DAZ aktuell

AOK und Ärzte im Clinch

BERLIN (ks). Bevor Jürgen Graalmann und Uwe Deh zum 1. Oktober 2011 die Führung des AOK-Bundesverbandes übernehmen, haben sie sich bereits mit der Ärzteschaft angelegt. Ihnen missfällt es mächtig, was der derzeitige Entwurf für das Versorgungsstrukturgesetz (VSG) für Mediziner vorsieht – dies sei weit mehr und überdies kostspieliger als der ursprüngliche Plan, die Versorgung auf dem Land zu verbessern. Zudem warf die designierte AOK-Spitze insbesondere Fachärzten vor, sich nicht ausreichend Zeit für GKV-Versicherte zu nehmen. Die Ärzteschaft reagierte erzürnt.
Foto: AOK
Ab dem 1. Oktober bilden Jürgen Graalmann (re.) und Uwe Deh den geschäftsführenden Vorstand des AOK-Bundesverbands. Im Vorfeld sorgen sie für heftigen Unmut bei den Ärzten.

Graalmann hat starke Zweifel, ob die rund 320 Millionen Euro, die das Bundesgesundheitsministerium als Mehraufwand der gesetzlichen Krankenkassen für das VSG veranschlagt, ausreichen werden. Die AOK rechnet vielmehr bereits für 2012 mit Kostenrisiken von bis zu 640 Millionen Euro. Ab 2013 könnten weitere 1,4 Milliarden Euro hinzukommen. Das wenigste Geld hiervon – nämlich nur rund 100 Millionen Euro – fließe dabei in die Landarztförderung. Umso mehr sieht die AOK es in der spezialärztlichen Versorgung versickern. Nach dem VSG-Entwurf umfasst dieser neu zu schaffende Leistungsbereich zum einen Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen, seltene Erkrankungen oder hochspezialisierte Leistungen. Daneben werden Teilbereiche ambulant durchführbarer Operationen und sonstiger stationsersetzender Leistungen einbezogen, sofern diese vom Gemeinsamen Bundesausschuss nach gesetzlichen Kriterien der ambulanten spezialärztlichen Versorgung zugeordnet werden. Die Krankenkassen sehen dies mehr als kritisch – Graalmann spricht von einem neuen Sektor, in dem "jeder machen darf, der machen kann". Und das für 500 Millionen Euro Mehraufwand. Eine ebensolche Summe kosteten die Kassen der im VSG vorgesehene Wegfall der Mengenbegrenzung bei den extrabudgetären Leistungen und die Punktwertzuschläge bei der Gesamtvergütung.

Zu wenig Arbeit für zu viel Geld

Graalmann kann also kaum etwas Gutes am VSG entdecken: "Der Versicherte und seine Bedürfnisse kommen ein weiteres Mal so gut wie gar nicht vor. Die großen Nutznießer sind – schon wieder – die Ärzte." Dabei ist der künftige Chef des AOK-Bundesverbandes überzeugt, dass es dem System nicht an Geld mangelt – es müsse nur dafür gesorgt werden, dass die Versicherten für ihr bereits aufgewendetes Geld auch entsprechende Leistungen bekommen. Und genau hier sieht Graalmann den Knackpunkt: Aktuell brächten die Versicherten nämlich rund vier Milliarden Euro mehr für die ärztliche Versorgung, als sie real bekämen. Die AOK untermauert ihre Behauptung mit einer Studie von YouGovPsychonomics: Danach arbeiten Allgemeinmediziner – nach eigener Einschätzung – im Durchschnitt 57 Stunden in der Woche. Die niedergelassenen Fachärzte kommen auf 52 Stunden. Für GKV-Patienten wenden erstere allerdings nur 47 Stunden wöchentlich auf, letztere sogar nur 39 Stunden. Die Vergütung sei allerdings auf eine wöchentliche Arbeitszeit von 51 Stunden kalkuliert, so Graalmann. Trotz mehr Geld, so Graalmann, erhöhten sich die Wartezeiten für die Patienten – mit einem Ärztemangel kann er sich das nicht erklären. Die neue AOK-Führungsspitze forderte die Kassenärztlichen Vereinigungen auf, den Missstand zu beenden. Sie hätten dafür zu sorgen, dass die Mediziner ihre für die Behandlung von Kassenpatienten zugesagten 51 Wochenstunden auch tatsächlich leisten.

BÄK: Billige Polemik

Auf die Reaktionen aus der Ärzteschaft musste man nicht lange warten. Dr. Andreas Köhler, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, forderte von Graalmann eine Entschuldigung. Der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Frank Ulrich Montgomery, hielt der AOK "billige Polemik" vor. Der künftige AOK-Verbandschef werde "einiges unternehmen müssen, um wieder als ernsthafter Gesprächspartner akzeptiert zu werden". Wenn Patienten lange auf Termine warten müssen, dann liege das daran, dass die Ärzte mit ihrer Arbeit voll ausgelastet sind, so Montgomery. Das gelte nicht nur für Landärzte, sondern auch in den angeblich überversorgten Ballungsräumen. Die Politik habe das Problem längst erkannt und versuche nun mit dem VSG gegenzusteuern.



DAZ 2011, Nr. 36, S. 36

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.