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Weiterbildung
Bestandsaufnahme einer praxisnahen Weiterbildung
Ausgangspunkt
Die Nachfrage der Patienten und Kunden nach Naturstoffpräparaten begann seit den 1970er Jahren stetig zu steigen. 1978 trat zudem das neue Arzneimittelgesetz in Kraft, das die Arzneimittel der Besonderen Therapierichtungen den chemisch-synthetischen Stoffgruppen rechtlich gleichgestellt und inhaltlich definiert hat. In der Konsequenz führte dies zur Einrichtung von Arzneimittelkommissionen am damaligen Bundesgesundheitsamt (BGA), dem heutigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).
Die Arzneimittel der Besonderen Therapierichtungen werden explizit definiert und von der jeweiligen Arzneimittelkommission bewertet:
Anthroposophie (Kommission C),
Homöopathie (Kommission D),
Phytotherapie (Kommission E).
In diesem Zusammenhang muss auch die Etablierung des Homöopathischen Arzneibuches (HAB 1) im Jahr 1978 genannt werden. Ins HAB wurden von Anfang an auch die Herstellungsvorschriften solcher Therapeutika aufgenommen, die nicht der Homöopathie zuzuordnen sind und für die sich aus pragmatischen Gründen die Begrifflichkeit "Verwandte Heilsysteme" eingebürgert hat; dazu zählen u. a. die Spagyrik und die Nosoden-Therapie (Isopathie).
Erste Fortbildungsangebote
Vor diesem Hintergrund erschien es Anfang der 1980er Jahre konsequent, für Apotheker und PTA Fortbildungsveranstaltungen zum Thema "Besondere Therapierichtungen" (einschließlich "Verwandte Heilsysteme") anzubieten und insbesondere deren "Möglichkeiten und Grenzen" in der Selbstmedikation zu vermitteln. Die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg bot Veranstaltungen an Samstagnachmittagen an, die einen überwältigenden Zulauf mit oft 1000 Teilnehmern hatten, was oft mehr logistische als inhaltliche Probleme aufwarf.
Die meist von praktizierenden Ärzten vorgetragenen Stoffgebiete wurden in einem für Pharmazeuten ungewöhnlichen Duktus vermittelt: Nicht die Ergebnisse klinischer Studien standen wie gewohnt im Mittelpunkt. Vielmehr war stets der Patient mit seinen individuellen, subjektiv geäußerten Beschwerden der Ausgangspunkt, um differenzialtherapeutisch die Anwendung der einzelnen Substanzen zu erläutern.
Das Thema Homöopathie per se sowie der neue Darstellungsmodus führten verständlicherweise zu einer Polarisierung in der Apothekerschaft. Glühendes Befürworten genauso wie vehementes Ablehnen waren typische Reaktionen.
Dies führte auch dazu, dass Pro-und-Contra-Diskussionen zum Aspekt "Wissenschaftlichkeit der Homöopathie" angeboten wurden. Solche Veranstaltungen waren oft unbefriedigend, da als Fazit zwar eine "schulmedizinische" Wissenschaftlichkeit der Homöopathie nicht gegeben war, aus Sicht des Anwenders jedoch das Argument "wer heilt, hat Recht" nicht widerlegt werden konnte, zumal wenn Beispiele aus der Kinderheilkunde von Neugeborenen und Säuglingen oder aus der Tierheilkunde vorgetragen wurden. So ging die Nachfrage nach solchen Veranstaltungen immer mehr zurück. Demgegenüber hielt bei den Befürwortern der "Besonderen Therapierichtungen" die Nachfrage nach weiteren Fortbildungen zum Thema an, verbunden mit dem Wunsch einer strukturierten Weiterbildung.
Ergänzung zur Allgemeinpharmazie
Eine erste strukturierte Weiterbildung in der Pharmazie zum Thema "Arzneimittel der Besonderen Therapierichtungen" wurde in die Weiterbildung zum "Fachapotheker für Offizinpharmazie" implementiert. Sie wurde anfangs in vier, später in acht Unterrichtsstunden gelehrt.
Inhaltlicher Schwerpunkt dieses Seminarteils war die homöopathische Therapierichtung unter besonderer Berücksichtigung ihrer Anwendung in der Selbstmedikation. Didaktisch war das Curriculum so aufgebaut, dass homöopathische Einzelmittel zur Behandlung häufiger Beschwerden vorgestellt wurden; auch Arzneimittel der "Verwandten Heilsysteme" wie Schüßler-Salze und anthroposophische Präparate kamen zur Sprache.
Letztlich war es dem jeweiligen Referenten überlassen, die vorgegebenen Inhalte zu modifizieren, doch wurde das Thema Homöopathie am meisten nachgefragt. Immer mehr Teilnehmer meinten, dass eine eigenständige Weiterbildung der Bedeutung dieser Thematik angemessen sei.
Pilotprojekt in Nordrhein
Als diese Teilnehmer vermehrt an ihre jeweilige Apothekerkammer mit diesem Ansinnen herantraten, startete die AK Nordrhein 2003 ein Pilotprojekt: Sie bot eine strukturierte Weiterbildung Homöopathie mit 30 Stunden an mehreren Wochenenden an. Bereits damals lautete die Vorgabe, die Thematik auf die Bedürfnisse der öffentlichen Apotheke auszurichten, wohlwissend, dass damit die ansonsten in der Pharmazie übliche Forderung nach Naturwissenschaftlichkeit nicht eingelöst werden kann.
Ohne Abstimmung mit anderen Apothekerkammern resultierte aus diesem Pilotprojekt ein 100-stündiges Curriculum "Homöopathie und Naturheilkunde". Nach dessen Absolvierung, der Erstellung einer Projektarbeit sowie einem erfolgreichen Fachgespräch (= mündliche Prüfung) darf der Apotheker die gleichlautende Zusatzbezeichnung führen.
Curriculum
Die Struktur der 100-stündigen Weiterbildung, die in die Musterweiterbildungsordnung der Bundesapothekerkammer Eingang fand und heute in allen Kammerbezirken etabliert ist, gliedert sich thematisch und somit zeitlich in drei große Blöcke:
Homöopathie (36 Stunden),
Phytotherapie (36 Stunden),
Verwandte Heilsysteme (28 Stunden).
Der letzte Themenblock umfasst u. a. die Kneippsche Therapie, Anthroposophie, Schüßler-Salze, Isopathie, Spagyrik, Bach-Blüten-Therapie sowie Ayurveda-Medizin; ihre Darstellung erfolgt deskriptiv und beschränkt sich auf praktische Anwendungen. Das von der BAK formulierte Weiterbildungsziel lautet:
Die Zusatzbezeichnung "Homöopathie und Naturheilkunde" umfasst den Bereich der Beratung zu Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen. Ziel ist es, die Beratung der Bevölkerung zu Fragen der Naturheilkunde und Homöopathie durch Apothekerinnen und Apotheker zu optimieren. Sie dient der Gesunderhaltung im Sinne einer Vorbeugung und der Behandlung von Krankheiten im Rahmen der Selbstmedikation. Dem zunehmenden Interesse der Bevölkerung an Naturheilmitteln ist durch sachkundige Information und Beratung in den Apotheken Rechnung zu tragen.
Als die einzelnen Apothekerkammern begannen, diese Weiterbildung anzubieten, folgte eine wahre Flut von Anmeldungen, weshalb einige Kammern oft zwei Seminarzyklen gleichzeitig anbieten mussten. Die Nachfrage hält bis heute an, doch bieten inzwischen alle Kammern nur noch einen Seminarzyklus pro Jahr an. Nach aktuellem Stand wurde und wird diese Zusatzbezeichnung in vielen Kammerbezirken am häufigsten nachgefragt und gebucht (Tab. 1 und 2).
Tab. 1: Apotheker in der gesamten Bundesrepublik, die in einzelnen Bereichen weitergebildet worden sind und eine Zusatzbezeichnung erworben haben. Stand Ende 2012. Quelle: BAK | ||
Bereich / Zusatzbezeichnung |
2012* |
insgesamt |
Naturheilverfahren und Homöopathie** |
91 |
1923 |
Geriatrische Pharmazie |
83 |
291 |
Ernährungsberatung |
41 |
2177 |
Prävention und Gesundheitsförderung*** |
15 |
638 |
Onkologische Pharmazie |
7 |
133 |
Pflegeversorgung**** |
– |
85 |
Gesamt |
237 |
5247 |
* Absolventen im Jahr 2012 ** oder Homöopathie und Naturheilkunde *** oder Gesundheitsberatung **** wurde früher in Nordrhein, Westfalen-Lippe und im Saarland angeboten |
Tab. 2: Apotheker in Baden-Württemberg, die in einzelnen Bereichen weitergebildet worden sind und eine Zusatzbezeichnung erworben haben. Stand Ende 2012. Quelle: LAK Baden-Württemberg | ||
Bereich / Zusatzbezeichnung |
2012* |
insgesamt |
Homöopathie und Naturheilkunde |
45 |
482 |
Geriatrische Pharmazie |
20 |
54 |
Ernährungsberatung |
2 |
216 |
Prävention und Gesundheitsförderung |
0 |
37 |
Onkologische Pharmazie |
1 |
12 |
Gesamt |
68 |
801 |
* Absolventen im Jahr 2012 |
Qualifikation der Referenten
Zwar nicht alle, aber doch die meisten Kammern haben ein für die Thematik ausgewiesenes Referententeam engagiert. Im Wesentlichen sind es sowohl Apotheker als auch Ärzte, die in der unmittelbaren Patientenversorgung tätig sind und sich mit der Thematik praktisch beschäftigen. Dies macht erneut den für diese Weiterbildung charakteristischen Weg einer anwendungsorientierten Stoffvermittlung deutlich. Dabei lernen die Teilnehmer interaktiv, das neue Wissen in der Beratung zur Selbstmedikation anzuwenden.
Von Vorteil ist darüber hinaus, dass die meisten Referenten mindestens zwei komplementäre Methoden beherrschen, sodass sie den Teilnehmern quasi ein integratives naturheilkundliches Konzept vermitteln können. Da die Referenten sowohl über ein schulmedizinisch-naturwissenschaftliches Wissen verfügen als auch die naturheilkundliche Praxis vermitteln, ist der Anspruch einer Komplementärmedizin erfüllt.
Motivation zur Teilnahme
Immer wieder revidieren skeptische Teilnehmer im Verlauf der Weiterbildung ihre vorgefassten Meinungen zu Homöopathie und Naturheilverfahren, was allerdings nicht heißt, dass sie danach generell oder gar euphorisch einzelne naturheilkundliche Methoden bevorzugen.
Gar nicht selten melden sich Apotheker zur Weiterbildung an, die eine distanzierte bis ablehnende Meinung zur Naturheilkunde oder Homöopathie haben. Eine strukturierte Erhebung zur Motivation für eine Teilnahme fehlt aber bislang.
Bei allen Kammern erfolgt eine Evaluation der Weiterbildung aufgrund von Fragebögen. Darin wird auch die Praxisrelevanz des Unterrichtsstoffs abgefragt, die bei Homöopathie, Phytotherapie und Anthroposophie immer besonders hoch bewertet wird.
Bemerkenswert ist die gemischte Alterstruktur der Teilnehmer. Sie reicht von frisch approbierten Apothekern bis zu älteren, "gestandenen" Kollegen. Gerade jüngere Teilnehmer bedauern sehr häufig, dass im Pharmaziestudium die in dieser Weiterbildung vermittelten Methoden nicht unterrichtet werden und als unwissenschaftlich abqualifiziert werden.
In persönlichen Gesprächen mit den Referenten thematisieren die Teilnehmer häufig eigene oder familiäre Gesundheitsprobleme und bitten um eine Einschätzung für eine naturheilkundliche (Begleit-)Therapie. Nicht selten kann ein Teilnehmer auf diese Weise eine naturheilkundliche Behandlung unmittelbar beobachten oder selbst erleben. Solche Situationen sind Schlüsselerlebnisse, über die die Teilnehmer auch berichten, was bei dem interaktiven Unterricht durchaus erwünscht ist.
Aufbauseminare
Da die weitergebildeten Apotheker regelmäßig um Folgeveranstaltungen zur Vertiefung einzelner Stoffgebiete baten, bieten einzelne Kammern inzwischen solche Aufbauseminare an. Je nach zeitlichem Umfang werden ein oder mehrere Indikationsgebiete stoffbezogen vermittelt. Am meisten nachgefragt ist dabei die homöopathische Therapierichtung. So bieten beispielsweise die LAK Baden-Württemberg und AK Schleswig-Holstein eintägige, thematisch in sich geschlossene Aufbauseminare an; die AK Westfalen-Lippe zweitägige Seminare, in welchen die Homöopathie sowohl indikationsbezogen als auch Stoffgruppen-bezogen vermittelt wird. Die AK Nordrhein bietet einen kompletten Aufbauzyklus an.
Ausblick
In vielen Apothekerkammern – insbesondere in Baden-Württemberg – wird die Weiterbildung im Bereich "Homöopathie und Naturheilkunde" am häufigsten nachgefragt (Tab. 1 und 2). Daraus folgt, dass diese Methoden Bestandteil der Patientenversorgung sind und dem oben zitierten Weiterbildungsziel dienen, "durch sachkundige Information und Beratung in den Apotheken dem zunehmenden Interesse der Bevölkerung Rechnung zu tragen".
Wie wichtig diese Methoden sind, zeigt auch die Tatsache, dass andere Gesundheitsberufe entsprechende Weiterbildungen anbieten: In der Humanmedizin gibt es strukturierte Weiterbildungen mit den beiden getrennt zu erwerbenden Zusatzbezeichnungen "Homöopathie" und "Naturheilverfahren". In der Zahnheilkunde besteht eine vergleichbare Zusatzausbildung genauso wie in der Tiermedizin, da in beiden Fachrichtungen gleichfalls eine zunehmende Nachfrage nach Arzneimitteln der Besonderen Therapierichtungen besteht.
Schließlich soll noch das Thema "Homöopathie in Schwangerschaft, Geburtshilfe und Stillzeit" erwähnt werden, da bei Hebammen die Homöopathie ebenfalls eine etablierte Methode ist. Eine vergleichbare Entwicklung zeichnet sich in den Pflegeberufen ab, weshalb das Thema auch vermehrt Eingang in den Bereich "Geriatrische Pharmazie" findet.
Die sachkundige Information und Beratung über Arzneimittel der Besonderen Therapierichtungen gehört zu den wichtigen Aufgaben der öffentlichen Apotheke, deren Funktion sich nicht auf die Rabattvertrag-konforme Abgabe von Arzneimitteln reduzieren lässt. Dazu passt eine oft gehörte Meinungsäußerung von Seminarteilnehmern:
"Jetzt macht Pharmazie wieder richtig Spaß."
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