Rezeptur

Sirolimus-Vaselin 0,1% für Gesichts-Angiofibrome

Ein neuer Therapieansatz mit einem Rezepturarzneimittel

Von Christian Beck

Das Immunsuppressivum Sirolimus wurde in verschiedenen Grundlagen und Konzentrationen (0,4% bis 8%) "off label" zur topischen Behandlung von Gesichts-Angiofibromen und Psoriasis-Plaques eingesetzt [1, 2, 3]. Topisches Sirolimus geht anscheinend nicht in den Blutkreislauf über: Selbst nach dreimonatiger Anwendung eines 1%igen Sirolimus-Vaselins im Gesicht waren keine Sirolimus-Serumspiegel detektierbar [1]. Auch in einer anderen Studie mit topischem Sirolimus wurde bei einer Nachweisgrenze von 0,1 ng/ml kein Sirolimus im Blut der Patienten bestimmt [3]. Da kein Fertigarzneimittel zur topischen Anwendung von Sirolimus zur Verfügung steht, wird hier eine Rezeptur vorgestellt.
Foto: Haemel et al.
Abb. 1: Patientin mit Gesichts-Angiofibromen vor (oben) und nach einer zwölfwöchigen Behandlung mit 1%igem [!] Sirolimus-Vaselin (unten). Aus [1].

Die Krankheit …

Gesichts-Angiofibrome sind ein Symptom der Tuberösen Sklerose (Tuberous Sclerosis Complex, TSC, auch Morbus Pringle-Bourneville; Abb. 1). Sie ist eine Multisystemerkrankung, welche eine große Anzahl von Manifestationen (Epilepsie, Hirnschädigungen, kognitive Beeinträchtigungen, Verhaltensstörungen, Herz- und Nierentumoren und auch die Lungenkrankheit LAM = Lymphangioleiomyomatose) aufzeigt. Charakterisiert wird TSC beispielsweise durch tumorähnliche Läsionen – Hamartome – , die im Gehirn, auf der Haut, Netzhaut, an Herz, Lunge und Nieren auftreten. Regelmäßige Kontrolluntersuchungen der Patienten mit Ultraschall, Computertomografie (CT) oder Kernspintomografie (MRT) sind deshalb sehr wichtig.

Bei leicht betroffenen Patienten (in der Regel nur kutane Manifestationen) wird die Diagnose oft erst nach der Geburt eines schwerer betroffenen Kindes gestellt. Die Prävalenz von TSC liegt für Neugeborene bei etwa 1:6000. 

Die TSC wird durch inaktivierende Mutationen auf dem TSC1- oder TSC2-Gen verursacht. Sie wird autosomal dominant vererbt, aber etwa 70% der Fälle beruhen auf Spontanmutationen. 

Die beiden TSC-Gene spielen eine wichtige Rolle in der Regulation der Phosphoinositid-3-Kinase (PI3K) und der Inhibition des Enzyms mTOR (mammalian target of Rapamycin) via Aktivierung der GTPase Rheb (Ras -homolog-enriched-in-brain). Der experimentelle Einsatz von Rapamycin (= Sirolimus) zur Behandlung von Nierentumoren (Angiomyolipome) bei TSC kann als Indiz für diese Zusammenhänge gesehen werden.

Das TSC1-Gen findet sich auf Chromosom 9q34, das TSC2-Gen auf Chromosom 16p13.3. Diese Mutationen beinhalten einen Mix von Nonsense-, Missense-, Insertions- und Deletions-Mutationen, welche sich über das gesamte Exon dieser beiden Gene verteilen.

… und ihre Therapie

Eine systemische Therapie mit Rapamune® (Sirolimus) als Lösung oder Filmtablette zeigt eine signifikante Verbesserung der oben erwähnten Angiofibrome [11]. Sie sollte aber nur bei schwereren TSC-Fällen mit Beteiligung mehrerer Organe (Niere, Herz, Lunge, Gehirn) in Erwägung gezogen werden. Die topische Anwendung ist bei vorwiegend dermatologischen Verlaufsformen vorzuziehen, weil hier die Nutzen-Risiko-Analyse der Nebenwirkungen von systemisch verabreichtem Sirolimus nicht eindeutig positiv ist. 

Ein 0,05- oder 0,1%iges Sirolimus-Vaselin dürfte für einen ersten Therapieversuch ausreichend sein. Eine höhere Sirolimus-Konzentration steigert unnötig die Kosten. Selbst ein 0,01%iges Sirolimus-Vaselin ist noch wirksam (persönliche Mitteilung von Prof. D. N. Franz, University of Cincinnati College of Medicine).

Der Wirkstoff Sirolimus

Sirolimus (INN) oder Rapamycin ist in Deutschland zurzeit als Rapamune® im Handel (Rote Liste, Hauptgruppe Immunmodulatoren, selektive Immunsuppressiva: 51.2.B.1.3.). Es dient zur Prophylaxe einer Organabstoßung und gelangt als 1 mg/ml Lösung oder als 0,5 mg, 1 mg oder 2 mg Filmtablette zum Einsatz. Die immunsuppressive Wirkung wird über eine mTOR-Blockade vermittelt. Der intrazellulär gebildete Komplex aus mTOR und Sirolimus verringert die Bildung und Anzahl aktivierter weißer Blutkörperchen (T-Lymphozyten), welche für den Angriff auf körperfremde, transplantierte Organe verantwortlich sind – damit sinkt das Risiko einer Organabstoßung [4].

Abb. 2: Sirolimus ist ein Makrolid-Lacton mit 15 Stereozentren.

Chemisch gesehen ist Sirolimus ein Makrolid-Lacton. Das Molekül ist chiral und enthält 15 Stereozentren. Strukturell ähnelt es den Calcineurin-Inhibitoren Tacrolimus und Pimecrolimus. Es wurde 1975 in einer Bodenprobe von der Osterinsel (Südpazifik, Chile) entdeckt [5, 6, 7] und ist ein Stoffwechselprodukt des Bodenbakteriums Streptomyces hygroscopicus NRRL 5491. Auf Polynesisch heißt die Osterinsel Rapa Nui, daher der Trivialname Rapamycin und der Handelsname Rapamune®

Zwei Derivate von Sirolimus, Temsirolimus (Torisel® zur Behandlung von Nierenzellkarzinomen) und Everolimus (Afinitor® zur Behandlung des Nierenzellkarzinoms bzw. Certican® zur Prophylaxe der Transplantatabstoßung), sind ebenfalls in Deutschland zugelassen [8]. Als weiteres Derivat mit verbesserten galenischen Eigenschaften befindet sich Deforolimus (auch Ridaforolimus) seit 2008 in Phase III der klinischen Prüfung zur Sarkombehandlung [9].

Zurzeit existiert keine Arzneibuch-Monografie für Sirolimus und damit auch keine amtliche Prüfung auf Identität und Reinheit. Eine Referenz-Analysensubstanz ist erhältlich, aber ähnlich teuer wie das Fertigarzneimittel. Nach ersten Recherchen wäre die Firma Caelo unter Umständen in der Lage, Sirolimus aus GMP-Produktion als Rezeptursubstanz zu liefern; eine Anfrage bei der Firma Fagron ergab einen negativen Bescheid.

Für Identitätsprüfungen könnte beispielsweise eine Schmelzpunktbestimmung bzw. ein Mischschmelzpunkt (mit aus einem Fertigarzneimittel extrahiertem Sirolimus) dienen. Auch die Aufnahme eines UV-Spektrums, sofern apparativ möglich, kann hier wertvolle Hinweise geben. Der Autor ist bemüht, apothekengerechte Prüfvorschriften zu erarbeiten und diese dann bekannt zu machen.

Die Rezeptur: Sirolimus-Vaselin 0,1%

Da Sirolimus (s. auch Abb. 2 ) ein hochpotenter Arzneistoff mit starker immunsuppressiver Wirkung ist, erfordert die Rezeptur einen geeigneten Arbeitsschutz: Atemschutz (P2 oder P3), Schutzbrille und Handschuhe.

0,1 g Sirolimus wird mit dickflüssigem Paraffin q. s. sorgfältig zu einer homogenen Suspension angerieben; dabei ist die Staubbildung zu vermeiden.

Anschließend wird mit Vaselin auf 100 g aufgefüllt und in der Fantaschale oder einem geeigneten maschinellen Mischsystem zu einer homogenen Suspensionssalbe gerührt. Die Salbe wird am einfachsten in eine Dosierkruke gefüllt.

Die Anwendung erfolgt in der Regel ein- bis zweimal täglich nach ärztlicher Anweisung (Sirolimus-Vaselin ist ebenso verschreibungspflichtig wie der Wirkstoff Sirolimus): Das Sirolimus-Vaselin 0,1% wird dünn auf die erkrankten Hautstellen aufgetragen.

Wenn der Wirkstoff aus einem Fertigarzneimittel extrahiert wird, muss er zur Gewichtskonstanz getrocknet werden, und es ist eine Identitätsbestimmung durchzuführen, um den eingesetzten Wirkstoffanteil annähernd zu kennen. Sirolimus ist eine weiße (farblose), kristalline Substanz mit einem Schmelzpunktbereich von 183 °C bis 185 °C. UV-Maxima finden sich bei 267, 277 und 288 nm [6].

Bezüglich einer eventuellen Extraktion ist Sirolimus in den folgenden Lösungsmitteln gut löslich: Methanol, Ethanol, Aceton, Chloroform, Dichlormethan, Trichlorethan. N,N-Dimethylformamid und Dimethylsulfoxid lösen ebenfalls gut, sind aber nach einer Extraktion nur sehr schlecht rückstandsfrei entfernbar.

Generell sind die halogenfreien Lösungsmittel Methanol, Ethanol und Aceton vorzuziehen (Ethanol und Aceton sind "Class 3 Solvents" mit geringer Toxizität nach der EMA-Guideline for Residual Solvents).

Dimethylsulfoxid (DMSO) schließlich könnte auch als Penetrationsverstärker eingesetzt werden; es war als Dolobene® pur im Handel.

Eine weitere interessante Rezepturvariante geht vom Fertigarzneimittel "Rapamune® 1 mg/ml Lösung zum Einnehmen" aus [10]: Die Lösung enthält unter anderem Polysorbat 80 (auch E 433 oder Tween® 80), Soja-Fettsäuren, Ethanol, Mono- und Diglyceride, Ascorbylpalmitat und Phosal® 50 PG (ein Co-Emulgator und Dispergierhilfsmittel auf Lecithinbasis). Es wurden 60 ml Rapamune® -Lösung mit 60 g Eucerinum® (anhydricum) zu einer Creme verarbeitet. Genauere Angaben zur Herstellung fehlen zwar, aber 60 g Eucerinum® sind in der Lage, einen adäquaten Gewichtsanteil und damit 60 ml Wasser zu binden (siehe dazu auch Eucerinum® cum aqua). Leider fehlen Angaben zur Haltbarkeit, eventuellen Konservierung und Stabilität [10].

Das wesentliche Konservierungsmittel in "Rapamune® 1 mg/ml Lösung zum Einnehmen" ist Propylenglykol; die Haltbarkeit für die geöffnete Originalflasche beträgt 30 Tage; Verdünnungen sollen sofort verwendet werden (alle Angaben laut Fachinformation). Demgemäß ist die Haltbarkeit dieser Rezeptur recht kurz.

Ebenfalls mit "Rapamune® 1 mg/ml Lösung zum Einnehmen" wurde ein im Juni 2011 veröffentlichter Heilversuch unternommen [12]. Das Besondere hierbei: Die oral einzunehmende Lösung wurde ein- bzw. zweimal am Tag direkt auf die Angiofibrome aufgetragen. Der Heilversuch wurde mit zwei Patientinnen durchgeführt (15 bzw. 26 Jahre alt), und bei beiden wurde das zweimal tägliche Auftragen wegen Hautirritationen auf einmal täglich reduziert. Für die Hautirritationen könnten nach Sichtung der Sicherheitsdatenblätter Ethanol und/oder Propylenglykol in Frage kommen. Nach 10-wöchiger Anwendung konnte bei beiden Patientinnen kein Sirolimus im Serum nachgewiesen werden.

Sicherlich stellt die "Rapamune® 1 mg/ml Lösung zum Einnehmen" nicht das geeignete dermatologische Vehikel dar. Dafür ist diese Lösung aber sehr leicht verfügbar; die begrenzte Haltbarkeitsempfehlung des Herstellers von 30 Tagen ist zu beachten.

Die topische Anwendung von Sirolimus zeigt am meisten Nutzen bei hauptsächlich dermatologisch betroffenen Patienten. Bei der Beteiligung weiterer Organe wie Herz, Lunge, Niere sollte im Gespräch mit dem Arzt auch die Einnahme von Sirolimus-Tabletten erwogen werden, denn eine systemische Wirkung einer topischen Sirolimus-Zubereitung ist unwahrscheinlich.

Stabilität und Identität

Rapamune® -Lösung ist laut Fachinformation im Kühlschrank (2 °C – 8 °C) zwei Jahre haltbar, die geöffnete Flasche im Kühlschrank 30 Tage lang und die Lösung in der beiliegenden Applikationsspritze (bei bis zu 25 °C) 24 Stunden lang. Die Filmtabletten sind bei Raumtemperatur ebenfalls zwei Jahre haltbar.

Derzeit gibt es keine validen Stabilitäts-Daten zur Rezeptur Sirolimus-Vaselin 0,1%. Eine erste Abschätzung unter Zuhilfenahme des NRF (Tabelle I.4.-2) lässt aber eine Haltbarkeitsdauer von drei bis sechs Monaten in einer Dosierkruke oder Tube für vertretbar erscheinen (Lagerungshinweis: Kühl und lichtgeschützt aufbewahren).

Es handelt sich hier um eine wasserfreie, hydrophobe Salbe, sodass Hydrolysereaktionen praktisch ausgeschlossen sind. Vaselin ist zudem chemisch indifferent und gut verträglich. Der bei Vaselinzubereitungen auftretende Okklusiveffekt ist in diesem Fall als penetrationsfördernd sehr erwünscht.

Fazit: Dieser Beitrag zeigt die Sinnhaftigkeit des Apothekenlabors auf – z. B. für die Identitätsprüfung von "unüblichen" Wirkstoffen. Der Apotheker ist Fachmann für Galenik und in der Lage, mit Individualrezepturen dort zu helfen, wo die Industrie keinen Markt sieht oder wo ihre Entwicklungen noch im Zulassungsverfahren stecken.


Literatur

[1] Haemel AK, et al. Topical Rapamycin – a Novel Approach to Facial Angiofibromas in Tuberous Sclerosis. Arch Dermatol 2010;146(7):715 – 718

[2] Rauktys A. Topical rapamycin inhibits tuberous sclerosis tumor growth in a nude mouse model. BMC Dermatol 2008;8:1 – 9

[3] Ormerod AD, et al. Treatment of psoriasis with topical sirolimus: preclinical development and a randomized, double-blind trial. Br J Dermatol 2005;152(4):758 – 764

[4] European Medicines Agency. Rapamune. EMA/281788/2010.

[5] Vézina C, et al. Rapamycin (AY-22,989), a new antifungal antibiotic. I. Taxonomy of the producing streptomycete and isolation of the active principle. J Antibiot (Tokyo) 1975; 28(10):721 – 726.

[6] Sehgal SN, et al. Rapamycin (AY-22,989), a new antifungal antibiotic. II. Fermentation, isolation and characterization. J Antibiot (Tokyo) 1975;28(10):727 – 732.

[7] Baker H, et al. Rapamycin (AY-22,989), a new antifungal antibiotic. III. In vitro and in vivo evaluation. J Antibiot (Tokyo) 1978;31(6):539 – 545.

[8] Rote Liste, www.rote-liste.de.

[9] Zhou H, et al. Updates of mTOR Inhibitors. Anticancer Agents Med Chem 2010;10(7):571 – 581.

[10] Kaufman McNamara E. Successful treatment of angiofibromata of tuberous sclerosis complex with rapamycin. J Dermatolog Treat 2010 Aug 1 (Epub).

[11] Hofbauer GF, et al. The mTOR inhibitor rapamycin significantly improves facial angiofibroma lesions in a patient with tuberous sclerosis. Br J Dermatol 2008;159(2): 473 – 475.

[12] Mutizwa M, Berk D, Anadkat M. Treatment of Facial Angiofibromas with Topical Application of Oral Rapamycin Solution (1 mg/mL) in Two Patients with Tuberous Sclerosis. Br J Dermatol 2011;162(7).


Autor
Dr. Christian Beck, Thewaltstraße 18 a, 61462 Königstein Beck1967@gmx.de



DAZ 2011, Nr. 39, S. 76

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