Arzneimittel und Therapie

„Rezeptur-Umstellung ist zwingend erforderlich“

Interview mit Prof. Dr. Henning Blume

rr | Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) veröffentlichte 2014 eine Leitlinie zur „Guten Substitutionspraxis“, an der Prof. Dr. Henning Blume, Apotheker und Geschäftsführer des Unternehmens SocraTec C&S GmbH, maßgeblich mitgewirkt hat. Mit dem Bioäquivalenz-Experten haben wir über die Hintergründe für die Rezepturänderungen bei Euthyrox® und anderen L-Thyroxin-Präparaten gesprochen.
Prof. Dr. Henning Blume

DAZ: Professor Blume, der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat bereits bei der Erstellung der ersten Tranche für die Substitutionsausschlussliste die Schilddrüsenhormon-Präparate mit Levothyroxin-Natrium aufgenommen. Müsste diese Regel nicht auch für solche Fälle gelten, bei denen an be­stehenden Präparaten substanzielle Rezepturänderungen vorgenommen werden?

Blume: Diese Frage ist sehr berechtigt und folgt konsequent der Entscheidung durch den G-BA. Tatsächlich geht es bei den Schilddrüsenhormon-Präparaten darum, eine optimale Therapie beim Patienten durch möglichst konstante Wirkspiegel im Blut zu erreichen. Unter diesen Umständen ist jeder Produktwechsel kritisch, und es bedarf der sorgfältigen Betreuung durch den behandelnden Arzt.

DAZ: Der G-BA begründet seine Entscheidung vor allem mit der engen therapeutischen Breite der L-Thyroxin-Präparate. Muss bei diesen nicht besondere Zurückhaltung bei der Substitution gelten?

Blume: Dies ist eine nahe liegende und grundsätzlich richtige Einschätzung. Dies war auch das Hauptargument bei den vielfältigen Anträgen von endokrinologischen Fachgesellschaften bei den Zulassungsbehörden, die Kriterien für einen Bioäquivalenznachweis – der bekanntlich die Voraussetzung für die Zulassung von Generika darstellt – bei L-Thyroxin deutlich zu verschärfen. Hierzu hat es insbesondere in den USA mit der dortigen FDA eine intensive und durchaus kontroverse Fachdiskussion gegeben, an deren Ende die Behörde sich aber nach Abwägung aller Argumente entschlossen hat, die Bioäquivalenzkriterien für L-Thyroxin nicht zu verschärfen.

DAZ: Was war die entscheidende Rationale für diese überraschende Entscheidung?

Blume: Tatsächlich gab es hierfür eine wissenschaftlich schlüssige Begründung. Anhand zahlreicher Beispiele war nämlich gezeigt worden, dass gerade Substanzen mit enger therapeutischer Breite sich dadurch auszeichnen, dass ihre Bioverfügbarkeit in der Regel eine relativ geringe Variabilität aufweist. Dieser Zusammenhang ist auch nachvollziehbar, denn wie sollte es sonst möglich sein, mit diesen Substanzen therapeutisch wirksame und gleichzeitig sichere Arzneimittel herzustellen? Dies kann nur gelingen, wenn diese Stoffe – und die daraus gefertigten Produkte – eine sehr konstante Bioverfügbarkeit aufweisen.

Daraus folgt aber eine andere Problematik: Wenn nämlich die galenische Zubereitung eine nicht ausreichende Konstanz aufweist, kann auch die Therapie beim Patienten nicht die gewünschte Sicherheit erreichen. Es muss also zwingend sichergestellt werden, dass die Produkte nicht nur bioäquivalent sind, sondern auch eine vergleichbare Produktkonstanz aufweisen. Nur so kann mit verschiedenen L-Thyroxin-Präparaten eine gleiche therapeutische Wirksamkeit erreicht werden.

Die Produktkonstanz betrifft dabei sowohl den gleichen Wirkstoffgehalt von Charge zu Charge, als auch die Dosiergenauigkeit von Tablette zu Tablette. Dies jedoch, und das hat die Diskussion in den USA gezeigt, ist bei den L-Thyroxin-Präparaten angesichts der sehr niedrigen Einzeldosen im Mikrogrammbereich technisch nicht so einfach zu erreichen. Die Einschätzung, dass diese Gehaltskonstanz der Präparate ein größeres Problem als deren eher unkritische Bioverfügbarkeit darstellt, hat schließlich zu der Entscheidung geführt, die Kriterien für einen Bioäquivalenznachweis unverändert zu lassen.

DAZ: Ist also die pharmazeutische Qualität der Schlüssel zum Erfolg einer Schilddrüsenhormon-Therapie?

Blume: Ja, so kann man es sagen. Und in diesem Zusammenhang hat es auch klare Konsequenzen bezüglich der behördlichen Anforderungen an die Qualität der Produkte gegeben. Die FDA hat zum Beispiel die Akzeptanzgrenzen für den Wirkstoffgehalt bei der Chargenfreigabe von den üblichen ± 10% auf ± 5% eingeschränkt, und diese gelten nicht nur für die Chargenfreigabe, sondern auch für die Stabilität über den gesamten Haltbarkeitszeitraum. Diese verstärkte Forderung hat dann aber bei den meisten Präparaten die eingangs angesprochene Umstellung der Formulierung erforderlich gemacht, um durch die eingeleiteten galenischen Maßnahmen wieder eine akzeptable Lagerungsdauer zu erreichen. Die Umstellungen, von denen im Übrigen sicherlich nicht nur das Originalpräparat betroffen ist, sondern auch Generika, erfolgen also nicht ohne Grund, sondern sind zwangsläufig angesichts der Veränderungen der Akzeptanzgrenzen für den Wirkstoffgehalt.

DAZ: Nun wurde aber aus Frankreich, wo die Umstellung ja bereits erfolgt ist, über das verstärkte Auftreten von Nebenwirkungen berichtet. Wie lässt sich dies erklären?

Blume: Das ist in der Tat eine sehr schwierige Frage, deren schlüssige Beantwortung ohne Kenntnis aller Details und Hintergründe kaum möglich ist. Nach dem, was bekannt ist, wurde in der Rezeptur der Hilfsstoff Lactose gegen Mannitol (und Zitronensäure) ausgetauscht. Außerdem wurde in einer sehr umfangreichen Studie Bioäquivalenz zwischen alter und neuer Formulierung nachgewiesen, und zwar unter Anwendung der engeren Konfidenz­intervall-Akzeptanzgrenzen von 90 bis 111% (anstatt der üblichen 80 bis 125%). Von daher wurde hier strenger vorgegangen als bei früheren Zulassungen von Levothyroxin-Generika. Auch von den ausgetauschten Hilfsstoffen können sicherlich keine relevanten Sicherheitsbedenken abgeleitet werden. Insofern bleiben eigentlich nur die bekannten Risiken, die bei jeder Präparate­umstellung, z. B. bei einer generischen Substitution, auftreten können, und die sind natürlich bei Arzneimitteln mit enger therapeutischer Breite als besonders relevant einzustufen. Nicht unerwähnt bleiben darf aber auch, dass es in diesem Zusammenhang auch zu Nocebo-Effekten kommen kann.

„Wenn die galenische Zubereitung eine nicht ausreichende Konstanz aufweist, kann auch die Therapie beim Patienten nicht die gewünschte Sicherheit erreichen.“

Prof. Dr. Henning Blume

DAZ: Was können Ärzte und Apotheker zum Gelingen der Umstellung beitragen?

Blume: Ich glaube, den Ärzten wäre zu empfehlen, ihre Patienten bei der Umstellung ähnlich engmaschig zu begleiten wie zu Therapiebeginn oder bei einem Austausch von Präparaten während einer laufenden Therapie. Voraussetzung ist allerdings, dass die Ärzte über die Veränderung der Produkte durch die Rezepturumstellung auch aktuell informiert werden. Hier sind die pharmazeutischen Unternehmen gefordert. Dabei wäre es meines Erachtens nach nicht ausreichend, schlicht darauf hinzuweisen, dass die vorgenommene Veränderung für die Bioverfügbarkeit unproblematisch sei, denn schließlich habe man ja in einer umfangreichen Studie Bioäquivalenz zwischen alter und neuer Formulierung belegt. Vielmehr sollten die Ärzte prospektiv auf die Umstellung hingewiesen werden mit der Bitte, die Patienten über eine gewisse Zeit aufmerksam therapeutisch zu begleiten. Dasselbe gilt für die Unterstützung durch die Apotheker, die im Gespräch mit den Patienten die Bedeutung eventuell auftretender unerwünschter Wirkungen erläutern könnten. Außerdem sollten sie für die Patienten jederzeit als kompetenter Gesprächspartner während der Umstellung – aber auch darüber hinaus – zur Verfügung stehen.

DAZ: Herr Professor Blume, vielen Dank für das Gespräch! |

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