Aus den Ländern

Targetierte Krebstherapien im Kommen

15. NZW München und 3. Fachtagung Orale Krebstherapie

MÜNCHEN (pj) | Am 9. und 10. September fanden in der bayerischen Landeshauptstadt der 15. NZW München und die 3. Fachtagung Orale Krebstherapie statt, die von rund 430 Teilnehmern besucht wurden. Schwerpunkte waren medizinische Grundlagen und aktuelle Entwicklungen in der Onkologie sowie die Therapie mit oralen Zytostatika.
Foto: DAZ/pj
Klaus Meier

Die Bezeichnung NZW leitet sich vom Norddeutschen Zytostatika-Workshop ab, der erstmals vor 24 Jahren im kleinen Rahmen in Hamburg stattfand. Themen und Besucherzahlen wuchsen ständig, sodass der NZW erweitert und ergänzt wurde und heute zu den größten pharmazeutisch-onkologischen Fachtagungen in Deutschland zählt. Inzwischen gibt es drei NZWs mit unterschiedlichen Schwerpunkten: den NZW in Hamburg-Harburg mit breit gefächerter Themenvielfalt, den NZW in Dresden zur Arbeits­sicherheit und den NZW in München. Bei dessen Eröffnung betonten Klaus Meier, Soltau, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Onkologische Pharmazie (DGOP), und Prof. Günther Wiedemann, Ravensburg, die Notwendigkeit, sich angesichts der ständig wachsenden Zahl an Krebspatienten die Grundlagen der Onkologie sowie der Tumortherapien anzueignen.

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Prof. Günther Wiedemann

In Deutschland erkranken 51 Prozent der Männer und 43 Prozent der Frauen an Krebs, die eine Hälfte wird geheilt – aber nicht sofort –, die andere Hälfte stirbt an der Krankheit – aber nicht sofort. Das heißt, viele Millionen Tumorpatienten sind auf die Betreuung durch Arzt, Apotheker und Pflege angewiesen.

Aktuelle Therapiekonzepte

Medizinische Themen der Tagungen waren z. B. chirurgische Aspekte am Beispiel der Resektion von Lebermetastasen oder der Operation des Harnblasenkarzinoms. Aus radiologischer Sicht wurden die bildgebende Dia­gnostik von Tumorerkrankungen und die Langzeitfolgen einer Strahlen­therapie aufgezeigt.

Die Mehrzahl der Vorträge befasste sich mit medizinisch-pharmazeutischen Themen, wie etwa mit aktuellen Therapiekonzepten beim Multiplen Myelom, beim kolorektalen Karzinom oder beim fortgeschrittenen Prostatakarzinom sowie mit der stratifizierten Therapie von Lungenkrebs. Dabei wurde mehrmals auf das immer größer werdende Problem der targetierten Behandlungen hingewiesen: Je mehr Treibermutationen bekannt sind, umso kleiner werden die Patientenzahlen, die für eine stratifizierte Therapie infrage kommen. Das heißt, randomisierte Studien werden immer schwieriger oder gar unmöglich.

Ein weiteres Thema, das in mehreren Vorträgen zur Sprache kam, waren die immunonkologischen Therapieansätze. Sie gelten als Hoffnungsträger, deren Schattenseiten – das sind immuno­logisch bedingte Nebenwirkungen – aber nicht zu unterschätzen sind.

Supportivmaßnahmen

Ein Vortragsblock war unerwünschten Wirkungen und den entsprechenden Supportivmaßnahmen gewidmet. Hier wurden u. a. supportive Möglichkeiten bei einer Therapie mit niedermolekularen Kinase-Inhibitoren, beim Zyto­statika-induzierten Erbrechen oder bei kardialen Nebenwirkungen erläutert. Überlebende einer Tumorerkrankung können Jahre später (20 Jahre sind nicht ungewöhnlich) kardiovaskuläre Probleme entwickeln. Dieser Tatsache wurde erstmals in einem europäischen Positionspapier Rechnung ge­tragen, das auf dem diesjährigen europäischen Kardiologen-Kongress erstellt wurde.

Bei den gynäkologischen Tumoren standen die Behandlung einer Brustkrebserkrankung während der Schwangerschaft sowie die Bewahrung der Fruchtbarkeit junger Patientinnen mit Unterleibskrebs im Vordergrund. Beim Ovar-, Zervix- oder Korpuskarzinom sollte in jedem Fall an operative Möglichkeiten der Fertilitätserhaltung sowie an die Kryokonservierung von Eizellen gedacht werden. Entsprechende Informationen finden sich z. B. bei beim Netzwerk Fertiprotekt, einem Zusammenschluss von Zentren in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die sich mit der Fertilitätsprotektion beschäftigen: www.fertiprotekt.com.

Orale Zytostatika in der öffentlichen Apotheke

Durch die ständig wachsende Zahl oraler Tumortherapeutika kommen auf die Mitarbeiter öffentlicher Apotheken neue Aufgaben bei der Arzneimittelabgabe zu:

  • die kompetente Beratung zur Einnahme,
  • die Stärkung der Adhärenz sowie
  • die Aufklärung über Neben­wirkungen.

Viele Gründe also, sich mit oralen Zytostatika vertraut zu machen. Ein Überblick zu neuen oralen Therapien, zum Umgang mit unerwünschten Wirkungen und zu Besonderheiten bei der Betreuung spezieller Patientengruppen verdeutlichte die Wichtigkeit einer kompetenten Beratung. Diese Einschätzung spiegelt sich auch in einem neuen Fortbildungsmodul zur oralen Tumortherapie wider, das einige Kammern anbieten.

Wie gelangt die Arznei ins Kind?

Bis vor wenigen Jahren gab es für orale Zytostatika, die bei Kindern eingesetzt werden, häufig weder geeignete Darreichungsformen noch passende Dosierungen. Das heißt, Eltern und Betreuer waren mitunter gezwungen, Tabletten mit cmr-Eigenschaften zu teilen oder zu zermörsern, was mit der Freisetzung von Stäuben sowie Über- und Unterdosierungen verbunden war. Zwischenzeitlich sind einige kindgerechte Dosierungen auf dem Markt. Prof. Jörg Breitkreutz, Düsseldorf, nannte hier niedrig dosierte 5-Mercaptopurin-haltige Tabletten sowie eine 5-Mercaptopurin-haltige Suspension.

Es galt lange als Dogma, dass für Säuglinge und Kleinkinder nur flüs­sige Oralia infrage kommen. Dem wurde in Akzeptanzstudien widersprochen, in denen sich zeigte, dass auch Minitabletten für diese Patientengruppe geeignet sind. Weitere innovative Entwicklungen sind orodispersible Tabletten und orodispersible Filme mit variabler Dosiseinteilung.

Einnahme von TKIs – ein russisches Roulette?

Wie Prof. Werner Weitschies, Greifswald, hervorhob, sind viele Fragen bei der Einnahme oraler Zytostatika – insbesondere der Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKIs) – nicht oder nur unzulänglich geklärt. Voraussetzung für eine zuverlässige und sichere Wirkung sind konstante Resorptionsraten aus dem Gastrointestinaltrakt, die allerdings sehr stark von den Einnahme­bedingungen abhängen („russisches Roulette“). Die in Food-Effekt-Studien vorgeschriebenen Prüfbedingungen sind in der Realität nicht einzuhalten, was insbesondere für die nüchterne Einnahme gilt. Die auf solchen Studien basierenden Empfehlungen, orale Zytostatika mit positivem Food-Effekt, d. h. einer erhöhten Resorption bei der Einnahme mit Nahrung (z. B. Lapatinib oder Nilotinib), eine Stunde vor oder zwei Stunden nach der Mahlzeit einzunehmen, bergen das Risiko ex­trem variabler Plasmaspiegel und verringern nicht, wie behauptet, die Variabilität. Laut Weitschies sollten orale Zytostatika unter stets gleich bleibenden Bedingungen eingenommen werden. Beim Auftreten unerwünschter Wirkungen müssen auch die Einnahmemodalitäten hinterfragt werden. |

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