Recht

Was ist überdurchschnittlich?

Probleme mit der Bewertung in Arbeitszeugnissen – neue Rechtsprechung

(az/VDAA). Möchte ein (ehemaliger) Mitarbeiter ein Zeugnis, das eine überdurchschnittlich gute Bewertung beinhaltet, trägt im Zweifelsfall der Mitarbeiter vor Gericht die Beweislast, dass er wirklich so gut war. So ist die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Nun hat das Berliner Arbeitsgericht diesen Grundsatz abgewandelt.

Grundsätzlich hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf ein leistungsgerechtes Zeugnis. Schwierig wird es, wenn vor Gericht bewiesen werden muss, was leistungsgerecht sei. Das Bundesarbeitsgericht sagt dazu, dass der Arbeitnehmer in der Beweislast ist, wenn er eine Bewertung wünscht, die über dem Durchschnitt – definiert als "befriedigend" – liegt. Denn es muss vor Gericht jede Partei die für sie günstigen Tatsachen darlegen. Deswegen ist für eine unter dem Durchschnitt liegende Bewertung der Arbeitgeber in der Beweislast. Der Arbeitnehmer kann dann entgegenstehende Tatsachen vorlegen (so wie im ersten Fall der Arbeitgeber).

Arbeitzeugnis sollte gesamte Zeit bewerten

In der Realität ist es vor Gericht äußerst schwierig, solche Tatsachen, die eine bessere oder schlechtere Bewertung rechtfertigen, vorzulegen, ohne dass die andere Seite kontern kann. Denn das Arbeitszeugnis soll den gesamten Verlauf des Arbeitsverhältnisses widerspiegeln. Und am Ende des Arbeitsverhältnisses ist es den Parteien meistens nicht möglich, das Gesamtbild konkret und nachvollziehbar darzustellen. Das führt dazu, dass in den allermeisten Fällen am Ende eines Gerichtsverfahrens ein durchschnittliches Zeugnis steht.

Nun hat das Arbeitsgericht Berlin in einer "etwas eigenwilligen Entscheidung", so Klaus-Dieter Franzen, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Regionalleiter beim VDAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte, diese Grundsätze abgeändert (Az.: 28 Ca 18230/11). In dem Fall wollte eine Arbeitnehmerin eine überdurchschnittliche Bewertung ihrer Leistungen ("stets zu unserer vollen Zufriedenheit") attestiert haben, während der Arbeitgeber lediglich bereit war, die Leistung als Durchschnitt ("zu unserer vollen Zufriedenheit") zu bewerten. Das Arbeitsgericht bürdete entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der Landesarbeitsgerichte die Darlegungs- und Beweislast dem Arbeitgeber auf. Nach Auffassung der Berliner Richter sollen empirische Studien zu dem Ergebnis gekommen sein, dass mittlerweile 86,6 Prozent aller Zeugnisse gute oder sehr gute Leistungsbeurteilungen enthalten. Hieraus zieht das Gericht den Schluss, dass nicht mehr daran festgehalten werden könne, dem Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast zuzuweisen, "dass er zu Unrecht in die Gruppe der schwächsten 13,4 Prozent aller Beschäftigten eingereiht worden sei".

Das Urteil ist aber unter Juristen umstritten, da es rein auf nicht näher belegte empirische Quellen verweist und keine rechtsdogmatische Begründung enthält. Tatsächlich sei die vom Bundesarbeitsgericht angenommene Darlegungs- und Beweislastverteilung praxisgerecht und überzeugend, so Franzen. Es stehe deshalb zu erwarten, dass das Berliner Urteil nur ein "Ausreißer" bleiben werde. Grundsätzlich empfahl er, bei Fragen zum Arbeitsrecht Rechtsrat von einem spezialisierten Anwalt in Anspruch zu nehmen.

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