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Information
Patienten gut informieren
Wie wichtig es ist, die richtige Information zum richtigen Zeitpunkt zu demjenigen zu bringen oder für ihn bereitzuhalten, der sie gerade benötigt, weiß man seit Langem. Doch auch wenn die Informationsmöglichkeiten im Internetzeitalter nahezu unbegrenzt erscheinen, gibt es rechtliche, ethische aber auch logistische und wirtschaftliche Limitationen, die ein Abwägen zwischen Aufwand und zu erwartendem Nutzen erfordern. Durch die zunehmende Informationsflut werden zudem Forderungen nach einer evidenzbasierten Patienteninformation lauter, die nach Möglichkeit auch noch die differenzierten Informationsbedürfnisse unterschiedlicher Gruppen berücksichtigen sollen. Vor diesem Hintergrund schaffen die überarbeiteten Vorschläge zur sogenannten "Patienteninformationsrichtlinie", die die Europäische Kommission am 11. Oktober 2011 als letzten Teil des EU-Pharmapaketes angenommen hat, zwar neue Rahmenbedingungen für eine neutrale, verständliche und direkte Information über verschreibungspflichtige Arzneimittel gegenüber dem Patienten. Sie lösen aber nicht die zahlreichen Probleme, die mit der Umsetzung der Richtlinie verbunden sind und geben auch keine Strategie für eine systematische Optimierung der Patienteninformation über Arzneimittel vor.
Der gesellschaftliche Diskurs über das Für und Wider einer möglichst patientenorientierten, gleichzeitig aber auch neutralen Arzneimittelinformation insbesondere zu den rezeptpflichtigen Arzneimitteln, die zunächst stark auf die Werbung fixiert war, beschäftigt die verschiedenen Interessensgruppen schon seit mehr als zehn Jahren [1, 2, 3]. Gleichwohl stand fast immer die Vorstellung von einem mündigen und informierten Bürger bzw. Patienten im Zentrum der Argumentationskette [4].
Der mündige und informierte Bürger ist indes ein Konstrukt, das sich bei näherer Betrachtung in ganz unterschiedliche Individuen mit stark voneinander abweichenden Informationsbedürfnissen differenziert. Neben den gesundheitsinteressierten, akademisch gebildeten Bürgern sollen relevante Informationen über Arzneimittel, ihr Heilungspotenzial und ihre Risiken auch diejenigen in der Gesellschaft erreichen, die den "unteren Schichten" zugeordnet werden. Dies kann ein einzelnes Informationsmittel wie die gesetzlich vorgeschriebene Packungsbeilage ganz offenkundig nicht leisten. Insofern kommt es jetzt darauf an, basierend auf den gegebenen gesetzlichen Rahmenbedingungen die informationstechnischen Möglichkeiten der digitalen Gesundheitswelt so zu nutzen, dass eine zielgenaue und gleichzeitig differenzierte und nützliche Information zu Arzneimitteln und ihrer Anwendung durch die Patienten angestrebt und im idealen Fall auch erreicht wird. Um dieses anspruchsvolle Ziel im Sinne der Patienten im Auge zu behalten, sind vorab einige Fragen zu klären, die ein ansatzweise abgestimmtes Vorgehen der beteiligten Parteien ermöglichen könnten.
Worüber, mit welchem Fokus und in welcher Tiefe sollte informiert werden?
Da die Arzneimittelinformation lange Zeit vorrangig wettbewerbsgetrieben war, wird der evidenzbasierten Patienteninformation inzwischen Vorrang eingeräumt. Ein wichtiger Grundsatz der evidenzbasierten Patienteninformation besteht darin, dass den Patienten alle erforderlichen Informationen über Nutzen und Risiken in verständlicher Art und Weise zur Verfügung stehen müssen, damit sie selbst eine informierte und damit bewusste Entscheidung treffen können. Dies ist für den gesundheitsinteressierten akademisch gebildeten Bürger zweifellos der richtige Weg. Bei anderen Patienten findet man hingegen ein Verhalten, das unverstandene Risiken mehr oder weniger bewusst ablehnt und als Risikoaversion bezeichnet wird. Diese Patienten gehen davon aus, dass es Aufgabe der Heilberufler ist, eine evidenzbasierte Entscheidung zu treffen und dabei gleichzeitig auch die individuellen Bedingungen des Patienten in angemessener Weise zu berücksichtigen. Dieses Verhalten bedeutet in der Konsequenz, dass man ein Mehrschichtmodell der Informationsübermittlung entwickeln müsste: Die Präferenz der Bürger liegt auch bei Arzneimittelinformationen bei Aussagen, die bereits eine evidenzbasierte, das heißt wissenschaftliche Bewertung und Begründung enthalten und nach Möglichkeit bezüglich der wichtigsten Subgruppen nach Alter, Geschlecht und Komorbiditäten differenziert sind.
In einer zweiten Informationsebene müssten dann die Informationen bereitgestellt werden, die bei Bedarf von den Gesundheitsinteressierten herangezogen werden können, um die vorgegebenen Bewertungen nachvollziehen zu können. Technisch ist ein solches Informationsmodell im digitalen Raum lösbar, erfordert aber einen hohen Aufwand bei der Informationsbereitstellung und ist derzeit auch noch nicht für alle potenziellen Nutzer zugänglich.
Wer soll informieren?
In der öffentlichen Diskussion, aber auch in den gesetzlichen Vorgaben wird vor allem Wert auf die Neutralität von Informationen gelegt, die es im engeren Wortsinn nicht geben kann, weil nahezu immer eine Vorselektion von Inhalten stattfindet, die zumindest von der Interessenslage des jeweiligen Senders beeinflusst wird. Diese Interessenslage mitzudenken und vor ihrem Hintergrund die erhaltene Information zu bewerten wird daher wiederum zur Aufgabe des immer besser und umfassender informierten Bürgers. Es muss daher gesichert sein, dass die Quelle einer Information über Arzneimittel für den Nutzer eindeutig erkennbar ist und er deren Interessenslage einordnen kann.
Pharmazeutische Hersteller argumentieren oft, dass sie über die detailliertesten und damit besten Informationen zu ihren Produkten verfügen. Dies ist mit Blick auf die darüber zu kommunizierende Information aber nur dann als Argument tauglich, wenn Informationen zu Arzneimittelrisiken nicht verschwiegen und solche über die Wirkung eines Arzneimittels nicht übertrieben werden.
Aufgrund der Vielfalt der am Markt verfügbaren Arzneimittel und der asymmetrischen Informationsverteilung legen Information suchende Anwender zunehmend Wert auf eine vergleichende Bewertung von Produkten, für die ein solcher Vergleich auch zulässig ist. Auch wenn es inzwischen selbst für Arzneimittel Bewertungsportale wie www.sanego.de gibt, erfordert jedoch die Beurteilung der präsentierten oder nahe gelegten Produktvergleiche zusätzliche Erläuterung. Dies wiederum begründet auch im Internetzeitalter die besondere Verantwortung der Heilberufler gegenüber ihren Patienten.
Dass pharmazeutische Unternehmen sich inzwischen auch als Versorgungsdienstleister sehen und ein ganzheitliches Versorgungsmanagement anbieten wollen, wird von der Ärzteschaft und den Apothekern insofern begrüßt, als dadurch offenkundige Informationslücken bei den Patienten geschlossen werden können. Gleichzeitig sehen beide Berufsgruppen aber auch die Gefahr, dass ihre traditionelle Funktion im Gesundheitssystem eingeschränkt wird [5]. Auch wenn die Idee eines arbeitsteiligen Informationsverhaltens irreal sein dürfte, sollten alle in den Informationsprozess involvierten Partner immer auch die Funktion der anderen Interessensvertreter mit bedenken und nach Möglichkeit Irritationen beim Patienten prophylaktisch vermeiden.
Wie soll informiert werden?
Es ist seit Langem bekannt, dass eine bildgestützte und nach Möglichkeit emotional verankerte Information, die zudem auch die Motivation des Betreffenden anspricht, Vorrang vor einer rein schriftlichen oder mündlichen Informationsvermittlung hat. Diese Erkenntnis steht jedoch in gewissem Widerspruch zu den relativ strikten Regeln für die Packungsbeilagen, auch nach dem neuen EU-weit geltenden Muster (QRD-Template). Gerade bei Arzneimitteln, für deren sachgerechte Anwendung oft zusätzlich erläuternde Hinweise erforderlich sind, reicht eine verbale Beschreibung des unmittelbaren Anwendungsvorgangs mitunter nicht aus.
Dass durch einen für die Patientenschulung produzierten Film zur Anwendung eines Arzneimittels, nach dem gezielt mit einer gegebenen Internetadresse gesucht werden konnte, die Sicherheit bei der Anwendung deutlich erhöht werden konnte, wurde kürzlich in einer Studie am Beispiel von Fentanyl® Matrixpflaster der Firma CT eindrucksvoll belegt (siehe Kasten) [6]. Zu einem vergleichbaren Ergebnis kam auch eine Studie "Patientenpräferenzen bei Informationen über Wirkungen und Nebenwirkungen von Arzneimitteln" des Lehrstuhls für Allgemeinmedizin und Familienmedizin der Universität Witten/Herdecke [7].
Wie könnte eine neue Informationsstrategie aussehen?
Nach der zu erwartenden Verabschiedung der Patienteninformationsrichtlinie der EU werden alle Beteiligten ihre Informationsstrategien überdenken bzw. seit Langem diskutierte Konzepte umsetzen. Mit den heute verfügbaren technischen Mitteln der Informationsverbreitung wird dies zu einer starken Zunahme verfügbarer Informationen führen, die sich einer generellen Kontrolle prinzipiell entziehen.
Man kann deshalb nur an alle Beteiligten appellieren, auf der Basis des geltenden Rechts ausgewogen und patientengerecht über Arzneimittel zu informieren. Dies setzt zunächst voraus, dass man mehr über die tatsächlichen Informationsbedürfnisse der Patienten oder interessierter Bürger weiß und den notwendigen Differenzierungsgrad für die Patienteninformation erkennt. Auch dazu wurde vor Kurzem eine beispielhafte Studie vorgelegt [8]. Zu diesem Zweck könnte nicht zuletzt das methodische Instrumentarium der Lesbarkeitstests genutzt werden, die weiterführend auch für die Testung zusätzlicher Informationsmaterialien Verwendung finden könnten.
Es wird darüber hinaus zur Sorgfaltspflicht des pharmazeutischen Unternehmers gehören, dass die inhaltliche Kongruenz seiner produktbezogenen Informationsmaterialien sichergestellt ist und die jeweiligen Adressaten in angemessener Weise und möglichst zielgenau angesprochen werden.
In Zusammenhang mit den Vorgaben der frühen Nutzenbewertung ist darüber hinaus zu bedenken, dass die differenzierte Kommunikation von Nutzen und Risiken eines Arzneimittels an Behörden, Ärzte und Apotheker, aber auch an Patienten künftig an Bedeutung gewinnen wird.
Generell wird es einer kontinuierlichen kritischen Begleitung der Informationsaktivitäten zum Thema Arzneimittel bedürfen, die ohnehin immer nur sporadisch sein kann und von der wissenschaftlichen Analyse bis zur vergleichenden Bewertung durch verbraucherschutznahe Institutionen reichen muss. Gleichzeitig müssen Anstrengungen intensiviert werden, jedem Interessierten ausreichend viele Hintergrundinformationen und klar definierte Grundregeln an die Hand zu geben, die es ihm erleichtern, sich selbst ein Urteil über die Notwendigkeit und Sicherheit einer Arzneimitteltherapie für die erfolgreiche Behandlung der eigenen Erkrankung zu bilden.
Wie zusätzliche Patienteninformationen die Arzneimittelanwendung verbessern könnenPackungsbeilage, Booklet und FilmWirksam und sicher ist eine Arzneimitteltherapie erst dann, wenn ein Patient sein Medikament korrekt anwendet. Doch ist ein Patient in der Lage, den Anweisungen aus der Packungsbeilage zu folgen, und reichen Umfang, Inhalt und Aufbereitung der Informationen für die korrekte Anwendung eines Arzneimittels aus? Eine auf Initiative der CT Arzneimittel GmbH veranlasste Studie der Consumer Health Care – Science & Services GmbH untersuchte, inwiefern zusätzliche Informationen über die Packungsbeilage hinaus die Anwendung von Arzneimitteln verbessern und die Therapiesicherheit erhöhen können. Am Beispiel von Fentanyl Matrixpflastern der Firma CT Arzneimittel wurde eine vergleichende Bewertung von Packungsbeilage, Booklet und Kurzfilm vorgenommen. Für den Anwendungs- und Verständnistest wurden dafür drei Testgruppen mit jeweils 20 Testpersonen zusammengestellt:
Die 60 Testpersonen zwischen 25 und 75 Jahren mussten mithilfe eines wirkstofffreien Matrixpflasters anschließend den Erfolg der Anwendung des Pflasters demonstrieren. Für die Applikation des Matrixpflasters wurden sieben Schritte, davon fünf sicherheitsrelevante, festgelegt, die die Testpersonen vom Aufreißen der Verpackung bis zum Festdrücken des Pflasters auf der Haut durchführen sollten. Das ernüchternde Ergebnis: Nur das alleinige Lesen der Packungsbeilage reichte bei keiner Testperson aus, um das Pflaster korrekt anzuwenden. Erst nach dem zusätzlichen Lesen des der Packung Fentanyl-CT Matrixpflaster beigelegten Booklets wendeten 35% der Testpersonen das Pflaster richtig an. Die Testpersonen der dritten Gruppe, die neben Packungsbeilage und Booklet auch noch den Film ansahen, der die Anwendung in einzelnen Lehrsequenzen erklärte, brachten das Pflaster zu 65% sicher und korrekt auf. Die CT Arzneimittel GmbH stellt ein umfassendes Informations- und Serviceangebot kostenfrei im Internet unter www.compliance-ct.de bzw. www.sicher-anwenden.de zur Verfügung. Patienten erhalten dort Informationen zur sicheren Anwendung von Arzneimitteln, eine Vielzahl von Therapiehinweisen, vergleichende Wirkstoffinformationen und können sich z. B. über die sichere Anwendung von transdermalen therapeutischen Systemen oder das richtige Tablettenteilen in kurzen 3D-animierten Filmen informieren. Dr. Harriet Palissa |
Quelle
[2] Findlay, S. D.; National Institute for Health Care Management Foundation: Direct-to-Consumer Promotion of Prescription Drugs. Economic Implications for Patients, Payers and Providers. Pharmaeconomics 19(2) (2001).
[3] Eagle, L, Department of Commerce. College of Business, Working Paper Series: Direct to Consumer Promotion of Prescription Drugs: A Review of the Literature and the New Zealand Experience. Draft Working Paper No. 01 (2001).
[4] Wartensleben, H.: Der informierte Patient: Utopie oder Realität? Management und Krankenhaus 7; 5 (2001).[5] Gieseke, S.: Arzneihersteller sollen Infolücken bei Patienten schließen. Ärzte Zeitung, 7. Oktober 2011, www.aerztezeitung.de
[6] Räuscher, E. et al.: Packungsbeilage, Booklet oder Film – welches Informationsmedium ist für die sichere Anwendung von Arzneimitteln am besten geeignet? Pharm. Ind. 73(8), 1378 – 1386 (2011).
[7] Schlingensiepen, I.: Patienten möchten mehr über verordnete Arzneimittel wissen. Ärzte Zeitung, 28. April 2011, www.aerztezeitung.de
[8] Vogt, C.; Schaefer, M.: Disparities in knowledge and interest about benefits and risks of combined oral contraceptives. Eur J Contracept Reprod Health Care DOI: 10.3109/13625187.2011.561938.
Anschrift der Verfasserin
Prof. Dr. Marion Schaefer,
Masterstudiengang Consumer Health Care,
Charité Universitätsmedizin Berlin, Invalidenstraße 115,
10115 Berlin
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