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Praxis
„Geben Sie mir die Pille – ich bin Arzt!“
Zum Umgang mit ärztlichem Eigenbedarf
„Geben Sie mir eine Packung Novaminsulfon-Tropfen“, wünscht ein selbstbewusster unbekannter Kunde. „Die Tropfen gegen Schmerzen“, antwortet der Apotheker freundlich „sind verschreibungspflichtig. Sie benötigen ein Rezept eines Arztes, damit ich sie Ihnen aushändigen darf.“ Der Kunde entgegnet: „Ich bin selber Arzt, ich benötige kein Rezept!“
Wenn er tatsächlich Arzt ist, dann hat er Recht. Ein Arzt benötigt für den Erwerb eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels für den Eigenbedarf kein schriftliches Rezept. Wenn er tatsächlich Arzt ist, sollte er jedoch wissen, dass er sich in der Apotheke als Arzt identifizieren können muss. Der entsprechende Text der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) § 4 (2) lautet: „Für den Eigenbedarf einer verschreibenden Person bedarf die Verschreibung nicht der schriftlichen oder elektronischen Form. Absatz 1 Satz 2 [nämlich: „Der Apotheker hat sich über die Identität der verschreibenden Person Gewissheit zu verschaffen.“] gilt entsprechend.“
Eine erste Frage, die sich immer wieder stellt, ist die nach einer gültigen Identifikation. Es wurden schon vergilbte Approbationsurkunden, Mitgliedsausweise für den Marburger Bund oder Visitenkarten vorgelegt. Hier muss im Zweifelsfall bei der zuständigen Ärztekammer nach einer gültigen Approbation gefragt werden. Die meisten Chef- und Oberärzte von großen Kliniken kann man mit Bild und Lebenslauf auf der Homepage des Krankenhauses finden. Sie machen es uns manchmal schwer, dabei könnte es doch so leicht sein, einfach den gültigen Arztausweis vorzulegen.
Eine zweite weitreichendere Frage ist, welche Arzneimittel ein Arzt für den Eigenbedarf aus der Apotheke kaufen darf. Entgegen der Auffassung vieler Ärzte gilt, dass jeder Arzt ausschließlich im Rahmen seiner Berufsbezeichnung (Arzt, Zahnarzt, Tierarzt) Arzneimittel verordnen darf und entsprechend auch für den Eigenbedarf erwerben darf.
Zum Beispiel Tierarzneimittel
Der Hausarzt aus der Nachbarschaft möchte eine verschreibungspflichtige Wurmkur für seinen Golden Retriever. Er benötigt dafür ein Rezept von einem Tierarzt. Denn verschreibungspflichtige Tierarzneimittel dürfen nur an Tierärzte für den Eigenbedarf abgegeben werden, nicht etwa an einen Arzt für Allgemeinmedizin. Die Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zugelassen zur Anwendung bei Tieren muss (nach § 19 ApBetrO) dokumentiert werden. Bei der Abgabe benötigen Apotheken ein Duplikat der Verschreibung mit Informationen über Name und Anschrift des Empfängers (Tierhalters), Name und Anschrift des verschreibenden Tierarztes, Bezeichnung und Menge des Arzneimittels (einschließlich seiner Chargenbezeichnung) und das Datum der Abgabe. Für den Eigenbedarf müssen hier Name und Anschrift des Tierarztes und des Empfängers festgehalten werden, die in dieser Situation gleich lauten werden. Die Abgabe von verschreibungspflichtigen Tierarzneimitteln an Ärzte oder Zahnärzte ist nicht erlaubt.
Nach einer amtlichen Begründung des Bundesministeriums für Gesundheit (in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) umfasst der Begriff Eigenbedarf im Veterinärbereich sowohl den Bedarf für das eigene Tier als auch für die eigene Praxis [1]. Er umfasst jedoch nicht den Eigenbedarf für den Tierhalter, also für den Tierarzt selbst.
Humanarzneimittel können ebenfalls Eigenbedarf für den Tierarzt sein, wenn sie tatsächlich zur Anwendung an einem Tier gekauft werden. Hier ist nur schwer eine Grenze zu ziehen. Denn zahlreiche Wirkstoffe zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Schilddrüsenerkrankungen werden sowohl von Humanmedizinern als auch von Tierärzten zur Therapie ihrer Patienten eingesetzt. Möchte ein Tierarzt z. B. Sildenafil kaufen, wird er dem Apotheker glaubhaft erklären müssen, dass er dieses Mittel im Off-label-Use zur Behandlung einer arteriellen Hypertonie bei Hunden einsetzen möchte. Dafür wird er sicherlich über die behandelte Hunderasse und die Dosierung (0,25 bis 0,3 mg/kg Körpergewicht p. o.) Bescheid wissen.
Das Hinterfragen einer Verschreibung ist in § 17 ApBetrO Erwerb und Abgabe von Arzneimitteln und Medizinprodukten Abs. 5 verankert: „Die abgegebenen Arzneimittel müssen den Verschreibungen und den damit verbundenen Vorschriften des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur Arzneimittelversorgung entsprechen. Enthält eine Verschreibung einen für den Abgebenden erkennbaren Irrtum, ist sie nicht lesbar oder ergeben sich sonstige Bedenken, so darf das Arzneimittel nicht abgegeben werden, bevor die Unklarheit beseitigt ist [...]. Die Vorschriften der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung bleiben unberührt“.
Eine Verschreibung zu hinterfragen bedeutet, Mitverantwortung zu übernehmen zum Schutz des Anwenders. Braucht ein Tierarzt ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel für sich selbst, so z. B. eine Tierärztin ein hormonelles Kontrazeptivum, dann darf dieses Arzneimittel nur bei Vorliegen einer gültigen ärztlichen Verordnung abgegeben werden [3].
Jeder Tierarzt kann allerdings auch verschreibungspflichtige Arzneimittel über den Großhandel beziehen, ob für seine Praxis oder für sich selbst, hinterfragt der Großhandel nicht.
Behandlungsbereich des Zahnarztes
Eine ähnliche Einschränkung gilt nach der zurzeit gültigen Rechtssprechung auch für Zahnärzte. Mit der Approbation als Zahnarzt wird die Befähigung zur Ausübung der Zahnheilkunde erworben. Zahnheilkunde ist nach § 1 Abs. 3 Zahnheilkundegesetz definiert als „berufsmäßige auf zahnärztlich wissenschaftliche Erkenntnis gegründete Feststellung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kiefererkrankungen. Als Krankheit ist jede von der Norm abweichende Erscheinung im Bereich der Zähne, des Mundes und der Kiefer anzusehen, einschließlich der Anomalien der Zahnstellung und des Fehlens von Zähnen.“ In diesem Rahmen darf der Zahnarzt therapeutische Entscheidungen treffen, also auch in Bezug auf Arzneimittel. Das gilt sowohl für die Verschreibung von Arzneimitteln als auch für den Eigengebrauch. Es gilt auch hier der umfassende Schutzgedanke der Verschreibungspflicht.
Ein höchstrichterliches Urteil aus dem Jahr 1955 (BGH Urteil vom 14. Februar 1955, Az.: 3 StR 479/54) besagt: „Eine Verschreibung ist nur dann als ordnungsgemäß zu betrachten, wenn sie für das Gebiet der Wissenschaft erfolgt, in dem der Verschreibende ausgebildet wurde und für das er seine Approbation erhalten hat.“ Es ist die Frage, ob eine aktuelle Beurteilung in diesem Punkt heute anders ausfallen würde. Denn 1955 gab es noch den Dentisten als Ausbildungsberuf, und die Zahnmedizin steckte in den Kinderschuhen, während die heutige Approbationsordnung Examina in Fächern wie innere Medizin, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Dermatologie und Venerologie, Mikrobiologie und selbstverständlich auch Pharmakologie zur Pflicht macht. Eine Verschreibung könnte in diesem Rahmen als ordnungsgemäß betrachtet werden, weil ein Zahnarzt hierin ausgebildet wurde.
Die Auslegung dieses Urteils beinhaltet zahlreiche Grenzfälle, wie weit die Verordnungsbefugnis eines Zahnarztes reicht. Über Antibiotika und Analgetika hinaus gehören z. B. auch Sedativa und Hypnotika zur Behandlung von Angstpatienten in den Therapiebereich. Für den Praxisbedarf benötigt der Zahnarzt darüber hinaus ein umfangreiches Notfallsortiment bestehend aus verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gegen hypertone Krisen, Angina-pectoris-Anfällen, Asthma, allergischen Reaktionen oder Schockzuständen, die er in entsprechenden medizinischen Notfallsituationen verabreichen muss, übrigens ohne vorher einen ärztlichen Kollegen um ein Rezept bitten zu müssen.
Verschiedene Zahnärztekammern sehen diese Einschränkung im Zugriff auf verschreibungspflichtige Arzneimittel als Beschränkung ihrer Berufsausübung. Sie sehen Zahnmedizin nicht neben der Humanmedizin, sondern als Teil der Humanmedizin, und entsprechend könne man nicht „humanmedizinische“ und „zahnmedizinische“ Arzneimittel voneinander trennen. Genauso wenig gibt es einen Unterschied zwischen „humanmedizinischer“ und „zahnmedizinischer“ Pharmakologie. Diese Rechtsauslegung wurde von der Bundeszahnärztekammer vor wenigen Jahren deutlich unterstützt [2].
Im Kammerbereich Westfalen-Lippe z. B. gibt es Zahnärzte, die auf eigenen (Zahnarzt-)Kassenrezepten für sich selbst (und manchmal auch für Angehörige) die gesamte ärztliche Therapie zulasten ihrer (gesetzlichen) Krankenkasse verordnen. Zudem ist der freie Zugang zu verschreibungspflichtigen Arzneimitteln Grundlage für besondere Arzt- und Zahnarzt-Tarife von privaten Krankenversicherungen. Hier wird vorausgesetzt, dass auch Zahnärzte sich umfassend selbst therapieren. Und es scheint, dass in den letzten Jahrzehnten durch diese Selbsttherapie kein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist. Sonst wären die Krankenkassen die ersten, die Einspruch gegen dieses Vorgehen erhoben hätten. Hier profitieren offensichtlich Krankenkassen von dem Umstand, dass für einen Zahnarzt, der sich selbst (offensichtlich erfolgreich) therapiert, keine weiteren Kosten für ärztliche Leistungen anfallen. Der Verstoß gegen § 17 Abs. 5 ApBetrO (das heißt eine Belieferung von Verschreibungen, die Bedenken auslösen, ohne sie beseitigen zu können) ist übrigens nicht strafbewehrt.
In diesem Zusammenhang stellt sich übrigens auch die Frage nach dem Eigenbedarf für Apotheker. Hierbei handelt es sich nicht um eine „Abgabe von Arzneimitteln“, deshalb fällt dieser Vorgang nicht unter die Arzneimittelverschreibungsverordnung.
Die ABDA und die Bundeszahnärztekammer haben sich im letzten Jahr „für klärende Gespräche“ getroffen, „um zu einer einvernehmlichen Regelung zurückzukehren.“ Offensichtlich haben diese Gespräche zu keiner Einigung geführt. Eine abschließende Erklärung durch die Bundeszahnärztekammer steht noch aus [3].
Eigenbedarf für Ärzte
Für Ärzte gibt es in Bezug auf die Verschreibungspflicht keine Differenzierung nach ärztlicher Fachrichtung. Es gilt hier die Approbation als Arzt, die dem Arzt erlaubt (und ihn befähigt), jedes Humanarzneimittel einzusetzen, ob in einer Verschreibung oder für den Eigenbedarf. So darf ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt für sich selbst Tamsulosin-Tabletten kaufen, eine Augenärztin Codein-Tropfen oder eine Gynäkologin Pantoprazol-Tabletten oder Analgetika. Aber auch hier dürfen (und müssen) Apotheker (nach § 17 Abs. 5 ApBetrO) bei wiederholtem Kauf von großen Mengen ansonsten sinnvoller Arzneimittel die therapeutische Sinnhaftigkeit hinterfragen und der Gynäkologin z. B. beim wiederholten Kauf großer Mengen Pantoprazol und Antazida zu einem Facharztbesuch raten.
Betäubungsmittel für den Eigenbedarf?
Arzneimittel, die der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) unterliegen, dürfen übrigens nie ohne Rezept abgegeben werden, auch nicht für den Eigenbedarf. Für jede Abgabe ist ein BtM-Rezept erforderlich, das eine Dokumentation ermöglicht. Welche Betäubungsmittel von Arzt, Zahnarzt oder Tierarzt in welchen Höchstmengen verordnet werden dürfen, ist in den §§ 2 – 4 der BtMVV festgelegt. Besondere Regelungen für den Eigenbedarf gelten hier nicht. |
Literatur
[1] Schmidt M. Eigenbedarf von Ärzten, PTA heute 2016;(11):88-89
[2] Pohl H. Zahnheilkunde ist Humanmedizin. Zm 98 2008;(16):2266-2668
[3] Sucker-Sket K. Keine Antibabypille für Tierärzte, DAZ-online, 11. März 2016
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