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Feuilleton
Bromeliengewächse – eine Familie mit vielen Facetten
Nach üppigen Tafelfreuden brachte König Ludwig II. von Bayern (1845– 1886) seine Verdauung mit Ananaswein aus der Hofapotheke wieder ins Lot. Der Stamm und die Frucht der Ananas enthalten mehrere proteolytische Enzyme, deren Wirkungsoptimum bei einem pH-Wert von 6 bis 7,5 liegt, weshalb sie – im Gegensatz zu den Proteasen des Magens – erst im Dünndarm wirksam werden.
Kulturgeschichte der Ananas
Die Ananas (Ananas comosus) wurde schon in präkolumbischer Zeit als Nutzpflanze kultiviert, vor allem in der Karibik und im Norden Südamerikas. Wildvorkommen und Wildformen sind nicht bekannt, nur einige andere Ananas-Arten, die aber keine Nutzpflanzen sind. Als erster Eu ropäer kostete Christoph Kolumbus (1451– 1506) eine Ananas, deren "vorzügliches Aroma ihn höchst begeisterte" (1493 auf der Insel Guadeloupe). Portugiesische Seefahrer brachten um 1502 die ersten Ananas-Pflanzen nach Sankt Helena, ab 1550 wurde die wohlschmeckende Frucht auch in Indien angebaut. Um 1700 kultivierte man sie sogar in Amsterdam und Leiden, worauf auch die Gärtner einiger Fürstenhöfe begannen, in gläsernen "Erdhäusern", in denen sie mithilfe von Mistpackungen ein "tropisches Klima" schufen, Ananas zu züchten.
Der Erwerbsgartenbau zog nach, und im 19. Jahrhundert avancierten England und Frankreich zu Europas führenden Ananasproduzenten. Als aber die ersten Dampfschiffe den Atlantik überquerten und den schnellen Transport ganzer Ananaspflanzen aus der Karibik ermöglichten, wurde in Europa der Anbau unter Glas unrentabel. Heute können dank moderner Logistik in den Supermärkten der Welt jederzeit erntefrische Früchte zu erschwinglichen Preisen angeboten werden; der größte Teil der Ernte wandert freilich in den Anbauländern in die Konservendosen. Hawaii, das man mehr als jedes andere Land mit Ananas assoziiert, war aber nur zeitweise der größte Produzent. Heute wird Ananas comosus in vielen tropischen und subtropischen Ländern auf Plantagen angebaut.
Wie ein Pinienzapfen
Kolumbus hatte die Ananas als einen "Zapfen" (ital. pigna) mit Blätterkranz und fleischigem Inneren beschrieben. Heute noch verzehrt man in Spanien und Lateinamerika gern "piñas", und in anglophonen Ländern lässt man sich "pineapples" schmecken. In den meisten europäischen Sprachen – auch im Italienischen – ist heute jedoch von "Ananas" die Rede, abgeleitet aus "naná", der Bezeichnung in der Sprachfamilie Tupi-Guarani (in Brasilien).
Die Ananas ist eine Scheinfrucht. Botanisch korrekt handelt es sich um einen Fruchtverband von Beeren an einer verdickten Fruchtstandsachse, die miteinander verwachsen sind. Die Pflanze mit den rosettenartigen, bis 120 cm langen stachelbewehrten Blättern gehört zur Familie Bromeliaceae, die innerhalb der Einkeimblättrigen (Monokotyledonen) recht isoliert und am nächsten mit den Ingwergewächsen verwandt ist. Die Familie der Bromeliaceae hatte der französische Botaniker Antoine Laurent de Jussieu (1748– 1836) im Revolutionsjahr 1789 in seinen "Genera plantarum, secundum ordines naturales disposita iuxta methodum in Horto Regio Parisiensi exaratam" beschrieben; als Namensgeber hatte er nicht die altbekannte Ananas gewählt, sondern die Bromelien, die sein Landsmann Charles Plumier (1646– 1704) in Südamerika entdeckt und nach dem schwedischen Botaniker Olof Bromelius (1639– 1705) benannt hatte.
BromelainBromelain ist ein Gemisch von zwei Cysteinproteasen, die in der Ananas enthalten sind und erstmals 1957 wissenschaftlich beschrieben wurden. In Form von Fertigarzneimitteln wird Bromelain unter anderem zur innerlichen Therapie von postoperativen Schwellungen oder starken Verletzungen eingesetzt. |
Guzmanien, Aechmeen und Vrieseen
Abgesehen von der Ananas, sind in Europa ab 1776 die ersten erfolgreichen Kulturversuche mit Bromeliaceen nachweisbar, und zwar mit Guzmanien, die damals noch namenlos waren. Erst die spanischen Botaniker Hipólito Ruíz López und José Antonio Pavón y Jiménez, die von 1779 bis 1788 Südamerika durchreisten, benannten sie nach ihrem Landsmann, dem Apotheker Anastasio Guzmán († 1807). Heute sind rund 200 Guzmania -Arten bekannt. Die als Zimmerpflanze besonders beliebte Aechmea fasciata (die Gattung umfasst 250 bis 300 Spezies) gelangte 1828 nach Europa. Zwölf Jahre danach wurden die ersten Exemplare von Vriesea splendens (zur Gattung gehören ca. 300 Arten) eingeführt.
Vom Winzling bis zum "Wagenrad"
Die Familie Bromeliaceae zählt mehr als 60 Gattungen und über 2500 Arten, die alle – mit einer Ausnahme – in der Neuen Welt von den südlichen USA über Mexiko und Mittelamerika bis nach Südchile (44. Breitengrad) endemisch sind. Von der einzigen in Westafrika heimischen Bromeliacee Pitcairnia feliciana nimmt man an, dass ihre Vorfahren ebenfalls in Amerika heimisch gewesen sind und deren Samen durch den Wind, durch Treibgut oder Vögel, auf jeden Fall aber ohne menschlichen Einfluss in das heutige Verbreitungsgebiet gelangten. Bislang wurde die Familie in drei Unterfamilien gegliedert, nach der neuesten Taxonomie sind es jedoch acht.
Viele Bromelien-Arten wie zum Beispiel Neoregelien und Nidularien wachsen in tropischen Regenwäldern des Tieflands. Die erst 1998 entdeckte und 2008 durch Walter Till (Universität Wien) beschriebene Vriesea speckmaieri aus Venezuela ist nur eine von vielen Bromeliaceen, die in Nebelwäldern bis zu 3000 Meter Höhe zu Hause sind. Von Puya raimondii , der "Königin der Kordilleren", wurden sogar noch in 4500 Meter Höhe Exemplare gefunden. Sie ist die größte aller Bromelien und das Wahrzeichen Perus. Nach einer Wachstumsphase von 50 bis 70 Jahren bildet die Art eine bis zu acht Meter hohe Infloreszenz mit Tausenden Blüten, die Hunderttausende Samen produzieren.
Bemerkenswert ist die hohe Anpassungsfähigkeit an zuweilen extreme Umweltbedingungen, weswegen sich innerhalb der Familie Spezies mit sehr unterschiedlichen Erscheinungsbildern und Überlebensstrategien entwickelt haben. Dennoch gibt es viele gemeinsame Merkmale, die sogar Laien eine leichte Einordnung in die Familie der Bromeliengewächse ermöglichen. Beinahe alle Bromelien bilden immergrüne Blattrosetten, nur wenige Arten wie Pitcairnia heterophylla werfen in der Trockenzeit das Laub ab. Auch die rosettenlose, im gesamten Verbreitungsgebiet anzutreffende Tillandsia usneoides ist wegen ihres an Bartflechten erinnernden Habitus ein Außenseiter und als "Spanisches Moos" oder (engl.) "Louisiana moss" bekannt.
Die meisten Bromelien bilden durch zur Sprossachse hin spiralig angeordnete Blätter eine "Zisterne". Diese kann winzig sein wie zum Beispiel bei Tillandsia tricholepis • Viele "klassische" Bromelien – genannt seien nur die Neoregelien mit kurzem Blütenstand inmitten einer farbenprächtigen Laub rosette – können aufgrund ihrer "handlichen" Ausmaße und hohen Anpassungsfähigkeit auf der Fensterbank kultiviert werden. Wie in anderen Gattungen gibt es allerdings auch in dieser Gattung einige Arten, die den Durch messer eines Wagenrads erreichen können (z. B. Neoregelia carolinae).
Epiphytische Lebensweise
Beinahe sämtliche Bromelien nehmen mit ihren Blättern Nährstoffe auf, die in Regenwasser oder Tau gelöst sind; sie können daher epiphytisch auf Bäumen oder Kakteen, ja sogar auf Stromleitungen wachsen. Die Wurzeln dienen vorwiegend der Verankerung auf anderen Pflanzen oder in kargem Geröllboden. Je nach Lebensraum sind die Blätter vollständig oder teilweise mit Saugschuppen bedeckt, die Wasser resorbieren können. Die rosettenartigen Blätter bilden oft einen Trichter, der mehr oder weniger mit Regenwasser gefüllt ist; Bromelien in Zimmerkultur soll man deshalb das Wasser in den Blatttrichter gießen.
In amerikanischen Regenwäldern nehmen Bromelien als Wasserreservoire einen wichtigen Platz im Ökosystem ein. Mehrere hundert auf einem Urwaldriesen aufsitzende Pflanzen können zusammen eine Wassermenge speichern, die einen mittelgroßen Gartenteich füllen würde. Wen wundert’s, dass die Blattzisternen ideale Kinder stuben für Insektenlarven, junge Baumschlangen und die Kaulquappen der farbenprächtigen Pfeilgiftfrösche sind.
Tillandsien haben sich ähnlich wie Kakteen und andere Sukkulenten perfekt an das Überleben in einem trockenen Milieu angepasst. Ihre Blätter sind komplett mit einer – je nach Art grauen bis weißen – Schicht von Saugschuppen bedeckt, die in trockenem Zustand luftgefüllt sind und das Sonnenlicht reflektieren, während sie Tau, Nebel oder Regen sofort aufsaugen und dabei zugleich Nährstoffe aufnehmen.
Bestäubung durch den Wind oder Tiere
Nach Induktion der generativen Phase entwickelt sich im Zentrum der Blattrosetten ein langgestielter Blütenstand. Nur Tillandsia complanata, T. multicaulis und wenige andere Arten verstoßen gegen diese Regel: Ihre Blütenstände sprießen seitlich aus der Rosette heraus. Die bei allen Bromelien dreizähligen Einzelblüten sind eher unscheinbar und welken oft schon nach wenigen Stunden. Vornehmlich die oft farbenprächtigen und lange haltbaren Hochblätter (Brakteen) der einfachen, rispi gen oder traubigen Blütenstände verleihen den Bromelien ihr attraktives Erscheinungsbild.
Die zuweilen verschwenderische Farbenpracht der Blütenstände lockt tierische Bestäuber an. Ernähren sich in erster Linie Kolibris von dem dünnflüssigen Nektar auf dem Blütengrund, so leben einige Bromelien-Arten mit spezialisierten Fledertieren oder Insekten in Symbiose. Andere sind autofertil und somit unabhängig von tierischen Besuchern.
Bei den allermeisten Bromeliengewächsen bilden sich zur Blütezeit entweder an der Basis, zwischen den Blättern oder über Ausläufer Tochterrosetten oder "Kindel", die sich im Jugendstadium von der Mutterpflanze ernähren. Dies führt bei vielen Arten zur Bildung mehr oder weniger umfangreicher Horste. Puya raimondii und einige andere Arten sterben hingegen im fortschreitenden Blütenstadium komplett ab und vermehren sich ausschließlich aus Samen.
Tillandsien, Vrieseen und Guzmanien (alle: Unterfamilie Tillandsioideae) und einige andere Spezies vermehren sich durch winzige flugfähige Samen. Einige terrestrisch wachsende Bromelien – genannt seien nur die Gattungen Ananas und Bromelia – bilden große duftende Fruchtverbände, die durch Kleinsäuger verzehrt werden. Vögel verzehren die farbenprächtigen Beeren einiger Arten – u. a. Aechmeen, Billbergien, Neoregelien und Ni dularien (Unterfamilie Bromelio ideae) – und verbreiten mit ihren Exkrementen deren Samen.
"Was mich angeht, so würde ich lieber Ananas in Alaska züchten als Bundeskanzler sein." Franz Josef Strauß, 1968 |
Reinhard Wylegalla
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