- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 33/2015
- Morbus Biergarten
Top beraten!
Morbus Biergarten
Nebenwirkungen der Gichttherapie
Herr M. kommt regelmäßig alle drei Monate in die Apotheke, um sich seine Dauermedikation für eine stabile Angina pectoris abzuholen. Er ist ein typischer Münchner mit Bierbauch und auch sonst genießt er seinen Ruhestand und das Leben. Das führt immer wieder dazu, dass er außerhalb der Reihe die Apotheke aufsucht und Colchicum dispert® und Diclofenac-Tabletten mitnimmt.
An einem Samstag ist es wieder so weit. Er hat die heißen Tage im Biergarten verbracht und berichtet über einen akuten Gichtanfall, den er am Zwicken und an der Schwellung seiner großen Zehe erkannt hat. Sogleich überreicht er uns auch ein Rezept von seinem Hausarzt über Colchicum-dispert®-Tabletten. Von den Diclofenac-Tabletten habe er noch welche daheim, erzählt Herr M. auf Nachfrage, da er diese auch für seine Arthrose-Schmerzen bräuchte und dadurch immer einen größeren Vorrat daheim habe. Im Gespräch und aus der Kundenkarte erfahren wir, dass er kein Allopurinol nimmt. Herr M. meint, dass seine Gichtanfälle nicht so häufig seien und wenn, dann helfen die Colchicin-Tabletten ihm sehr gut und alles sei innerhalb weniger Tage wieder vorbei. Nur der Durchfall, den er immer auf die Tabletten bekäme, sei ihm etwas lästig. Aber auch der gehe wieder vorbei. Einem weitergehenden Beratungsangebot steht er ablehnend gegenüber und fordert, dass man ihm jetzt endlich seine Tabletten aushändigt. Da aber das Kassensystem eine Grad-1-Interaktion (schwerwiegende Folgen wahrscheinlich – kontraindiziert) anzeigt, bitten wir ihn noch kurz zu warten. Wir möchten mit dem Arzt die Interaktion besprechen und die aufgekommenen Fragen klären.
Fakten-Check:
Geschlecht: männlich
Alter: 74 Jahre
Symptome, Problembeschreibung: akuter Gichtanfall
weitere Diagnosen: stabile Angina pectoris, Arthroseschmerzen, Adipositas
Medikation: ASS 100 mg, Ramipril 5 mg, Diltiazem 90 mg, ISMN 40 mg, Pantoprazol 40 mg, bei Bedarf: Diclofenac 50 mg, Colchicin
Das Problem
Interaktion Diltiazem und Colchicin
Diltiazem ist ein Inhibitor von CYP3A4 bzw. P-Glykoprotein (P-gp), das bedeutet, dass Colchicin, welches ein Substrat für diese Enzyme ist, weniger gut eliminiert wird und sich im Körper anreichern kann. Es kann dadurch zu Colchicum-Intoxikationen kommen, die sich in Symptomen wie Fieber, Erbrechen, Übelkeit und Durchfällen äußern kann; in schweren Fällen auch in Myalgien und Blutbildschäden.
Der Mechanismus erfolgt über die Hemmung des CYP3A4 und des P-Glykoproteins. CYP3A4 gehört zur Superfamilie der Cytochrome P450. Im Körper übernehmen sie wichtige Funktionen im Metabolismus von Steroiden, Fettsäuren, Gallensäuren, Eicosanoiden, Vitaminen und vielen anderen endogenen Substanzen. Gerade bei der Phase-I-Reaktion der Metabolisierung spielen die CYP-Enzyme eine herausragende Rolle. Die Superfamilie der Cytochrome P450 gliedert sich nach der Sequenzähnlichkeit in Familien, Unterfamilien und die einzelnen Enzyme. So steht CYP für das Gensymbol, 3 für die Familie und A für die Unterfamilie. Die letzte Zahl (hier 4) beschreibt die Nummerierung der Enzyme dieser Unterfamilie (also 4. Enzym der Unterfamilie). Die Familien 1, 2, und 3 sind vor allem für die Metabolisierung körperfremder und Arzneistoffe verantwortlich. Über CYP3A4 werden ca. 50% aller Wirkstoffe verstoffwechselt – Interaktionen sind also vorprogrammiert.
Dieser Mechanismus kommt auch bei Diltiazem zum Tragen, wobei Diltiazem ein Inhibitor des CPY-Enzyms ist und Colchicin ein Substrat von CYP, welches darüber verstoffwechselt wird.
Beurteilung von Schwere und Relevanz der Interaktion
Die ABDATA-Datenbank gibt die Relevanz dieser Interaktion als sehr hoch an (Grad 1 Interaktion). Recherchiert man aber in den einschlägigen Datenbanken, findet man teilweise andere Ergebnisse. Bei allen Datenbanken war die Interaktion als relevant eingestuft, aber nicht in dem Maße, wie sie bei uns im Kassensystem erscheint. Die Empfehlungen zu den zu ergreifenden Maßnahmen beschränkt sich daher oft auf eine Dosisanpassung. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass Colchicin im englischsprachigen Raum viel häufiger eingesetzt wird, da es dort andere Therapieempfehlungen gibt (siehe „Was wäre, wenn ...“). Dadurch wurde die Interaktion mit Diltiazem schon besser untersucht und ihre Relevanz nach unten korrigiert.
Colchicin bei einem akuten Gichtanfall
Colchicin beeinflusst die Harnsäurekonzentration nicht, sondern wirkt nur entzündungshemmend und schmerzlindernd. Es wird in Dosierungen von 0,5 mg zwei- bis viermal pro Tag eingesetzt. Im Gegensatz zu den empfohlenen Therapien mit Cortison oder NSAR tritt die Wirkung bei Colchicin am langsamsten ein. Die Therapiedauer sollte bis zum Ende der Symptomatik, maximal aber für zwei Wochen fortgeführt werden. Die bei Colchicin auftretenden unerwünschten Arzneimittelwirkungen können auch als Zeichen für eine dosisabhängige Vergiftung gewertet werden; durch eine Hemmung der Dünndarmepithelien kommt es z. B. zu Diarrhöen.
Kontraindikation für Diclofenac
Herr M. hat neben seiner Gicht eine stabile Angina pectoris. Bei ischämischer Herzkrankheit ist Diclofenac aber kontraindiziert. Auch darauf sollte der behandelnde Arzt hingewiesen werden.
Maßnahmen
Wir weisen den Arzt auf die verminderte Eliminierung von Colchicin unter Diltiazem-Therapie hin. Herr M. und sein Hausarzt einigen sich schließlich auf eine reduzierte und damit angepasste Dosierung. Wir erklären Herrn M. trotzdem nochmal die Symptome einer Colchicin-Überdosierung, wozu auch Durchfall zählen kann. Sollte er diese Symptome bei sich erkennen bzw. sie sich verschlimmern, sei es wichtig, die Colchicin-Tabletten abzusetzen und sich in ärztliche Behandlung zu begeben.
Eine Alternative zu Colchicin bei der Behandlung des akuten Gichtanfalls ist in der DEGAM-S1-Handlungsempfehlung „Akute Gicht in der hausärztlichen Versorgung“ zu finden. Zur Behandlung stehen nach dieser Handlungsempfehlung an erster Stelle NSAR und Cortison (z. B. Prednisolon), welches über vier Tage in absteigender Dosierung (40 mg – 30 mg – 20 mg – 10 mg) gegeben wird. Zusätzlich kann mit Naproxen 500 mg zweimal täglich oder einem anderen NSAR der Entzündungsschmerz bekämpft werden. Hier kommt außer Naproxen nur Ibuprofen (< 2400 mg/Tag) infrage, Diclofenac ist wegen den Grunderkrankungen von Herrn M. kontraindiziert. Bei Naproxen oder Ibuprofen stellen diese (nur) eine relative Kontraindikation dar, außerdem interagieren sie mit der antihypertensiven Medikation. Daher sollten sie so kurz und so niedrig dosiert wie möglich zum Einsatz kommen. Etoricoxib hat die Zulassung zur Behandlung des akuten Gichtanfalls, steht aber auf der Priscus-Liste und ist außerdem bei koronarer Herzkrankheit kontraindiziert.
Sollte die Kombination nicht vertragen werden, kann wahlweise auch nur Cortison oder ein NSAR eingesetzt werden. Colchicin wird in der Handlungsempfehlung nur bei Kontraindikationen für Cortison und NSAR empfohlen. Die Kombination aus NSAR und Colchicin, wie Herr M. sie einsetzt, ist nicht leitliniengerecht. Treten mehr als zwei Gichtanfälle pro Jahr auf, sollte eine Harnsäure senkende Therapie in Erwägung gezogen werden (siehe auch „Was wäre, wenn ...“).
Auf einen Blick:
Problem:
Interaktion zwischen Diltiazem und Colchicin-Tabletten
Kontraindikation Diclofenac
Maßnahmen:
Dosisanpassung der Colchicin-Tabletten
Wechsel des NSAR
Was wäre, wenn ...
… der Patient seine Schmerzen mit ASS behandelt?
Acetylsalicylsäure wird bei Gicht nicht empfohlen, da es in niedriger Dosierung die Harnsäure-Ausscheidung verlangsamt und damit Anfälle provoziert. Dosierungen von mehr als 3 Gramm hingegen wirken urikosurisch. Das Anfallsrisiko steigt noch mehr, wenn sich die Patienten zur ASS-Einnahme noch purinreich ernähren. Im Gegensatz zu analgetischen ASS-Dosierungen sin zur Prävention eingesetzte niedrige Dosierungen aber für viele, kardiovaskulär gefährdete Gicht-Patienten unverzichtbar. Ein Lösungsansatz ist hier eine Allopurinol-Therapie (Cave: z. B. Ramipril-Interaktion! s. nächster Punkt), die die Harnsäure-retinierende Wirkung von ASS neutralisiert.
… Herr M. zwar ab und zu Gichtanfälle hat, sonst aber normale Harnsäure-Werte aufweist?
In diesem Fall sollte keine Prophylaxe mit Allopurinol eingeleitet werden. Nach der DEGAM-S1-Handlungsempfehlung stellen erhöhte Harnsäure-Konzentrationen ohne klinische Folgeerkrankungen keine Indikation für eine medikamentöse Therapie dar. Erhöhte Harnsäure-Konzentrationen sind nicht ursächlich für die Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen, es gibt aber Hinweise, dass erhöhte Harnsäure-Werte in Zusammenhang mit arterieller Hypertonie, kardiovaskulären Ereignissen und der Entwicklung und Verschlechterung von Nierenerkrankungen stehen könnten. Wird trotzdem eine Therapie mit Allopurinol begonnen, muss auch auf Wechselwirkungen mit z. B. Cumarinen, Immunsuppressiva und die Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz hingewiesen werden und der Patient auf mögliche Hautreaktionen als Nebenwirkung von Allopurinol sensibilisiert werden.
… der Arzt sich nicht auf die DEGAM-S1-Handlungsempfehlung beruft, sondern auf internationale Leitlinien?
In internationalen Leitlinien (US, UK) wird Colchicin als Mittel der ersten Wahl gesehen und dementsprechend eingesetzt.
… eine Niereninsuffizienz bestünde?
Laut Fachinformation ist Colchicin schon bei eingeschränkter Nierenfunktion kontraindiziert. Hier sollte nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung und unter Kontrolle der Nierenfunktion mit Colchicin therapiert werden, da sich bei eingeschränkter Nierenfunktion die Toxizität erhöht. Ebenso ist das Risiko für Myopathien erhöht, insbesondere, wenn gleichzeitig, wie hier im Fall Inhibitoren von CYP und P-Glykoproteinen verabreicht werden. Ohne CYP3A4-Inhibitoren braucht bei leicht- bis mittelgradiger Niereninsuffizienz keine Dosisanpassung vorgenommen werden, erst bei einer GFR < 30 ml/min. Bei gleichzeitiger Medikation mit einem starken CYP3A4-Hemmer ist Colchicin bei jedem Stadium der Niereninsuffizienz kontraindiziert.
… Herr M. Symptome einer Colchicum-Intoxikation entwickelt?
Da Colchicin nicht dialysierbar ist, kann es bei Überdosierungen nicht so leicht aus dem Körper entfernt werden. Es sollte auf jeden Fall der Giftnotruf informiert werden. Bis zum Eintreffen des Arztes sind allgemeine Maßnahmen durchzuführen, wie z. B. die Überwachung, gegebenenfalls das Aufrechterhalten des Kreislaufs. Magenspülungen und Elektrolytsubstitution erfolgen nach ärztlicher Diagnose.
… der Patient kurze Zeit nach dem überwundenen Gichtanfall wieder Colchicum dispert® benötigen würde?
In jeden Fall muss der akute Gichtanfall zuerst therapiert werden. Eine Harnsäure senkende Therapie sollte nicht während einer akuten Gicht angesetzt oder verändert werden. Frühestens zwei Wochen nach einem akuten Gichtanfall kann mit einer Prophylaxe begonnen werden. |
Autorin
Elisabeth Elstner, Studium der Pharmazie in München, Regensburg und der ETH Zürich. Apothekerin in einer lebhaften Stadtteilapotheke in München. Weiterbildung Geriatrische Pharmazie
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.