Obstipation

Chronische Obstipation

Empfehlungen zur individuellen Therapie mit und ohne Laxanzien

Von Thomas Frieling | Die chronische Obstipation ist eine der häufigsten Beschwerden in der Allgemeinbevölkerung. Zwei Umfragen in Deutschland ergaben, dass innerhalb eines Jahres etwa 8% der befragten Bundesbürger über Verstopfung klagten [1] und dass etwa 20% der obstipierten Patientinnen Laxanzien einnehmen [2]. Es ist zu erwarten, dass die chronische Obstipation in den nächsten Jahren aufgrund der demografischen Entwicklung rasant ansteigen wird [3]. Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und die Deutsche Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM) haben kürzlich eine aktuelle Leitlinie für die chronische Obstipation erstellt [4], die kostenlos verfügbar ist (www.dgvs.de).

Wann spricht man von chronischer Obstipation?

Eine chronische Obstipation liegt vor, wenn unbefriedigende Stuhlentleerungen mindestens drei Monate lang bestehen und mindestens zwei der folgenden Leitsymptome aufweisen:

  • starkes Pressen,
  • klumpiger oder harter Stuhl,
  • subjektiv unvollständige Entleerung,
  • subjektive Obstruktion,
  • manuelle Manöver zur Erleichterung der Defäkation bei 25% der Stuhlentleerungen,
  • weniger als drei Stühle pro Woche [5].

Die chronische Obstipation wird wesentlich durch die subjektive Beeinträchtigung und weniger durch objektive Parameter wie die Stuhlfrequenz bestimmt. Dies bedeutet einerseits, dass Patienten auch bei formal normaler Stuhlfrequenz ein Verstopfungsgefühl durch eine erschwerte Stuhlentleerung mit der Notwendigkeit des Pressens entwickeln können, und andererseits, dass beschwerdefreie Patienten mit über mehrere Tage ausbleibendem Stuhlgang nicht verstopft sind. Die chronische Obstipation ist insofern eine typische „Eisberg-Erkrankung“, bei der der Übergang von normal zu krankhaft fließend ist.

Es ist zu berücksichtigen, dass eine Stuhlretention über retrograde Nervenverbindungen zum oberen Verdauungstrakt auch Motilitätsstörungen von Magen und Dünndarm verursachen kann. Mit der chronischen Obstipation sind daher häufig Dyspepsie, Blähgefühl bzw. Gasbildung, das Gefühl der unvollständigen Entleerung und die Stuhlinkontinenz verbunden. Untersuchungen zeigen hierbei, dass die chronische Obstipation die Lebensqualität in vergleichbarem Ausmaß wie andere chronische Erkrankungen einschränkt.

Mythen

Die chronische Obstipation ist von zahlreichen Mythen begleitet, für die es keine wissenschaftlichen Belege gibt. Hierzu gehören

  • die Befürchtung einer Autointoxikation bei Stuhlverhalt („horror autotoxicus“) und
  • die Befürchtung, dass ein zu langer Darm oder Hormone den Stuhlgang beeinflussen [6].

Diagnostische Untersuchungen

Bei der Basisdiagnostik der chronischen Obstipation sollten bereits zu Beginn eine genaue Anamnese mit Medikationscheck – gegebenenfalls mit Stuhl- bzw. Ernährungstagebüchern – erfolgen und eine klinische Untersuchung inklusive proktologischer Untersuchung durchgeführt werden, um zu erkennen, ob die Obstipation auf

  • einem trägen Darm („slow transit constipation“) oder
  • einer Stuhlentleerungsstörung („outlet obstruction“)

beruht [4]. Zum Nachweis einer Beckenbodensenkung bzw. eines rektoanalen Prolapses ist ein Defäkationsversuch in sitzender Position sinnvoll. Auch die Stuhlvisite und validierte Einschätzung durch die „Bristol Stool Form Scale“ kann hilfreich sein.

Eine verminderte Stuhlfrequenz ohne Stuhldrang ist häufig ein Zeichen für eine primäre Passagestörung, während die Notwendigkeit des Pressens, das Gefühl der unvollständigen Entleerung und harter Stuhl eher auf eine Stuhlentleerungsstörung hinweisen.

Neu aufgetretene Stuhlgangveränderungen sollten immer koloskopisch abgeklärt werden, weil der Verdacht auf ein Kolonkarzinom besteht; hierzu gibt es Empfehlungen zur Vorsorgeuntersuchung mit kompletter Koloskopie, die befolgt werden sollten [7]. Bei Frauen sollte auch eine gynäkologische Untersuchung durchgeführt werden. Demgegenüber liefert die Stuhlanalyse hinsichtlich Bakterien und Pilze keine relevanten Ergebnisse und sollte nicht durchgeführt werden.

Nach der Basisdiagnostik kann eine probatorische Therapie erfolgen. Bei starken Beschwerden, hohem Leidensdruck, bzw. bei mangelndem Ansprechen auf die Therapie sollten zeitnah weitergehende Funktionsuntersuchungen zur Charakterisierung der Passagezeit, der Motilität, bzw. der Entleerungskinetik durchgeführt werden.

Basistherapie oder Allgemeinmaßnahmen

Unter der Basistherapie werden hier Allgemeinmaßnahmen verstanden, die eine „gesunde Lebensweise“ mit ausreichender körperlicher Aktivität, Reduktion des Übergewichts und Vermeidung von Stress sowie eine „gesunde“, ausgewogene Ernährung mit ausreichender Flüssigkeitszufuhr beinhalten.

Die Allgemeinmaßnahmen beinhalten auch die Optimierung der Ballaststoffzufuhr. Ballaststoffe haben aber nur einen begrenzten klinischen Effekt und werden häufig wegen der Entwicklung von Meteorismus abgesetzt. Bei der Auswahl von Ballaststoffen sollten daher nicht-blähende Präparate (z.B. Flohsamen, lösliche Ballaststoffe wie Pektin) bevorzugt werden.

Die Bauchdecken-Colon-Massage und die Akupunktur sollten nicht als Standardtherapie empfohlen werden.

Welche Arzneimittel sollen wann zum Einsatz kommen?

Eine medikamentöse Therapie ist bei unzureichendem Erfolg der Basistherapie indiziert. Nach der aktuellen Leitlinie der DGVS und DGNM [4] werden verschiedene Therapieprinzipien empfohlen, die stufenweise oder auch kombiniert eingesetzt werden können. Der Arzt sollte ein Laxans möglichst individuell verordnen und dabei berücksichtigen, welche Erfahrungen die Patienten zuvor in der Selbstmedikation der Obstipation gemacht haben. Eine Umfrage ergab, dass die Selbstmedikation der Obstipation weit verbreitet ist [2].

Füll- und Quellstoffe, salinische und osmotische Laxanzien haben sich bei der Behandlung der „slow-transit“-Obstipation bewährt. Die schlecht resorbierbaren Salze Glaubersalz (Na2SO4, Karlsbadersalz) und Bittersalz (MgSO4) sowie Magnesiumhydroxid (Mg(OH)2, milk of magnesia) können bei akuter Obstipation gegeben werden (Magnesiumhydroxid auch bei chronischer Obstipation). Sorbit (Sorbitol) gilt als gleichwertige, aber preiswertere Alternative zu Lactulose. Unter den osmotischen Laxanzien sollten allerdings Macrogole aufgrund der Effektivität und geringeren Nebenwirkungen bevorzugt werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Macrogole erst nach mehreren Tagen der Einnahme ihre stuhlfördernde Wirkung erzielen.

Stimulierende Laxanzien (Bisacodyl, Natriumpicosulfat, Sennapräparate) wirken über die Darmwand; ihre direkte Wirkung beruht auf der Stimulation der glatten Muskulatur bzw. des Epithels, ihre indirekte Wirkung erfolgt über das enterische Nervensystem und die Freisetzung von Prostaglandinen. Bisacodyl und Natriumpicosulfat können bei akuter und bei chronischer Obstipation gegeben werden und gehören hier zu den Mitteln der ersten Wahl. Bei chronischer Obstipation richten sich Dosis und Einnahmefrequenz nach dem individuellen Bedarf. Eine Begrenzung des Einnahmezeitraums ist unbegründet. Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch sind stimulierende Laxanzien sichere und effektive Medikamente, die neben dem Stuhlgang auch die Lebensqualität der Patienten verbessern und bei der Langzeiteinnahme eher in niedrigerer Dosierung eingenommen werden müssen.

Klistiere und Suppositorien. Bei Hinweisen auf eine Stuhlentleerungsstörung mit unvollständiger Entleerung kann die Applikation von Klysmen oder Kohlendioxid-bildenden Zäpfchen hilfreich sein. Sinnvoll ist es auch im Einzelfall, die Stuhlimpaktierung durch einen Hebe-Senk-Einlauf zu beseitigen.

Opiatantagonisten. Bei schwerer refraktärer opiatinduzierter Obstipation in der palliativen Situation können auch periphere Opiatantagonisten eingesetzt werden wie

  • das subkutan zu applizierende Methylnaltrexon (Relistor®),
  • das intravenös oder intramuskulär zu applizierende Naloxon oder
  • Alvimopan (Entrareg®, in Deutschland nicht zugelassen).

Patienten, die aufgrund einer Beckenbodendyssynergie an Obstipation leiden, sollten ein Biofeedbacktraining erhalten.

Neu: Sekretagoga und Prokinetika

In letzter Zeit wurden neue medikamentöse Wirkprinzipien zur Behandlung der Obstipation untersucht. Interessante Neuentwicklungen stellen hierbei die Sekretagoga und Prokinetika dar. Diese Substanzen können gegeben werden, wenn die bisherige konventionelle Therapie nicht effektiv oder schlecht verträglich war. Zu diesen Präparaten gehören

  • der epitheliale Chloridkanal-Aktivator Lubiproston (Amitiza®, nicht in Deutschland, aber in den USA, in der Schweiz und in Großbritannien für die idiopathische chronische Obstipation bei Erwachsenen zugelassen);
  • der Guanylatzyklase-2-Agonist Linaclotid (Constella®, zugelassen für das obstipationsdominante Reizdarmsyndrom);
  • der 5-HT4-Rezeptoragonist Prucaloprid (Resolor®, zugelassen für obstipierte Frauen; kein klassisches Laxans, sondern ein Koloprokinetikum, das die Acetylcholinausschüttung stimuliert).

Placebo-kontrollierte klinische Untersuchungen zeigen, dass Linaclotid und Prucaloprid nicht nur den Stuhlgang, sondern auch Blähungen, Distension und Schmerzen signifikant verbessern. Hierbei erfolgt die Schmerzreduktion bei Linaclotid unabhängig von der stuhlfördernden Wirkung durch Hemmung der Schmerzfasern (duale Wirkung).

Mögliche Nebenwirkungen

Bei den stimulierenden Laxanzien gibt es wissenschaftlich keinerlei Hinweise auf autonome Nervenschädigungen, vermehrte Kolonkarzinome, Elektrolytentgleisungen, eine Darmgewöhnung, eine physische/psychische Abhängigkeit oder eine „Rebound-Obstipation“ [6]. Das größte Problem der stimulierenden Laxanzien ist ihr Missbrauch. Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch sind sie sichere und effektive Medikamente. Augrund ihrer Wirkweise können sie allerdings Bauchschmerzen und Durchfall erzeugen.

Auch bei den neuen Präparaten Linaclotid (Constella®) und Prucaloprid (Resolor®) wurden keine relevanten, insbesondere keine kardialen oder angiologischen Nebenwirkungen beobachtet. Linaclotid kann – wie auch andere Laxanzien – eine Diarrhö, Prucaloprid selbstlimitierende Kopfschmerzen verursachen.

Selbstmedikation der Obstipation – aktuelle Lage und Empfehlungen

Nach einer aktuellen Umfrage [2] nehmen in Deutschland etwa 20% der obstipierten Frauen Abführmittel ein, wobei sie in 60% der Fälle die Laxanzien ohne ärztliche Verordnung einnehmen. 30% der Patientinnen waren mit der Therapie vollständig zufrieden. Etwa jede Zweite hat mehr als zwei Laxanzien, zusätzliche Medikamente oder eine höhere als die empfohlene Dosis eingenommen. In abnehmender Häufigkeit wurden folgende Laxanziengruppen eingesetzt:

  • stimulierende Laxanzien (Bisacodyl, Natriumpicosulfat),
  • osmotische Laxanzien (Macrogole, Lactulose),
  • Ballaststoffe (vgl. Tab. 1).

Wenn die Patientinnen mit den eingesetzten Laxanzien unzufrieden waren, nannten sie als Hauptgrund

  • eine unzureichende Wirkung auf Blähungen (16%),
  • eine mangelnde Behebung einzelner Symptome der Obstipation (13%),
  • die schlechte Vorhersagbarkeit des Wirkungseintritts (12%),
  • einen zu langsamen Wirkungseintritt (13%).
  • Angst vor Nebenwirkungen (7%).

Generell sollten Patienten bei der Selbstmedikation der Obstipation die Leitlinie der DGVS und DGNM befolgen [4], das heißt: Vorrang hat die Basistherapie, also eine „gesunde“ Lebensweise und Ernährung mit Aufnahme von reichlich Flüssigkeit und Ballaststoffen. In zweiter Linie können dann Arzneistoffe in dieser Reihenfolge zum Einsatz kommen: Füll- und Quellstoffe, osmotische Laxanzien und schließlich stimulierende Laxanzien.

Da den meisten Patienten die Leitlinie unbekannt ist, kommt dem Apotheker hier eine besondere Verantwortung zu, die Patienten aufzuklären und zu beraten.

Wann soll der Patient unbedingt zum Arzt gehen?

Bei Alarmsymptomen wie Blut im Stuhl oder stark wechselndem Stuhlgang, plötzlichem Gewichtsverlust, bei starken Beschwerden, hohem Leidensdruck sowie mangelndem Ansprechen auf die Therapie sollte der Patient unbedingt einen Arzt aufsuchen.

Problemfälle

Trotz der vielfältigen Therapiemöglichkeiten finden sich immer wieder Patienten, die auf keine der Therapiestrategien befriedigend ansprechen. So gibt es Problemfälle mit einer „slow-transit“-Obstipation, die eine Stuhlentleerung nur über regelmäßige Einläufe bzw. Kolonlavages erreichen, oder Patienten mit einer Stuhlentleerungsstörung („outlet obstruction“), die aufgrund einer ausgeprägten Beckenbodensenkung, eines rektoanalen Prolaps oder einer Rektozele keine vollständige Defäkation erzielen können. Bei ihnen ist eine interdisziplinäre Beurteilung, möglichst in einem Kontinenz- oder Beckenbodenzentrum, sinnvoll. 

Internet

Leitlinie Chronische Obstipation

www.dgvs.de > Leitlinien > Chronische Obstipation

Literatur

[1] GFK Marktforschung Nürnberg. Die 100 wichtigsten Krankheiten. Woran die Deutschen nach Selbsteinschätzung leiden. Apothekenumschau 1/2006.

[2] Müller-Lissner S, Pehl C. Laxanziengebrauch und Zufriedenheit chronisch obstipierter Frauen – eine Umfrage bei Patientinnen und Gastroenterologen in Deutschland Z Gastroenterol 2012; 50:573–577

[3] Frieling T. Funktionelle gastrointestinale Erkrankungen und Alter. Z Gastroenterol 2011;49:47-53

[4] Andresen V, et al. S2k Leitlinie Chronische Obstipation. Z Gastroenterol 2013;51:651-72

[5] Drossmann DA. Rome III. The functional gastrointestinal disorders. Allen Press, Lawrence, KS 2006.

[6] Müller-Lissner SA, Kamm MA, Scarpignato C, Wald A. Myth and misconceptions about chronic constipation. Am J Gastroenterol 2005;100:232-242.

[7] Pox C, et al. S3-guideline colorectal cancer version 1.0. Z Gastroenterol 2013;51:753-854.

 

Interessenkonflikt

Der Autor hat Vorträge für die Firmen Shire, Almirall, Falk Foundation, Boehringer-Ingelheim gehalten und ist in Advisory Boards der Firmen Almirall, Shire und Steigerwald tätig.

 

Autor

Prof. Dr. med. Thomas Frieling habilitierte sich 1993 an der Universität Düsseldorf für das Fach Innere Medizin und hat dort seit 1998 eine Professur für dieses Fach mit dem Schwerpunkt Gastroenterologie inne. Seit 2000 ist er zugleich Direktor der Medizinischen Klinik II, Innere Medizin mit Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie, Neurogastroenterologie, Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin am HELIOS Klinikum Krefeld. Er ist Gründer und Vorsitzender der Stiftung für Neurogastroenterologie (www.stiftung-neurogastroenterologie.de) und hat diesen Beitrag in Zusammenarbeit mit dieser Stiftung und mit der Gastro-Liga (www.gastro-liga.de) geschrieben.

Prof. Dr. med. Thomas Frieling

HELIOS Klinikum, Lutherplatz 40, 47805 Krefeld

thomas.frieling@helios-kliniken.de

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1 Kommentar

Obstipation

von Helmut Steurer am 19.01.2020 um 11:50 Uhr

Verwende zur zeit Constella 290 Mikrogramm um überhaupt
auf die toilette gehen zu können.
Frage: gibt es auch alternativen zu constella.
best regards
Helmut Steurer

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