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Arzneimittel und Therapie
Keine leberschädigende Wirkung
Zur Verfügung steht Orlistat als verschreibungspflichtiges Produkt Xenical® (Hartkapseln mit 120 mg Orlistat) und für die Selbstmedikation als nicht-verschreibungspflichtiges alli® (Kautabletten mit 27 mg Orlistat und Hartkapseln mit 60 mg Orlistat). Orlistat ist zur Gewichtsreduktion von Erwachsenen mit Übergewicht (Body-Mass-Index BMI ≥28 kg/m2) indiziert und sollte in Verbindung mit einer leicht hypokalorischen, fettreduzierten Ernährung angewendet werden. Nach wie vor gilt, dass Orlistat als wirksamer, spezifischer und lang anhaltender Inhibitor der gastrointestinalen Lipasen hauptsächlich im Darm wirkt und kaum systemisch verfügbar ist [5].
Bisherige Diskussion um leberschädigende Wirkung
Nebenwirkungen sollten sich wegen der dann eingeschränkten Resorption von Fetten auf Fettdurchfälle und in einigen Fällen auf sinkende Spiegel von fettlöslichen Vitaminen beschränken [6]. Falls Durchfälle auftreten, kann zusätzlich die Resorption anderer Wirkstoffe eingeschränkt sein. Auch andere mögliche Interaktionsmechanismen werden gelegentlich vermutet. Orlistat wirkt pharmakologisch durch eine Hemmung von Lipasen im Dünndarm. Es konnte zwischenzeitlich aber gezeigt werden, dass auch die Carboxylesterase 2 (CES 2) durch Orlistat gehemmt wird [2]. Die CES 2 spielt bei der Phase-I-Metabolisierung eine Rolle und ist als solche z. B. am Abbau von Irinotecan [3] und an der Aktivierung von Prasugrel [4] beteiligt, so dass sich ein theoretisches Interaktionspotenzial ergeben könnte. Allerdings wird die systemische Verfügbarkeit von Orlistat auch weiterhin als minimal angesehen, so dass der klinische Effekt fraglich ist, auch wenn die Interaktion an Ratten gezeigt werden konnte [3]. Die Orlistat-Metaboliten sind – jedenfalls in Hinsicht auf die Lipaseaktivität und CES-2-Hemmung – unwirksam. Ohnehin wird der Großteil der Gabe von Orlistat fäkal ausgeschieden (97%).
Bereits seit einigen Jahren wird aber immer wieder auch eine leberschädigende Wirkung diskutiert. Die European Medicines Agency (EMA) hat daher eine Untersuchung zur Hepatotoxizität durch das CHMP (Committee for Medicinal Products for Human Use) veranlasst [8]. Die Untersuchungen wurden 2012 abgeschlossen und ergaben, dass seit 1997 insgesamt 21 Fälle bei der EMA gemeldet wurden, bei denen Orlistat als ein möglicher Grund für Lebererkrankungen in Betracht kommt. In diesen Fällen wurden allerdings meist auch andere potenziell hepatotoxische Wirkstoffe eingenommen. Zusätzlich gibt es Hinweise, dass Lebererkrankungen bei adipösen Menschen generell häufiger vorkommen als in der Durchschnittsbevölkerung, so dass hier eine Verzerrung berücksichtigt werden müsse. Auch sei eine Leberschädigung durch die pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Daten nicht erklärbar und nicht zu vermuten. In einer großen Metaanalyse von Morris et al. mit über 10.000 Patientendaten konnten 2012 keine erhöhten Leberwerte unter Orlistat-Therapie gefunden werden [7].
Aktuelle Daten
Im British Medical Journal wurde nun eine neue Studie zu Orlistat und Hepatotoxizität veröffentlicht [1]. 94.695 Patienten mit Einnahme von Orlistat wurden zwischen 1999 und 2011 im britischen Clinical Practice Research Datalink (CPRD) registriert und nun von Douglas et al. ausgewertet. Die durchschnittliche Behandlungsdauer betrug 10,8 Monate. In 988 Fällen wurde eine Leberschädigung vermutet, in 335 Fällen wurde sie bestätigt. Bezogen auf die 988 Fälle war die Inzidenz für Leberschädigungen in dieser Studie in den ersten 30 Tagen der Therapie um das 2,21-Fache erhöht und hatte sich somit mehr als verdoppelt. Im Zeitraum 31 bis 90 Tage nach Therapiebeginn fiel das Risiko jedoch überraschenderweise wieder auf den Normalwert zurück. Nach diesen ungewöhnlichen Ergebnissen wurden weitere Auswertungen vorgenommen. Hierbei stellte sich heraus, dass auch im Zeitraum vor dem Therapiebeginn eine erhöhte Inzidenz für Lebererkrankungen bestand, die sich nicht vom Zeitraum der 30 Tage nach erster Einnahme unterschied. Das Risiko für eine Leberschädigung war in den 30 Tagen vor Therapiebeginn jedenfalls genauso hoch wie in den ersten 30 Tagen unter Orlistat. Bezogen auf die 335 bestätigten Fälle einer Leberschädigung ergab die Analyse dann, dass auch hier zwar in den 90 Tagen vor der Einnahme von Orlistat die Inzidenz 1,75-fach erhöht war, nicht jedoch zu irgendeinem Zeitpunkt nach der Einnahme. Die Autoren kommen zu dem Gesamtergebnis, dass vermutlich andere mit der Adipositas in Zusammenhang stehende gesundheitliche Probleme die Entscheidung zur Gewichtsabnahme mit Orlistat begünstigten und somit auch direkt für die erhöhte Inzidenz an Leberschädigungen verantwortlich sein können. Möglich scheint auch umgekehrt, dass die Leberschädigungen die Adipositas förderten und so zum OrlistatGebrauch führten.
Leberschädigungen sind sehr unwahrscheinlich
Diese aktuelle Studie untermauert somit die Annahme, dass Leberschädigungen durch Orlistat sehr unwahrscheinlich sind. Obwohl in der Fachinformation Einzelfälle angeführt werden, muss diese Nebenwirkung sicherlich in Zukunft nicht mehr mit in die Therapieempfehlung und das Beratungsgespräch einbezogen werden.
Beratungstipps
Der Patient sollte dahingehend geschult werden, dass er bei längerfristiger Einnahme von Orlistat entweder fettlösliche Vitamine einnimmt oder die Blutspiegel dieser Vitamine überprüfen lässt. Werden weitere Arzneimittel eingenommen und kommt es zu Durchfällen, so muss auch damit gerechnet werden, dass die Blutspiegel der anderen Medikamente sinken können. Dies muss der Apotheker vor der Orlistat-Abgabe erfragen und prüfen. Abhängig von der Art dieser Medikamente muss dann entschieden werden, wie zu verfahren ist. Die gleichzeitige Einnahme von oralen Kontrazeptiva könnte hier beispielsweise eine zusätzliche Verhütung erforderlich machen, bei gleichzeitiger Gabe von Antiepileptika, Ciclosporin oder Antikoagulanzien müssten die Blutspiegel kontrolliert werden oder es sollte direkt ein Absetzen von Orlistat erwogen werden. Versuchsweise kann auch die Orlistat-Dosierung verringert werden oder durch geringere Fettzufuhr dem Durchfall entgegengewirkt werden. Mit harmlosen, aber unangenehmen gastrointestinalen Beschwerden jeder Art muss in den meisten Fällen gerechnet werden. Dies sollte im Beratungsgespräch auch vorrangig besprochen werden.
Quelle[1] Douglas IJ, Langham J et al. Orlistat and the risk of acute liver injury: self controlled case series study in UK Clinical Practice Research Datalink. BMJ. 2013 Apr 12; 346: f1936.[2] Xiao D, Shi D et al. Carboxylesterase-2 is a highly sensitive target of the antiobesity agent orlistat with profound implications in the activation of anticancer prodrugs. Biochem Pharmacol. 2013; 85(3): 439 – 447.[3] Xie M, Yang D et al. Mouse liver and kidney carboxylesterase rapidly hydrolyzes antitumor prodrug irinotecan and the N-terminal three quarter sequence determines substrate selectivity. Drug Metab Dispos. 2003; 31: 21 – 27.[4] Hagihara K, Kazui M et al. A possible mechanism for the differences in efficiency and variability of active metabolite formation from thienopyridine antiplatelet agents, prasugrel and clopidogrel. Drug Metab Dispos. 2009 Nov; 37(11): 2145 – 2152.[5] Zhi J, Mulligan TE et al. Long-term systemic exposure of orlistat and its metabolites in obese patients. J Clin Pharmacol. 1999; 39: 41 – 46.[6] Finer N, James WP et al. One-year treatment of obesity: a randomized, double-blind, placebo-controlled, multicentre study of orlistat, a gastrointestinal lipase inhibitor. Int J Obes Relat Metab Disord. 2000; 24(3): 306 – 313.[7] Morris M, Lane P, Lee K, Parks D. An integrated analysis of liver safety data from orlistat clinical trials. Obes Facts. 2012; 5(4): 485 – 494.[8] European Medicines Agency, Qustions and answers on the review of orlistat-containing medicines. www.emea.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Referrals_document/Orlistat_31/WC500122883.pdf, 26. April 2013.
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