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Aus den Ländern
Buntes Programm beim Jubiläumsapothekertag in Hannover
10. Niedersächsischer Apothekertag
Der erste Niedersächsische Apothekertag fand 2001 in Goslar statt. Danach ging es im Zweijahresrhythmus durch das Bundesland. Die Erfolgsgeschichte der Apothekertage in Niedersachsen ist wesentlich mit Kammerpräsidentin Magdalene Linz verbunden, die sie „miterfunden“ habe, wie Berend Groeneveld, Vorsitzender des Landesapothekerverbandes Niedersachsen, erklärte. Das Auditorium bekräftigte Groenevelds Dank an die Kammerpräsidentin mit langem Applaus und stehenden Ovationen.
Gute Beziehung zur Landesministerin
Bei der Eröffnung machten Linz und Groeneveld die ernste Lage der Apotheken deutlich. Dr. Carola Reimann besuchte den Apothekertag erstmals als Landesministerin, hatte aber früher schon als Vorsitzende des Bundestagsgesundheitsausschusses teilgenommen. Sie betonte ihre gute und lange Beziehung zu den Apothekern und bekannte sich zur Gleichpreisigkeit. Darum unterstütze die niedersächsische Landesregierung das im Koalitionsvertrag auf Bundesebene vereinbarte Rx-Versandverbot (siehe Seite 15).
Zum Apothekertag gehörten auch eine pharmazeutische Ausstellung, eine Abendveranstaltung in der Burg Königsworth und ein vielfältiges Rahmenprogramm für Begleitpersonen. Die Fachvorträge befassten sich mit einem breiten Themenspektrum aus Wissenschaft und Praxis.
Zeitgemäße Rezepturen
Martina Dreeke-Ehrlich, Hinte, ging auf praktische Fragen zur Rezeptur ein. Ihr Ziel sei es, hochwertige Arzneimittel in angemessener Zeit herzustellen. Um die Plausibilität zügig zu klären, empfahl sie die Recherche in Rezepturbibliotheken. Zugleich bedauerte Dreeke-Ehrlich, dass noch immer nur etwa 20 Prozent der Rezepturen nach standardisierten Vorschriften verordnet würden.
Chancen beim Schlaganfall
Prof. Dr. Karin Weißenborn, Hannover, beschrieb die Ursachen und Therapien von Schlaganfällen. Die meisten Schlaganfälle werden durch kardiale Embolien, atherothrombotisch oder durch zerebrale Mikroangiopathien verursacht. Weißenborn mahnte, Warnzeichen wie zeitweilige Gesichtsausfälle oder Halbseitenlähmungen ernst zu nehmen. Bei Schlaganfällen mit ischämischer Ursache biete eine schnelle Lyse-Therapie gute Chancen, die Randzone um das irreversibel geschädigte Hirnareal zu retten. Doch nach 270 Minuten drohe mehr Schaden als Nutzen durch eine Lyse. Für eine mechanische Entfernung des Thrombus sei das Zeitfenster länger. In der Nachbehandlung seien neue orale Antikoagulanzien gegenüber Vitamin-K-Antagonisten vorzuziehen, weil bei Ersteren die Gefahr intrakranieller Blutungen geringer sei. Weißenborn beklagte allerdings, dass die Patienten nach der Rehabilitation oft vernachlässigt würden. Dann würden anfänglich wieder erworbene Fertigkeiten verlernt. Weißenborn fragte: „Warum machen wir uns vorher diese Mühe?“
Biologicals in der Dermatologie
Prof. Dr. Claudia Pföhler, Homburg/Saar, berichtete über die Behandlung chronisch entzündlicher Hauterkrankungen. Gegen Psoriasis stehen zahlreiche Biologicals zur Verfügung, die nach Schweregrad und möglicher Gelenkbeteiligung ausgewählt werden. Biologicals mit langer Halbwertszeit könnten bei notwendigen Impfungen problematisch werden. Gegen Neurodermitis ist bisher Dupilimumab als einziges Biological zugelassen, aber die Pipeline biete einige Kandidaten. Nemolizumab blockiere gut den Juckreiz und sei daher für Patienten geeignet, bei denen das Jucken den Fortgang der Erkrankung unterhält. Topisch angewendetes Tofacitinib sei gut wirksam und habe bisher praktisch keine unerwünschten Wirkungen gezeigt. Letztlich müsse das passende Target für den jeweiligen Patienten gefunden werden, erklärte Pföhler.
Stratifizierte Medizin
Wie wichtig die individuellen Eigenschaften des Patienten sind, verdeutlichte auch Prof. Dr. Theo Dingermann, Frankfurt/Main. Er empfahl eine Genomanalyse, um die individuelle Ausstattung mit polymorphen Enzymen für die Biotransformation zu ermitteln. So lasse sich erkennen, ob bestimmte Arzneimittel in der richtigen Konzentration am Wirkort ankommen. Es gehe weder um eine Diagnose noch um Krankheitsrisiken. Eine solche stratifizierte Medizin sei auch wichtig, um Non-Responder aus Studien auszuschließen und so den Zusatznutzen neuer Arzneimittel zeigen zu können. Zudem sei es ethisch problematisch, ein Arzneimittel einzusetzen, von dem man wissen kann, dass es individuell nicht wirken kann, argumentierte Dingermann.
Licht und Schatten in der Medizin
In anderen Vorträgen ging es sowohl um Erfolgsgeschichten als auch um problematische Kapitel der Medizin. Prof. Dr. Heiner Wedemeyer, Essen, berichtete über die großen Erfolge der Hepatitis-Therapie: die Impfung gegen Hepatitis B, die Therapie von Hepatitis B und die direkten antiviralen Substanzen gegen Hepatitis C. Dennoch bleibe einiges zu tun. Die Hepatitis D sei noch sehr schlecht therapierbar, und die Hepatitis E sei über viele Jahre unterschätzt worden.
Prof. Dr. Martin Südmeyer, Potsdam, beschrieb die Therapie des Morbus Parkinson, bei der die Arzneimittelauswahl weitgehend auf individuellen Abwägungen beruhe. Denn für kein Arzneimittel sei eine Hemmung der Krankheitsprogression gezeigt worden. Obwohl die Krankheit nicht heilbar sei, sollte den Patienten vermittelt werden, dass sie über eine sehr lange Zeit gut behandelt werden könnten.
Über die Schattenseite ärztlicher Behandlungen sprach Prof. Dr. Anil Batra, Tübingen, in seinem Vortrag mit dem Titel „Iatrogene Sucht: Abhängigkeit auf Rezept“. Nach jüngsten Daten seien in Deutschland etwa 600.000 Menschen von Opiaten und 1,2 bis 1,5 Millionen Menschen von Benzodiazepinen abhängig. Missbrauchspotenzial hätten auch Gabapentinoide, Psychostimulanzien, Antidepressiva und Cannabinoide.
Keine Angst vor künstlicher Intelligenz
Im Festvortrag vermittelte der Hirnforscher und Science-Slammer Dr. Henning Beck, Frankfurt/Main, auf amüsante Art faszinierende Einblicke in die Funktionsweise des menschlichen Gehirns. Obwohl es langsamer und mit mehr Fehlern als ein Computer arbeite, funktioniere es gut und vollbringe in kürzester Zeit Leistungen, die künstliche Intelligenz nach Einschätzung von Beck niemals bieten werde. Denn das Gehirn denke in Konzepten. Außerdem würden Menschen von Regeln abweichen und neue kreative Wege ausprobieren. Förderlich für gute Ideen seien der Kontakt mit unterschiedlich vernetzten Menschen sowie der Wechsel zwischen Konzentration und Routinetätigkeiten. Außerdem sei es hilfreich, „optimistisch unzufrieden“ zu sein. Letztlich vermittelte Beck Begeisterung über die erstaunlichen Leistungen des menschlichen Gehirns.
Kriterien für eine gute Apotheke
Die Veranstalter des Apothekertages hatten dem Arzneimittel- und Apothekenkritiker Prof. Dr. Gerd Glaeske, Bremen, die Frage gestellt: „Was macht eine gute Apotheke aus?“ Glaeske verwies dazu auf die Herausforderungen durch die alternde Bevölkerung und auf die Chancen durch die „kognitive Pharmazie“. Pharmazeutische Betreuung und Medikationsmanagement hätten ihre positiven Effekte längst in Studien und Modellprojekten gezeigt, würden aber in Deutschland noch immer nicht flächendeckend umgesetzt. Stattdessen sei sogar die hilfreiche Priscus-Liste mit potenziell für Ältere inadäquaten Arzneimitteln weitgehend in Vergessenheit geraten. Um die kognitive Pharmazie umzusetzen, seien die Apotheker selbst gefordert. Sie müssten Qualifikationen für das Erbringen bestimmter Leistungen definieren. „Es sind nicht alle gleich gut“, erklärte Glaeske. Zudem kritisierte Glaeske, dass immer noch Phytopharmaka mit Negativmonographien und fragwürdige Produkte ohne Evidenz in großen Mengen verkauft würden. Eine gute Apotheke lehne solche Produkte ab, erklärte Glaeske. Weitere Kriterien seien, wie vielen Patienten eine Beratung angeboten wird, ob diese verstanden wird und wie sich die Anwendung der Arzneimittel verbessert. Qualitätsberichte mit solchen Angaben könnten zur „Visitenkarte einer guten Apotheke“ werden, aber das gebe es in Deutschland noch nicht, erklärte Glaeske.
In der angekündigten Honorierung pharmazeutischer Leistungen sieht Glaeske eine große Chance, die die Apotheker nutzen sollten. Doch sie sollten nicht erwarten, dass die Apotheker das Geld der Versicherten selbst verteilen dürften. Die Apotheker sollten die nötigen Qualifikationen für das Erbringen von Leistungen und Indikatoren für die Honorierung festlegen. Die Apotheken sollten anhand der Ergebnisse honoriert werden. Dann könnten Leistungen der kognitiven Pharmazie zu einem Alleinstellungsmerkmal der Apotheken werden, erwartet Glaeske.
In der Diskussion forderte Groeneveld, bei der geplanten Honorierung pharmazeutischer Leistungen müsse eine Pharmazentralnummer für die Abrechnung einer Nichtabgabe vereinbart werden. Auf die Kritik von Apothekern über die Alltagsmühen durch Rabattverträge entgegnete Glaeske, er höre dazu viele Einzelaussagen, aber die Rabattverträge seien immer noch nicht evaluiert worden. Glaeske fragte: „Warum machen Sie das nicht?“ So vermittelte der Apothekertag ein buntes Spektrum an Ideen zu verschiedensten Themen. |
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