Porträt

Patientenorientierung statt Weltuntergang

Interview mit Magdalene Linz

tmb | Die aktuelle politische Diskussion schätzt Magdalene Linz als ebenso brisant wie die zahlreichen Neuregelungen des Jahres 2004 ein. Doch sie warnt davor Welt­untergangsszenarien zu verbreiten und setzt stattdessen auf die Nähe zum Patienten. DAZ-Redakteur Dr. Thomas Müller-Bohn fragte außerdem nach, wie Linz selbst in ihren Apotheken mit den derzeitigen Herausforderungen umgeht.

DAZ: Sie haben in Ihrer berufspolitischen Laufbahn viele Situationen erlebt, die für die Apotheker proble­matisch oder sogar bedrohlich waren. Wie schätzen Sie die derzeitige Situation nach dem EuGH-Urteil zur Preisbindung im Vergleich zu früheren Herausforderungen ein?

Linz: Von der Brisanz her ist die heu­tige Situation mit dem GMG, dem GKV-Modernisierungsgesetz von Ulla Schmidt, gleichzusetzen. Das war ein großer Einschnitt, auch struktureller Art, der sich jetzt bemerkbar macht. Ich meine aber, dass auch heute Weltuntergangsszenarien überzogen sind.

DAZ: Im Laufe von Jahrzehnten sind einige Säulen der Struktur des Apothekenwesens verloren gegangen oder geschwächt worden. Doch das Prinzip der inhabergeführten Apotheken funktioniert weiterhin. Wie weit kann das gehen? Welche Strukturmerkmale sind unverzichtbar für den Erhalt des Systems?

Linz: Die Leitung einer Apotheke durch einen freien Heilberufler ist als Schutz vor den rein wirtschaftlichen Interessen von Konzernen erforderlich. Das zeigt sich in anderen Bereichen, beispielsweise bei Pflegeheimen. Schon zu Zeiten von Bundeskanzler Schröder wurden wir auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung von einem renommierten US-Gesundheitsökonomen gewarnt, nicht diesen Fehler zu machen. Das grundlegende Problem dabei ist die Ökonomisierung des Gesundheitswesens. Das Fremdbesitzverbot ist also ganz wichtig, aber auch die Gleichpreisigkeit hat eine Schutzfunktion, nicht nur für die Apotheker, sondern für die Patienten. Es besteht die Gefahr, dass die Gleichpreisigkeit auch in Deutschland fällt, wenn es kein neues EuGH-Urteil und keine sichere gesetzliche Regelung gibt. Dann könnten die Patienten vor der Frage stehen, wo sie ihre Arzneimittel am billigsten bekommen. Da die Krankenkassen dem Wirtschaftlichkeitsgebot unterliegen, könnten sie von den Patienten verlangen, sich möglichst billig zu versorgen. Die Patienten müssten dann die Differenz zum billigsten Preis selbst tragen, ähnlich wie bei den Festbeträgen.

„Das Versandverbot ist nicht sexy und die Juristen haben keine rechtssichere Alternative gefunden.“

Magdalene Linz

DAZ: Was bedeutet das für die derzeitige Diskussion über den Entwurf für das Apotheken-Stärkungsgesetz?

Linz: Das Versandverbot ist nicht sexy und die Juristen haben keine rechtssichere Alternative gefunden. Da habe ich lieber den Spatz in der Hand. Also ist mir die Regelung im SGB erstmal lieber als gar nichts, denn das betrifft den größten Anteil der Patienten. Man muss davon ausgehen, dass das noch mal vor den Europäischen Gerichtshof kommt. Dort muss sich zeigen, ob es gemäß den Regeln zur Arbeitsweise der EU rechtssicher ist. Darum unterstütze ich diesen Weg, wenn das Versandverbot nicht machbar ist. Unabhängig davon finde ich es richtig, den § 78 Absatz 1 Satz 4 AMG nicht zu streichen. Er hat zwar bisher nicht gezogen, aber damit wird gesagt, dass die Preisbindung auch für Ausländer gelten soll. Die Bedenken wegen eines Vertragsverletzungsverfahrens kommen nicht von Jens Spahn allein, sondern auch aus dem Kanzleramt und aus dem Wirtschaftsministerium. Das ist also nicht Spahn, das ist die Bundesregierung.

DAZ: Wie gut sind die Apotheker aufgestellt, um den Wert ihres Systems in der Öffentlichkeit deutlich zu machen? Was können Berufsorganisationen oder einzelne Apotheker dafür noch tun?

Linz: Es ist schwierig, Außenstehenden dies alles zu erläutern. Das gilt auch für Politiker. Ich habe darum einen Text für Politiker und ihre Mitarbeiter formuliert und für einen ersten Entwurf eine gute Rückmeldung bekommen. Es liegt an uns Apothekern, bei Politikern und ihren Mitarbeitern Aufklärung zu leisten. Der Allgemeinheit kann man die Zusammenhänge nur an plakativen Beispielen zeigen. Es könnten Zuzahlungen fällig werden, wenn man die Arzneimittel nicht zum günstigsten Preis bezieht. Außerdem geht es dann nicht mehr um persönliche Verantwortung und Haftung, sondern um Interessen von Aktionären und das ist etwas anderes. Das muss man deutlich machen und das geht. Denn so etwas kennen die Leute aus Pflegeheimen und privaten Krankenhäusern. Das könnte dann auch die Apotheken treffen, mit denen die Leute heute sehr zufrieden sind.

DAZ: Eines der größten Themen dieser Zeit ist die Digitalisierung. Müssen Apotheker die Digitalisierung mitmachen, weil niemand daran vorbeikommt, oder sehen Sie darin einen echten Fortschritt für die pharmazeutische Versorgung? Und wenn ja, worin kann dieser Fortschritt liegen?

Linz: Wir müssen mitmachen und es gibt auch Vorteile. Mit elektronischen Patientenakten und E-Rezepten bekommen wir bessere Informationen für sichere Entscheidungen. Die Apotheker waren immer Vorreiter bei digitalen Techniken und sie waren damit viel früher dran als beispielsweise die Ärzte. Diese Grundeinstellung müssen wir nutzen. Es wäre abwegig, wenn wir nicht mit Apps umgehen würden. Außerdem informieren sich die Patienten heute anders als früher. Wir müssen als Lotsen im Internet­dschungel dienen, also unabhängige Informanten für Patienten sein, die sich vorinformiert haben. Wir müssen signalisieren, dass wir an vorderer Front mit dabei sind. Das E-Rezept erleichtert den Apotheken auch die Arbeit. Denn es schützt vor Retaxationen, wenn nur eine richtig ausgestellte Verordnung bei der Ein­gabe finalisiert werden kann.

Fotos: DAZ/Sebastian Widmann
DAZ-Redakteur Dr. Thomas Müller-Bohn im Gespräch mit Magdalene Linz.

DAZ: Welche digitalen Angebote bieten Sie selbst den Patienten in Ihren Apotheken?

Linz: Ich habe schon lange eine einheitliche App der Apotheken gefordert und biete auch schon eine Bestellmöglichkeit per App an. Das wird gut angenommen, besonders von Älteren. Die Leute sind dankbar, wenn wir sie aktiv darauf hinweisen. In der Delfin-Apotheke haben wir damit vier bis fünf Bestellungen pro Tag und das finde ich viel.

DAZ: Sie betreiben neben Ihrer Hauptapotheke eine Filiale. Welche Vorteile hat Ihnen dies gebracht, die Sie mit einer Apotheke allein nicht gehabt hätten?

Linz: In meinem Fall sind die beiden Apotheken sehr unterschiedlich, aber das kann man nicht verallgemeinern. Die Delfin-Apotheke ist eine Stadtteil­apotheke in einer Fußgängerzone. Sie hat Lauf- und Stammkunden. Der hohe Anteil der Selbstmedikation ist per­sonal- und zeitaufwendig, aber die Selbstmedikation macht das Gesamtunternehmen unabhängiger von gesetzlichen Regelungen. Die Leibniz-Apotheke ist auf die Fachärzte in der Nähe spezialisiert. Das ist eine ganz andere Herausforderung und sie ist sehr stark von politischen Einflüssen abhängig. Sie ist verwundbarer und wäre beispielsweise betroffen von Selektivverträgen, wie einige Krankenkassen sie haben wollen. Diese beiden verschiedenen Betriebe ergänzen sich gut und auch die Praktikanten freuen sich, mal eine ganz andere Apotheke kennenzulernen.

DAZ: Welche Neuerungen in den Leistungen der Apotheken möchten Sie selbst in Ihren Apotheken noch umsetzen?

Linz: Wenn Vereinbarungen über pharmazeutische Dienstleistungen abgeschlossen werden, möchte ich Medikationsanalysen und qualifizierte Medikationspläne mehr als bisher aktiv anbieten. In der Leibniz-Apotheke führen wir schon umfangreiche Beratungen zur Erstmedikation bei HIV durch. Das erfordert viel Zeit, führt aber zu einer hohen Kundenbindung. Das spricht gegen die Weltuntergangsszenarien für Apotheken. Denn dabei geht es um junge internetaffine Patienten, aber die bleiben bei uns wegen der persönlichen Beziehung und wandern nicht in den Versand ab. Bei bestimmten Therapien könnten wir das noch steigern und mit Anrufen nachfragen, ob die Patienten mit der Medikation zurechtkommen. Das könnte die Adhärenz steigern. Außerdem möchte ich das Warenlager weiter optimieren, um die sofortige Verfügbarkeit zu verbessern. Denn das wird von Patienten sehr geschätzt und von Apothekern oft unterschätzt. Veranstaltungen für Patienten machen wir schon mit unterschiedlichen Zielgruppen für die beiden Apotheken. Auch das ist gut für die Kundenbindung.

DAZ: Haben Sie noch eine interessante Erfahrung, die Sie den DAZ-Lesern vermitteln möchten?

Linz: Ja, die pharmazeutischen Dienstleistungen, die wir jetzt schon bieten, machen die Apotheken auch attraktiv für interessierte Pharmazeuten im Praktikum. Viele meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ehemalige Praktikanten, auch PTA und eine PKA. Ausbilden ist wichtig, um Leute halten zu können.

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch. |


Nachbemerkung: Als das Interview geführt wurde, war der jüngste Entwurf für eine Kabinettsvorlage zum Apo­theken-Stärkungsgesetz noch nicht bekannt. Die Redaktion.

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