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Arzneimittel und Therapie
Gliptine bald nicht mehr für alle?
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist dem IQWiG gefolgt, dem oralen Antidiabetikum Linagliptin (Trajenta®) in der erneuten frühen Nutzenbewertung im Rahmen des AMNOG keinen Zusatznutzen auszusprechen. Hauptargumente der Ablehnung sind das ungeeignete Studiendesign wie das Fehlen einer Vergleichsstudie über die Gleichwertigkeit von Linagliptin und einem Sulfonylharnstoff (SH) sowie das Fehlen einer kardiovaskulären Endpunktstudie. Als Reaktion darauf hatte der Hersteller beschlossen, Linagliptin in Deutschland nicht wieder einzuführen. Die Forderung des IQWiG nach der monotherapeutischen Vergleichsstudie mit Sulfonylharnstoffen geht an der Realität einer Good Clinical Practice der Diabetestherapie vorbei, die mit Metformin (oder Alpha-Glucosidase-Inhibitoren) als Monotherapie beginnt, aber im Jahr 2013 sicherlich nicht mehr mit einem Sulfonylharnstoff. Die wesentlich praxisrelevantere Vergleichsstudie mit Metformin + Glimepirid versus Metformin + Linagliptin wurde von Gallwitz et al. 2012 im Lancet publiziert.
In den Beratungsgesprächen mit dem Hersteller wurde im Sommer 2011 unverbindlich der Vergleich mit einem Sulfonylharnstoff empfohlen. Nachträglich bindend wurde diese Empfehlung im Beschluss vom März 2012, der einen weltweit üblichen Vergleich mit Sitagliptin ignoriert.
Die zweckmäßige Vergleichstherapie ist im AMNOG unverbindlich geregelt, u. a. muss die Substanz auf dem deutschen Markt zugelassen sein, und es müssen u. a. Patienten-relevante Endpunktstudien vorliegen. Wie soll nun eine Vergleichsstudie Linagliptin versus Sulfonylharnstoffe aussehen, da Linagliptin nur dann für die Monotherapie indiziert ist, wenn Metformin kontraindiziert ist, also hauptsächlich bei schwerer Niereninsuffizienz – und just da sind Sulfonylharnstoffe mit Ausnahme von Gliquidon (weniger als 1% der SH-Verordnungen) kontraindiziert. Der große Vorteil von Linagliptin, seine geringe renale Ausscheidung und damit seine problemlose Anwendung auch bei diabetischer Nephropathie, kann gegenüber Sulfonylharnstoffen monotherapeutisch gar nicht getestet werden. Der Hersteller verfügt über Daten von Linagliptin bis hin zum Einsatz beim terminalen Nierenversagen. Auch stört sich das IQWiG an dem Vorteil von Linagliptin, ohne Dosistitration sofort mit der endgültigen Dosierung beginnen zu können, während Glimepirid wie alle Sulfonylharnstoffe hochtitriert werden muss. Der praxisrelevante Vergleich Metformin + SH versus Metformin + Linagliptin kann diese Vorgabe des IQWiG aus Gründen des Studiendesigns nicht erfüllen. Die Studie von Gallwitz et al. erfüllt immerhin die IQWiG-Forderung nach einer randomisiert kontrollierten Studie bzw. Head-to-Head Studie.
Vergleich mit kardiotoxischen SH nicht vertretbar
Sulfonylharnstoffe besitzen ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko, das durch eine Kombination mit Metformin nicht vermindert wird. Eine echte Endpunktstudie zum kardiovaskulären Risiko von Metformin + Sulfonylharnstoff liegt nicht vor.
Die Forderung, Linagliptin gegen in Metaanalysen kardiotoxische Sulfonylharnstoffe zu testen, ist meines Erachtens ethisch nicht vertretbar. Nach den Leitlinien sollen Sulfonylharnstoffe bei kardiovaskulären Risiken nicht eingesetzt werden.
Vor einigen Jahren sollte das IQWiG eine Nutzenbewertung zum Kostennutzen der Sulfonylharnstoffe durchführen – der Auftrag wurde 2007 zurückgezogen. Dem IQWiG ist damals wohl aufgefallen, was seit Jahrzehnten bekannt ist: Es gibt keine randomisierten Studien mit Sulfonylharnstoffen, die länger als 18 Wochen gegen Placebo getestet wurden.
Alle Gliptine betroffen?
Aber es geht nicht nur um Linagliptin. Die Preisfestlegung der drei auf dem Markt befindlichen Gliptine Sitagliptin, Saxagliptin und Vildagliptin erfolgte vor dem Inkrafttreten des AMNOG. Im Juni 2012 wurde der Gliptin-Bestandsmarkt aufgerufen, Dossiers zur frühen Nutzenbewertung vorzulegen. Nach einer Klage-bedingten Unterbrechung wird das Bewertungsverfahren am 31. März 2013 wieder aufgenommen. Die Ablehnung des Zusatznutzens von Linagliptin lässt bei konsequenten Bewertungsmaßstäben auch eine Ablehnung für die übrigen Gliptine befürchten. Denn für diese Gliptine liegen ebenfalls keine Studien vor, die dem vom IQWiG geforderten Studiendesign entsprechen. Einzig Sitagliptin wurde mit Glipizid für die Zulassung zur Niereninsuffizienz verglichen. Nur – Glipizid ist nach den deutschen Vorschriften keine Vergleichssubstanz im Sinne einer zweckmäßigen Vergleichstherapie.
Fazit
Zahlreiche Experten einschließlich Fachgesellschaften hatten die Entscheidung des IQWiG aus dem Dezember 2012 kritisch kommentiert. Vor wenigen Tagen hat die Deutsche Diabetes Gesellschaft in der Ärztezeitung (12.3.2013) nochmals ihre Befürchtung artikuliert, dass die Entscheidung des IQWiG bzw. G-BA auch die Preisfestsetzung und damit die Verfügbarkeit der älteren Gliptine bedroht und damit die therapeutische Qualität für ca. 650.000 Patienten in Deutschland.
Wer den Gliptinen ihren Zusatznutzen gegenüber Sulfonylharnstoffen aberkennt und die häufigeren Nebenwirkungen der Sulfonylharnstoffe akzeptiert, darf zukünftig vermehrte Nebenwirkungen bei der Bewertung anderer Wirkstoffe nicht mehr kritisieren. Eine therapeutische Qualitätssicherung für den Patienten ist die Entscheidung dieses Institutes für Qualitätssicherung sicher nicht, zumal sie moderne pharmakotherapeutische Standards missachtet.
Prof. Dr. med. Thomas Herdegen, Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie, Universitäts-Klinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Hospitalstraße 4, 24105 Kiel
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