Gesundheitspolitik

Generalanwalt rüttelt an ­Rx-Fixpreis-System

Verfahren um Rx-Boni vor dem Europäischen Gerichtshof weiterhin offen

BERLIN (ks) | Im Streit um die (Nicht-)Zulässigkeit von Rezept-Boni der niederländischen Versandapotheke DocMorris hat der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) seine Schlussanträge veröffentlicht. Während DocMorris nun von einem ersten Sieg in Luxemburg träumen dürfte, setzt die ABDA darauf, dass der Gerichtshof an die Empfehlungen des Generalanwalts nicht gebunden ist. Denn: Dieser meint, es sei nicht mit dem Europarecht vereinbar, wenn sich auch ausländische Versandapotheken an die deutsche Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel halten müssen. Selbst wenn deutschen Apotheken Rx-Boni verwehrt sind. Ein Urteil ist in drei bis sechs Monaten zu erwarten. Fällt es tatsächlich so aus, wie es der Generalanwalt empfiehlt, würde das ­dazu führen, dass deutsche Apotheken gegenüber ausländischen Versendern diskriminiert werden. Das werden sie wohl nicht auf sich sitzen lassen. Es besteht dann die Gefahr, dass das ganze Fix-Preissystem vor dem Ende steht.

Dem Verfahren vor dem EuGH liegt ein Rechtsstreit zwischen der Wettbewerbszentrale und der Deutschen Parkinson Vereinigung (DPV) zugrunde. 2009 hatte die Selbsthilfeorganisation ihren Mitgliedern eine Kooperation mit DocMorris vorgestellt: Sie sollten beim Bezug ihrer verschreibungspflichtigen Arzneimittel über die niederländische Apotheke einen Rezeptbonus von 2,50 Euro erhalten und einen „Extrabonus“ in Höhe von 0,5 Prozent des Warenwertes des Medikamentes. Dies beanstandete die Wettbewerbszentrale – zunächst erfolgreich: Das Landgericht Düsseldorf untersagte der DPV eine derartige Empfehlung – es liege ein Verstoß gegen das Preisrecht vor.

© Kai Felmy

Eingriff in den freien Warenverkehr?

Doch die DPV legte Berufung ein und der Fall ging vor das Oberlandesgericht Düsseldorf. Dieses rief sodann den EuGH an – obwohl deutsche Gerichte den Sachverhalt eigentlich hinreichend geklärt hatten. Das OLG wollte dennoch wissen, ob es eine Behinderung des freien Warenverkehrs – eine der zentralen europäischen Grundfreiheiten – darstellt, wenn sich Preisbindungsregelungen auch auf Arzneimittel erstrecken, die von ausländischen Versandapotheken an deutsche Kunden ausgeliefert werden. Falls ja, sollte der EuGH erklären, ob diese Maßnahme aus Gründen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt ist.

Nachdem bei der mündlichen Verhandlung in Luxemburg im vergangenen März noch nicht absehbar war, wie der Streit ausgehen könnte, hat der polnische Generalanwalt Maciej Szpunar nun einen Weg vorgezeichnet. Er sagt: Die Rx-Preisbindung beschränke den freien Warenverkehr, weil die niederländische Versandapotheke es schwerer habe als die deutsche Vor-Ort-Apotheke. Seine Kernaussage: „Die Belieferung über den Versandhandel ist für eine deutsche Apotheke nur ein zusätzlicher Vertriebsweg, während sie für eine nicht deutsche Apotheke der einzige Vertriebsweg ist.“

Doch ein solcher Eingriff in den freien Warenverkehr kann gerechtfertigt sein – etwa aus Gründen des Gesundheitsschutzes. Dafür hatte auch die Bundesrepublik im Verfahren plädiert – obwohl sie im Grunde schon die Beschränkung verneinte. Der polnische Generalanwalt stellt sich nun aber gegen die deutschen Argumente. In seinen Schlussanträgen erklärt er, Deutschland befürchte, ein stärkerer Wettbewerb würde dazu führen, dass die traditionellen deutschen Apotheken mit ihrem hohen Grad an Professionalität bei der Information und Beratung der Kunden die Qualität ihrer Dienstleistungen vermindern müssten, um im Wettbewerb mitzuhalten. Dazu Szpunar: „Es ist für mich schwer vorstellbar, warum bei einem stärkeren Wettbewerb die Apotheker die Qualität ihrer Dienstleistungen vermindern sollten. Ich würde erwarten, dass das Gegenteil eintritt.“

ABDA: nicht nachvollziehbar

Für die Wettbewerbszentrale, die im Ausgangsverfahren geklagt hatte, sind die Schlussanträge ­natürlich ein Dämpfer. Ebenso für deutsche Apotheken, die überzeugt sind, dass die festen Rx-Preise ihren Sinn haben. ABDA-Präsident Friedemann Schmidt erklärte, es sei „nicht nachzuvollziehen“, dass der Generalanwalt die Gründe des deutschen Gesetzgebers für eine grenzüberschreitende Preisbindung nicht für ausreichend erachtet. Er weiche damit von der gefestigten Rechtsprechung des EuGH und der deutschen Gerichte ab, wonach den EU-Mitgliedstaaten ein Gestaltungsspielraum im Gesundheitswesen zusteht. Auch das deutsche Bundesverfassungsgericht hatte erst kürzlich keinen Anlass für Bedenken gesehen. Schmidt hat die Hoffnung aber noch nicht verloren: „Letztlich entscheidet nun die zuständige Kammer des EuGH, die nicht an die Empfehlungen des Generalanwalts gebunden ist“.

Das letzte Wort ist also noch nicht gesprochen. Auch wenn es heißt, in gut 80 Prozent der Fälle halte sich der EuGH an die Vorschläge der Generalanwaltschaft. Anders war es beispielsweise im Versandhandelsverfahren: 2003 hatte hier die Generalanwältin dafür votiert, dass dieser umfassend zugelassen werden müsse. Das Gericht entschied damals anders: Nur ein Versandhandelsverbot für OTC sei unzulässig. Das Rx-Versandverbot könne hingegen aus Gründen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt sein.

Rx-Versandverbot als Alternative

Auf diese Entscheidung weist nun auch der Rechtswissenschaftler Dr. Elmar Mand hin. Er hält die Schlussanträge für rechtlich nicht überzeugend. Nicht zuletzt deshalb setzt er noch auf eine andere Entscheidung des Gerichts. Anderenfalls sei das bisherige Festpreissystem für Rx-Arzneimittel in Deutschland obsolet. Allerdings bliebe eine Alternative, so Mand: Man könnte den Rx-Versandhandel wieder verbieten – dies ginge mit dem EuGH konform. Für eine solche Lösung spreche auch die eklatante Zunahme gefälschter Arzneimittel, die – trotz aller Bemühungen um eine sichere Identifizierung legaler und sicherer ­Versandapotheken – nahezu ausschließlich über dubiose Online-Apotheken vertrieben werden. |

Lesen Sie hierzu auch den Kommentar "(K)ein Grund zur Panik?" von Christine Ahlheim.

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