DAZ aktuell

Nächste Runde für den Medikationsplan

Eine Analyse der Chancen und Herausforderungen

SÜSEL (tmb) | Die erste Trainings­runde ist vorbei. Zum 1. April 2017 wird der Medikationsplan in seine zweite Phase eintreten. Dann endet eine vertraglich vereinbarte Übergangsfrist für die Ärzte. Diese müssen dann den bundeseinheitlichen Medikationsplan nutzen, zu dem auch ein elektronisch zu verarbeitender QR-Code gehört. Formal betrifft dies die Apotheken nicht, aber praktisch wachsen damit die Nutzungsmöglichkeiten für den Plan und die Chancen für Patienten und Apotheken.

Seit dem 1. Oktober 2016 haben GKV-Versicherte mit mindestens drei verordneten Arzneimitteln einen Anspruch auf einen Medikationsplan. Bisher konnten Ärzte dafür übergangsweise ein beliebiges Format nutzen, aber ab dem 1. April 2017 muss es der bundeseinheitliche Medikationsplan sein. Da die Darstellung der Medikationsdaten in einem QR-Code Teil dieses Plans ist, bedeutet das nach Aussagen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), dass der Arzt spätestens ab dem 1. April 2017 auch einen solchen QR-Code auf den Plan drucken muss. Die Ärztesoftware muss dazu mit einem Modul für den Medikationsplan ausgerüstet sein. Dies ergibt sich aus einer Vereinbarung, die die zuständigen Verbände gemäß § 31a SGB V getroffen haben. Die KBV empfiehlt dazu eine Mindestauflösung von 300 dpi für den Drucker. Außerdem empfiehlt sie einen Scanner einzusetzen, um solche Codes lesen zu können, aber dies ist noch nicht vorgeschrieben.

Frist 1. Januar 2019

Eine Verpflichtung zu einem geschlossenen elektronischen Informationskreislauf gibt es erst ab dem 1. Januar 2019. Dann haben die Patienten gemäß § 31a Absatz 3 SGB V einen gesetzlichen Anspruch gegenüber Ärzten und Apotheken auf elektronisch ausgestellte und aktualisierte Medikationspläne. Außerdem erklärt die KBV, dass das Layout der Pläne bis dahin weiter entwickelt werden soll. Das alles führt auch in den Apotheken zu neuen technischen und organisatorischen Anforderungen. Darauf stützt sich die Erwartung, dass die Apotheken dann endlich als gleichberechtigte Beteiligte des Systems eingestuft und für ihre zusätzliche Arbeit honoriert werden.

Umgang mit dem Plan

Doch schon der Ablauf der ersten „Schonfrist“ für die Ärzte am 1. April 2017 relativiert die Schwächen des papiergebundenen Plans und erhöht seinen Nutzwert. Dies betrifft indirekt auch die Apotheken, obwohl die Forderung formal nicht an sie gerichtet ist.

Die Möglichkeit zur handschriftlichen Ergänzung des Plans in der Apotheke birgt die Gefahr, dass diese Änderungen später „untergehen“. Ob der Patient den geänderten Plan im passenden Moment beim Arzt vorlegt und das Praxispersonal diese Änderungen richtig überträgt, bleibt zweifelhaft. Doch wenn der Arzt bei weiteren Änderungen von der bei ihm gespeicherten ursprünglichen Version ausgeht, ist der Nutzen des Plans fraglich. Schlimmstenfalls verhindert ein unvollständiger Plan sogar eine kritische Prüfung, weil er fälschlich für vollständig gehalten wird.

Handschriftliche Änderungen bleiben zwar bis Ende 2018 zulässig, aber die Chancen für eine elektronische Umsetzung ohne Medienbruch steigen mit dem 1. April 2017. Denn wenn der Arzt den Plan mit einem QR-Code ausgibt, hat die Apotheke immerhin die Chance, den Plan elektronisch zu verarbeiten und die geänderte Fassung ebenfalls mit einem QR-Code zu versehen. Sofern Arztpraxis und Apotheke über einen geeigneten Scanner und die nötige Software verfügen, ist daher schon jetzt eine durchgehend elektronische Verarbeitung möglich, auch wenn sie erst ab 2019 vorgeschrieben ist.

Strategische Fragen

Ob die Apotheken hier in Vorleistung treten sollen, ist eine grundsätzliche Frage, die sowohl die Berufspolitik als auch die Beziehung zu den Patienten betrifft. Die Enttäuschung, dass der Gesetzgeber die Apotheker hier bisher nur als Randfiguren ohne Honorar eingestuft hat, ist weiterhin groß. Wenn die Apotheker dennoch alle ihre Leistungen freiwillig und ohne Honorar anbieten, sinkt zudem der Druck auf den Gesetzgeber und die Vertragspartner, die Rolle der Apotheker ab 2019 formal zu stärken. Wenn der Plan dagegen jetzt hinter den Erwartungen zurückbleibt, wird um so deutlicher, dass er ohne Apotheker nicht funktionieren kann. Damit stellen sich folgende Fragen:

  • Sollen die Apotheker beim Medika­tionsplan nur „Dienst nach Vorschrift“ leisten oder von sich aus mehr bieten?
  • Und was könnte das sein? Was können Apotheken ohne zusätzliches Honorar anbieten, weil es ihnen auch bei ihren eigenen Prozessen hilft oder als Kundenbindungsinstrument dient?
  • Und was können sie auf keinen Fall ohne zusätzliches Honorar bieten, weil es komplett neue Leistungen sind, die in der Apotheke erhebliche Kosten verursachen?

Nutzen des Plans

Ein korrekter, aktueller und vollständiger Medikationsplan ist die Grundlage für alle weiteren Leistungen der patientenorientierten Pharmazie. Im Idealfall eröffnet er den Weg zur Medikationsanalyse und zum Medikationsmanagement. Diese aufwendigen neuen Leistungen erfordern auf jeden Fall ein eigenes Honorar.

Doch ein verlässlicher Medikationsplan kann auch die alltägliche abgabebegleitende Beratung wesentlich unterstützen. Wenn die ganze Medikation mit ihren Einnahmezeitpunkten bekannt ist, lässt sich beispielsweise viel anschaulicher erklären, welche Arzneimittel gleichzeitig genommen werden können und sollen. Das fördert die Therapietreue und damit den Behandlungserfolg. Außerdem lassen sich potenzielle Wechselwirkungen und andere arzneimittelbezogene Probleme besser erkennen. Die Patienten nach den Plänen zu fragen und die Pläne für die Beratung zu nutzen, kann also sehr nützlich sein. Wenn die Apotheken dabei überzeugen, kann dies zu einem Wettbewerbsfaktor gegenüber Patienten und Ärzten werden.

Weitere Vorteile eines gut gepflegten Medikationsplans betreffen die folgenreichen Kommunikationsprobleme des Alltags. Doppelverordnungen, zu geringe oder zu hohe Verordnungsmengen, falsche Konzentrationen, Verwechslungen von Arzneimitteln oder Patienten und andere Verschreibungsirrtümer lassen sich mit dieser zusätzlichen Informationsquelle besser erkennen. Wenn die Verordnung nicht zum Medikationsplan passt, sollte dies stets ein Anlass für Nachfragen sein. Ist der Plan nicht aktuell oder liegt bei der Verordnung ein Irrtum vor?

Beispiel Pflegeheim

Besonders deutlich werden die Vorteile eines „gelebten“ Medikationsplans dort, wo viele Patienten versorgt werden, die selbst ihre Medikation kaum oder gar nicht überblicken – bei Pflegeheimbewohnern. Was Apotheken hier schon heute ohne verbindliche ­gesetzliche Vorgaben leisten können, zeigt beispielsweise das Konzept von Apotheker Holger Gnekow mit seiner Adler-Apotheke in Hamburg-Wandsbek. Schon bevor die Apothekensoftwarehäuser die neuen Module für den bundeseinheitlichen Medikationsplan entwickelten, hatte die Adler-Apotheke mit einer eigenen Software die Medikationspläne ihrer zahlreichen Pflegeheimpatienten erfasst. Dabei gehen mehr Daten ein, als der bundeseinheitliche Medikationsplan vorsieht. Insbesondere werden der Gültigkeitszeitraum, der verordnende Hausarzt oder Facharzt und das tatsächlich abgegebene Fertigarzneimittel erfasst. Doch die Software generiert auch einen Plan im Format des bundeseinheitlichen Medikationsplans und kann Änderungen aus einem solchen Plan übernehmen. Das alles ist über das Ausdrucken und Einlesen des QR-Codes möglich, sofern auch der Arzt diese Technik nutzt und den Medikationsplan dann digital faxt oder als pdf-Datei an die Apotheke mailt. Analoges Faxen zerstört jedoch den QR-Code. Die Rezeptdaten werden typischerweise in der Apotheke eingegeben, aber die Software kann noch mehr. Im Rahmen der vertraglich geregelten Pflegeheimversorgung kann die Datei als zentrales Informationsmedium von Ärzten, Apotheke und Pflegeheim dienen, die die Daten gemeinsam nutzen können. Sofern eine diesbezügliche Einwilligung des Patienten vorliegt, können die Ärzte aus ihrer Praxis heraus selbst Medikationsdaten ändern oder neue Verordnungen ergänzen. Dann lässt sich sofort prüfen, ob das vorgelegte Rezept zur gewünschten neuen Medikation passt. Nach den Erfahrungen von Gnekow wissen Ärzte und Heime den schnellen Zugriff auf die stets aktuellen Daten als Service der Apotheke sehr zu schätzen und auch die Apotheke profitiert von den Daten, insbesondere bei der Verblisterung.

Chancen für die Apotheken

Gnekow betont gegenüber der DAZ, dass Apotheken für eine solche Schnittstellenfunktion in der Arzneimittelversorgung ideal geeignet sind. Denn sie hätten den Kontakt zum Hausarzt, zu den Fachärzten und zum Pflegeheim, seien über den Versorgungsvertrag legitimiert und bräuchten die Daten für ihre pharmazeutischen Aufgaben. Gnekow mahnt daher seine Kollegen, den Medikationsplan nicht aus Enttäuschung über die politischen Rahmenbedingungen zu blockieren, sondern seine Chancen trotzdem zu nutzen. Angesichts der bisher erkennbaren Zurückhaltung vieler Ärzte beim Medikationsplan fordert Gnekow sogar: „Wir müssen aktiv die Medikationspläne erstellen und dürfen nicht auf die Ärzte warten.“ Dazu müssten die Apotheker allerdings selbst über die nötige Software verfügen. Die Apotheker sollten die Chance nutzen und den Medikationsplan jetzt voranbringen, meint Gnekow. Denn auch Krankenkassen oder Internet-Giganten wie Google würden solche Instrumente entwickeln und damit die Apotheken aus ihrer zentralen Stellung im Versorgungssystem verdrängen. Doch die Patienten und ­Heilberufler vor Ort bräuchten solche bundesweiten Konzepte nicht. „Wir brauchen keine bundesweite zentrale Patientenakte, sondern regionale Lösungen“, sagt Gnekow und spielt damit längst nicht nur auf die Versorgung von Heimpatienten an. Für die Apotheken sei es eine große Chance, die Standards vorzugeben.

Ausblick

Wenn der Medikationsplan so eingesetzt wird, ist er kein zusätzlicher Kostenfaktor, sondern ein strategisches Instrument der Apotheke. Doch das Beispiel der Adler-Apotheke in Hamburg-Wandsbek ist bisher eine seltene Ausnahme. Zudem sind nicht alle Aspekte auf mobile Patienten außerhalb von Heimen übertragbar. So dürften sich beim Medikationsplan langfristig viele Nutzungsvarianten ergeben. Daher sollte der Grundsatz gelten, dass eine neue Leistung auch zusätzlich honoriert werden muss.

Ein angemessenes Honorar für alle beteiligten Heilberufler könnte auch zu einem neuen Impuls für die Verbreitung des Plans werden. Denn Gespräche unter Apothekern und der Blick in die Medien zeigen, dass der Medikationsplan noch längst keinen Hype ausgelöst hat. Nach einigen Berichten zur Einführung des Plans im Oktober 2016 ist es eher still um das Thema geworden. Weder Ärzte- noch Apothekerorganisationen werben offensiv für den Plan. Um das Interesse der Patienten zu steigern, müsste der Plan emotional aufgeladen werden und es müsste mehr Bewusstsein für arzneimittelbezogene Probleme und die möglichen Lösungen geschaffen werden. Der Plan könnte beispielsweise als ein „Stück Sicherheit“ propagiert werden. Arzneimittelbezogene Probleme, mit denen dies zu erläutern wäre, gibt es genug. |

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