Arzneimittel und Therapie

Neue Schizophrenie-Leitlinie

Welche Punkte für Apotheker wichtig sind

Nach 13 Jahren wurde im März eine neue S3-Leitlinie „Schizophrenie“ veröffentlicht. Doch was ist für Apotheker relevant? Prof. Dr. Martina Hahn, klinische Pharmazeutin an einer psychiatrischen Einrichtung, hat sich das 359 Seiten starke Dokument genauer angesehen und zeigt auf, in welchen Bereichen Apo­theker einen wichtigen Beitrag für die Gesundheit von an Schizophrenie erkrankten Menschen leisten können.

In vielen Bereichen bleibt die Leitlinie sehr konservativ. Viele Metaanalysen der jüngeren Vergangenheit – insbesondere zur Kombinationstherapie oder zu Depot-Antipsychotika – bleiben unerwähnt. Viele Empfehlungen sind wenig konkret, etliche Empfehlungen haben den Status „klinischer Konsensus Punkt (KKP)“, d. h. es liegen keine Studien vor, die die Empfehlung mit Evidenz belegen würden.

In der Leitlinie werden Apotheker an keiner Stelle erwähnt, wenngleich viele Empfehlungen auch für Pharmazeuten gelten dürften, die wie Ärzte Patienten beraten, Interaktionen erkennen und adhärenzfördernde Maßnahmen empfehlen, Screenings anbieten und somit einen festen Bestandteil des Versor­gungssystems der Patienten darstellen.

Die neue Leitlinie gliedert sich in sieben Module. Von besonderem Interesse sind Modul 4 und Modul 5. Im Modul 4 werden die Pharmakotherapie und andere somatische Therapieverfahren inklusive Diagnostik und Behandlung unerwünschter Nebenwirkungen beschrieben. Ferner werden auch psychotherapeutische und psychosoziale Interventionen vorgestellt. Mit dem Modul 5 wurde eine umfassende Darstellung der Versorgungskoordination eingefügt, die insbesondere auf eklatante Lücken in der Versorgung von Menschen mit einer Schizophrenie hinweist und Entwicklungsperspektiven aufzeigt. Auch hier finden Apotheker keinerlei Erwähnung.

Foto: vchalup – stock.adobe.com
Halluzinationen zählen zu den Leitsymptomen einer Schizophrenie.

Cave Psychose

Bei der Identifikation von arzneimittelinduzierten Psychosen können Apotheker durch Medikationsanalysen jedoch einen wertvollen Beitrag zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung leisten. Folgende Wirkstoffe bergen laut Leitlinie ein Risiko für ein sekundäres psychotisches Syndrom:

  • Am zentralen Nervensystem wirksame Medikamente: L-Dopa und andere dopaminerge Arzneimittel, Anticholinergika, Triptane
  • Kardiovaskuläre Arzneimittel: Digo­xin, Clonidin, Methyldopa, Betablocker, Angiotensin-Converting-Enzyme(ACE)-Inhibitoren, Angiotensin-II-Hemmer, Calcium-Kanal­blocker, Diuretika, Statine
  • Gastroenterologische Arznei­mittel: Metoclopramid, H2-Blocker, Pantoprazol
  • Hormonpräparate: L-Thyroxin, orale Kontrazeptiva, Steroide
  • Analgetika: Nichtsteroidale Antiphlogistika, Opioide
  • Antiinfektiva: Sulfonamide, Chinolone, Clarithromycin, Amoxicillin, Cephaloxine, Metronidazol, Chloroquin, Isoniazid, Aciclovir
  • Immunsuppressiva und Immunmodulatoren: Corticosteroide, Metho­trexat, Vincristin, Ifosfamid, Cyclosporine, 4-Fluorouracil, Cisplatin, Doxorubicin, Cyclophosphamid

Begleiterkrankungen im Blick behalten

Menschen mit einer Schizophrenie haben ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko für metabolische und kardiovaskuläre Erkrankungen, für Krebserkrankungen, für Lungenerkrankungen sowie für andere soma­tische Komorbiditäten, die in der Leitlinie nicht näher erläutert werden. „Menschen mit einer Schizophrenie, die hohen Blutdruck, abnorme Lipidwerte, Adipositas, einen Diabetes oder ein Risiko für einen Diabetes haben, Tabak konsumieren oder wenig körperlich aktiv sind, soll eine Behandlung entsprechend geltender Empfehlungen angeboten werden“. Hier können Apotheker niederschwellig beraten, Aufklärungsarbeit leisten, ein Screening anbieten (z. B. ­Cholesterol-Messungen, Blutdruckmessungen, Blutzuckermessungen), Tabakentwöhnungsmittel wie Nicotin-Pflaster empfehlen und zur weiterführenden Diagnostik an den Arzt verweisen. Dies gilt auch bei der Nebenwirkung „Gewichts­zunahme“, welche unter Antipsychotika auftreten kann: Zu Beginn der antipsychotischen Behandlung oder spätestens bei dem Auftreten einer Antipsychotika-induzierten stärkeren Gewichtszunahme – als Schwellenwert gilt hier eine Zunahme von mehr als 7% vom Ausgangsgewicht – sollen psycho­therapeutische und psychosoziale ­Interventionen (Ernährungs­beratung, ­Psychoedukation, Bewegungsprogramme) zur Prävention einer Gewichtszunahme oder zur Gewichtsreduktion angeboten werden. Apo­theker können eine Ernährungs­beratung durchführen und zu mehr Sport motivieren. Sie können ge­gebenenfalls auch an Stellen vermitteln, die entsprechende ­Kurse für ­Patienten anbieten (z. B. die Krankenkassen vor Ort).

Nebenwirkungen kennen

Patienten soll zur Akutbehandlung und zur Rezidivprophylaxe ein Antipsychotikum angeboten werden. Die Auswahl des Wirkstoffs soll gemeinschaftlich mit dem Patienten getroffen werden. Dies setzt eine Kenntnis über die Unterschiede der einzelnen Präparate seitens des Patienten voraus, wobei Apotheker beratend tätig werden können. So suchen Patienten bei Neben­wirkungen oft Rat in der Apotheke. Die Leitlinie enthält eine hilfreiche Tabelle, in der die Nebenwirkungsprofile der einzelnen Antipsychotika anschaulich gegenübergestellt werden (s. Tabelle). Die Leitlinie gibt Heilberuflern zudem konkrete Behand­lungsstrategien für häufige Nebenwirkungen an die Hand.

Tab.: Unerwünschte Wirkungen von Antipsychotika (nach [1])
Akathisie
Parkin­sonoid
Spätdyskinesien
Gewichtszunahme
metabolische Veränderungen
Diabetes mellitus
Obstipation
Hyper­prolaktin­ämie
Dysmenorrhoe/Amenorrhoe
sexuelle Dysfunktion
Sedierung
orthostatische Dysregulation
QT-Zeit-Verlängerung
Trans­aminasen-/Bilirubin­anstieg
Blutbildveränderungen
Agranulozytose/Panzytopenie
epileptische Anfälle
malignes neuro­leptisches Syndrom
Pneumonie
Amisulprid
+
+
+
0/+
0/+
0/+
++
+++
++
++
0/+
0/+
++
0/+
0/+
0/+
0/+
?
0
Aripiprazol
++
+
+
0/+
0/+
0/+
0/+
0/+
0/+
0/+
0/+
0/+
0/+
0/+
0/+
0/+
0/+
0/+
?
Cariprazin
++
++
+
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0/+
0/+
0
0
0
0
0
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++
0/+
0/+
0/+
0/+
?
Clozapin
+
0
0
+++
+++
+++
+++
0/+
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+
+++
+++
+
++
+
++
++
0/+
++
Flupentixol
+++
+++
++
++
+
+
++
0/+
0/+
+
++
++
0/+
+
0/+
0/+
+
0/+
?
Fluphenazin
+++
+++
+++
0/+
0/+
0/+
+
0/+
0/+
+
++
++
+
+
+
0/+
++
0/+
?
Haloperidol
+++
+++
+++
+
0/+
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+
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++
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+
0
0/+
++
+
0/+
0/+
+
?
Melperon
0/+
0/+
0/+
0/+
0/+
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0/+
0/+
0/+
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++
++
+
0/+
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0/+
?
0/+
?
Olanzapin
+
0/+
0/+
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+++
+++
++
+
0
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+/++
++
0/+
+
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0/+
0/+
+
Paliperidon
+
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+
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+
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++
+++
+++
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0/+
+
+
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0/+
0/+
0/+
0/+
?
Perphenazin
++
++
++
++
+
?
+
+
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+
+
+
+
0/+
0/+
0/+
0/+
0/+
?
Pipamperon
++
+
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?
?
+
?
0/+
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++
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++
+
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+
0/+
0/+
0/+
?
Quetiapin
+
0/+
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+
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0/+
+
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++
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0/+
0/+
+
Risperidon
+
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++
+
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+++
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+
+
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0/+
0/+
0/+
+
Sertindol
+
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+
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+
+
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+
0/+
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+++
0/+
0/+
0/+
0/+
0/+
?
Ziprasidon
+/++
+
+
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0/+
0/+
+
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+
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+
0/+
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0/+
?
?
Zuclopenthixol
+++
+++
++
++
+
+
++
++
++
++
+++
++
0/+
0/+
0/+
0/+
+
0/+
?

0: nicht vorhanden; + = selten; ++ = gelegentlich; +++ = häufig; ? = keine ausreichende Datenlage zur Abschätzung der Häufigkeit.

Auf Rezidivrisiko nach Absetzen hinweisen

Bei der Entscheidung für ein Absetzen der Antipsychotika sollte dieses kontrolliert, unter Berücksichtigung der empfohlenen Behandlungsdauer in minimalen Dosisschritten in sechs- bis zwölfwöchigen Zeitabständen durchgeführt werden. Patienten und Angehörige sollen darüber informiert werden, dass sich das Risiko für ein Rezidiv bei einem Absetzen nach einem Jahr verdoppelt (27% bei Weiterbehandlung, 65% bei Absetzen) und im Verlauf von drei bis sechs ­Jahren weiterhin erhöht bleibt (22% bei Weiterbehandlung, 63% bei Ab­setzen). Es ist also wichtig, den Patienten über die Konsequenzen eines frühen Absetzens zu informieren. ­Zudem ist auf eine langsame Aus­dosierung zu achten, damit Rebound-Phänomene vermieden werden (z. B. Rebound-Psychose). Um den Therapieerfolg zu sichern, können auch ­Depot-Antipsychotika angeboten ­werden. Falls ein Patient auf ein ­orales Antipsychotikum eingestellt ist, welches auch als Depot-Form verfügbar ist, können Apotheker hier entsprechend beratend tätig werden.

Apotheker als Erstkontakt

Laut Leitlinie befinden sich ca. 20% der Erkrankten nicht in medizinischer Behandlung. Hier können Apotheker ebenfalls einen Beitrag leisten, da der Kontakt eventuell hinsichtlich anderer Erkrankungen (z. B. Infekte) besteht. Auch kennen Apotheker möglicherweise die Angehörigen der Patienten, die wichtig für den Behandlungserfolg und somit die Prognose sein können und die – falls es nicht der Schweigepflicht entgegensteht – möglichst miteinbezogen werden sollten. |

Literatur

[1] Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) e. V. (Hrsg.) für die Leitliniengruppe. S3-Leitlinie Schizophrenie. Langfassung 2019, Version 1.0, zuletzt geändert am 15. März 2019, verfügbar unter www.awmf.org

Prof. Dr. Martina Hahn, Vitos Klinik Eichberg

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