Beratung

Stimmungstief oder Depression?

Patienten mit depressiven Störungen in der Apotheke erkennen

Von Sabine Werner | Die Tage werden kürzer, die Außentemperatur fällt und mit ihr auch die Stimmung vieler Menschen – für sie beginnt der „Winterblues“, eine Zeit, die von gedrückter Stimmung und andauernder Müdigkeit geprägt ist. Andere Auslöser für ein Stimmungstief können Ereignisse wie der Tod eines nahestehenden Menschen oder der Verlust des Arbeitsplatzes sein. Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit in solchen Situationen sind für eine gewisse Zeit normal. Dauern die Phasen depressiver Verstimmtheit zu lange oder sind sie zu belastend, führt viele Patienten der Weg in die Apotheke. Unsere Aufgabe ist hier nicht nur, nicht rezeptpflchtige Medikamente und Allgemeinmaßnahmen zur Besserung der Stimmung zu empfehlen, sondern auch zu entscheiden, ob hinter den Symptomen des Kunden eine – in jedem Fall durch den Arzt zu behandelnde – mittelschwere oder schwere Depression oder eine chronische Störung zu vermuten ist.

Depressionen sind psychische Störungen, die sich in Form von deutlich gedrückter Stimmung, Interesselosigkeit und vermindertem Antrieb äußern. Zusätzlich treten meist körperliche Beschwerden auf. Eine Depression kann als „Überreaktion“ auf tatsächlich vorhandene Auslöser entstehen (exogene Depression) oder ohne einen erkennbaren Auslöser (endogene Depression). In seltenen Fällen können auch Arzneistoffe (z.B. ACE-Hemmer, Betablocker, Glucocorticoide oder Opiate) eine depressive Symptomatik auslösen. Nach Zahlen des Robert Koch-Instituts erkranken etwa 11% der Deutschen in ihrem Leben an einer vom Arzt diagnostizierten Depression, die tatsächliche Erkrankungsrate liegt vermutlich deutlich höher. Für viele Betroffene ist eine gewisse Hemmschwelle vorhanden, ihre negativen Gefühle als Krankheit zu erkennen, zu akzeptieren und sich ärztliche Hilfe zu suchen. Von den geschätzt vier Millionen Menschen in Deutschland mit behandlungsbedürftiger Depression sind viele nicht in ärztlicher Therapie. Hier sollte die aufmerksame Apotheke, zu der langjährige Kunden oft ein Vertrauensverhältnis aufgebaut haben, zum Arztbesuch ermutigen.

Drei Hauptsymptome

Der Schweregrad einer Depression wird nach ICD-10 anhand der Symptome bestimmt, die über mindestens zwei Wochen bestehen müssen (siehe Tab. 1): Bei einer leichten Depression liegen zwei Hauptsymptome und zwei zusätzliche Symptome vor, bei einer mittelschweren Depression zwei Hauptsymptome und drei bis vier zusätzliche Symptome, und eine schwere Depressionen ist durch das Auftreten aller drei Hauptsymptome sowie mehr als vier zusätzlichen Symptomen gekennzeichnet.

Die S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ führt einen Zwei-Fragen-Test an, mit dem Risikopatienten erkannt werden können:

  • Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig, bedrückt oder hoffnungslos?
  • Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun?

Deutet sich im Kundengespräch an, dass diese beiden Fragen bejaht werden, ist die Wahrscheinlichkeit einer echten, behandlungsbedürftigen Depression gegeben und der Kunde sollte an den Arzt verwiesen werden. Eine normale Trauerreaktion z.B. nach dem Tod einer nahestehenden Person unterscheidet sich von einer Depression u.a. durch eine „Schwingungsfähigkeit“, d.h. der Betroffene kann trotz seiner Trauer auf positive Ereignisse kurzzeitig mit Freude reagieren. Eine natürliche Trauerreaktion ist in der Regel weniger mit vegetativen Symptomen wie Gewichtsabnahme oder Schlafstörungen verbunden und lässt nach zwei bis sechs Monaten langsam nach.

Bei Älteren schwer zu erkennen

Schwierig ist das Erkennen einer Depression bei älteren Menschen, da bei ihnen häufig körperliche Symptome im Vordergrund stehen, Traurigkeit oft sogar bei gezieltem Nachfragen verneint wird. Hellhörig sollte man werden, wenn häufig über Kopf- und Rückenschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, Schwindel, Schlafstörungen, oder Appetitlosigkeit geklagt wird. Auch auf äußerliche Zeichen der Selbstvernachlässigung (Kleidung, Körperpflege) oder Veränderungen in Mimik, Gestik, Sprechtempo oder sprachlichem Ausdruck ist zu achten. Bei Männern kann sich eine Depression in erhöhter Reizbarkeit und Aggressivität äußern. Auch bei beginnender Demenz ist das Erkennen einer Depression schwierig, die beiden Krankheitsbilder überlappen sich in den Anfangsstadien. Typisch für einen Patienten mit Depression ist, dass er über kognitive Defizite klagt, während ein Patient mit beginnender Demenz eher versucht, sie zu verschleiern.

Winterdepression

Eine Sonderform der Depression ist die Winterdepression oder saisonal abhängige Depression (SAD), von der jedes Jahr etwa 800.000 Deutsche betroffen sind. Auslöser ist ein Mangel an Tageslicht in der „tristen Jahreszeit“. Von der nicht-saisonalen Depression unterscheidet sie sich durch starke Müdigkeit/längeres Schlafen (ganzjährig Depressive liegen eher wach und grübeln) sowie durch Heißhunger auf Kohlenhydrate und damit verbundener Gewichtszunahme (entstanden aus dem früher lebensnotwendigen Bedürfnis des Körpers sich für die karge Jahreszeit ein Fettpolster zuzulegen). Auch hier sind Melancholie und Müdigkeit als Relikte aus der Urzeit, in der der Winter für den Menschen eine Phase verminderter Aktivität darstellte, bis zu einem gewissen Grad normal. In der Therapie der Winterdepression steht die Bewegung an frischer Luft und unter Tageslicht – auch bei bewölktem Himmel – im Vordergrund, mit speziellen Lampen mit bis zu 10.000 Lux (und damit einer mehr als 30-fachen Intensität einer Zimmerlampe) wird auch eine künstliche Lichttherapie durchgeführt.

Nicht verwechseln mit Burn-out

Von der Depression zu unterscheiden ist das Burn-out-Syndrom. Hier stehen nicht die Traurigkeit sondern die Erschöpfung, Unzufriedenheit und Gleichgültigkeit im Vordergrund. Typisch ist im Gegensatz zur Depression eine Verschlimmerung der Symptome gegen Abend sowie eine Besserung in Ruhezeiten oder im Urlaub. Mit zunehmender Schwere kann sich aus einem Burn-out allerdings auch eine Depression entwickeln.

An den Arzt verweisen sollten wir in der Apotheke jeden Kunden, bei dem eine depressive Verstimmung bereits länger als zwei bis sechs Wochen andauert, da auch chronische Formen leichter depressiver Verstimmungen (Dysthymia) behandlungsbedürftig sind, jeden Kunden, bei dem sich eine mittelschwere oder schwere Depression andeutet oder bei dem OTC-Präparate gegen leichte Depressionen nicht zu einer Besserung geführt haben. Auch Kunden, bei denen gleichzeitig der Verdacht auf Alkohol- oder Substanzmissbrauch besteht, sollten an den Arzt verwiesen werden sowie Kinder und Jugendliche, da hier in erster Linie psychotherapeutisch behandelt wird.

Wirksamkeit belegt: Johanniskraut

Für die Beratung zur Selbstmedikation steht uns vor allem Johanniskraut (Hypericum perforatum, Präparate siehe Tab. 2) zur Verfügung, das als einziges pflanzliches Antidepressivum auch in der Nationalen Versorgungsleitlinie „Unipolare Depression“, empfohlen wird. Es hat sich, so die Zusammenfassung von 29 Studien durch einen Cochrane-Review, bei leichten und mittelschweren Depressionen in der Wirksamkeit als ebenbürtig mit synthetischen Antidepressiva und gleichzeitig besser verträglich erwiesen. Als Wirkmechanismus wird eine nicht-selektive Reuptake-Hemmung verschiedener Neurotransmitter im ZNS angenommen, weiter konnten In-vitro-Untersuchungen mit einem definierten Extrakt (Laif®) zeigen, dass es auch ohne präsynaptische Erregung zu einer Downregulation β-adrenerger Rezeptoren an der postsynaptischen Membran kommt. Wichtig ist eine regelmäßige Einnahme von 600 bis 900 mg pro Tag. Der Wirkeintritt erfolgt erst nach zwei bis vier Wochen. Zur Stabilisierung sollte Johanniskraut über einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten eingenommen werden. Zeigt sich nach vier Wochen Selbstmedikation keine Besserung, sollte ein Arzt aufgesucht werden. Präparate mit der Indikation mittelschwere Depression sind verschreibungspflichtig (und erstattungsfähig), da dieser Schweregrad grundsätzlich ärztlich überwacht werden muss.

In der Beratung sollte auf die zahlreichen möglichen Interaktionen durch die Induktion verschiedener CYP450-Isoenzyme (z.B. CYP1A1, CYP1A2, CYP2D6, CYP3A4) hingewiesen werden. Keine Einnahme von Johanniskraut darf unter der Therapie mit Proteaseinhibitoren, Zytostatika und vielen Immunsuppressiva erfolgen. Eine ärztliche Überwachung ist nötig bei Wirkstoffen mit enger therapeutischer Breite wie Phenprocoumon, Theophyllin, herzwirksamen Glykosiden sowie einigen Antiepileptika. Bei Kombination mit synthetischen Antidepressiva können serotonerge Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Angst oder Verwirrtheit verstärkt werden. Wenn gleichzeitig hormonelle Kontrazeptiva eingenommen werden, können durch die schnellere Metabolisierung und die dadurch verminderte Wirkung der Hormone Zwischenblutungen auftreten, im Einzelfall auch unerwünschte Schwangerschaften. Vor geplanten Operationen ist Johanniskraut aufgrund von möglichen Wechselwirkungen mit Lokal- und Allgemeinanästhetika abzusetzen. Hellhäutige Anwender sollten auf die Gefahr der Photosensibilisierung hingewiesen werden. Starke Sonneneinstrahlung (Höhensonne, Solarium) muss gemieden und die Haut durch einen entsprechend hohen Lichtschutzfaktor geschützt werden. Sinnvoll ist auch ein Hinweis auf eine mögliche und harmlose Gelbfärbung des Urins.

Um eine ausreichende und gleichbleibende Dosierung der wirksamen Bestandteile sicherzustellen, sollte von Teezubereitungen, Presssäften oder nicht-apothekenpflichtigen Präparaten abgeraten werden. In der Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Jugendlichen unter 18 Jahren sollte Johanniskraut nicht angewendet werden. Von Vorteil ist, dass Johanniskraut nicht sedierend wirkt und auch das Reaktionsvermögen nicht beeinflusst.

Lavendel, Passionsblume und Co.

Stehen ängstliche Verstimmung und innere Unruhe im Vordergrund, bietet sich auch hochdosiertes Lavendelöl an (80 mg einmal täglich). Die Fachinformation gibt eine Verstärkung der GABA-Wirkung als Wirkmechanismus an, ferner wird die Normalisierung des präsynaptischen Calciumeinstroms diskutiert. Lavendelöl wirkt mild anxiolytisch, aber auch sedierend und antidepressiv. Es darf keine gleichzeitige Anwendung mit Benzodiazepinen erfolgen, ferner soll die Anwendung in Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Jugendlichen unter 18 Jahren unterbleiben. Häufige Nebenwirkungen sind Aufstoßen und allergische Hautreaktionen. Die Anwendungsdauer ist prinzipiell nicht begrenzt, doch sollte ein Arzt aufgesucht werden, wenn nach zweiwöchiger Selbstmedikation keine Verbesserung eintritt.

Nervöse Unruhe kann mit Zubereitungen aus Passionsblumenkraut behandelt werden. Sie sind auch für Kinder ab zwölf Jahren geeignet, dürfen nicht gleichzeitig mit Benzodiazepinen sowie nicht in Schwangerschaft und Stillzeit eingenommen werden. Bei Schlafstörungen können auch bewährte Kombinationen aus Baldrian, Hopfen und Melisse empfohlen werden (Präparatebeispiele Tab. 2).

Bewegung und Tageslicht

Leichte Depressionen und depressive Verstimmungen verlaufen in der Regel phasenweise und klingen oft ohne medikamentöse Behandlung innerhalb weniger Monate wieder ab. Für kurze Zeit können bei leichter Depression daher zunächst auch nur allgemeine Maßnahmen empfohlen werden:

  • regelmäßige Bewegung, am besten an der frischen Luft und bei Tageslicht,
  • regelmäßige, ausgewogene Ernährung,
  • Strukturierung des Tagesablaufs,
  • Selbst-Belohnung für erledigte Aufgaben,
  • bewusste Planung positiver Aktivitäten (Pflege von Freundschaften, Theaterbesuche etc.),
  • gute Schlafhygiene, evtl. Einführung eines Einschlafrituals.

Wichtig ist dabei, die Heilbarkeit von Depressionen zu betonen und dem Patienten Hoffnung zu machen, aber auch der dringliche Hinweis, bei einer Verschlechterung der Situation sowie bei Bestehenbleiben der Symptomatik über einen begrenzten Zeitraum hinaus (z.B. zwei Wochen) einen Arzt aufzusuchen.

Die Therapie mit synthetischen Antidepressiva liegt in den Händen des Arztes, dennoch sollte bei der Abgabe in der Apotheke beraten werden:

  • Vorbehalten des Patienten gegen „Psychopharmaka“ kann entgegnet werden, dass Antidepressiva im Gegensatz zu Neuroleptika und Hypnotika nicht abhängig machen und dass sie die Persönlichkeit nicht verändern.
  • Zu Beginn der Therapie muss der Patient darüber aufgeklärt werden, dass die meisten Nebenwirkungen sofort auftreten, sich dann im Laufe der ersten Wochen bessern oder sogar verschwinden, während die antidepressive Wirkung erst nach zwei bis drei Wochen eintritt.
  • Vor allem trizyklische Antidepressiva können die Reaktionsfähigkeit und das Fahrvermögen beeinträchtigen.
  • Die regelmäßige Einnahme der Medikamente sowie die Bedeutung der regelmäßigen Arztbesuche sollte betont werden.
  • Eine antidepressive Therapie wird in der Regel nach Abklingen der Symptome zur Stabilisierung noch sechs bis neun Monate fortgesetzt, bei Senioren zur Rezidivprophylaxe sogar bis zum Lebensende beibehalten.
  • Antidepressiva dürfen nicht abrupt abgesetzt werden, sondern sollten immer in Absprache mit dem Arzt ausschleichend dosiert werden.

Von den leitliniengerecht behandelten Patienten nehmen nach drei Monaten nur noch etwa die Hälfte ihre Medikamente wie verordnet ein. Hier kann und sollte die Apotheke mit guter Beratung die Compliance verbessern. 

Literatur:

S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie „Unipolare Depression“, Langfassung, 1. Auflage 2009. DGPPN, ÄZQ, AWMF - Berlin, Düsseldorf 2009

Linde K et al.: „St John’s wort for major depression“, Cochrane Database of Systematic Reviews 2008, Issue 4. Art. No.: CD000448.

M.A. Busch et al., Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Robert Koch-Institut, Berlin: „Prävalenz von depressiver Symptomatik und diagnostizierter Depression bei Erwachsenen in Deutschland“, Bundesgesundheitsblatt 2013:56:733-739

Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Heft 51 Depressive Erkrankungen; Robert Koch-Institut, September 2010

Fachinformationen und Publikationen der Hersteller

weitere Literatur bei der Autorin

 

Autorin

Dr. Sabine Werner studierte Pharmazie in München und Berlin. Nach ihrer Promotion arbeitete sie in einer Krankenhausapotheke in Tansania. Neben ihrer Tätigkeit in einer öffentlichen Apotheke unterrichtet sie an der Berufsfachschule für pharmazeutisch-technische Assistenten in München.

Apothekerin Dr. Sabine Werner, Berufsfachschule für PTA, Chiemgaustr. 116, 81549 München

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