|
Ziprasidon |
+/++ |
+ |
+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
+ |
0/+ |
+ |
+ |
0/+ |
++ |
+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
? |
? |
|
Zuclopenthixol |
+++ |
+++ |
++ |
++ |
+ |
+ |
++ |
++ |
++ |
++ |
+++ |
++ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
0/+ |
+ |
0/+ |
? |
|
0: nicht vorhanden; + = selten; ++ = gelegentlich; +++ = häufig; ? = keine ausreichende Datenlage zur Abschätzung der Häufigkeit. |
Auf Rezidivrisiko nach Absetzen hinweisen
Bei der Entscheidung für ein Absetzen der Antipsychotika sollte dieses kontrolliert, unter Berücksichtigung der empfohlenen Behandlungsdauer in minimalen Dosisschritten in sechs- bis zwölfwöchigen Zeitabständen durchgeführt werden. Patienten und Angehörige sollen darüber informiert werden, dass sich das Risiko für ein Rezidiv bei einem Absetzen nach einem Jahr verdoppelt (27% bei Weiterbehandlung, 65% bei Absetzen) und im Verlauf von drei bis sechs Jahren weiterhin erhöht bleibt (22% bei Weiterbehandlung, 63% bei Absetzen). Es ist also wichtig, den Patienten über die Konsequenzen eines frühen Absetzens zu informieren. Zudem ist auf eine langsame Ausdosierung zu achten, damit Rebound-Phänomene vermieden werden (z. B. Rebound-Psychose). Um den Therapieerfolg zu sichern, können auch Depot-Antipsychotika angeboten werden. Falls ein Patient auf ein orales Antipsychotikum eingestellt ist, welches auch als Depot-Form verfügbar ist, können Apotheker hier entsprechend beratend tätig werden.
Apotheker als Erstkontakt
Laut Leitlinie befinden sich ca. 20% der Erkrankten nicht in medizinischer Behandlung. Hier können Apotheker ebenfalls einen Beitrag leisten, da der Kontakt eventuell hinsichtlich anderer Erkrankungen (z. B. Infekte) besteht. Auch kennen Apotheker möglicherweise die Angehörigen der Patienten, die wichtig für den Behandlungserfolg und somit die Prognose sein können und die – falls es nicht der Schweigepflicht entgegensteht – möglichst miteinbezogen werden sollten. |
Literatur
[1] Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) e. V. (Hrsg.) für die Leitliniengruppe. S3-Leitlinie Schizophrenie. Langfassung 2019, Version 1.0, zuletzt geändert am 15. März 2019, verfügbar unter www.awmf.org
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