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Der Krebspatient in der Apotheke

Wenn das Leben zu Ende geht

Pharmazeutische Betreuung als ein Baustein der interdisziplinären palliativen Versorgung

Die meisten nicht heilbaren Krebserkrankungen erstrecken sich über einen längeren Zeitraum, der Monate bis Jahre betragen kann. Im Verlauf seines Tumorleidens wird der Patient medikamentöse Unterstützung erhalten, sodass sich zwischen ihm, seinen Angehörigen und seinem Apotheker ein Vertrauensverhältnis entwickeln kann, bei dem ganz unterschiedliche Fragen zur Sprache kommen. Diese können Symptome und deren Linderung sowie die pflegerische und medizinische Versorgung betreffen, aber auch Unsicherheit hinsichtlich einer möglichen Über- oder Unterversorgung widerspiegeln. Von pharmazeutischer Seite her können fachspezifisches Wissen und Können, Information und Beratung sowie Empathie und Wertschätzung in die interdisziplinäre palliative Versorgung einfließen. | Von Petra Jungmayr

Nach Definition der WHO dient die Palliativmedizin „der Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen. Dies geschieht durch Vorbeugen und Lindern von Leiden mittels frühzeitiger Erkennung, genauer Beurteilung sowie Behandlung von Schmerzen und anderen physischen, psychosozialen oder spirituellen Problemen.“ Nicht mehr die Verlängerung der Überlebenszeit um jeden Preis, sondern Wünsche, Ziele und Befinden des Patienten stehen im Vordergrund. Wichtig sind nun die elementaren Bedürfnisse des unheilbar Kranken und dessen bestmögliche Behandlung und Begleitung [1]. Die zentrale Frage lautet: Was brauchen Patienten und ihre Angehörigen in dieser Erkrankungssituation? Eine palliativmedizinische Betreuung ist indes nicht nur auf die letzten Lebenstage oder Wochen begrenzt, sondern sollte bereits in frühen Krankheitsstadien parallel zur kausalen Therapie erfolgen. Dieses Vorgehen wird als frühe Integration oder frühzeitige palliativmedizinische Mitbetreuung bezeichnet. Diese ermöglicht das Verbleiben in der häuslichen Umgebung, eine Verbesserung der Lebensqualität, eine zufriedenstellende Symptomkontrolle und die Selbstbestimmung des Betroffenen. Ferner kann der medizinische Aufwand am Lebensende reduziert werden, was sich auch in verminderten Kosten niederschlägt. Einzelne Arbeiten zeigten auch eine Verlängerung des Überlebens aufgrund einer palliativmedizinischen Versorgung [2].

Die palliativmedizinische Betreuung unterstützt den Patienten und dessen Angehörige in den unterschiedlichsten Belangen. Dies erfordert eine interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen. Zur Umsetzung einiger Anliegen der palliativmedizinischen Betreuung kann auch der Apotheker beitragen; hierzu gehören etwa die Herstellung spezieller Rezepturen, die Beratung der Angehörigen, die Versorgung mit Arzneimitteln, Hilfsmitteln und Medizinprodukten sowie die Information über Versorgungsstrukturen.

Abb. 1: Behandlungspfad für Patienten und Angehörige [S3-Leitlinie Palliativmedizin]

Formen palliativmedizinischer Betreuung

Die Palliativ- und Hospizversorgung wurde in den vergangenen Dekaden stetig weiterentwickelt. Gründe hierfür sind neben der zu erwartenden demografischen Entwicklung der Gesellschaft auch eine stärkere Orientierung an den Bedürfnissen der Patienten und deren Angehörige in einer existenziellen Situation. Mit dieser Entwicklung ging der Aufbau von Versorgungsstrukturen einher. Anfänglich waren dies Hospizdienste und stationäre Hospize (1967 die Gründung des St. Christopher‘s Hospice in London durch Cicely Saunders), in den Folgejahren kamen Palliativstationen (1983 die erste Palliativstation in Köln) hinzu und seit 2007 die Dienste der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung [3]. Derzeit existiert in Deutschland eine heterogene Landschaft an palliativmedizinischen, hospizlichen und anderen verwandten Leistungsangeboten und Leistungsbringern [4].

Versicherte mit einer nicht heilbaren, fortschreitenden und weit fortgeschrittenen Erkrankung bei einer zugleich begrenzten Lebenserwartung, die eine besonders aufwendige Versorgung benötigen, haben nach § 37b Sozialgesetzbuch V Anspruch auf eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung (= SAPV). Diese umfasst ärztliche und pflegerische Leistungen einschließlich ihrer Koordination insbesondere zur Schmerztherapie und Symptomkontrolle und zielt darauf ab, die Betreuung der Versicherten in der vertrauten Umgebung des häuslichen oder familiären Bereichs zu ermöglichen und das Leiden einzelfallgerecht zu lindern. Die SAPV wird als Team-Leistung erbracht, indem unterschiedliche Berufsgruppen zusammenarbeiten (Ärzte, Pflegekräfte und Kooperationspartner). Man geht davon aus, dass rund 10% der sterbenden Menschen aufgrund einer aufwendigen Versorgung und eines komplexen Symptomgeschehens einer spezialisierten ambulanten Palliativversorgung bedürfen [5, 6].

Palliativmedizinische Betreuungsangebote

Das palliativmedizinische Betreuungsangebot wird in eine allgemeine und eine spezialisierte Versorgung unterteilt; beide Betreuungsarten können ambulant oder stationär erfolgen.

allgemeine Palliativversorgung

  • allgemeine ambulante Palliativversorgung (AAPV); findet im eigenen Haushalt, in Arzt- oder Therapieräumen, in Ambulanzen, in teilstationären oder stationären Pflegeeinrichtungen und in sonstigen Einrichtungen statt
  • allgemeine stationäre Palliativversorgung (ASPV); findet in Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen statt, berücksichtigt werden die Bedürfnisse der Patienten und ihrer Angehörigen. Leistungserbringer sind Pflegekräfte, Ärzte und Mitarbeiter weiterer Berufsgruppen
  • Voraussetzungen sind eine Basisqualifikation zur Palliativversorgung (mindestens ein 40-stündiges Curriculum Palliativmedizin)

spezialisierte Palliativversorgung

  • spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV); diese erfolgt im Rahmen einer häuslichen Mitbetreuung durch spezialisierte Fachkräfte (Arzt und Pflege). Sie wurde 2007 im Rahmen der Novellierung des Sozialgesetzbuches V unter §37 b eingeführt. Seitdem haben alle gesetzlich krankenversicherten Personen Anspruch auf diese Versorgungsform.
  • spezialisierte stationäre Palliativversorgung (SSPV); findet in Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen statt und ergänzt die allgemeine stationäre Palliativversorgung

Voraussetzungen sind eine Mindestqualifikation durch ein 160-stündiges Curriculum (Pflege) sowie die Zusatzweiterbildung in der Palliativmedizin (Ärzte)

Belastende Symptome

Um die Anliegen von Angehörigen und Patienten verstehen und einordnen zu können, sollten dem beratenden Apotheker die häufigsten Symptome bekannt sein, unter denen ein palliativ betreuter Tumorpatient leiden kann. Häufig auftretende körperliche Symptome wie Schmerzen, Übelkeit und Luftnot können Angst und Depressionen verstärken. Neben organbezogenen Symptomen stehen häufig auch Allgemeinsymptome, die mit dem progredienten Verlauf der Krebserkrankung einhergehen, im Vordergrund. Dazu gehören Inappetenz, Gewichtsverlust (Anorexie-Kachexie-Syndrom) sowie eine zunehmende körperliche Schwäche und Müdigkeit. Im Gegensatz zur Wahrnehmung des behandelnden Arztes empfindet der Betroffene eine ausgeprägte Fatigue mitunter belastender als den Schmerz [7]. Im Verlauf der Erkrankung kann sich die Symptomatik verändern und neue Therapieansätze erforderlich machen, und je nach Krankheitsverlauf und Tumorentität dominieren unterschiedliche Beschwerden. Einen Überblick zu vorherrschenden Symptomen einer weit fortgeschrittenen Krebserkrankung gibt unter anderem die aktualisierte S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung (s. Kasten „Erweiterte S3-Leitlinie Palliativmedizin“) [8, 9].

Erweiterte S3-Leitlinie Palliativmedizin

Die erste Fassung einer S3-Leitlinie zur Palliativmedizin ist im Jahr 2015 unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin erschienen. Sie umfasst sieben Kapitel: Versorgungsstrukturen, Kommunikation, Atemnot, Tumorschmerz, Obstipation, Depression und Sterbephase. Nun wurde eine aktualisierte S3-Leitlinie „Palliativmedizin für erwachsene Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung“ vorgestellt, die derzeit noch als Konsultationsfassung vorliegt. Die bereits vorliegende Leitlinie wurde aktualisiert und um acht Kapitel erweitert. Neu hinzugekommen sind die Bereiche Therapiezielfindung und Kriterien der Entscheidungsfindung, Fatigue, schlafbezogene Erkrankungen/nächtliche Unruhe, Übelkeit und Erbrechen (unabhängig von einer Chemotherapie), maligne intestinale Obstruktion, maligne Wunden, Angst und Todeswünsche. Die Leitlinie enthält zahlreiche Empfehlungen, Statements und Hintergrundtexte; mehr als ein Drittel der Empfehlungen sind evidenzbasiert.

Die Konsultationsphase zur neuen Version der Leitlinie ist am 4. Februar 2019 abgelaufen. Derzeit werden die eingegangenen Kommentare und Überarbeitungsvorschläge von der Leitliniengruppe geprüft. Noch besitzt die erste Version aus dem Jahr 2015 Gültigkeit.

Was kann die Apotheke leisten?

Eine umfassende Betreuung eines Palliativpatienten ist nur innerhalb eines interdisziplinären Teams möglich. Der Apotheker kann dabei sein Wissen und handwerkliches Können in vielfältiger Weise einbringen. Ein erster Schritt ist die Information der Betroffenen über die potenzielle Möglichkeit einer palliativmedizinischen Betreuung. Allen Patienten soll nach der Diagnose einer nicht heilbaren Krebserkrankung eine Palliativversorgung angeboten werden, unabhängig davon, ob eine tumorspezifische Therapie durchgeführt wird oder nicht. Diese Information soll dem Betroffenen und seinen Angehörigen vermittelt werden. Möglich sind das aktive Ansprechen, die Mitgabe von Flyern, die Vermittlung von Kontakten sowie der Hinweis auf den gesetzlich verankerten Anspruch auf eine entsprechende Palliativbetreuung.

Kommunikation und Haltung

Die Aufklärung über die Krankheit und deren Verlauf erfolgt vornehmlich über den behandelnden Arzt. Bei der Auseinandersetzung und Verarbeitung existenzieller Fragen soll der Patient durch alle an der Behandlung beteiligten Berufsgruppen unterstützt werden. Angehörige sollen in ihrer Rolle als Unterstützer und Mitbetroffene wahrgenommen und gewürdigt werden. Auch sie befinden sich in einer Ausnahmesituation und benötigen Unterstützung. Die eigene Haltung zu einer conditio humana und der wertschätzende Umgang mit den Betroffenen ermöglichen und prägen ein Vertrauensverhältnis.

Medikation am Lebensende

Ist das Lebensende absehbar, sollte die Medikation des Schwerkranken unter folgenden Aspekten neu bewertet und gegebenenfalls angepasst werden [11]:

  • Absetzen von Medikamenten zur Langzeitprophylaxe von Komplikationen (z. B. Statine, Antihypertonika, Antidiabetika)
  • bei moribunden Patienten: Absetzen von Antidepressiva und Laxanzien
  • Bedarfsmedikation vorausschauend verordnen und Medikamente für häufig am Lebensende auftretende Symptome bereithalten (gegen Schmerzen, Atemnot, Erbrechen, Agitation, Rasselatmung)
  • bei insulinpflichtigen Diabetikern Insulinmenge mit abnehmender Nahrungsmittelaufnahme reduzieren
  • Notwendigkeit intravenöser Flüssigkeitsgabe neu bewerten

Aneignen von Kenntnissen über häufig eingesetzte Arzneimittel

Die meisten in der Palliativmedizin eingesetzten Wirkstoffe dürften den pharmazeutischen Mitarbeitern bekannt sein. Indes weichen deren Einsatz, Dosierung und die gewählten Applikationsformen nicht selten von gängigen Therapieschemata ab. Dies hat mehrere Gründe: Viele Arzneimittel sind für die eingesetzten Indikationen nicht zugelassen (Off-Label-Use), übliche Dosierungen kommen aufgrund ihres Nebenwirkungsprofils oder der Dauer bis zum Wirkeintritt nicht infrage oder ein komplexes Medikationsregime ist im Versorgungsumfeld nicht umsetzbar. Schluckbeschwerden, Schwäche und Verwirrtheit erschweren die orale Gabe von Medikamenten. Starke Schmerzen erfordern oftmals ein Vielfaches der gängigen Dosis. Hinzu kommt, dass bei Schwerkranken häufig auch eine terminale Insuffizienz unterschiedlicher Organe (Niere, Leber, Herz) vorliegt, die ebenfalls berücksichtigt werden muss. So erstaunt es nicht, dass in der Palliativmedizin bis zu einem Viertel aller ein­gesetzten Arzneimittel für nicht zugelassene Indikationen verordnet wird und/oder eine nicht zugelassene Applikationsart gewählt wird. Einige der wichtigsten Wirkstoffe der Palliativmedizin werden teilweise im Off-Label-Use eingesetzt [10, 11] (s. Tabelle).

Tab. 1: Häufig eingesetzte Arzneistoffe in der Palliativmedizin [10, 11]
Wirkstoff
zugelassene Indikation bzw. Applikationsart
Off-Label-Use
Applikationsart
Butylscopolamin
akute spastische Schmerzen
Rasselatmung
Haloperidol
akute psychomotorische Erregungszustände,
Chorea Huntington,
postoperative Übelkeit und postoperatives Erbrechen,
Akutbehandlung des Deliriums
i. m.
Übelkeit und Erbrechen
i. v.
Levomepromazin
Unruhe- und Erregungszustände im Rahmen psychotischer Störungen,
zur Kombinationstherapie bei der Behandlung von schweren und/oder chronischen Schmerzen
i. m., i. v.
terminale Unruhe, Übelkeit und Erbrechen
s. c.
Metoclopramid
maximale Dosis 30 mg/Tag über fünf Tage
höhere Dosierung, eventuell über einen längeren Zeitraum (40 mg/Tag über 14 Tage)
Midazolam
Sedierung
i. v., rektal
Atemnot
s. c.
Morphin, Hydromorphon
Schmerzen
Atemnot

Pharmazeutische Aufgabenbereiche

Zu den pharmazeutischen Aufgaben gehören unter anderem die Beschaffung von Krankenpflegeprodukten, Arznei- und Hilfsmitteln, die Beratung über den Einsatz von Arzneimitteln im Hinblick auf ihre Sondengängigkeit oder Zermörserbarkeit, Informationen zur Erstattungsfähigkeit eines Arzneimittels, die Medikationsanalyse und die Beratung über die Umsetzbarkeit der medikamentösen Therapie im Umfeld des Patienten, um nur einige Punkte zu nennen. Des Weiteren ist die Apotheke bei der Anfertigung spezieller Rezepturen gefragt, so etwa bei der Herstellung eines Morphin-Gels zur äußeren Anwendung [12], bei der Anfertigung von Lösungen zur Wundreinigung (z. B. hydrophiles Polihexanid-Gel NRF 11.131) oder öliger Dronabinol-Tropfen (NRF 22.8) oder bei der Zubereitung parenteraler Lösungen zur Schmerz­herapie.

Curriculum Palliativpharmazie

2008 verabschiedete die Mitgliederversammlung der Bundesapothekerkammer eine Zertifikatsfortbildung Palliativpharmazie – Der Apotheker als Teil des Palliative Care Teams. Die Fortbildung befasst sich unter anderem mit Aspekten der Arzneimittelversorgung des Palliativpatienten, medikamentösen und nicht medikamentösen Therapieoptionen, Versorgungsstrukturen in der Palliativmedizin, Bedürfnissen von Patienten und Angehörigen, Ethik, Trauer und Spiritualität sowie Kommunikation. Die Fortbildung umfasst 40 Unterrichtseinheiten à 45 Minuten, eine dreitägige Hospitation in einer Einrichtung der Hospiz- oder Palliativversorgung sowie die Erarbeitung einer Falldokumentation [13]. Sie wird bei Bedarf von den Landesapothekerkammern angeboten, so etwa 2019 von der LAK Bayern.

Parenterale Schmerztherapie – eine Herausforderung für die Apotheke

Mitunter ist bei Schmerzpatienten eine orale oder transdermale Schmerztherapie nicht mehr möglich. Gründe hierfür können bei sehr starken Schmerzen ein ungenügendes Ansprechen auf Oralia, Tumor-bedingte Obstruktionen, neurologische Schluckstörungen sowie fluktuierende Bewusstseinszustände beim sterbenden Menschen sein. In diesen Fällen ist eine parenterale Schmerztherapie erforderlich. Um Parenteralia in der Apotheke herstellen zu können, sind lt. § 35 der Apothekenbetriebsordnung spezielle Räume und Ausstattungen (Werkbänke, eventuell Isolatoren) erforderlich, sodass entsprechende sterile Zubereitungen nur spe­ziell ausgestatteten Apotheken vorbehalten bleiben. Sind diese Voraussetzungen gegeben, müssen im Einzelfall folgende Fragen geklärt werden:

  • Welche Wirkstoffe werden eingesetzt?
  • Ist die verordnete Rezeptur plausibel (Plausibilitäts­prüfung)?
  • Liegen Daten zur Mischbarkeit einzelner Komponenten vor?
  • Liegen Daten zur Stabilität und Kompatibilität vor (mikrobiologische und physikalisch-chemische Stabilität)
  • Welches Pumpenreservoir wird eingesetzt?
  • Welche Applikationsart ist vorgesehen; subkutan oder intravenös? (Nur wenige palliativmedizinisch eingesetzte Wirkstoffe sind auch für den subkutanen Applikationsweg zugelassen.)

Häufig eingesetzte Wirkstoffe zur parenteralen Schmerz­therapie sind die Analgetika Morphin, Hydromorphon und Metamizol. Weitere wichtige Wirkstoffe sind Midazolam zur Sedierung, Haloperidol und Levomepromazin aufgrund ihrer dämpfenden und antiemetischen Eigenschaften, Metoclopramid und Butylscopolamin bei Beschwerden durch gastrointestinale Tumoren sowie Dexamethason und Dimenhydrinat aufgrund ihrer antiemetischen Wirkung.

Nicht alle Arzneistoffe können oder sollen miteinander gemischt werden. Hierfür kann es chemisch-physikalische Gründe geben, die zu Stabilitätsproblemen führen können oder aus pharmakologischen oder pharmakokinetischen Gründen abzulehnen sind. Zur Mischbarkeit einzelner Komponenten können Tabellen oder Datenbanken eingesehen werden [14 – 17]; schwieriger ist die Beurteilung der Stabilität, insbesondere der Stabilität von Mischungen. Bis auf einige Ausnahmen (wie z. B. Daten zu Mischinfusionen mit Opioiden und Metamizol [18]) ist die Datenlage hierzu spärlich bis unzureichend.

Überversorgung vermeiden

Mit Fragen der fachgerechten Versorgung befasst sich die Initiative Choosing wisely. Diese 2011 in den USA gestartete Initiative fordert die offene Diskussion zwischen der Ärzteschaft, den Patienten und der Öffentlichkeit zum Thema Unter- und Überversorgung. In unterschiedlichen Fachbereichen, unter anderem auch im Bereich der Palliativmedizin, wurden Maßnahmen diskutiert, bei denen der Initiative zufolge eine Überversorgung besteht. Die Choosing-wisely-Initiative wurde unter dem Titel „Gemeinsam klug entscheiden“ für viele Fachbereiche auf deutsche Verhältnisse übertragen. „Klug entscheiden“ ist eine Initiative der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), die sich gegen Über- und Unterversorgung wendet. Zwölf Fachgesellschaften nehmen an der Initiative unter dem Dach der DGIM teil und haben praktische Empfehlungen erstellt [20].

Klug entscheiden: Über- und Unterversorgung vermeiden

Die Frage, ob ein Patient in der Endphase seiner Erkrankung auch angemessen versorgt wird, wird wohl häufig gestellt, da in dieser Phase nicht mehr die Heilung um jeden Preis, sondern Linderung und Lebensqualität im Vordergrund stehen. Das Unterlassen einer Maßnahme kann unter Umständen hilfreicher sein, als sie durchzuführen. Mit der Sinnhaftigkeit einiger Maßnahmen befasste sich unter anderem auch die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e.V. Deren „Klug-entscheiden-Empfehlungen“ greifen in enger methodischer Anlehnung an die S3-Leitlinie Palliativmedizin verschiedene Beispiele von Über- und Unterversorgung am Lebensende auf und spiegeln dabei auch grundsätzliche Prinzipien palliativmedizinischen Handelns wider. Negativempfehlungen sollen Ärzte dazu anregen, die Sinnhaftigkeit gängiger Praktiken bei Tumorpatienten mit begrenzter Lebenserwartung zu hinterfragen. Es soll aus dem medizinisch Möglichen das individuell Sinnvolle ausgewählt werden. So werden für die Palliativmedizin folgende Positiv- und Negativempfehlungen ausgesprochen [19]:

Positivempfehlungen

  • Erfassung von Bedürfnissen: Bei einer nicht heilbaren Krebserkrankung sollen die körperlichen, psychischen, sozialen und spirituellen Bedürfnisse sowie die Belastungen und Informationsbedürfnisse der Patienten und Angehörigen wiederholt und bei einer Änderung der klinischen Situation erfasst werden.
  • Informationen und Unterstützungsangebote: Bei Diagnose einer inkurablen Grunderkrankung sollen Patienten Informationen über palliativmedizinische Behandlungskonzepte erhalten und (wenn erforderlich) entsprechende Unterstützung angeboten bekommen.
  • vorausschauende Versorgungsplanung: Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung sollen das An­gebot einer vorausschauenden Versorgungsplanung (Advance Care Planning) erhalten. Die Gesprächsbegleitung zur vorausschauenden Versorgungsplanung soll frühzeitig im Verlauf sowie wiederholt bei wesentlichen Veränderungen von Befinden und Prognose angeboten werden.
  • Opioid-bedingte Obstipation: Laxanzien zur Behandlung oder Vorbeugung von Opioid-bedingter Obstipation sollen routinemäßig verordnet werden.
  • Belastungen in der Sterbephase: In der Sterbephase auftretende Angst soll regelmäßig evaluiert werden. Hierbei soll neben verbalen Äußerungen auf klinische Hinweise – wie Unruhe, Schwitzen, Mimik oder Abwehrreaktionen – geachtet werden. Bei Unruhe in der Sterbephase sollen die im Vordergrund stehenden auslösenden Ursachen bestimmt werden, zum Beispiel Schmerz, Obstipation, Harnverhalt, Atemnot, Angst und/oder ein Delir.

Negativempfehlungen

  • Therapiebegrenzung in der Sterbephase: Alle medizinischen, pflegerischen und physiotherapeutischen Maßnahmen, die nicht dem Therapieziel bestmöglicher Lebensqualität dienen, sollen in der Sterbephase nicht eingeleitet oder, falls sie im Vorfeld eingeleitet wurden, beendet werden. |

Literatur

[1] Aulbert E, Nauck F, Radbruch L. Lehrbuch der Palliativmedizin. 3. Auflage Schattauer Verlag 2011

[2] Temel JS, Greer JA, Muzikansky A et al. Early palliative care for patients with metastatic non-small-cell lung cancer. NEJM 2010;363:733-742

[3] Informationen der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin e.V. (DGP), www.dgpalliativmedizin.de

[4] Alt-Epping B et al. Zu viel des Guten –Ressourcenallokation und Überversorgung auch in der Palliativmedizin? Zeitschrift für Palliativmedizin 2019;1:10-13

[5] Erläuterungen zu Regelungen der ambulanten Palliativversorgung. Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) und Bundesarbeitsgemeinschaft Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV) (BAG-SAPV), www.dgpalliativmedizin.de/images/Erl%C3%A4uterungen_zu_Regelungen_der_ambulanten_Palliativversorgung_DGP_BAG_SAPV.pdf

[6] Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Verordnung von spezialisierter ambulanter Palliativversorgung (Spezialisierte Ambulante Palliativversorgungs-Richtlinie/SAPV-RL. vom 20. Dezember 2007, Stand 15. April 2010, www.g-ba.de/downloads/62-492-437/SAPV-RL_2010-04-15.pdf

[7] Gärtner J et al. Frühzeitige spezialisierte palliativmedizinische Mitbehandlung. Der Onkologe 2015;21:1182-1188

[8] Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung. Erweiterte S3-Leitlinie, Langversion 2.01 – Dezember 2018, AWMF-Registernummer: 128/001-OL (Konsultationsfassung) www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Leitlinien/Palliativmedizin/Version_2/LL_Palliativmedizin_2.01_Langversion.pdf

[9] Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung, S3-Leitlinie Leitlinienprogramm Onkologie, Langversion 1.1 – Mai 2015, AWMF-Registernummer: 128/001OL; www.dgpalliativmedizin.de/images/stories/LL_Palliativmedizin_Langversion_1_1.pdf

[10] Rémi C, Bausewein C. Zum Umgang mit Off-Label-Use in der Palliativmedizin. Arzneimittelinformation Palliativmedizin und Zentralstelle Off-Label-Use, www.arzneimittel-palliativ.de, Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e. V., www.dgpalliativmedizin.de/images/171211_Offlabel_DS.pdf

[11] Rémi C, Bausewein C, Twycross R, Wilcock A, Howard P (Hrsg). Arzneimitteltherapie in der Palliativmedizin. 3. Aufl. Elsevier 2018

[12] Herbig S. Herstellung von Morphingel 0,1%. Krankenhauspharmazie 2011;32:367

[13] Zertifikatsfortbildung „Palliativpharmazie – Der Apotheker als Teil des Palliative Care Teams“ - Curriculum und Stichwortkatalog. Bundesapothekerkammer und Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e.V., Stand 25. November 2008, www.abda.de/fileadmin/assets/Fortbildung/Zertifikatfortbildungen/Curr_Palliativpharmazie_08_11_25.pdf

[14] Stabilität und Qualität von Infusionslösungen. www.pall-iv.de, Abruf 3. März 2109

[15] Dickman A, Littlewood C, Varga J. The Syringe Driver: Continuous Subcutaneous Infusions in Palliative Care. 4 ed. Oxford: Oxford University Press 2016

[16] Trissel LA. Handbook on Injectable Drugs. 18 ed. Maryland, USA: American Society of Health System Pharmacists 2015

[17] Syringe Driver Survey Database (SDSD), www.palliativedrugs.com/syringe-driver-database-introduction.html

[18] Rémi C. Mischinfusionen in der Palliativmedizin. Kompatibilität und Stabilität palliativmedizinisch relevanter Arzneimittelmischungen. Dissertation Ludwig-Maximilians-Universität München 2017

[19] Alt-Epping B. Klug entscheiden am Lebensende. Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin e.V. (DGP). Internist 2017; 58:575-579

[20] Manual Entwicklung von Empfehlungen im Rahmen der Initiative Gemeinsam Klug Entscheiden. Ad hoc Kommission „Gemeinsam Klug Entscheiden“ der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Version 1.1 2016, www.awmf.org/medizin-versorgung/gemeinsam-klug-entscheiden.html

Autorin

Dr. Petra Jungmayr ist Fachapothekerin für Allgemeinpharmazie; Onkologische Pharmazie sowie freie Mitarbeiterin der DAZ.

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