Feuilleton

Hufeland und die Kunst, das Leben zu verlängern

Medizinische Ratgeber jeder Art sind ein sicheres Geschäft, doch nur wenigen ist eine Wirkung über längere Zeiten beschieden. Dazu zählt das Handbuch vernünftiger Lebensführung mit dem seltsamen Titel "Makrobiotik". Es wird seit über zwei Jahrhunderten immer wieder nachgedruckt und findet seine Leser. Sein Verfasser, der große Arzt und Menschenfreund Christoph Wilhelm Hufeland, starb vor 175 Jahren.
Christoph Wilhelm Hufeland (1762 – 1836). Stahlstich von F. Bolt, 1809

Wie der Name vermuten lässt – eine Hufe Land stand für 30 Morgen (ca. 7 ha) Acker oder Wald – , stammte der Hufeland von Ackerbürgern ab, und zwar im thüringischen Tennstedt. Im Laufe der Generationen wurden aus den Landwirten Handwerker, dann Geistliche und Ärzte. So wirkten ein Johann Christoph Hufeland (1695 – 1767) und sein Sohn Johann Friedrich (1730 – 1787) als Leibärzte in Weimar. Der Letztere hatte seine ärztliche Karriere in Langensalza begonnen, wo sein Sohn Christoph Wilhelm am 12. August 1762 als zweites von sechs Kindern das Licht der Welt erblickte. In seiner Erinnerung war der Vater "ein streng rechtschaffner, frommer, biblisch gläubiger Mann, von hohem, edlem Geist, gründlicher Gelehrsamkeit und unermüdeter Arbeitsamkeit und Gewissenhaftigkeit in seiner Kunst – nur leider mehr zu trüber, hypochondrischer Gemüthsstimmung geneigt als zu heiterer". Dagegen sei die Mutter Dorothea Amalia geb. Pentzig (1737 – 1782), deren "Hauptstreben es war, ihre Kinder zeitig an Frömmigkeit und Tugend zu gewöhnen", "von sanftem, liebevollem Charakter" gewesen.

Schwarze Pädagogik

Christoph Wilhelm erlebte mit seinen Eltern in Weimar eine recht unbeschwerte Jugend, bis er unter die Herrschaft eines strengen Hauslehrers kam, den er in seinen Lebenserinnerungen so schilderte: "... ein ernster, strenger, hagerer, wenig sprechender Mann. Er nannte mich Er, sprach ausser den Schulstunden wenig mit mir, freundliche Worte oder Mienen waren Seltenheiten, Lachen kam gar nicht vor. Unbedingter Gehorsam, Verbot allen Widerspruchs, pünktliche Beobachtung der Schulstunden, Auswendiglernen (besonders der lateinischen Vokabeln), anhaltender Fleiss und Beschäftigung, genaue Beobachtung von Zeit und Ordnung und bei Übertretungen strenge Verweise, selbst körperliche Züchtigungen, das waren die Grundzüge."

Anderenorts etablierte sich zu dieser Zeit eine Pädagogik der Aufklärung. Johann Bernhard Basedow (1724 – 1790) leitete in Dessau das Philanthropin und war bereit, den jungen Hufeland dort aufzunehmen. Doch der strenge Hauslehrer behielt seinen Schüler, bis dieser auf das Weimarer Gymnasium ging. Dort waren Aufsätze in lateinischer Sprache angesagt, die der Direktor eigenhändig kommentierte. Einmal gab er Hufeland einen Aufsatz mit der Anmerkung zurück: "auctorem te futurum esse auguror" (ich sehe in dir den künftigen Schriftsteller).

1780 begann Hufeland in Jena das Studium der Medizin, wo er im Hause einer verheirateten Schwester lebte. Diese berichtete nach Weimar, dass ihr Bruder in ein überaus leichtlebiges Studententreiben geraten war – worauf der Vater verfügte, sein Sohn habe das Studium in dem vermeintlich sittenstrengeren Göttingen fortzusetzen. Dort 1781 eingetroffen, besuchte Hufeland nicht nur die medizinischen Veranstaltungen, sondern auch die Vorlesungen des Physikers und Philosophen Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799). Dieser Umstand hatte vermutlich auch Einfluss auf das Thema seiner im Sommer 1783 von ihm verteidigten Dissertation: die Erweckung Scheintoter mittels Elektrizität.

Mühselige Praxis …

Unmittelbar nach der Promotion kehrte er nach Weimar zurück und übernahm die Praxis seines inzwischen verwitweten Vaters. Dafür hatte er auch für die vier noch im Haushalt lebenden Schwestern und seinen zwölf Jahre jüngeren Bruder Fritz zu sorgen. Zwar durfte sich Hufeland prominenter Patienten wie Goethe, Schiller, Herder und Wieland rühmen und führte seit 1786 den mit hundert Talern im Jahr dotierten Titel "Hofmedicus", doch sein Alltag war hart, wie er sich später erinnerte: "Mein praktisches Leben in Weimar war in der That viel mühseliger, als sich mancher praktische Arzt jetzt denken kann. Nicht allein nämlich musste ich von früh bis Abends zu Fusse herumlaufen, denn Weimar gehört zu den Mittelstädten, zu klein, um darin herumzufahren, und doch zu gross, um zu Fusse sich nicht recht sehr zu ermüden; sondern es kam auch noch die Landpraxis dazu. Bald schickte ein Pächter, bald ein reicher Bauer, ein Landpastor oder ein Gutsbesitzer einen Wagen, oder nur ein Pferd, oft ein schlechtes, um ihn zu besuchen; zuweilen 4 – 5 Meilen weit, …, wo ich dann bei den damaligen abscheulichen Wegen und im Winter oder Frühjahr bei Thauwetter oft in Lebensgefahr gerieth."

… mit Selbstdispensation

Zudem musste Hufeland nach "der allgemein herrschenden Sitte, die Arznei selber geben und also zum Theil den Apotheker machen. Wenn ich also mit den Krankenbesuchen fertig war, so musste ich nun noch Decocte, Pulver, Pillen machen und selbst dispensiren, und, was mir noch beschwerlicher war, Abends 9 Uhr, oft mit völlig ermüdetem und erschöpftem Körper, mich hinsetzen und in die Krankenbücher die täglich verabreichten Arzneien eintragen, um zu Ende des Jahres oder der Krankheit die Rechnung machen zu können. … Auch hatte das Selbstdispensiren manche Vortheile. Ich lernte die Arzneikörper weit besser kennen, konnte mich selbst von ihrer Güte und Echtheit überzeugen, war sicher, dass bei der Zubereitung nichts versehen wurde, und, was ein Hauptvorzug des Selbstdispensirens ist, auch bei der Zubereitung hatte ich oft noch ein glücklichen Einfall von dem oder jenem Zusatz (wie ein Koch von der oder jener Würze), der die Wirksamkeit erhöhte. … es war in aller Hinsicht eine höchst vortreffliche praktische Schule, durch die ich in diesen ersten 10 Jahren ging, und ich genoss so die beste Vorbereitung auf meine nachherige akademische Laufbahn, von der ich freilich damals noch nichts ahnte."

Durch die "Makrobiotik" international berühmt

Angesichts dieser Umstände ist es verwunderlich, dass Hufeland noch Zeit fand, publizistisch tätig zu werden. Zunächst mit populär gehaltenen Beiträgen über medizinische Probleme im "Teutschen Merkur" und im "Journal des Luxus und der Moden". Später versuchte er in vielen anderen Publikationen, "die menschliche Vernunft von bedrückenden alten Banden zu befreien". Zugleich machte er der 16-jährigen Juliana Amelung (1771 – 1845) den Hof, die er im November 1787 entgegen vieler Warnungen bezüglich des Altersunterschiedes heiratete. Die Ehe hatte 18 Jahre Bestand und ihr entsprossen sieben Kinder. Diese bekamen ihren Vater höchst selten zu Gesicht, denn dieser arbeitete bereits an seiner "Makrobiotik". Einige der darin entwickelten Gedanken unterbreitete er 1792 den Gästen von Goethes "Freitags-Gesellschaft". Unter ihnen befand sich Herzog Karl August, der daraufhin vorschlug, Hufeland möge Professor in Jena werden, was zu Ostern 1793 auch geschah.

Im Zentrum von Hufelands Vorlesungen stand sogleich "Die Kunst, das Leben zu verlängern". 1797 veröffentlichte er ein Buch mit dem gleichnamigen Titel, das ihn schlagartig bekannt machte und später unter dem Haupttitel "Makrobiotik" erschien.

Nun erreichten Hufeland mehrere Rufe von Universitäten in Deutschland, Russland und Italien. Um ihn in Jena zu halten, gewährte man ihm Gehaltszulagen und andere Vergünstigungen, auch wurde ihm die Einrichtung eines Hospitals nach seinen Plänen in Aussicht gestellt. Als er dafür dann doch keine Mittel erhielt, nahm er im Frühjahr 1800 das Angebot der preußischen Regierung an, als königlicher Leibarzt und Erster Arzt (Direktor) an der Charité zu wirken. Er selbst befand sich zu dieser Zeit in einer Lebenskrise. Im November 1798 erlitt er einen plötzlichen Verlust der Sehkraft des rechten Auges, doch blieb die von ihm befürchtete völlige Erblindung aus. 1801 übersiedelte er mit seiner Familie nach Berlin und baute mit finanzieller Unterstützung des Königs ein geräumiges Haus namens "Friedensthal" am Berliner Tiergarten. Dort erörterte er mit anderen Berliner Prominenten nicht nur Probleme der Wissenschaft und Medizin, sondern auch das aktuelle Tagesgeschehen. Dessen Auswirkungen bekam Hufeland selbst zu spüren, als er 1806 die königliche Familie auf ihrer Flucht vor Napoleon nach Ostpreußen begleiten musste. Nach der Rückkehr Ende 1809 wurde er zum Staatsrat ernannt, wirkte dann an der 1810 eröffneten Universität und anderen medizinischen Einrichtungen der Stadt und publizierte emsig weiter.


Foto: Hentschel
Grab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin.

Arbeitswut und Pflichtbewusstsein

Unter dieser Arbeitswut litt seine Ehe; seine Frau begann eine Liebesbeziehung mit einem seiner Assistenten, was zur Scheidung führte. Beide heirateten wieder, Hufeland im Mai 1815 die 15 Jahre jüngere Helene Troschel (1777 – 1862), Tochter eines Berliner Pastors. Das war kein Zufall, denn zeitlebens zeigte sich der große Arzt gottesgläubig und bibelfest.

Aus Bescheidenheit lehnte Hufeland die von der königlichen Familie gewünschte Erhebung in den erblichen Adelsstand ab. Nicht verhindern konnte er indessen die vielen Ehrungen anlässlich seines "Goldenen Doktor-Jubiläums" im Juli 1833, denen er aber persönlich fern blieb. Danach ließ er in mehreren Zeitungen eine Dankadresse drucken, in der es hieß: "Was ich gethan habe, das habe ich meiner Pflicht gethan, und noch lange nicht genug."

Willst sterben ruhig ohne Scheu …

Dieser Geist bestimmte auch sein letztes großes Werk "Enchiridion medicum", eine "Anleitung zur medizinischen Praxis", in der er auch die Fragen der Ethik des ärztlichen und menschlichen Handelns erörterte. Das Werk war rasch vergriffen, und die Druckfahnen der überarbeiteten Neuauflage redigierte er bereits im Krankenbett. Dort formulierte Hufeland auch den Kern seiner makrobiotischen Erkenntnisse allgemeinverständlich als Verse, die mit den Worten endeten: "Willst sterben ruhig ohne Scheu / So lebe Deiner Pflicht getreu / Betracht’ den Tod als Deinen Freund / Der Dich erlöst und Gott vereint."

Dieser Umstand trat für Hufeland am 25. August 1836 nachmittags in seinem Haus "Friedensthal" ein. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin, wo sein Grab noch heute als Ehrengrab gepflegt wird.


Andreas Hentschel



DAZ 2011, Nr. 36, S. 82

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