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- DAZ 15/2012
- Kraftstoff fürs Gehirn
Neuro-Enhancement
Kraftstoff fürs Gehirn?
Berichte in "Unicum", einer weit verbreiteten Zeitschrift an Universitäten, in "Zeit Campus", einer Zeitschrift für Studierende, oder in "Gehirn & Geist", einer Themenzeitschrift aus dem Spektrum-der-Wissenschaft-Verlag, belegen das Interesse an Hirndoping in Deutschland. Wie auch in Amerika sind hier die Leserzielgruppen gut gebildete junge Menschen, Akademiker und Top-Manager.
Die Idee des Neuro-Enhancements und das Interesse daran ist im Übrigen nicht neu. Bereits während des Spanischen Bürgerkriegs und des Zweiten Weltkriegs wurden Piloten mit dem als "go-pills" bezeichneten Amphetamin durch die Armee versorgt; im Vietnamkrieg versuchten Militärärzte Horrorvisionen aus den Hirnen der traumatisierten Soldaten durch den gezielten Einsatz von Psychopharmaka auszuradieren. Und auch in den Arzneimittelbeständen moderner Streitkräfte sind abertausende der die Aufmerksamkeit und die Wachheit steigernden Pillen eingelagert.
Anwendung als Off-label-use
Derzeit sind viele der als Neuro-Enhancer genutzten Wirkstoffe zur Behandlung von Gedächtnisstörungen, Demenzerkrankungen, schweren psychischen Erkrankungen oder ADHS zugelassen. Damit ist eine Verordnung durch einen Arzt für einen anderen Zweck als der in der Zulassung genannte eine Anwendung außerhalb der Zulassung, also ein Off-label-use. Der Anstieg des Verbrauchs an Psychopharmaka, die ebenfalls als Neuro-Enhancer eingenommen werden, lassen den Schluss zu, dass der Off-label-use bereits in größerem Umfang stattfindet. Ähnlich wie auch im Sport wird also iatrogen unterstützt gedopt. In den USA, wo beispielsweise jeder elfte Erwachsene regelmäßig Antidepressiva nimmt, wird dies wesentlich deutlicher als in Deutschland, aber erste Tendenzen lassen sich auch hierzulande erkennen. So steigerte sich das Verschreibungsvolumen von Antidepressiva in Deutschland von 2009 auf 2010 um 43 Prozent. Antidepressiva belegten 2009 schon Rang sieben im GKV-Verordnungsreport. Laut einer Studie der DAK "dopen" rund 800.000 Arbeitnehmer regelmäßig, um den Anforderungen im Beruf gerecht zu werden, und jeder 20. soll bereits solche Präparate ausprobiert haben.
Stoffe aus verschiedenen Gruppen
Zu den als Dopingmittel für die grauen Zellen verwendeten Wirkstoffen zählen Antidementiva, Psychoanaleptika, Modafinil und Antidepressiva (s. Tabelle mit Beispielen). Darüber hinaus werden Betablocker sowie coffeinhaltige Präparate wie Guarana, Ginkgo und Ginseng zur Leistungssteigerung eingenommen. In den USA gibt es eine Studie zum Wirkstoff D-Cycloserin – eigentlich ein Arzneimittel zur Behandlung der Tuberkulose. Erhalten Höhenphobiker während der Expositionstherapie D-Cycloserin, verstärkt und verlängert sich der Therapieerfolg. Die Wirkung wird damit erklärt, dass D-Cycloserin im Gehirn die Synapsen-Vernetzung durch Bindung an Glutamatrezeptoren fördert.
Inzwischen arbeiten Pharmahersteller gezielt an Neuro-Enhancement-Substanzen. Die neuen Ansätze zielen auf die biochemischen Vorgänge des Lernens. Einen solchen neuen Ansatz nutzen CREB-Modulatoren. CREB steht für cAMP response element binding protein. Dieses Protein stabilisiert neue synaptische Bindungen im Gehirn. Modulatoren, wie das in Phase II befindliche Rolipram, hemmen den Abbau von CREB und ermöglichen so eine verbesserte Lernfähigkeit.
Hohes Risiko – fraglicher Nutzen
Im Gegensatz zur Verwendung als Arzneimittel gibt es für den Einsatz von Neuro-Enhancern kaum veröffentlichte Studien zur Wirkung am Gesunden. Solche Studien werden zum Teil im Rahmen der Arzneimittelzulassung während der Phase I durchaus durchgeführt. Die Hersteller veröffentlichen diese aber nicht, und sie werden auch nicht in Registern wie beispielsweise www.ClinicalTrials.gov aufgeführt. Daten aus Pharmakovigilanz-Beobachtungen könnten eventuell Hinweise geben – allerdings lassen sich die Daten wegen fehlender Informationen über den Grund der Verschreibung nur unzureichend bezüglich der Anwendungssicherheit bei gesunden Patienten auswerten. Auch die Daten aus der militärischen Anwendung sind nur bedingt zugänglich.
Unerwünschte Lifestyle-drug-Wirkungen können vielfältig sein, schließlich wird die Nervenaktivität manipuliert. Bei vielen der Wirkstoffe kann eine Verstärkung des Schmerzempfindens beobachtet werden. Es gibt keinerlei Einschätzung, welche Folgen ein langjähriger Konsum nach sich ziehen kann. Lediglich das Abhängigkeitsrisiko kann derzeit recht gut abgeschätzt werden: Es steigert sich von Antidepressiva über Antidementiva, Modafinil, Methylphenidat bis hin zum Amphetamin.
Experten der Medizinischen Hochschule in Hannover warnen deutlich vor Nebenwirkungen – vor allem auch nach dem Absetzen der Präparate – wie Depressionen und Psychosen. Schlafstörungen, Halluzinationen, Krämpfe, Magenbeschwerden und andere Symptome können ihrer Meinung nach während der Anwendung auftreten.
Auch mit Hirndoping kein Einstein
Neuro-Enhancer beeinflussen die geistige Leistungsfähigkeit, das Arbeitsgedächtnis, die Wach-heit oder Aufmerksamkeit, das episodisches Gedächtnis oder auch die Erinnerung an frühere Ge-schehnisse. Einige Studien belegen, dass eine Steigerung der Aufmerksamkeit oder eine Verbesserung des Kurzzeitgedächtnisses zu Lasten anderer kognitiver oder intellektueller Leistungen geht. Zudem lassen sich die kognitiven Leistungen nicht ins Unendliche steigern. Unter Donepezil verbessert sich zwar das visuelle und verbale Gedächtnis, aber Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis lassen nach. Auch ist keine medikamentöse Steigerung des IQ von 80 auf 120 möglich. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass – wenn überhaupt – im Durchschnitt eine IQ-Steigerung um sieben Punkte möglich ist. Bei Modafinil konnte bei Probanden mit einem Durchschnitts-IQ von 115 überhaupt kein Verbesserungseffekt nachgewiesen werden, während Probanden mit einem durchschnittlichen IQ von 106 ihre kognitiven Leistungen steigerten. Ein weiteres Problem ist die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten unter Neuro-Enhancern. Über Antworten wird weniger reflektiert, das Handeln wird hastiger und auf diese Weise schleichen sich Fehler ein und machen die Steigerung der kognitiven Leistung wieder zunichte.
Gegner und Befürworter
Inzwischen beschäftigen sich jedoch nicht nur Biochemiker, Chemiker und Pharmazeuten mit der Suche nach neuen Wirkstoffen. Auch Neurowissenschaftler, Psychologen, Soziologen, Mediziner und Ethiker versuchen, die Auswirkungen der Neuro-Enhancer auf den Menschen und die Gesellschaft abzuschätzen. Teilweise geschieht dies mit Forschungsmitteln des Bundes, die Ergebnisse der diversen Forschungsprojekte dienen also der Politikberatung. Liberale Wissenschaftler halten es ethisch für vertretbar, Substanzen zur Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit frei dem Markt zu überlassen. Wer mag, soll dopen. Vielfach halten die liberalen Experten die derzeit verfügbaren Substanzen zwar für zu nebenwirkungsträchtig, aber sie sehen weder gesundheitliche noch gesellschaftlich relevante Risiken. Die Gegner des Neuro-Enhancements argumentieren – paternalistisch mahnend – die gesellschaftlichen Folgen reichen von Stigmatisierung über eine weitere Verschlechterung der Chancengleichheit derjenigen, die sich die Präparate nicht leisten können, bis hin zu einer zunehmenden Medikalisierung. Diese birgt zudem noch ein hohes gesundheitliches Risiko. So wird im Fall einer Erkrankung der Nutzen eines Arzneimittels nicht nur hinsichtlich möglicher Nebenwirkungen, sondern auch gegenüber dem Risiko einer Nichtbehandlung abgewogen. Bei der Einnahme von Arzneimitteln durch gesunde Menschen hingegen kann kein Nutzen das Risiko einer Nebenwirkung aufwiegen.
Trinken Sie zwischendurch mal eine Tasse Kaffee!
Eine Tasse Kaffee ist ein guter Neuro-Enhancer mit guter kognitiver Leistungssteigerung bei gleichzeitig geringem gesundheitlichen Risiko für den Anwender. Dabei übt nach einer Studie aus dem Jahr 2005 eine Tasse Kaffee eine äquivalente Wirkung auf die Hirnleistung wie 20 mg Amphetamin oder 400 mg Modafinil aus. Unerwünschte Wirkungen können häufiger Harndrang, leichte Erhöhung des Herzschlages und bei empfindlichen Mägen gastrales Missempfinden sein. In diesen Fällen kann auf eine Tasse Cappuccino, schwarzen oder grünen Tee ausgewichen werden – die enthalten auch eine wirksame Dosis an Coffein.
Kommentar
Die Zielgruppe für Neuro-Enhancement rekrutiert sich derzeit vor allem aus Studierenden, Akademikern, Wirtschaftsführern und Zeitgenossen mit 80-Stunden-Wochen. Allen gemeinsam ist: Von ihnen erwartet die Gesellschaft – so hat es den Anschein – Marathon-Höchstleistungen. Doch ist dieser Leistungsstress nicht hausgemacht? Die stete Erreichbarkeit dank Mobiltelefon und WLAN, Jobs, die im internationalen Business via Skype-Konferenzen rund um die Uhr höchste Konzentration, Leistung und Entscheidungssicherheit abfordern, und der fließende, wenn überhaupt noch vorhandene Übergang zwischen "life" und "work", sie liegen im Trend. Kein Wunder also, dass an der Uni zu Guarana, im Orchestergraben zu Betablockern und im Top-Management zu Methylphenidat oder Modafinil gegriffen wird. In den USA werben Pharmafirmen bereits ak-tiv für diese Anwendungsgebiete. Und von möglichen Verbrauchern werden Nebenwirkungen als durchaus tolerabel hingenommen – so eine Umfrage im Jahr 2009 unter Autoren und Lesern des Magazins "Nature". 69 Prozent würden demnach sogar leichte Nebenwirkungen akzeptieren.
Aber: Wer Hirn-Doping befürwortet, muss sich auch für Doping im Sport aussprechen. Politiker und Experten machen sich unglaubwürdig, wenn sie Doping im Sport ächten und auf die gesundheitlichen Risiken in diesem Bereich hinweisen, aber bezüglich Neuro-Enhancern keinen Handlungsbedarf sehen. Diese geteilte Haltung spiegelt sich allerdings auch in aktuellen Meinungsum-fragen z. B. von "Gehirn & Geist" wider – nur gut 27 Prozent der Befragten beurteilen aus ethischer Sicht Doping von Muskelzellen gleichwertig mit dem Doping von grauen Zellen. Sogar viele Ethiker äußern sich positiv zu Neuro-Enhancern.
Werden hier nicht durch Hirn-Doping im Wettbewerb um beste Abschlüsse und Stellen Leistungen er-schlichen, vergleichbar Medaillen wegen einer hundertstel Sekunde im Sprint durch unerlaubte Leistungssteigerer? Und bestehen etwa keine gesundheitlichen Risiken? Deshalb: Genauso wie im Sport hat der Apotheker im Sinne der Bundesapothekerordnung die Gesundheit der Bevölkerung und des Einzelnen im Blick zu haben und aktiv vor den Risiken durch die Einnahmen von Neuro-Enhancern zu warnen.
Constanze Schäfer
Literatur
Hennen, Leonhard: Der technisch erweiterte Mensch; ITAS, 2008 (www.itas.fzk.de/tatup/101/henn10a.pdf)
Klinkhammer, Gisela: Neuroenhancement: Auf dem Weg zum optimierten Gehirn; Dtsch. Ärztebl. 2009; 106(44): A-2179
Larriviere, Dan et al.: Responding to requests from adult patients for neuroenhancements; Neu-rology, 2009, October 27; 73(17): 1406-1412
Lieb, Klaus: Hirndoping – Warum wir nicht alles schlucken sollten. Mannheim, 2010Lohmann, K., Gusy, B., Drewes, J.: Alltagsdoping an der Hochschule?!; GIS-Online-Studie der Freien Universität Berlin; 2008Meusch, Dorothee: Trend zur Medikalisierung: Zehn Jahre TK-Gesundheistreport; Ersatzkasse Magazin, 08/09 2010, 18-19Quednow, Boris B.: Neurophysiologie des Neuro-Enhancements: Möglichkeiten und Grenzen; Suchtmagazin 2/2010, 19-26Schermer, Maartje: Neuro enhancement between hope an hype; Vortrag Kongress Suchtmedizin 2010 in Berlin (www.dgsuchtmedizin.de/uploads/media/Schermer-DGS_2010.pdf)Schleim, S., Walter, H.: Cognitive Enhancement – Fakten und Mythen; Nervenheilkunde 1-2 2007, 26: 83-87Vaas, Rüdiger: Schöne neue Neurowelt; Hirzel Verlag 2008Wesensten NJ., et al.: Performance an alertness effects of caffeine, dextroamphetamine, and mo-dafinil during sleep deprivation. J. Sleep Res. 2005, 255-266Zonneveld, L., Dijstelbloem, H., Ringoir, D. (eds.): Reshaping the Human Condition Exploring Human Enhancement; 2008 (www.parliament.uk/documents/post/poste15.pdf)Dr. Constanze Schäfer, Apothekerin, MHA, Düsseldorf
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