Arzneimittel und Therapie

Krankheiten und das Verursacherprinzip

Die Gesundheitskosten explodieren, Krankenkassen melden Defizite, die Politik ringt um einen Ausgleich, sie versucht zu sparen bei den Apothekern, bei den Ärzten, bei den Krankenhäusern, bei den Arzneimittelherstellern, bei sich selbst (?). Darauf möchte Prof. Dr. H. P. T. Ammon, Altpräsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft und Altpräsident der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft, aufmerksam machen. Niemand habe bisher darüber diskutiert, ob Einsparungen auch beim Patienten selbst möglich sind.
Foto: DAZ/ck
Prof. Dr. H. P. T. Ammon

Es sei hier nicht die Selbstbeteiligung gemeint, sondern ein ganz anderes Phänomen, nämlich das Verursacherprinzip bei einer ganzen Reihe schwerwiegender auch chronischer Erkrankungen, die die Kassen jährlich Milliardenbeträge kosten, so die persönliche Meinung von Professor Ammon.


DAZ: Herr Professor Ammon, Sie haben kürzlich zusammen mit der Deutschen Diabetes-Stiftung und Lions Clubs International Deutschland in Tübingen ein Symposium organisiert, das sich mit der Frage, "Vorbeugen und Früherkennung der Zuckerkrankheit" beschäftigt hat. Dabei ist herausgekommen, dass bei den vier Millionen Diabetikern – wahrscheinlich sind es sogar weitere vier Millionen unerkannte Diabetiker – in den allermeisten Fällen diese Krankheit hausgemacht ist.

Ammon: Dies ist richtig. Wir sprechen hier nicht von den jugendlichen Diabetikern, bei denen diese Krankheit schicksalhaft abläuft, sondern von den sogenannten Typ-2-Diabetikern, bei denen in erster Linie die Fehl- und Überernährung die Ursache für diese Krankheit darstellt.


DAZ: Es wird nun von vielen Seiten betont, dass insbesondere beim Typ-2-Diabetes eine genetische Veranlagung für diese Krankheit vorliegt und wesentlich zu ihr beiträgt.

Ammon: Dies ist zwar richtig, aber schauen wir mal zurück in die Kriegsjahre. Damals war die genetische Veranlagung ebenfalls vorhanden, aber aufgrund der Restriktion bei der Ernährung trat diese Krankheit kaum auf, sie ist also in der Tat hausgemacht und damit haben wir ein sogenanntes Verursacherprinzip.


DAZ: Bei Ihrem Symposium kam auch heraus, dass uns die Zuckerkrankheit pro Jahr etwa 50 Milliarden Euro kostet. Dies ist ein ganz erheblicher Betrag, der unsere Kassen belastet.

Ammon: Dies ist in der Tat so und man muss sich wirklich fragen, ob die Solidarität der Beitragszahler den unphysiologischen Lebensstil (Lifestyle) einer Reihe von Bürgern mittragen soll.


DAZ: Was würde dies im Endeffekt bedeuten?

Ammon: Im Versicherungswesen ist es doch so, dass dieses im Wesentlichen auf das jeweilige Risiko des zu Versicherten aufgebaut ist, das heißt die Beiträge sich je nach Risiko bzw. Risikogruppen orientieren, z. B. zahlt ein junger Führerscheinbesitzer eine wesentlich höhere Versicherungsprämie als ein älterer.


DAZ: Aber es ist doch so, dass nicht jeder, der übergewichtig ist, auch Diabetes bekommen muss.

Ammon: Natürlich, aber auf der anderen Seite muss auch nicht jeder junge Autofahrer, der eine erhöhte Prämie bezahlt, einen Unfall bauen. Es ist eben eine gewisse Risikogruppe, die finanziell für dieses Risiko beitragsmäßig herangezogen wird.


DAZ: Was würden Sie also vorschlagen?

Ammon: Es wäre darüber nachzudenken, in welcher Weise und in welchem Umfang auch immer ein unphysiologischer Lebensstil, der zu Übergewicht führt, dann auch ein erhöhtes Gesundheitsrisiko darstellt und mit entsprechenden Prämien belegt werden müsse.


DAZ: Ist denn die Zuckerkrankheit das einzige Risiko, das ein Übergewichtiger zu befürchten hat?

Ammon: Es ist nicht das einzige Risiko, mit dem Übergewicht gehen zusätzlich einher Hochdruck, Überbelastung des Herz-Kreislauf-Systems, Überbelastung des Skelettapparats mit Folgeerkrankungen der Arthrose.


DAZ: Es sind also offensichtlich eine ganze Reihe von Folgeerkrankungen, die das Übergewicht mit sich bringt. Woran könnte man nun beim Patienten rein messtechnisch das Risiko ermitteln?

Ammon: Hier ist ganz einfach die Bestimmung des Body-Mass-Index (BMI) ein wichtiges Kriterium, je höher der Body-Mass-Index, desto größer das Risiko an Diabetes zu erkranken und langfristig an seinen Folgeerkrankungen.


DAZ: Ist denn die Zuckerkrankheit zunächst für den Patienten belastend?

Ammon: Dies ist nicht der Fall, denn ein erhöhter Blutzuckerspiegel bzw. eine verschlechterte Glucosetoleranz bereiten ja keine Schmerzen und kaum eine Beeinträchtigung der Lebensqualität, es sind die Spätfolgen nach etwa 10 bis 15 Jahren der Stoffwechselerkrankung, die sich katastrophal für den Patienten auswirken und dann auch erhebliche Kosten verursachen.


DAZ: Welche meinen Sie damit?

Ammon: Es sind einmal die Mikroangiopathien mit dem Auftreten von Sehschäden bis zur Erblindung, mit Nierenschäden bis zur Dialyse. Es ist die Neuropathie, die zu schweren Nervenstörungen, Sensibilitätsstörungen führt, in deren Zusammenhang es auch zu Hautläsionen und Geschwüren an den Beinen kommt, die sich letztlich bis zu Amputationen steigern können. Es sind die makrovaskulären Schäden, die ihren Gipfel in Angina pectoris, Herzinfarkt, Schlaganfall, Niereninsuffizienz und peripheren Durchblutungsstörungen finden. Im Grunde genommen alles schreckliche Folgen, die nicht bedacht werden, wenn eine Person ihren Lebensstil in unphysiologischer Weise betreibt, also Fehlernährung und Überernährung mit der Konsequenz des Übergewichtes.


DAZ: Es ist die Zuckerkrankheit, hervorgerufen durch einen falschen Lebensstil, aber nicht die einzige Krankheit, bei der ein Verursacherprinzip vorliegt, es gibt davon eine ganze Reihe. Nennen wir nur den Nicotin- und Alkoholgenuss. Was meinen Sie dazu?

Ammon: Auch hier haben wir natürlich was die Folgen eines Abusus von Nicotin und Alkohol anlangt ein Verursacherprinzip.


DAZ: Wie könnte man dem Ihrer Meinung nach entgegenwirken?

Ammon: Ich glaube in unserer Gesellschaft weiß jedermann, dass Nicotinabusus mit schweren Folgen belastet ist, seien es Magenerkrankungen, seien es Gefäßerkrankungen, sei es Hochdruck, sei es Herzinfarkt und ich kenne viele Leute, die das alles wissen und trotzdem sich nicht dazu entschließen können, sich mit dem Rauchen einzuschränken. Hier könnte man tatsächlich durch eine weitere Besteuerung des Zigarettenkonsums bei gleichzeitiger Abführung des Versteuerungsgewinns an die Krankenkasse zweierlei erreichen. Einmal eine gewisse abschreckende Wirkung, zum Zweiten natürlich den Kassen Geld zur Verfügung zu stellen, die dann letztlich die Folgeerkrankungen des Nicotinabusus bezahlen müssen.


DAZ: Und was meinen Sie beim Alkoholkonsum?

Ammon: Auch hier gibt es neben dem ganz normalen Alkoholkonsum, den ich keinem Menschen verleiten möchte, Grenzen, die, wenn sie überschritten werden zu gesundheitlichen Schäden, insbesondere im Bereich der Leber führen. Im letzteren Fall haben wir ebenfalls ein Verursacherprinzip und einen Teil an Alkoholsteuer könnte man an die Krankenkassen abführen.


DAZ: Wir haben bis jetzt über drei wichtige Verursacherprinzipien gesprochen, das Übergewicht, den Nicotinabusus, den Alkoholabusus. Es gibt sicher auch noch einige andere Krankheiten, die der Mensch selbst verursacht, insbesondere auch im Bereich des Sports. Was meinen Sie dazu?

Ammon: Hier müssen wir meines Erachtens unterscheiden zwischen dem ganz normalen Sport, den die Bevölkerung betreibt und dem Hochleistungssport, bei dem die Verletzungsgefahr sehr viel höher ist. Meines Erachtens gibt es zwar auch ein Verursacherprinzip beim normalen Sport. Es wäre jedoch fatal, wenn wir dies in unsere Überlegungen einbeziehen würden, denn wir leben in einer Gesellschaft, bei der Bewegungsmangel ein wichtiger Faktor für die Entstehung von Krankheiten, insbesondere auch wieder der Zuckerkrankheit darstellt und man sollte hier wirklich eine Güterabwägung treffen, wie hoch sind die Schäden, die durch Sport entstehen und wie hoch sind die Schäden, die durch Bewegungsmangel verursacht werden.


DAZ: Herr Ammon, Sie sind sich natürlich im Klaren, dass Ihre Vorstellungen nicht überall auf Zustimmung stoßen werden.

Ammon: Darüber bin ich mir völlig im Klaren darüber, aber man wird ja mal darüber nachdenken dürfen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass unser Gesundheitswesen auf der einen Seite bald nicht mehr bezahlbar ist, auf der andere Seite aber durch vernünftige Verhaltensweise unserer Bürger erhebliche Krankheitskosten vermieden werden könnten.


DAZ: Herr Prof. Ammon, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.



DAZ 2011, Nr. 36, S. 49

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