Arzneimittel und Therapie

Pro und Kontra regelmäßiger Mammographie

Eine Analyse des britischen Screening-Programms zur Früherkennung von Mammakarzinomen kommt zum Schluss, dass dank frühen Diagnosen die tumorbedingte Sterblichkeit gesenkt werden kann. Diesem Benefit steht aber ein hoher Anteil an Überdiagnosen gegenüber.

Die Frage nach Nutzen und Schaden eines Brustkrebs-Screenings mithilfe der Mammographie wurde und wird vielfach diskutiert. Der wichtigste Punkt dabei ist, ob die Brustkrebsmortalität durch das Screening gesenkt werden kann und in welchem Ausmaß Überdiagnosen gestellt werden. Um diese Frage beantworten zu können, wurden von einer englischen Arbeitsgruppe (Independent Panel on Breast Cancer Screening) unter der Leitung von Prof. Sir Michael Marmot vom University College London mehrere Studien zu diesem Thema ausgewertet. Die Arbeitsgruppe griff dabei vor allem auf randomisierte Studien zurück, in denen Frauen mit und ohne Screening-Angebot verglichen wurden, berücksichtigte aber auch Beobachtungsstudien sowie Expertenaussagen. Die Auswahl der Studien beschränkte sich auf Arbeiten, die auf der Vorgehensweise in England beruhen, das heißt alle 50- bis 70-jährigen Frauen erhalten eine Aufforderung zum Screening alle drei Jahre. Zum Vergleich: In Deutschland wird das Screening alle zwei Jahre angeboten.

Nutzen und Schaden

Die Auswertung kommt zu folgenden Ergebnissen:

  • Die Brustkrebsmortalität wurde durch das Screening relativ um 20% gesenkt (RR 0,80; 95% Konfidenzintervall 0,73 bis 0,89). Diese Zahl basiert auf der Auswertung von elf älteren randomisierten Studien. In Beobachtungsstudien jüngeren Datums wurde teilweise ein stärkerer Rückgang der krebsbedingten Mortalität festgestellt. Dieser kann jedoch auf einer mangelnden Vergleichbarkeit von untersuchten und nicht untersuchten Frauen basieren und wurde deswegen bei der Nutzenabschätzung nicht berücksichtigt. Drückt man die ermittelte Risikosenkung in anderen Zahlen aus, so heißt das, dass 235 Frauen zur Vorsorgeuntersuchung eingeladen bzw. 180 Frauen gescreent werden müssen, um einen Todesfall aufgrund einer Brustkrebserkrankung zu verhindern. Oder – wieder in anderen Zahlen ausgedrückt: Erhalten 10.000 Frauen im Alter von 50 Jahren in den folgenden 20 Jahren alle drei Jahre eine Mammographie, können 43 Todesfälle aufgrund einer Brustkrebserkrankung verhindert werden.

  • Der Nachteil des Screenings zeigt sich in den häufigen Überdiagnosen, das heißt in der Entdeckung und Therapie von Karzinomen, die keine klinische Relevanz aufweisen. Zur Abschätzung dieses Risikos wurden drei randomisierte Studien ausgewertet, in denen die Frauen des Kontrollarms auch bei Studienende keiner Screening-Mammographie unterzogen wurden. Dieser Auswertung zufolge sind bei Frauen, die an einem Screening teilnehmen, rund 11% aller entdeckten Karzinome überdiagnostiziert, und die Wahrscheinlichkeit einer Überdiagnose liegt bei rund 19%. Auf die Situation in England übertragen bedeutet dies: 129 von 10.000 Frauen, die ab dem 50. Lebensjahr 20 Jahre lang zur Mammographie aufgefordert werden, erhalten eine Überdiagnose. Oder – in anderen Zahlen ausgedrückt: Wenn in Großbritannien 77 Frauen 20 Jahre lang zur Früherkennung aufgefordert werden, wird eine Frau eine Überdiagnose erhalten.

Fazit der Autoren

Kombiniert man diese Daten zu Nutzen und Risiko, ergeben sich für ein Screening-Programm nach dem britischen Modell folgende Schlussfolgerungen: Bei 10.000 Frauen, die ab dem 50. Lebensjahr 20 Jahre lang Aufforderungen zur Mammographie erhalten, werden 681 Mammakarzinome entdeckt. In 129 Fällen handelt es sich um eine Überdiagnose, in 43 Fällen kann durch das Screening der Tod aufgrund einer Brustkrebserkrankung verhindert werden. Das heißt, auf eine lebensverlängernde Diagnose entfallen drei Diagnosen, die unnötige Therapien nach sich ziehen. Die Verfasser der Studie beurteilen das britische Screening-Programm positiv und unterstützen seine Weiterführung. Da das Risiko einer Überdiagnose besteht, sollten die Teilnehmerinnen des Screening-Programms ausführlich aufgeklärt und ihnen Nutzen und Risiken klar aufgezeigt werden.



Prof. Dr. Kurt Possinger
MEINUNG

Nutzen überwiegt


"Die Aussagen dieses Artikels kann ich nur unterstreichen. Sicherlich kann, wie in den vorangegangenen Studien gezeigt, eine Mortalitätsminderung durch regelmäßige Mammographien erreicht werden. Die Zahl der unnötigen Operationen steigt natürlich durch nicht ganz sichere Befunde an. Wir haben aber nun einmal für eine Screeninguntersuchung keine bessere und billigere Methode der Tumorabklärung als die Mammographie. Zusätzliche oder im Intervall durchgeführte Sonographien könnten vielleicht hilfreich sein, binden allerdings Personal und Kosten am Ort der Untersuchung. MRTs sind zu teuer und führen, wie immer wieder angeführt wird, häufig doch zu unnötigen Eingriffen. Problematisch ist in meinen Augen auch, dass fortgeschrittenere Karzinome (mit Lymphknotenmetastasen) zwar prozentual, aber nicht nummerisch deutlich seltener werden. Diese Tumoren und insbesondere die prognostisch deutlich ungünstigeren Intervall-Tumoren wären es, die wir häufiger früher finden müssten, um die Mortalität deutlich reduzieren zu können. Soweit mir bekannt ist, haben wir in Deutschland noch nicht flächendeckend eine 70%ige Teilnahme am Mammographie-Screening. Dieser Prozentsatz wäre notwendig, um eine statistische Signifikanz einer Mortalitätsminderung nachweisen zu können. Bedacht werden muss diesbezüglich auch, ob wir die jährlichen Kosten für Screeninguntersuchungen, die eventuell nicht zu den erstrebten Ergebnissen führen, einfach weiterführen sollen oder nicht. Wir stecken meines Erachtens, wenn die ScreeningTeilnahme nicht flächendeckend steigt, in einem Dilemma."


Prof. Dr. Kurt Possinger, Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie der Charité, Campus Mitte, Berlin.


Quelle

Independent UK Panel on Breast Cancer Screening: The benefits and harms of breast cancer screening: an independent review. Lancet online, 30. Oktober 2012, http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(12)61611-0.


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr



DAZ 2013, Nr. 6, S. 50

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