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Arzneimittel und Therapie
Rasch impfen rettet Leben
Computersimulation sieht Vorteile von schneller Influenza-Impfung im Pandemie-Fall
Alljährlich treten weltweit regional begrenzte Influenza-Epidemien auf. In Deutschland werden diese derzeit von den Influenza-A-Stämmen H1N1 und H3N2 sowie seltener vom Subtyp-B verursacht. Das segmentierte Genom der Influenzaviren bedingt eine hohe antigene Variabilität der Erreger. Dies erlaubt den Austausch ganzer Genabschnitte, wodurch die Vermehrung unterschiedlicher viraler Subtypen in einer Wirtszelle in einer falschen Zuordnung der Virusbestandteile resultieren kann. Dieser „Antigen-Shift“ tritt nur bei Influenza-A-Viren auf, führt jedoch zu Erregern mit neu kombiniertem Erbmaterial und damit neuen immunogenen Eigenschaften. Solche Mutationen erlauben ggf. die Übertragung aviärer Viren auf den Menschen. Da diese keine Immunität gegenüber dem neuen Erreger aufweisen, resultiert eine Infektion häufig in einem sehr schweren Krankheitsverlauf. Als Beispiel dient der Influenza-A-Stamm H5N1. 650 Fälle von Übertragungen der als Vogelgrippe (aviäre Influenza) bekannten Erreger auf den Menschen sind bislang bekannt, wobei mehr als zwei Drittel der Infizierten verstarben. Auch das im März 2013 in China neu aufgetretene H7N9-Virus zeigte eine hohe Pathogenität, wobei etwa ein Fünftel der betroffenen Personen die Infektion nicht überlebte.
Eine Mutation, die die direkte Übertragung von Mensch zu Mensch ermöglicht, resultiert in einer rasanten Ausbreitung des Virus, wobei es wie in den Jahren 1918, 1957 und 1968 zu länderübergreifenden Pandemien mit mehrere Millionen Todesopfer kommen kann.
Unvorbereitet auf mutierte Viren
Im Fall einer Ausbreitung mit mutierter Influenza-Viren ist die Bevölkerung immunologisch nicht auf das mutierte Antigen vorbereitet. Das Ausmaß der Pathogenität und Virulenz wird erst abschätzbar sein, nachdem das pandemische Virus identifiziert ist und erste Erfahrungen vorliegen. Daher wird es auch einige Monate dauern, bis ein spezifischer Impfstoff zum Schutz der Bevölkerung zur Verfügung steht. Initial, zumeist innerhalb einer Periode von zwei Monaten nach dem Auftreten, muss der Erregerstamm identifiziert, präpariert und verifiziert werden. Dem schließt sich eine etwa dreimonatige Phase der Herstellung, Qualitätskontrolle und Abfüllung inklusive klinischer Erprobung durch die Industrie an. Dann folgt die Zulassung der Vakzine durch die jeweiligen Aufsichtsbehörden, sodass eine frühestmögliche Anwendung Erreger-spezifischer Impfstoffe bestenfalls erst nach fünfmonatiger Verzögerung stattfindet. Im Fall der 2009 aufgetretenen H1N1-Pandemie (Schweinegrippe) erfolgte die weltweite Impfung sogar erst neun Monate später. Die mangelhafte Etablierung des Erreger-spezifischen Vakzins eröffnete anschließend eine Diskussion über die Frage, inwiefern zukünftig – vor allem im Fall einer Influenza-Pandemie mit höherer Pathogenität – die Entwicklung dringend benötigter Impfstoffe beschleunigt werden kann bzw. zu welchem Zeitpunkt diese Maßnahmen einzusetzen sind, um unter pharmako-ökonomischen Gesichtspunkten eine optimale Reduzierung der Infektionsrate und Mortalität zu erzielen.
Computersimulation sollte Klarheit bringen
Diesbezüglich veröffentlichten US-amerikanische Forscher des Stanford University Medical Centers im Fachjournal Annals of Internal Medicine nun die Ergebnisse einer Computer-basierten Simulation einer hoch pathogenen Influenza-Pandemie (H5N1 oder H7N9) in einem gewählten Ballungsraum mit demografischen Eigenschaften einer Großstadt wie New York [4]. Gewählt wurden hierbei verschiedene Zeitpunkte des Beginns einer Virus-spezifischen Vakzination der Bevölkerung nach 4, 6 und 9 Monaten, wobei die jeweilige Veränderung der Infektionen, der Mortalitätsrate sowie die damit assoziierten Kosten für das Gesundheitssystem als Primärziele definiert wurden. Als weitere Variable dieser Simulation galten infektionshygienische Regeln, wie Händedesinfektion sowie das Tragen von Atemmasken, welche hierbei als nicht-pharmazeutische Interventionen die Ansteckungsgefahr potenziell reduzieren. Der Beobachtungszeitraum belief sich auf insgesamt zwölf Monate, wobei die simulierte Pandemie theoretisch 48.254 Todesfälle forderte. Dies entsprach einer kalkulierten Mortalitätsrate von 2,5%, wobei ein Impfbeginn neun Monate nach Ausbruch der Pandemie in einer Verringerung der Todesfälle um 2365 Personen resultierte. Erfolgte die Vakzinierung dagegen bereits nach sechs Monaten, so hätte dies das Leben weiterer 5775 Personen gerettet und das Gesundheitssystem um ca. 50 Millionen US-Dollar entlastet, da sich die Rate an Hospitalisierungen entsprechend reduziert. Eine theoretische Optimierung der Identifizierung des pandemischen Virus bzw. eine Beschleunigung der Impfstofffindung, -produktion und -zulassung ermöglichte den Beginn der Impfungen bereits vier Monate nach Ausbruch der Pandemie. Hierdurch hätten wiederum weitere 5633 Menschenleben gerettet und zusätzliche 50 Millionen US-Dollar eingespart werden können. Die Autoren der Studie verweisen damit auf eine direkte Korrelation des genauen Zeitpunkts der Vakzinierung und der Schwere des Verlaufs einer Influenza-Pandemie. Eine Verzögerung von nur vier Wochen resultiert in einer substantiellen Erhöhung der Mortalitätsrate sowie der Kosten für die Behandlung von Neuinfektionen. Daneben bestätigte eine Subanalyse der Ergebnisse die Wichtigkeit der konsequenten Anwendung nicht-pharmazeutischer Präventivmaßnahmen in der betroffenen Bevölkerung, wie Händedesinfektion und Bedeckung von Mund und Nase sowie eine räumliche Trennung von erkrankten Personen. Diese wiesen einen positiven Effekt auf die Mortalitätsrate auf, welche gleichzusetzen war mit einer Durchimpfungsrate von 30% der Bevölkerung nach vier Monaten. Solch infektionshygienische Regeln stellen nach Meinung der Autoren daher die wichtigste Präventivmaßnahme während der zeitlichen Verzögerung bis zum Impfbeginn dar.
Limitation der Simulation
Wie die meisten computerbasierten Simulationen besitzt auch die hier vorliegende Studie signifikante Limitationen. Die angenommene Mortalität von 2,5% liegt vermutlich weit unter der tatsächlich auftretenden Rate an Todesfällen. Darüber hinaus berücksichtigt die hier vorgenommene Kalkulation der Ansteckungsrate unter der Bevölkerung keine personenbezogenen Parameter wie Geschlecht, Alter und Komorbidität. Eine homogene Verteilung der Infektionen, wie in dieser Studie dargelegt, simuliert daher nicht die Anfälligkeit entsprechender Risikogruppen sowie die bevorzugte Vakzinierung von Senioren und Kleinkindern. Trotz dieser offensichtlichen Limitationen unterstützt die Studie die Bemühungen zur Optimierung der bisherigen Impfstoffentwicklung. Diese bedarf der Etablierung neuartiger Herstellungstechniken, vermutlich auf Basis industrieller Zellmethoden bzw. mittels rekombinanter Gentechnik. Obwohl die Kosten für solche Impfstoffe noch nicht vollständig abzuschätzen sind, dient die vorliegende Studie der Evaluation pharmako-ökonomischer Aspekte der Wirksamkeit bisheriger Herstellungsmethoden mittels embryonierter Hühnereier. Bestenfalls forciert die Studie auch die Entscheidungsfindung der Industrie und Politik zur Optimierung der Produktion sowie Administration dringend benötigter Vakzine in Krisensituationen.
Quelle
[1] www.rki.de
[2] Saisonale Influenza, Vogelgrippe und potenzielle Influenzapandemie – Empfehlungen zum Einsatz insbesondere von antiviralen Arzneimitteln und Impfungen. www.bundesaerztekammer.de/downloads/Influenza.pdf
[3] Pandemic (H1N1) 2009 - update 112. Global Alert and Response (GAR), www.who.int/csr/don/2010_08_06/en/
[4] Hazeni N et al. Health and Economic Benefits of Early Vaccination and Nonpharmaceutical Interventions for a Human Influenza A (H7N9) Pandemic – A Modeling Study. Ann Intern Med 2014;160(10):684–694
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