- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 9/2013
- Eine Folge von ...
Arzneimittelversorgung
Eine Folge von Sparpolitik und Preiswettbewerb bei Arzneimitteln?
Anstoß für die aktuelle Diskussion waren mehrere Beiträge in der Frankfurter Rundschau seit Juni 2012. In Anlehnung an die alarmierenden Zustände in den USA recherchierten die Journalisten in deutschen Krankenhäusern. Demzufolge "ist der Arzneimittelmangel in Deutschland bereits chronisch, nach Auskunft einer Krankenhausapothekerin sind von den 1900 im Krankenhausbetrieb regelmäßig eingesetzten Medikamenten ständig 10 bis 20 nicht oder nur in kontingentierter Menge lieferbar. Die Folge sind Priorisierung und Reservierung von bestimmten Medikamenten, so werden beispielsweise für Krebspatienten zu Therapiebeginn Kontingente zurückgestellt, um sicherzustellen, dass die Therapie mit demselben Medikament zu Ende geführt werden kann. Für nachfolgende Patienten bedeutet dies, dass dieses Arzneimittel für sie nicht zur Verfügung steht, sie stattdessen mit einem anderen Mittel behandelt werden müssen oder der Therapiebeginn komplett verschoben werden muss" [2]. Dies hatte die Linksfraktion zum Anlass genommen, bei der Bundesregierung eine kleine Anfrage zum Thema "Versorgungsengpässe bei Arzneimitteln" zu stellen [3].
Die Bundesregierung beschwichtigt
In ihrer Antwort bestätigte die Bundesregierung zwar das Auftreten einiger Fälle, in denen bestimmte Arzneimittel zeitweise nicht oder nicht ausreichend verfügbar waren, sie wollte daraus jedoch nicht auf das Vorliegen von länger andauernden Lieferengpässen für lebenswichtige Arzneimittel schließen [4]. Nach Erachten der Bundesregierung stellt die Verpflichtung der pharmazeutischen Industrie durch § 52b Arzneimittelgesetz (AMG) ein sachgerechtes Mittel dar, um eine angemessene und kontinuierliche Bereitstellung der in Deutschland in den Verkehr gebrachten Arzneimittel sicherzustellen. Damit korrespondiere die Regelung des § 29 Abs. 1c AMG, durch welche die pharmazeutischen Unternehmer (PU) gesetzlich verpflichtet sind, der zuständigen Bundesoberbehörde gegenüber rechtzeitig anzuzeigen, wenn das Inverkehrbringen eines Arzneimittels vorübergehend oder endgültig eingestellt wird.
Im August und September 2012 häuften sich die Meldungen darüber, dass verschiedene onkologische Medikamente vorübergehend oder dauerhaft nicht mehr verfügbar sein werden: So meldete die European Medicines Agency (EMA), dass der Hersteller des Leukämie-Medikaments Mabcampath® (Alemtuzumab) dieses aus kommerziellen Gründen vom Markt nehmen wird. Ein vorübergehender Lieferengpass für das Krebsmedikament Daunoblastin® (Daunorubicin) wurde durch Verzögerungen im Produktionsprozess verursacht. Die meisten Hersteller des zytostatischen Wirkstoffs Vinorelbin sahen sich nicht in der Lage, diesen in der intravenös zu applizierenden Darreichung zu liefern.
Diese Nachrichten über Lieferausfälle bei essenziellen Krebsmedikamenten veranlassten die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) und den Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA), öffentlich vor den Konsequenzen zu warnen und politischen Handlungsbedarf anzumahnen.
DKG fordert zentrale Meldestelle
Seinen bisherigen Höhepunkt erreichte die Debatte, als am 7. November 2012 ein Positionspapier der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) veröffentlicht wurde, das die Erfahrungen von 19 Krankenhausapotheken, die insgesamt 99 Krankenhäuser versorgen, auswertete [5]. Die Krankenhausapotheken hatten im August und September sechs Wochen lang die Lieferengpässe mittels eines standardisierten Meldeformulars dokumentiert. So wurde erfasst, welche Präparate in welchem Zeitraum nicht oder nicht ausreichend lieferbar waren, ob gleichwertige Alternativpräparate zur Verfügung standen, ob und wann der Arzneimittelhersteller die Klinik vorab über den Lieferausfall informiert hatte und welche eigenen Maßnahmen die Kliniken ergriffen haben. Die DKG fasste zusammen, dass
die Lieferengpässe plötzlich und ohne Vorabinformation der Arzneimittelhersteller auftraten,
am häufigsten Arzneimittel zur Behandlung von Krebspatienten, Antibiotika und generell Präparate zur intravenösen Gabe betroffen waren,
durchschnittlich 25 Arzneimittel in den beteiligten Kliniken nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung standen und
die Lieferengpässe zu erheblichen organisatorischen und finanziellen Belastungen führten (z. B. Beschaffung alternativer Präparate durch Einzelimporte und zu höheren Preisen, Information von Ärzten und Pflegekräften über die Alternativpräparate).
Die DKG formulierte in der Konsequenz drei konkrete Maßnahmen, um den Lieferengpässen künftig entgegenwirken zu können:
Aufbau eines zentralen Melderegisters für Arzneimittellieferengpässe bei den zuständigen Bundesoberbehörden BfArM und PEI, in Anlehnung an das bei der Food and Drug Administration (FDA) in den USA eingerichtete Meldesystem,
Erweiterung des gesetzlichen Bereitstellungsauftrags für Arzneimittelhersteller und
Aufbau eines zentralen Risikomanagements zur Prävention von Arzneimittelengpässen, welches aus drei wesentlichen Säulen bestehen soll: – Identifizierung und Monitoring besonders wichtiger, aber aufgrund ihrer Produktions bedingungen für Lieferengpässe anfälliger Präparate, – präventive Maßnahmen (z. B. frühzeitiges An sprechen anderer Hersteller zur Ausweitung der Produktion, wenn Produktionsprobleme auf treten) und – Maßnahmen, die bei bereits aufgetretenen Engpässen ergriffen werden (z. B. behördlich angewiesene Kontingentierung knapper Arzneimittel).
Hinsichtlich des Bereitstellungsauftrags der Arzneimittelhersteller kritisierte die DKG insbesondere, dass eine im Rahmen der 16. AMG-Novelle vorgesehene Neuregelung des § 52b Abs. 5 AMG ("behördliche Befugnisse zur Ausweitung von Produktions- und Lagerkapazitäten der Pharmaindustrie sowie Bußgelder bei gravierenden Lieferengpässen") aufgrund einer von der Industrie geforderten Entschädigungsregelung unterblieben ist.
Industrie fordert differenzierte Betrachtung
Um die Sicht der pharmazeutischen Industrie darzustellen, wandten sich die Verbände BAH, BPI, Pro Generika und vfa am 10. Dezember 2012 mit einem gemeinsamen Schreiben an Gesundheitspolitiker in Bund und Ländern und äußerten sich darin auch zu dem Positionspapier der DKG. An erster Stelle plädierten sie für eine differenzierte Betrachtung zwischen Lieferengpässen einerseits, von denen einzelne Packungsgrößen, Wirkstärken oder Darreichungsformen eines bestimmten Herstellers betroffen sind und die in der Regel von anderen Herstellern aufgefangen werden können, und systematischen Versorgungsengpässen andererseits, wenn ein bestimmter Wirkstoff oder eine ganze Produktpalette nicht lieferbar ist, was erhebliche Auswirkungen auf die Versorgungslage in Deutschland hat. Zudem nannte die pharmazeutische Industrie eine Vielzahl von Ursachen, die Lieferengpässen zugrunde liegen können:
Probleme eines Zulieferers mit der Lieferfähigkeit eines Wirk- oder Hilfsstoffs,
Ausfall einer Produktionsanlage oder Hard- und/oder Software durch Umrüstung oder Um-/Ausbau, durch Anpassung an geänderte behördliche Anforderungen, wegen Sanierungsmaßnahmen oder Katastrophe (z. B. Feuer, Erdbeben, Flut),
Probleme beim Transfer einer Herstellung zu einem anderen Betrieb,
Sperrung von Produktionschargen wegen Mängeln oder Rückruf,
unerwarteter Anstieg des Bedarfs / unerwartet hohe Nachfrage und
zunehmender Kostendruck.
Der Preiswettbewerb hat die Situation der Pharmaunternehmen (PU) erschwert [6]. Zunächst wurden die Festbeträge eingeführt, die ein Erstattungsniveau auf Basis der Generikapreise für wirkstoffgleiche oder therapeutisch vergleichbare Arzneimittel definierten. Anschließend wurde der Preiswettbewerb u. a. durch die Rabattverträge intensiviert. Um das Einsparpotenzial weiter auszuschöpfen, wurde mit dem AMNOG im Jahr 2011 die frühe Nutzenbewertung neuartiger Arzneimittel mit anschließender Preisverhandlung eingeführt.
Die Konsequenz der politischen Maßnahmen zur Einsparung von Arzneimittelkosten ist ein Konzentrationsprozess: Viele Generikahersteller und Hersteller älterer Originalarzneimittel sind vom Markt verschwunden, weil sie dem harten Preiswettbewerb nicht standhalten konnten. Es gibt nur noch wenige inhabergeführte PU in Deutschland, die meisten wurden aufgekauft. Um dem erhöhten Kostendruck gewachsen zu sein, haben viele PU die Produktion an preisgünstige Standorte außerhalb der EU verlagert.
Industrie sieht Vorratshaltung kritisch
Die Pharmaverbände haben die von der DKG angeregten Maßnahmen diskutiert. Eine Erweiterung der Melde- und Anzeigepflichten gemäß § 19 Abs. 2 Arzneimittelwirkstoff-Herstellungsverordnung (AMWHV) und § 29 Abs. 1c AMG halten sie nicht für zielführend, um eine Versorgungssicherheit zu erreichen. Dem Aufbau eines zentralen Melderegisters für Lieferengpässe stehen sie aufgeschlossen gegenüber, sie halten es jedoch für unerlässlich, zuvor zu definieren, was genau unter einem Lieferengpass zu verstehen ist, da eine fälschliche Nennung in einem solchen Register die betroffene Firma im Wettbewerb erheblich schädigen kann.
Die von der DKG geforderte Pflicht zur Vorratshaltung von Arzneimitteln sehen die Industrieverbände wegen der damit verbundenen Zusatzkosten kritisch; sie könnte dazu führen, dass manche Hersteller auf die Produktion wenig rentabler Arzneimittel komplett verzichten. Die Verpflichtung zur erhöhten Vorratshaltung müsste zudem konsequenterweise auf die komplette Lieferkette ausgedehnt werden. Ein zentrales Risikomanagement werde bereits auf europäischer Ebene bei der EMA aufgebaut und koordiniert [7]; die Kontingentierung durch nationale Behörden halten die Pharmaverbände jedoch für unrealistisch.
BMG sieht inzwischen Handlungsbedarf
Nach den Stellungnahmen der DKG und der PU sah auch die Politik Handlungsbedarf: Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) lud am 31. Januar 2013 die Vertreter der Apotheker, Kliniken, Hersteller, Großhändler und Ärzte zu einem gemeinsamen Gespräch über Lieferengpässe in der Arzneimittelversorgung [8]. Dort schlugen Ärzte und Apotheker ein zentrales Melderegister nach dem Vorbild des "Current Drug Shortages Index" der FDA vor; die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sprach sich für die Anlegung nationaler Arzneimittelreserven aus; zudem wurde einhellige Kritik an den Rabattverträgen geübt, da – insbesondere aus Sicht der Pharmaverbände – Versorgungsengpässe eine natürliche Konsequenz sind, wenn einer der wenigen Ausschreibungsgewinner nicht mehr liefern kann. Das BMG will nun alle Positionen und Stellungnahmen auswerten.
Eigene Recherchen
Um die richtigen Maßnahmen gegen Lieferengpässe ergreifen zu können, muss das Problem genau erfasst werden. Aus unserer Sicht stellt die Erhebung der DKG einen geeigneten Ausgangspunkt dar. Nach Aussage der DKG traten 80% der Lieferausfälle von Arzneimitteln überraschend und ohne Vorankündigung ein, trotz der Verpflichtung der pharmazeutischen Hersteller, die zuständige Bundesoberbehörde spätestens zwei Monate vor der vorübergehenden oder endgültigen Einstellung des Inverkehrbringens eines Arzneimittels zu informieren (§ 29 Abs. 1c AMG). Ausgenommen von dieser Verpflichtung sind lediglich Umstände, die der Inhaber der Zulassung nicht zu vertreten hat. So stellt sich die Frage, wie frühzeitig Pharmaunternehmen von Lieferschwierigkeiten wissen und ob sie diese Information zeitnah an die zuständigen Bundesoberbehörden weitergeben, denen die weitere Kommunikation dieser Meldungen an Ärzte, Apotheker und Krankenhäuser obliegt.
Aus unserer Sicht wäre es angemessen, die Information über absehbare Lieferengpässe als notwendigen Bestandteil des nationalen Stufenplanverfahrens gemäß §§ 62, 63 AMG zur Verhütung von Arzneimittelrisiken zu behandeln. Da sich die PU gemäß den Pharma-Kodizes der Vereine "Arzneimittel und Kooperation im Gesundheitswesen" (AKG) und "Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie" (FSA) darauf verständigt haben, wichtige Informationen zur Arzneimittelsicherheit (Anwendungshinweise, Chargenrückrufe etc.) an die Fachkreise mittels der "Rote-Hand-Briefe" zu übermitteln, läge es nicht fern, auch Lieferschwierigkeiten auf diesem Wege zu kommunizieren. Daher haben wir recherchiert, welche Hersteller für welche Medikamente in den Jahren 2011 und 2012 diesen Weg genutzt haben, um über die kurz- und längerfristige Lieferunfähigkeit von Arzneimitteln zu informieren. Anhand dieser Meldungen erhält man zugleich einen Eindruck, welche Arzneimittelgruppen häufiger von Lieferengpässen betroffen waren.
Nach unseren Recherchen traten Lieferengpässe für Arzneimittel in Deutschland erst ab 2011 in bemerkenswertem Umfang auf, abgesehen von kurzfristigen Lieferschwierigkeiten für zwei Kinderimpfstoffe der Firma GlaxoSmithKline (GSK) im Februar 2010. In 2011 fanden wir Meldungen über Lieferengpässe oder gar Vertriebseinstellungen von sieben Arzneimitteln; darunter waren u. a. Dialyselösungen, Hormonanaloga, Humaninsulinanaloga und das Zytostatikum Caelyx®, das insbesondere bei Brustkrebspatientinnen mit Risiko für Herzerkrankungen eingesetzt wird.
Im Jahr 2012 setzte sich das Problem mit den Lieferengpässen fort: Unter den Sicherheitsmeldungen des BfArM fanden sich fünf mit einem deutlichen Bezug zu Lieferengpässen und die Berichterstattung des PEI zum Rückruf der Grippeimpfstoffe Begripal® und Fluad® zu Beginn der Impfsaison. Daneben fanden wir jedoch journalistische Berichte über von Krankenhäusern gemeldete Engpässe bei essenziellen Krebsmedikamenten ab August 2012, sowie zu Lieferengpässen bei Typhus-Impfstoffen und Immunsuppressiva, zu denen keine Rote-Hand-Briefe existieren (Detaillierte Dokumentation in DAZ.online, siehe "Info").
InfoDie von den Autoren erstellte Dokumentation über die Liefer- und Versorgungsengpässe von Arzneimitteln in Deutschland während der Jahre 2011 und 2012 finden Sie in DAZ.online im Servicebereich unter DAZ plus/Dokumente. |
Die Meldungen über Arzneimittellieferengpässe durch Rote-Hand-Briefe und Informationsbriefe waren uneinheitlich. Teils kündigten die Hersteller bevorstehende Lieferengpässe in einem Monat oder in 14 Tagen an, teils informierten sie über kurzfristig erwartete oder bereits bestehende Lieferschwierigkeiten. Einige Hersteller nannten Alternativpräparate und bemühten sich um eine möglichst gute Überbrückung des Engpasses zugunsten der Patienten, während andere Hersteller lediglich auf Leitlinien verwiesen oder den Ernst der Lage herunterspielten. Dies alles erweckt den Anschein, dass es vollständig dem Verantwortungsgefühl des Herstellers obliegt, wann und wie umfangreich er über einen Lieferengpass informiert.
Die am häufigsten betroffenen Arzneimittelgruppen waren Zytostatika (viermal) und Injektabilia wie Impfstoffe und Insuline (ca. neunmal). Allerdings standen bei vielen der durch Rote-Hand-Briefe gemeldeten Lieferprobleme Alternativpräparate anderer Hersteller oder sogar desselben Herstellers zur Verfügung, mit denen die Engpässe überbrückt werden konnten. In einigen Fällen jedoch, wenn es an Alternativen fehlte, mussten die Arzneimittel sogar auf Empfehlung der Hersteller zugunsten der am dringendsten zu versorgenden Patienten in Kontingente eingeteilt werden. Besorgniserregend ist die Tatsache, dass die Lieferschwierigkeiten bei zwei Zytostatika sowie die Marktrücknahme des Leukämie-Medikaments Mabcampath® nicht rechtzeitig von den jeweiligen Herstellern mitgeteilt wurden.
Was waren die häufigsten Gründe für Engpässe?
Des Weiteren interessierten uns die von den Herstellern angegebenen Gründe für die Lieferengpässe. Der häufigste Grund waren technische Störungen oder Qualitätsmängel im Produktionsablauf – oft bei Lohnherstellern – , gefolgt vom Umbau oder von der Verlagerung der Produktionsstätte. In nur zwei Fällen war die marktwirtschaftliche Entscheidung des Herstellers, das Medikament vom Markt zu nehmen, für den Lieferengpass verantwortlich. Auch wenn solche Schritte nicht wünschenswert sind, so sind sie doch rechtmäßig und nicht selten ein Resultat des hohen Preisdrucks, der auf den PU lastet. Damit vergleichbar ist die Entscheidung eines Herstellers, ein neues Medikament nicht in Deutschland vermarkten zu wollen, wenn sich abzeichnet, dass infolge der Bescheinigung eines fehlenden Zusatznutzens kein den Herstellungskosten angemessener Erstattungspreis erzielt werden kann.
Lieferengpässe traten insbesondere dann auf und wurden zu einem Versorgungsproblem, wenn alle Hersteller eines bestimmten Arzneistoffs – manchmal gab es nur einen einzigen Hersteller – zur gleichen Zeit ein Produktionsproblem hatten. Die fehlende Verfügbarkeit von Alternativen ist aus unserer Sicht eine Folge des Preiswettbewerbs, welcher zu einer Konzentration auf wenige Hersteller sowie zur Auslagerung von Produktionsstandorten ins außereuropäische Ausland geführt hat. So ist beispielsweise die Versorgung Deutschlands mit Antibiotika zu über 80% von nur fünf PU abhängig. Es ist leicht vorstellbar, dass es zu Versorgungsengpässen kommt, sobald einer dieser PU ausfällt – sei es durch Mängel im Produktionsablauf, sei es durch verspätetes Eintreffen von Arznei- oder Hilfsstoffen. Unmittelbar damit verknüpft ist die Abhängigkeit von der Arzneistoffproduktion in Schwellenländern wie China oder Indien: Die meisten PU beziehen ihre Arznei- und Hilfsstoffe wegen der günstigen Produktionskosten nur noch aus solchen Staaten.
Die Tendenz, wichtige Arzneistoffe nur noch aus dem Ausland zu importieren, ist sowohl politisch als auch gesundheitspolitisch bedenklich: Deutschland könnte durch seine Abhängigkeit bei politischen Entscheidungen erpressbar werden. Zudem kommt es nach wie vor zu Produktionsausfällen oder Qualitätsbeanstandungen, da die Herstellungsstandards in Indien und China nach wie vor nicht durchgängig dem in Europa und den USA geforderten Niveau entsprechen; so stellt der Import von Substandard-Arzneistoffen ein Gesundheitsrisiko für die deutsche Bevölkerung dar.
Eine weitere wesentliche Ursache für Versorgungsengpässe sind die komplexen und verzweigten Produktionsabläufe von modernen Arzneimitteln wie Parenteralia, die sich aus Wirkstoffkombinationen zusammensetzen [9]. Sie sind besonders anfällig für Qualitätsmängel und Störungen im Produktionsablauf. Dies bestätigte sich auch in unserer Untersuchung, wonach in den vergangenen zwei Jahren häufig Injektabilia wie Impfstoffe und Insulinanaloga von Lieferengpässen betroffen waren.
Praktische Auswirkungen
Selbstverständlich wollten wir auch den übrigen Fragen nachgehen, die das Positionspapier der DKG aufgeworfen hat. Trotz intensiver Bemühungen wurden uns bedauerlicherweise keine aussagekräftigen Informationen zu den tatsächlichen Ausmaßen der Lieferengpässe zur Verfügung gestellt. Aus diesem Grund können wir auch nicht beurteilen, wie sich die Arzneimittellieferengpässe in den Kliniken finanziell und organisatorisch ausgewirkt haben. Auf Anfrage erhielten wir die Rückmeldung einer einzelnen Krankenhausapotheke, die aufgrund einer umsichtigen Planung und Bevorratung bisher keine Probleme mit Lieferengpässen hatte und auch nicht auf den Import von Medikamenten aus dem Ausland ausweichen musste. Sie gibt bei als problematisch eingestuften Substanzen, z. B. Antibiotika, parallele Bestellungen bei mehreren Lieferanten auf und legt außerdem sehr hohe Vorräte für die Dauer von mindestens drei Monaten an. Auch wenn dies weit über das gesetzlich geforderte Maß hinausgeht – laut § 30 Abs. 1 ApBetrO muss eine Krankenhausapotheke die zur Versorgung der Patienten notwendigen Arzneimittel in mindestens für zwei Wochen ausreichenden Mengen bevorraten – , so erscheint diese Strategie sinnvoll und angemessen.
Fazit
Somit lässt sich festhalten, dass – insbesondere nur vorübergehende – Lieferengpässe für die Krankenhäuser nicht wirklich überraschend auftreten können, solange sie ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Vorratshaltung gewissenhaft nachkommen. Bei Lieferengpässen, die mindestens zwei Wochen im Voraus vom Hersteller angekündigt werden, können die Krankenhäuser sich auf die Ausnahmesituation einstellen. Nach den Krankenhausgesetzen der Bundesländer (z. B. § 9 KHG NRW) ist jedes Krankenhaus verpflichtet eine Arzneimittel-Kommission zu bilden, welche "die im Krankenhaus üblicherweise zu verwendenden Arzneimittel unter besonderer Berücksichtigung ihrer Qualität und Preiswürdigkeit sowie der Aufgabenstellung des Krankenhauses (Arzneimittelliste)" auflistet, damit sich die Krankenhausapotheke diesem individuellen Bedarf entsprechend bevorratet. Zudem schreibt z. B. Nordrhein-Westfalen vor, dass Krankenhäuser bestimmte Arzneimittel und Medizinprodukte für Katastrophenfälle in größeren Mengen vorrätig halten [10].
Neben die unmittelbare Bevorratung in den Krankenhäusern tritt eine – zumindest moralische – Verpflichtung der Pharmaunternehmen, bestimmte Mengen ihrer Arzneimittel dauerhaft auf Lager zu halten. Die funktionierende Aufteilung dieser Verpflichtungen zwischen den Hauptakteuren würde auch die Anlegung nationaler Arzneimittelreserven überflüssig machen.
Wir hoffen, durch diesen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion beizutragen, damit ein effektives Risikomanagement zur Verhinderung realer Arzneimittellieferengpässe betrieben werden kann.
Literatur[1] Schweim JK, Schweim HG. "Drug Shortage" – Ist Arzneimittelmangel à la USA bald auch ein deutsches Problem? Dtsch Apoth Ztg 2012;152:1640 – 1643. [2] Baumann D. Arznei-Engpässe – Den Kliniken gehen die Pillen aus. Frankfurter Rundschau vom 11.06.2012. [3] Bundestagsdrucksache 17/10072 vom 22.06.2012.[4] Bundestagsdrucksache 17/10284 vom 11.07.2012.[5] (ks). Auf Anbietervielfalt achten! Hersteller wollen sich in die Diskussion um Arzneimittel-Lieferengpässe einbringen. Dtsch Apoth Ztg 2012;152:6187-6188. [6] Laschet H. Gefährlicher Geiz: Der nackte Preiswettbewerb fördert die Monopolisierung. Ärzte Zeitung vom 05.02.2013, S. 2.[7] Reflection paper on medicinal product supply shortages caused by manufacturing/Good Manufacturing Practice Compliance problems. EMA/590745/2012, 22.11.2012.[8] (ks). Melderegister soll helfen – Im BMG wird nach Auswegen aus Arzneimittel-Lieferengpässen gesucht. Dtsch Apoth Ztg 2013;153:474. [9] IMS Health. National Sales Perspectives, Sept. 2006 bis Aug. 2011. [10] Verordnung über die Bevorratung von Arzneimitteln und Medizinprodukten für Großschadensereignisse in Krankenhäusern im Land Nordrhein-Westfalen vom 30.08.2000 (zuletzt geändert: 01.12.2009).
Autoren
RAin Dipl.-Jur. Janna K. Schweim, M.Sc., Köln
Prof. Dr. Harald G. Schweim,
Drug Regulatory Affairs, Universität Bonn
Gerhard-Domagk-Str. 3, 53121 Bonn
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.