Probiotika

Schützen Probiotika vor Asthma und Allergien?

Studien stellen den Nutzen infrage

Erika von Mutius | Das Asthma bronchiale ist die häufigste chronische Erkrankung im Kindesalter. Zudem kann man davon ausgehen, dass in Deutschland mehr als ein Drittel aller Kinder einen positiven Allergietest aufweisen. Für den Heuschnupfen liegen die Zahlen bei Kindern und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter bei etwa 20 bis 25 Prozent. Ebenfalls eine häufige Manifestation stellt die Neurodermitis dar, die schon im ersten Lebensjahr auftritt und mit einer Nahrungsmittelallergie einhergehen kann, aber nicht muss. Die Nahrungsmittelallergie betrifft meist die Kuhmilch, das Hühnereiweiß oder auch Nüsse.

Zunahme der Allergien – Gründe ungewiss

Seit den 1950er Jahren war in der Bundesrepublik eine rapide Zunahme allergischer Erkrankungen bis in die 1990er Jahre dokumentiert worden. Dieser Anstieg ist zwar zum Stillstand gekommen, doch ist auch der zur Zeit der Wiedervereinigung vorhandene Unterschied der Häufigkeit von Allergien in Ost- bzw. Westdeutschland inzwischen fast verschwunden, da die allergischen Erkrankungen in den neuen Bundesländern zugenommen haben [1]. Es ist leider nicht geklärt worden, welche Umweltfaktoren diesen Anstieg verursacht haben.

Eine Vielzahl von möglichen Faktoren wurde diskutiert: Unter anderem war nach der Wiedervereinigung die Geburtenrate in den neuen Bundesländern drastisch gesunken. Wir wissen aus zahlreichen Studien, dass die Existenz von Geschwistern einen Schutzfaktor vor allergischen Erkrankungen darstellt, was im Umkehrschluss bedeutet, dass Ein-Kind-Familien das Auftreten allergischer Erkrankungen fördern. Andere mögliche Faktoren sind die seit der Wiedervereinigung veränderten Ernährungsgewohnheiten, die zunehmende Adipositas, der häufigere Bewegungsmangel sowie die Zunahme des Lkw-Verkehrs.

Schutzfaktoren in der Umwelt

Neben diesen Risikofaktoren sind auch schützende Umwelteinflüsse identifiziert worden. Hier sind insbesondere die Studien zu Kindern, die auf einem Bauernhof aufwachsen, zu nennen. Durch sie ist seit vielen Jahren bekannt, dass Kinder, die auf dem Lande, insbesondere auf einem Bauernhof aufwachsen, einen erheblichen Schutz vor der Entwicklung von Asthma, Heuschnupfen und allergischer Sensibilisierung aufweisen [2]. Diese Beobachtungen sind in zahlreichen Populationen Europas, aber auch weltweit bestätigt worden. Der Schutz wird vorwiegend auf die Exposition gegenüber Nutztieren wie Kühen und Schweinen, deren Futtermitteln wie Heu und Silage oder deren Einstreu zurückgeführt.

Außerdem ist der Verzehr unbehandelter frischer Kuhmilch als Schutzfaktor identifiziert worden.

Bakterien mit präventiver Wirkung?

Der Aufenthalt im Kuhstall ist assoziiert mit einer starken Exposition gegenüber Mikroben, die in solcher Umgebung reichlich vorhanden sind. Kürzlich wurde gezeigt, dass die Exposition gegenüber Umweltmikroben, seien es Bakterien oder Schimmelpilze, den schützenden "Bauernhofeffekt" bezüglich Asthma erklären kann [3]. Dabei fand sich ein Cocktail von Bakterien, vor allem von grampositiven Bakterien, die für die Asthma-Protektion besonders wirksam waren.

Ein gramnegativer Keim, Acinetobacter lwoffii, wurde als besonders protektiv für allergische Manifestationen identifiziert. A. lwoffii war bereits in früheren Studien aufgefallen, als Abklatschtests auf Bauernhöfen durchgeführt worden waren und die Mikrobenkulturen mit den Seren der dort lebenden Kinder verglichen wurden. Bauernkinder hatten besonders viele Immunantworten gegenüber A. lwoffii.

Daraufhin wurde A. lwoffii in experimentellen Studien an Mäusen eingesetzt, mit folgendem Ergebnis: Die nasale Applikation von A. lwoffii schützt die Maus vor allergischem Asthma bronchiale [4]. Interessanterweise ist dies auch im transmaternalen Experiment zu sehen. Dies bedeutet, dass die Nachkommen weiblicher Mäuse, denen A. lwoffii in die Nase appliziert wurde, vor der Entwicklung eines allergischen Asthma bronchiale geschützt sind.

Ein weiterer Keim, Lactococcus lactis, der auch mittels Abklatschtest auf Bauernhöfen identifiziert wurde, schützt ebenfalls in diesen Tiermodellen vor der Entwicklung eines allergischen Asthma bronchiale [4].

Was bedeuten diese Beobachtungen an Landkindern und diese tierexperimentellen Studien für die Prävention von Asthma und Allergien im Kindesalter?

Eins zu eins lassen sich die Lebensverhältnisse von Landkindern sicher nicht auf Stadtkinder übertragen. Man kann nicht einfach eine Kuh oder ein Schwein in die Stadtwohnung mitnehmen. Auch der Konsum der unbehandelten frischen Kuhmilch birgt große Risiken. Es können schwerwiegende Infektionen mit Listerien oder EHEC erfolgen, die, wie wir an der Epidemie im Jahr 2011 gesehen haben, verheerende Folgen für die Gesundheit haben können. Es gibt aber zunehmend klinische Studien, die nicht pathogene Keime einsetzen, um der Entwicklung von allergischen Erkrankungen entgegenzuwirken.

Probiotika im Test

An erster Stelle seien die Probiotika genannt. Probiotika sind lebende Mikroorganismen, die sich nach oraler Aufnahme im Gastrointestinaltrakt aufhalten und von denen postuliert wird, dass sie einen gesundheitsfördernden Einfluss auf ihren Wirt haben. Die am längsten als Probiotika angewendeten Mikroorganismen sind Milchsäurebakterien, insbesondere Lactobacillen. Eine erste Studie aus Finnland hatte gezeigt, dass die Verabreichung von Lactobacillus GG das Risiko, eine Neurodermitis zu entwickeln, auf etwa die Hälfte reduzieren konnte, wenn die Mutter dieses Probiotikum während der Schwangerschaft und Stillzeit eingenommen hatte.

Seither sind zahlreiche Studien mit verschiedenen Mikroorganismen durchgeführt worden. Das Problem dieser Untersuchungen liegt darin, dass unterschiedliche Gemische von Mikroorganismen sowie sogenannten Präbiotika (zuckerhaltige Zubereitungen, die das Wachstum bestimmter Mikroorganismen im Darm fördern sollen) in unterschiedlichen Dosen zu unterschiedlichen Zeitpunkten (während der Schwangerschaft, nach der Geburt) getestet wurden, sodass die Vergleichbarkeit dieser Studien nicht gegeben ist.

Eine kürzlich erschienene Metaanalyse hat allerdings diejenigen Studien zusammengefasst und ausgewertet, in denen Lactobacillen an schwangere Mütter verabreicht wurden. Hier scheint ein Präventionseffekt auf die Neurodermitis nachgewiesen zu sein.

Künftig sollten Probiotika mit den Standards der klinischen Arzneimittelprüfung auf ihre Wirksamkeit geprüft werden, damit eine Vergleichbarkeit der Wirksamkeit einzelner Präparationen möglich ist. Derzeit werden solche Qualitätsanforderungen noch nicht an Studien mit Probiotika gestellt, da es sich nicht um Medikamente, sondern um Nahrungsergänzungsmittel handelt. Ob der Konsum von Joghurt durch die schwangere Mutter ähnliche Effekte haben könnte wie ein Probiotikum, ist nicht gründlich untersucht. Auch fehlt es an ernsthaften Studien, ob im Markt etablierte Probiotika, die verschiedene Bakterienstämme mit angeblich gesundheitsfördernden Wirkungen enthalten, auch bei der Vorbeugung von Asthma und Allergien wirksam sind.

Zwei klinische Studien

Ein anderer Ansatz wurde an der Charité in Berlin gewählt: Dort wurde die randomisierte placebokontrollierte PAPS-Studie (Prophylaxe-Atopie-Pro-Symbioflor®) an über 600 Säuglingen mit einer familiären Belastung für allergische Erkrankungen durchgeführt [5]. Von der fünften Lebenswoche bis zum siebten Lebensmonat wurde den Säuglingen in der Verumgruppe ein bakterielles Lysat, welches gramnegative Escherichia coli und grampositiven Enterococcus faecalis enthielt (Pro-Symbioflor®), verabreicht. Die Kinder wurden bis zum dritten Lebensjahr weiterbeobachtet. Dabei zeigte sich zwischen der Verumgruppe und der Placebogruppe kein Unterschied in der Prävalenz der Neurodermitis.

Nur in einer Subgruppe der Verumgruppe fand sich eine Schutzwirkung. Dies waren Kinder, bei denen nicht die Mutter, sondern nur der Vater eine allergische Erkrankung aufwies. Solche A-posteriori-Analysen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, da sie statistisch oft nicht haltbar sind. Erst eine klinische Studie, die bei ihrer Planung diese Zielgruppe (Kinder, in deren Familien nur die Väter eine allergische Erkrankung aufweisen) einschließt, kann klarstellen, ob eine solche "fishing expedition" zur richtigen Schlussfolgerung gekommen war.

Diese Ergebnisse erinnern an die ETAC-Studie, in welcher fast 800 Säuglinge mit atopischer Dermatitis Cetirizin bzw. ein Placebo zur Vorbeugung von Asthma bronchiale erhielten [6]. Ein Effekt von Cetirizin fand sich nicht in der gesamten Verumgruppe, sondern nur in der Subgruppe derjenigen Kinder, die eine Hausstaubmilbenallergie aufwiesen (A-posteriori-Analyse). Darauf folgte eine zweite klinische Studie, die genau diese Untergruppe untersuchte. Sie konnte den Effekt der A-posteriori-Analyse nicht bestätigen.

Tipps zur Vorbeugung von Asthma und Allergien

Ganz vordringlich ist, dass eine Frau das Rauchen einstellt, wenn sie schwanger ist [7]. Es ist eindeutig, dass eine werdende Mutter durch Rauchen das Asthmarisiko bei ihrem Kind erhöht. Auch Passivrauchen des Neugeborenen ist mit einem erhöhten Asthmarisiko verbunden. Interessanterweise konnte eine Studie in Schottland zeigen, dass seit Einführung des öffentlichen Rauchverbots im Jahr 2001 die Krankenhausaufnahmen wegen Asthma signifikant gesunken sind.

Darüber hinaus sollten Jugendliche möglichst nicht rauchen. Wir wissen, dass Jugendliche, die mit dem Rauchen beginnen, ein vierfach erhöhtes Risiko haben, Asthma zu entwickeln bzw. das Asthma, das sie vielleicht schon haben, nicht zu verlieren.

Sind Heimtiere ein Ersatz für den Kuhstall?

Es gibt keinen Hinweis darauf, dass eine Katze im Haushalt einen Schutz vor der Entwicklung von Asthma und Allergien bei Kindern bieten kann. Allerdings weisen einige Studien darauf hin, dass ein Hund, der bereits in der Familie ist, wenn das Kind geboren wird, das Risiko für allergische Manifestationen verringern kann. Diese Ergebnisse sind aber nicht so konsistent, dass man generell allen Familien empfehlen könnte, sich einen Hund anzuschaffen.

Fazit

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es derzeit noch kein Medikament oder Nahrungsergänzungsmittel gibt, das Asthma und allergische Erkrankungen heilen oder sogar vor der Erkrankung schützen könnte. Allerdings gibt es bereits wertvolle Ansätze und Entwicklungen in der Forschung, die hoffen lassen, dass sich dies in der Zukunft ändern wird.


Literatur

[1] Robert Koch-Institut: 20 Jahre nach dem Fall der Mauer: Wie hat sich die Gesundheit in Deutschland entwickelt? Berlin, 26.10.2009.

[2] von Mutius E, Vercelli D. Farm living: effects on childhood asthma and allergy. Nat Rev Immunol 2010;10(12):861-868.

[3] Ege MJ; GABRIELA Transregio 22 Study Group. Exposure to environmental microorganisms and childhood asthma. N Engl J Med 2011;364(8):701 – 709.

[4] Debarry J, et al. The allergy-protective properties of Acinetobacter lwoffii F78 are imparted by its lipopolysaccharide. Allergy 2010;65(6):690 – 697.

[5] Lau S, et al. Oral application of bacterial lysate in infancy decreases the risk of atopic dermatitis in children with 1 atopic parent in a randomized, placebo-controlled trial. J Allergy Clin Immunol 2012;129(4):1040 – 1047.

[6] Warner JO; ETAC Study Group. Early Treatment of the Atopic Child. A double-blinded, randomized, placebo-controlled trial of cetirizine in preventing the onset of asthma in children with atopic dermatitis: 18 months‘ treatment and 18 months‘ posttreatment follow-up. J Allergy Clin Immunol 2001;108(6):929 – 937.

[7] Eder W, Ege MJ, von Mutius E. The asthma epidemic. N Engl J Med 2006;355(21):2226 – 2235.

Autorin


Prof. Dr. Erika von Mutius

studierte Humanmedizin in München. 1992 Fachärztin für Pädiatrie, seit 1993 Leiterin der Asthma- und Allergieambulanz des Dr. von Haunerschen Kinderspitals, seit 2004 Professorin für Pädiatrische Allergologie. Im März erhält sie einen Förderpreis im Gottfried Wilhelm Leibniz-Programm der DFG für das Jahr 2013.



Prof. Dr. med. Dr. h.c. Erika von Mutius
Dr. von Haunersches Kinderspital
der Ludwig-Maximilians-Universität München
Lindwurmstraße 4,
80337 München



DAZ 2013, Nr. 9, S. 44

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