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Grundlagen des Immunsystems

Der diesjährige Nobelpreis für Medizin oder Physiologie wurde für Forschungen im Bereich der Immunologie vergeben. Die eine Hälfte teilen sich Bruce Beutler und Jules Hoffmann für Arbeiten zur Aktivierung der angeborenen Immunität. Die andere Hälfte erhalten die Hinterbliebenen des gerade verstorbenen Ralph Steinman für seine Entdeckung der dendritischen Zellen und deren Rolle in der erworbenen Immunität.
Eine unreife dendritische Zelle nimmt fremde Mikroorganismen (hier: Viren) oder deren Partikel auf (links); ­daraufhin wird über die Toll-ähnlichen Rezeptoren das angeborene Immunsystem aktiviert (hier nicht dargestellt). Ein bis zwei Tage später synthetisiert die reife dendritische Zelle bestimmte Proteine, mit denen sie die T-Lymphozyten (erworbenes Immunsystem) informiert und stimuliert. Aus Vollmar, Dingermann: Immunologie, Stuttgart 2005.

Vorläufer der Immunologie

Einer der ersten, der die konkreten Ursachen von Krankheiten erforschte, war der Italiener Girolamo Fracastoro (1478 – 1553). Er vermutete lebende Krankheitsüberträger (contagia animata) oder Krankheitserreger (seminaria morbi) und ging bereits davon aus, dass jeder Erreger nur eine bestimmte Krankheit hervorruft.

Die Untersuchung der natürlichen Abwehrmechanismen gegen Krankheitserreger begann dagegen erst im späten 19. Jahrhundert. Um die bakterientötende Wirkung des Blutes zu erforschen, stach der russische Zoologe Elias Metschnikow (1845 – 1916; Nobelpreis 1908) einen Seestern mit einem Rosendorn. Er konnte unter dem Mikroskop die Wanderung der damals Karminkörperchen genannten Phagozyten zur Infektionsstelle beobachten. Sie fraßen an der Wunde die eindringenden Bakterien auf.

Der Prozess wurde auf Vorschlag des Kasseler Zoologen Carl Claus (1835 – 1899) Phagozytose genannt. Metschnikow deutete sie als Abwehrmechanismus und Heilungsprozess. Rudolf Virchow (1821 – 1902) akzeptierte 1885 diese Theorie. Sie entsprach seiner Vorstellung der Zellularpathologie.

Der Phagozytoselehre stand die vor allem in Deutschland vertretene humorale Immunitätslehre entgegen. Der Militärarzt Hans Buchner (1850 – 1902) hatte bereits 1877 erkannt, dass die Pathogenität der Bakterien beeinflussbar war. Er konnte schließlich zeigen, dass zellfreies Blutserum Pathogene abtötet, und führte die Wirkung auf die Gegenwart eines aktiven Peptids zurück, das er Alexin nannte.


Horror autotoxicus


Paul Ehrlich wollte mit diesem Begriff darauf hinweisen, dass keine Antikörper gegen körpereigene Antigene gebildet werden.


Emil von Behring (1854 – 1917; Nobelpreis 1901) erkannte, dass das Serum von Ratten, die gegen Milzbrand weitgehend immun sind, das Wachstum von Bacillus anthracis hemmt, während das Serum von Meerschweinchen dies nicht tut. Er schloss daraus, dass die Widerstandsfähigkeit gegen Milzbrand unabhängig von der Aktivität lebender Zellen im Sinne Metschnikows sei. Gemeinsam mit dem japanischen Bakteriologen Shibasaburo Kitasato (1852 – 1931), der im Institut Robert Kochs (1843 – 1910; Nobelpreis 1905) in Berlin arbeitete, begründete er damit die Lehre von der humoralen Immunität und die Blutserumtherapie. In der gemeinsamen Publikation von 1890 heißt es:

"Die Immunität von Kaninchen und Mäusen, die gegen Tetanus immunisiert sind, beruht auf der Fähigkeit der zellenfreien Blutflüssigkeit, die toxischen Substanzen, welche die Tetanusbazillen produzieren, unschädlich zu machen." Es musste also Gegengifte, Antitoxine, geben.

Toll-ähnliche Rezeptoren

Seither sind mehr als 100 Jahre vergangen. Die komplexen Prozesse der Immunabwehr konnten Schritt für Schritt erhellt werden. Ein wichtiger Teil der Forschung widmete sich den Rezeptoren, die notwendigerweise vorhanden sein mussten, damit der Körper ein Pathogen sicher erkennt. Einige dieser Schritte wurden mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Doch erst den diesjährigen Preisträgern ist es gelungen, die Mechanismen aufzuklären, die einerseits das angeborene Immunsystem, andererseits das erworbene Immunsystem aktivieren und zwischen beiden Systemen vermitteln.

Jules Hoffmann (geb. 1941 in Echternach, Luxemburg) hatte vor 20 Jahren an der Universität Straßburg begonnen, die Immunabwehr am Modellorganismus Fruchtfliege (Drosophila melanogaster) zu untersuchen. Er arbeitete mit Mutanten des Toll-Gens, das in der Embryonalentwicklung eine wichtige Rolle spielt. Der Name "Toll" stammt von Christiane Nüsslein-Volhard (Nobelpreis 1985), die das von ihr entdeckte Protein einfach toll fand. Hoffmanns Fruchtfliegen starben nach der Infektion mit pathogenen Bakterien und Pilzen. Die Fliegen waren durch die Mutationen des Toll-Gens nicht mehr in der Lage, eine effektive Immunabwehr zu organisieren. Er schloss daraus, dass die normale Expression des Toll-Gens für das Erkennen der Pathogene notwendig ist und ebenso für die erfolgreiche Abwehr derselben.

Hoffmann gelang es schließlich, die Toll-ähnlichen Rezeptoren (Toll-like-Receptors, TLRs) zu identifizieren. Sie erkennen sogenannte PAMPs (Pathogen Associated Molecular Patterns), Strukturen, die ausschließlich bei Bakterien, Pilzen, Viren und Protozoen vorkommen, und haben damit eine wichtige Funktion in der angeborenen Immunabwehr. Darüber hinaus aktivieren sie das erworbene Immunsystem.

Da mittlerweile viele Gruppen an TLRs in allen Wirbeltieren und eben auch in Drosophila gefunden wurden, hat man sie zur Rezeptorgruppe PRR (Pattern Recognition Receptors) zusammengefasst. TLRs sitzen in den Membranen der Zelloberfläche und der Organellen. Sie werden auch als signaltransduktionsvermittelnde PRRs bezeichnet. In vielen Tieren wurden mehr als zehn verschiedene TLRs gefunden. Ihre weite Verbreitung im Tierreich lässt vermuten, dass die TLRs ein sehr altes System darstellen. Wahrscheinlich ist es während der Kambrischen Explosion vor mehr als 500 Millionen Jahren entstanden.

Was sind und wie wirken Endotoxine?

Bruce Beutler (geb. 1957 in Chicago, USA) war einen ganz anderen Weg gegangen. In den 1980er Jahren hatte er einen Tumornekrosefaktor (TNF) identifiziert, der als inflammatorisches Protein wirkt. TNF erwies sich als einer der wichtigsten Auslöser für einen endotoxischen Schock, der wiederum von Lipopolysacchariden (LPS) induziert wird. LPS werden von fast allen gramnegativen Bakterien synthetisiert und sind schon vor über 100 Jahren von dem Koch-Schüler Richard Pfeiffer (1858 – 1945) "Endotoxine" genannt worden. Doch erst Beutler gelang die Aufklärung der Reaktion.

Drei Jahre nach Hoffmann identifizierte seine Arbeitsgruppe in LPS-resistenten Mäusen eine Mutation in einem Gen, das dem Toll-Gen der Fruchtfliege ebenfalls sehr ähnlich ist. Der von diesem Gen exprimierte TLR entpuppte sich schließlich als der lange gesuchte LPS-Rezeptor. Bindet er an LPS, sendet er Signale, die eine Entzündung verursachen oder (bei hohen LPS-Spiegeln) sogar einen septischen Schock auslösen. Säugetiere und Fruchtfliegen nutzen also ähnliche Moleküle für die Aktivierung des angeborenen Immunsystems, wenn sie pathogene Mikroorganismen erkennen. Die Sensoren der angeborenen Immunität waren endlich entdeckt.

Beutler war zwar klar, dass dieser Mechanismus evolutionsgeschichtlich sehr alt sein muss. Denn zahlreiche andere Forschergruppen haben bereits Erkenntnisse zu dem Themenkomplex beigetragen. Zum Zeitpunkt seiner Erkenntnisse wusste er aber nichts von Fruchtfliegen und kannte auch Jules Hoffmann nicht. Als er jedoch auf einem Titelbild der Zeitschrift "Cell" eine von Pilzen überwucherte Fruchtfliege Hoffmanns sah, griff er zum Telefon, um ihn anzurufen.

Die Forschungen Hoffmanns und Beutlers lösten unter den Immunologen eine enorme Begeisterung aus. Sehr schnell wurde rund ein Dutzend verschiedener TLRs beim Menschen und bei der Maus identifiziert. Jedes dieser TLRs erkennt spezifische Moleküle, die in und auf Mikroorganismen typisch sind. Individuen, die aufgrund von bestimmten Genmutationen keine voll funktionstüchtigen TLRs aufweisen, haben ein erhöhtes Infektionsrisiko. Andere TLR-Mutationen wiederum sind mit einem gesteigerten Risiko für chronische entzündliche Erkrankungen assoziiert.

Dendritische Zellen – eine späte Entdeckung

Der wenige Tage vor der Preiszuerkennung gestorbene Kanadier Ralph Steinman (geb. 1943) arbeitete seit 1970 an der Rockefeller-Universität in New York. Dort beschrieb er 1973 mit den dendritischen Zellen einen ganz neuen Zelltyp. Er vermutete, dass sie wichtig für das Immunsystem sind, und konnte mit In-vitro-Versuchen zeigen, dass sie T-Lymphozyten aktivieren. Diese spielen eine Schlüsselrolle im erworbenen Immunsystem, da sie ein "Gedächtnis" für verschiedenste Fremdsubstanzen (Antigene) haben.

Die dendritischen Zellen finden sich vor allem in der Haut, wo Paul Langerhans sie zwar schon 1868 entdeckt, aber fälschlich für Nervenzellen gehalten hatte (sie tragen heute noch seinen Namen). Im unreifen Stadium nehmen sie Partikel von eindringenden pathogenen Mikroorganismen auf, insbesondere spezifische Proteine (siehe Grafik). Ein bis zwei Tage später sind sie im reifen Stadium und können die fremden Proteine an die Oberfläche ihrer Zellmembran befördern und als Antigene präsentieren. Zudem synthetisieren sie die Proteine des Haupthistokompatibilitätskomplexes (MHC), kostimulatorische Proteine (B7) und Adhäsionsmoleküle (ICAM) und sezernieren Zytokine. Sie wandern von der Haut in lymphatisches Gewebe, wo sie mit den Antigenen und MHC-Proteinen die T-Lymphozyten über den "Feind" informieren und sie mit den weiteren Proteinen und Zytokinen zur Aktion stimulieren. Auf diese Weise erfolgt eine spezifische zelluläre Immunantwort.


Internet


Deutsche Gesellschaft für Immunologie http://dgfi.org/web

Potenzial für die Krebstherapie

Dendritische Zellen werden als Wachtposten und Alarmgeber des Immunsystems beschrieben. Da eine einzige Zelle genügt, um mehrere hundert T-Zellen zu aktivieren, sind sie außerordentlich effizient. Ein neuer Ansatz der Krebstherapie besteht darin, dendritische Zellen ex vivo mit Tumorantigenen zu beladen und dem Patienten zu injizieren. Auch bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen könnten sie in Zukunft eingesetzt werden.

Nobelpreisträger Bruce Beutler sagte: "Bei sterilen entzündlichen Krankheiten wie der rheumatoiden Arthritis und Autoimmunerkrankungen wie dem Lupus erythematodes werden offenbar die gleichen Stoffwechselwege benutzt. Es könnte gut sein, dass durch das Blockieren der TLR-Signaltransduktion sehr spezifische Therapien dagegen möglich werden."


Literatur

Ilse Jahn (Hrsg.): Geschichte der Biologie. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2000.

Ralph M. Steinman, Zanvil A. Cohn: Identification of a novel cell type in peripheral lymphoid organs of mice. J Exp Med 1973;137(5):1142 – 1162.


Autor
Dr. Uwe Schulte, Osterholzallee 82, 71636 Ludwigsburg schulte.uwe@t-online.de



DAZ 2011, Nr. 41, S. 135

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