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Aus den Ländern
Phytotherapie gestern und heute
Historische Quellen und moderne Ansprüche
Alte Schätze wiederentdecken
Die DGGP-Präsidentin Prof. Dr. Sabine Anagnostou (Institut für Geschichte der Pharmazie, Marburg) hielt einen Vortrag „Zum Potenzial historischer Arzneipflanzenstudien für die moderne Phytotherapie“.
Jahrhundertelang waren Pflanzen die wichtigsten Arzneidrogen und nahmen daher den größten Teil der Materia medica ein. Die Referentin ging zuerst auf Dioskurides (1. Jh. n. Chr.) sowie auf die Literatur der Chinesen, Inder und Araber ein, ehe sie auf den „Hortulus“ des Walahfrid Strabo (um 808–849) und das Lehrgedicht „Macer floridus“ des Odo de Meung (11. Jh.) zu sprechen kam. Nach dem „Hortus sanitatis“ (1491) mit seinen 530 Monografien folgten im 16. Jahrhundert die Werke der deutschen „Väter der Botanik“ (Otto Brunfels, Hieronymus Bock und Leonhart Fuchs) und des Italieners Pietro Andrea Mattioli, in die die Verfasser neben dem traditionellen Wissen auch eigene Erfahrung einbrachten.
Die Entdeckungen in Übersee machten weitere Arzneipflanzen bekannt. So erwähnte Pedro Montenegro (1663–1728) in seiner „Materia médica misionera“ die sedative Wirkung der Passionsblume, Georg Joseph Kamel (1661–1706) entdeckte auf den Philippinen die Ignatiusbohne (Strychnos ignatii), und der polnische Jesuit Michael Boym (1612–1659) veröffentlichte in seiner „Flora sinensis“ die erste Abbildung des Medizinalrhabarbers.
Mit der Entwicklung der Pflanzenchemie seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert, gipfelnd in der Entdeckung des Morphins durch Friedrich Wilhelm Sertürner (1783–1841), konzentrierte sich die Arzneitherapie zunehmend auf einzelne Pflanzeninhaltsstoffe, deren Derivate und schließlich auf synthetisch hergestellte Arzneistoffe, die dann auch rasch industriell gefertigt wurden. Obwohl das Interesse an den Arzneipflanzen im Zuge dieser Entwicklung sank, gerieten sie nie in Vergessenheit, und viele Anwendungen überlebten in der Volksheilkunde. Seit den letzten Jahrzehnten richtete sich das Interesse sowohl von Patienten als auch von Wissenschaftlern wieder verstärkt auf die therapeutischen Möglichkeiten von Arzneipflanzen. Dabei können sie einen schier unerschöpflichen Fundus an historischer und moderner Fachliteratur nutzen.
Zahlreiche Beispiele heute etablierter Arzneipflanzen wie Johanniskraut und Baldrian aus der europäischen Tradition, Passionsblume und Chinarinde aus Amerika sowie Schlangenwurzel, Curcuma und Papaver aus Asien geben Zeugnis dafür, dass traditionelle Arzneipflanzen ein großes Potenzial besitzen und dass historische Quellen – richtig verstanden und fachkundig ausgewertet – wichtige Hinweise für die Entwicklung von Phytopharmaka geben können. Als gelungenes Beispiel einer solchen historischen Bearbeitung nannte Anagnostou die in diesem Jahr fertiggestellte Dissertation ihres Schülers Johannes Müller über die „Pflanzen zur Wundbehandlung aus mittelalterlichen arabischen Schriften in der europäischen Tradition“.
Auf und Ab der Phytotherapie
Die Präsidentin der Gesellschaft für Phytotherapie, Prof. Dr. med. Karin Kraft (Universitätsmedizin Rostock), referierte über „Moderne Phytotherapie zwischen Anspruch und Realität“.
Die Phytotherapie führte zwischen 1950 und 1980 ein Schattendasein. Erst Maria Treben konnte mit ihrem 1981 erschienenen und inzwischen in der 89. Auflage vorliegenden Buch „Gesundheit aus der Apotheke Gottes“ größere Volksschichten dafür begeistern. In den vergangenen 30 Jahren näherte sich die Phytotherapie infolge der höheren Anforderungen durch verschiedene Novellen des Arzneimittelgesetzes in vielerlei Hinsicht an die Standards für chemisch definierte Arzneimittel an. Besonders die bis 1994 erschienenen Monografien der Kommission E förderten die Arzneimittelqualität, indem sie die Literatur zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit auswerteten. Allerdings verlangsamte sich dieser Prozess, der den in Europa hergestellten Phytopharmaka zu einer herausragenden Position in der Welt verholfen hatte, in den letzten Jahren erheblich. Einige pflanzliche Drogen (z.B. Kava-Kava) stehen heute als Phytopharmaka wegen der fraglichen Unbedenklichkeit nicht mehr zur Verfügung. Demgegenüber finden pflanzliche Zubereitungen bei medizinischen Laien ein zunehmendes Interesse, die jedoch in der Regel nicht zwischen Arznei- und Nahrungsergänzungsmitteln differenzieren können.
Da klinische Studien mit Phytopharmaka wegen der hohen Kosten kaum noch durchgeführt werden und ältere Untersuchungen oft nicht als Wirksamkeitsbeleg bei den verschiedenen Indikationen akzeptiert werden, können sie – bis auf wenige Ausnahmen – nur noch den Status „traditional use“ der European Medicinal Agency erhalten, was die bisherigen Indikationsansprüche relativiert. Für diese Entwicklung sind vor allem wirtschaftliche Aspekte wie fehlende Patentierbarkeit und Umsatzeinbrüche nach dem Wegfall der GKV-Erstattungsfähigkeit verantwortlich.
Während in den 1960er Jahren noch über 60.000 Phytopräparate im Markt waren, liegt ihre Zahl heute unter 5000. Die Reaktion der Entscheidungsträger im Gesundheitswesen auf diese Ausdünnung des Arzneimittelangebots bleibt abzuwarten, zumal laut Arzneimittelreport 2011 etwa 70% der deutschen Bevölkerung den pflanzlichen Arzneimitteln aufgeschlossen gegenüberstehen.
Das Symposium wurde freundlicherweise von der Firma Pascoe (Gießen) unterstützt, die den Teilnehmern wertvolles Informationsmaterial kostenlos zur Verfügung stellte.
Die nächste Tagung der Landesgruppe Hessen der DGGP findet am 18. Mai 2014 in Weilburg statt.
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