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Aut idem
Das Kreuz mit dem Kreuz
Auch Patienten leiden unter dem Austausch: Inzwischen konnte nachgewiesen werden, dass häufiges Präparatewechseln Patienten, die eine Dauermedikation erhalten, verunsichert und die Compliance und damit den Therapieerfolg erheblich gefährdet [1]. Bei der Substitution kann es in nicht zu vernachlässigendem Maße zu medizinisch relevanten Unterschieden kommen, die insbesondere multimorbide Patienten verwirren, belasten oder im schlimmsten Fall gefährden können [2]. Therapietreue durch den Patienten und Therapiekontrolle durch den Arzt sind unverzichtbare Voraussetzungen des Therapieerfolges. Nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 28.10.2009 muss ein Präparatewechsel dem Patienten zuzumuten sein [3]. Dabei ist zu prüfen, ob bestimmte Nebenwirkungen und pharmakodynamische und -kinetische Eigenschaften einer vergleichbaren Substanz oder sonstige individuelle Behandlungsumstände einen Austausch ausschließen.
Schilddrüsenpräparate wie Levothyroxin sind Hormonpräparate und haben eine geringe therapeutische Breite, das heißt, sie wirken in einem eng vorgegebenen Konzentrationsbereich, der individuell eingestellt und eingehalten werden muss. So hat jeder Schilddrüsenpatient seine individuelle Dosis, mit der er sich wohl fühlt. Bei einem Präparatewechsel kann es aber leicht zu einer Unter- oder Überdosierung kommen, weil die Bioverfügbarkeit der verschiedenen Präparate von Patient zu Patient verschieden ist (zur sachwidrigen Gleichsetzung von Bioäquivalenz mit therapeutischer Äquivalenz siehe [4, 5]).
Manche Levothyroxin-Tablette wiegt 150 mg, enthält aber nur 0,1 mg Wirkstoff (als ob ein Lastwagen nur den Inhalt eines kleinen Eimers transportieren würde). Dieser Wirkstoff ist als Hormon hochaktiv im Körper. Kleine Schwankungen in der Bioverfügbarkeit können große Auswirkungen haben. Ein Zuwenig oder Zuviel kann unangenehme Nebenwirkungen am Herzen (kardiale Arrhythmien, Verschlechterung einer KHK), Skelettsystem (Osteoporose) oder an der Psyche mit sich bringen, was wiederum von haftungsrechtlicher Relevanz ist. Insbesondere gilt dies für Risikopatienten, z. B. Kinder, Schwangere, Patienten mit Schilddrüsenunterfunktion oder -überfunktion sowie Patienten mit instabiler koronarer Herzkrankheit [6]. Des Weiteren können schon kleine Veränderungen der Levothyroxindosis das Körpergewicht beeinflussen, häufig in Richtung Zunahme, sodass die Entwicklung einer Adipositas droht [7]. Hier hat der Erhalt der Compliance Vorrang vor der möglichen Gefahr eines Therapieabbruchs. Nachfolgend werden die Substitutionsregelungen bezüglich der Versorgung von Schilddrüsenpatienten genauer untersucht.
Das Verwirrspiel mit dem Aut-idem-Kreuz
Ursprünglich diente der Vermerk "aut idem" dazu, die rasche Versorgung eines Patienten mit Medikamenten auch dann sicherzustellen, wenn die Apotheke das im Rezept namentlich genannte Medikament nicht vorrätig hatte. Er erlaubte den Apothekern, dem Patienten an Stelle des genannten ein anderes wirkstoffgleiches Medikament auszuhändigen.
Seither hat der Apotheker bei der Substitution für GKV-Versicherte ein Arzneimittel auszuwählen mit
- identischem Wirkstoff;
- gleicher Wirkstärke;
- gleicher Packungsgröße;
- gleicher oder austauschbarer Darreichungsform;
- gleichem Indikationsbereich.
Die frühere im Rahmenvertrag geregelte Aut-idem-Substitution wurde mit Inkrafttreten des Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetzes (AABG) vom 23. 02. 2002 in § 129 Absatz 1 SGB V gefestigt. Seither hat der Gesetzgeber mit der Regelung einen Paradigmenwechsel eingeleitet, indem er die Ausnahmeregelung umgekehrt hat: Hatte der Arzt durch das Ankreuzen des Aut-idem-Kästchens bis 2002 die Substitution durch die Apotheke gestattet, so schließt er sie seither aus.
Diese Befugnis der Apotheke wurde mit Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) zum 01. 04. 2004 sogar in eine Pflicht umgewandelt. In dem Rahmenvertrag zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband wurden die gesetzlichen Vorgaben weiter konkretisiert.
Aufgrund des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 01.04.2007 haben bei der Aut-idem-Substitution rabattierte Produkte Vorrang. Die Apotheke muss ein Präparat grundsätzlich durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel austauschen, für das ein Rabattvertrag (nach § 130a Absatz 8 SGB V) zwischen den Kostenträgern und dem pharmazeutischen Unternehmen besteht. Gibt es für ein Präparat keinen Rabattvertrag, so ist das verordnete oder eines der drei preisgünstigeren Arzneimittel abzugeben.
Dabei gelten grundsätzlich Salze, Ester, Ether, Isomere, Mischungen von Isomeren, Komplexe oder Derivate eines Wirkstoffs als derselbe Wirkstoff. Die austauschbaren Darreichungsformen bestimmt der GB-A in den Arzneimittelrichtlinien.
Im Rahmen des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) zum 01. 01. 2011 wurde die Packungsgrößenverordnung zur Erleichterung der Substitution hinsichtlich der Versorgungszeiträume verändert. Ab 2013 werden Packungen für eine Behandlungsdauer
- bis 10 Tage als N1,
- bis 30 Tage als N2,
- bis 100 Tage als N3
klassifiziert. N1-Packungen dürfen bis zu 20% größer oder kleiner sein als für den Behandlungszeitraum notwendig (zwischen 16 und 24 Tabletten). N2 darf um 10% abweichen (zwischen 45 und 55 Tabletten), bei N3 ist nur eine Abweichung nach unten um bis zu 5% (zwischen 95 und 100 Tabletten) erlaubt. 2011 gibt es eine Mischung aus beiden, die Messzahlen bleiben noch erhalten, gleichzeitig gelten aber die Spannen für die Über- oder Unterschreitung der Messzahl.
Ab dem 01. 01. 2011 reicht es zudem aus, wenn das Arzneimittel nur in einem Indikationsbereich identisch zugelassen ist. Letzteres kann dazu führen, dass Patienten in der Apotheke ein Arzneimittel bekommen, in dessen Packungsbeilage ihre Krankheit nicht erwähnt wird. Dieses verwirrt nicht nur die Patienten, sondern kann auch zu einer Störung des Arzt-Patienten-Verhältnisses führen. Beim Lesen der Packungsbeilage könnte der Patient meinen, dass der Arzt ihm ein Arzneimittel verschrieben hat, das bei seiner Krankheit nicht indiziert ist, oder er könnte die Angaben zur Einnahme und Dosierung bei einem anderen Krankheitsbild anstatt der vom Arzt verordneten Dosis befolgen. Um das Chaos perfekt zu machen, können Versicherte ab dem 01.01.2011 gegen Kostenerstattung in der Apotheke ein anderes Präparat erhalten.
Gleicher Indikationsbereich
Die neue Rechtslage führt oft dazu, dass Patienten mit Arzneimitteln versorgt werden können, die für die Behandlung ihrer Krankheit nicht zugelassen sind. In diesen Fällen bekommen die Patienten eine Packungsbeilage, die weder ihre konkrete Erkrankung auflistet noch für sie wichtige Anwendungshinweise (z. B. Dosierungsschema, etwaige Interaktionspotentiale, Kontraindikationen) aufführt. Die arzneimittelrechtliche Zulassung erfolgt jedoch nicht für einen Indikationsbereich, sondern nur für die – engeren – Indikationsgebiete; nur insoweit sind Wirksamkeit und Unbedenklichkeit geprüft und von der zuständigen Behörde im Zulassungsbescheid akzeptiert worden (vgl. §§ 11a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 lit. a, 22 Abs. 1 Nr. 6 AMG).
Der Gesetzgeber hält eine Anwendung außerhalb des Zulassungsbereiches für unbedenklich, da bei wirkstoffgleichen Medikamenten die Anwendung in allen Anwendungsgebieten des am breitesten zugelassenen Arzneimittels dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entspräche. Es würde ein medizinisch anerkannter Off-label-use vorliegen, wenn das Medikament denselben Wirkstoff wie ein in dem betreffenden Anwendungsgebiet zugelassenes Arzneimittel habe. Da die Zulassung des wirkstoffgleichen Medikamentes durch die Referenz auf die Unterlagen des Originalpräparates erlangt wurde, sei die gleiche Wirksamkeit und Vergleichbarkeit in allen Anwendungsgebieten des Originals sichergestellt.
Diese weitreichende Auslegung ist indes nicht haltbar. Eine solche ausufernde Substitution verlagert das Haftungsrisiko auf Ärzte und Apotheker, denn die Herstellerhaftung greift nur bei einem "bestimmungsgemäßen Gebrauch" des Medikamentes.
Ärzte und Apotheker müssten, um dem Haftungsrisiko zu entgehen, den Austausch von Arzneimitteln grundsätzlich untersagen oder ablehnen. Dabei drohen ihnen andererseits finanzielle Sanktionen. Die Grundregel beim Off-label-use ist, dass der Einsatz eines Medikamentes außerhalb seines Zulassungsbereiches nur in Einzelfällen als Ausnahme anerkannt ist.
Letztlich führt die Neuregelung das gesamte System der Arzneimittelzulassung ad absurdum, welches nach Abwägung des Kosten-Nutzen-Risikoverhältnisses die Zulassung eines Arzneimittels nur für ein bestimmtes Anwendungsgebiet oder eine bestimmte Indikation erteilt. Wird eine Anwendung außerhalb der Zulassung nunmehr als unbedenklich angesehen, könnte man sich im Prinzip die Arzneimittelzulassung sparen. Beim Arzt und Apotheker führt dies zu Pflichten, die ihnen rechtlich nicht zuzuordnen sind und praktisch nur schwer zu erfüllen sind.
Benötigt der Apotheker die Diagnose?
Das OLG Hamburg hat mit Urteil vom 02. 02. 2009 festgestellt, dass der Apotheker sich im Substitutionsfall Sicherheit darüber zu verschaffen hat, dass das ausgewählte Arzneimittel für die der Verschreibung zugrunde liegende Indikation zugelassen ist, um einen unter dem Aspekt der Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels unzulässigen Off-label-use zu verhindern. Indes sind dem Apotheker die Diagnose und Indikation nicht bekannt. Er kann zwar den verordnenden Arzt anrufen, um Rücksprache zu halten, dieser darf sich jedoch aufgrund der Schweigepflicht nicht dazu äußern. Ob ein Gespräch zwischen Apotheker und Patient zielführend ist, erscheint fraglich.
Zudem könnte der Arzt schadensersatzpflichtig werden, wenn das verordnete Arzneimittel durch ein anderes ersetzt wird, welches nicht für die konkrete Indikation zugelassen ist und beim Patienten Schäden verursacht. Aufgrund der nunmehr geltenden weiten Handhabung müsste der Arzt im Prinzip bei der Verordnung alle wirkstoffgleichen Arzneimittel und deren Zulassungsumfang prüfen und von vornherein die Substitution durch das Aut-idem-Kreuz ausschließen. Der generelle Ausschluss birgt aber die Gefahr eines Regresses im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung.
Der Apotheker kennt die Indikation nicht, sodass im Prinzip nur dann eine Verpflichtung zur Substitution im Rahmen der Aut-idem-Regelung des § 129 Absatz 1 SBG V bestehen dürfte, wenn das abgegebene Medikament für alle Anwendungsgebiete zugelassen ist wie das verordnete Präparat. Insoweit besteht ein Widerspruch der bisherigen Rahmenbedingungen zur neuen Gesetzeslage.
Haftungsrechtliche Aspekte von aut idem bei Schilddrüsenpatienten
Die Aut-idem-Substitution bei Schilddrüsentherapeutika ist aus mehreren Gründen problematisch. Dies lässt sich an dem am häufigsten verordneten Wirkstoff Levothyroxin verdeutlichen: Levothyroxin besitzt eine enge therapeutische Breite. Ernsthafte Nebenwirkungen können bereits bei Abweichungen um den Faktor 2 von der individuell benötigten Dosierung auftreten. Bei Überdosierung kann es zu Herz-Kreislauf-Problemen einschließlich morphologischer Veränderungen am Herzen kommen. Bei Unterdosierung drohen Gewichtszunahme und Obstipation.
Bei der therapeutischen Dosisfindung sind patientenindividuelle Faktoren wie Alter, Gewicht und weitere Erkrankungen des Patienten relevant. Zur Bestimmung der individuell benötigten Dosis müssen bei jeder Neueinstellung engmaschige TSH (Thyreoidea-stimulierendes Hormon)-Bestimmungen erfolgen. Dieses ist auch vier bis sechs Wochen nach jeder Präparateumstellung erforderlich, was angesichts der geringen Preisunterschiede vergleichbarer Präparate eine mögliche Ersparnis stark relativiert.
Die Resorption ist von der Nahrungsaufnahme abhängig. Die Bioverfügbarkeit sinkt von ca. 80% bei Einnahme 30 bis 60 Minuten vor dem Essen auf ca. 35% bei einer Einnahme zum Essen.
Levothyroxin zählt zu den Medikamenten mit häufigen Wechselwirkungen. Es verstärkt z. B. die Cumarinwirkung und mindert die blutzuckerspiegelsenkende Wirkung von oralen Antidiabetika. Levothyroxin seinerseits wird z. B. durch Colestyramin, Rifampicin, Aluminium, Eisen sowie calciumcarbonathaltige Produkte in der Wirkung gemindert.
Wenn eine medikamentös gut eingestellte Schilddrüse durch einen oder gar mehrere Präparatewechsel aus dem Gleichgewicht gerät, kann dies auch zahlreiche andere Organe betreffen: Herz und Kreislauf, Magen und Darm, Nerven und Muskeln, Haut, Haare und Nägel und auch das psychische Gleichgewicht.
Vorgehen bei pharmazeutischen Bedenken – haftungsrechtliche Risiken
Gibt ein Apotheker ein Rabattarzneimittel wegen pharmazeutischer Bedenken (§ 17 Abs. 5 ApBetrO) nicht ab, muss er auf das Rezept das Sonderzeichen 2567024 (wie bei Nichtlieferfähigkeit und Notdienstregelung) aufdrucken und den Grund der Bedenken erläutern. Pharmazeutische Bedenken können nach dem Kommentar des Deutschen Apothekerverbandes zum Rahmenvertrag angezeigt sein bei
- problematischen Arzneistoffen,
- problematischen Applikationsformen bzw. Applikationssystemen,
- Non-Compliance,
- problematischen (lebensbedrohlichen) Erkrankungen,
- problematischen Patientengruppen,
- problematischen Hilfs- und Zusatzstoffen [8].
Dem trägt auch der Rahmenvertrag nach § 129 Absatz 2 SGB V zwischen dem Deutschen Apothekerverband und dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen Rechnung:
"Kommt eine vorrangige Abgabe rabattbegünstigter Arzneimittel nach Absatz 2 nicht zustande, stehen unter den Voraussetzungen nach Absatz 1 die drei preisgünstigsten Arzneimittel und im Falle der aut idem-Ersetzung zusätzlich das namentlich verordnete Arzneimittel, soweit in den ergänzenden Verträgen nach § 129 Absatz 5 Satz 1 nichts anderes vereinbart ist, oder ein importiertes Arzneimittel nach Maßgabe des § 5 zur Auswahl."
Die Abgabe des verordneten Arzneimittels – statt eines (auch: anderen) rabattierten Arzneimittels – muss auf dem Verordnungsblatt durch Aufbringen der Sonder-PZN 2567024 und einer stichwortartigen Begründung für die Nichtabgabe des rabattierten Arzneimittels vermerkt werden (Abb. 1) . Zu Unrecht befürchten viele Apotheker, dass die Nutzung dieser Möglichkeit ein Retaxationsrisiko ist.
Fraglich ist, wer für Probleme infolge einer Substitution die Haftung übernimmt. Im Prinzip haftet derjenige, der verklagt wird. Schon eine Teilverantwortung reicht hier aus. Daher könnten sowohl Ärzte als auch Apotheker und pharmazeutische Unternehmen in die Pflicht genommen werden. Bei den Ärzten ist die Wahrscheinlichkeit einer Klage jedoch am höchsten, denn sie haben einen Dienstleistungsvertrag mit dem Patienten geschlossen. Zudem ist nur der Arzt wirklich in der Lage, im Bereich der Aut-idem-Regelung das Wohl des Patienten zu beurteilen. Er kennt die Befindlichkeiten seiner Patienten am besten und weiß, ob ein Austausch ein Risiko birgt.
Fehlende oder mangelhafte Therapiekontrolle ist ein Behandlungsfehler. Die Sorgfaltspflichten des Apothekers ersetzen nicht die Sorgfaltspflichten des Arztes. Stellt der Arzt fest, dass trotz guter Compliance der Therapieerfolg ausgeblieben ist oder vermeidbare Arzneimittelrisiken aufgetreten sind, kann er sich aus der Haftungsfalle nur befreien, indem er die Aut-idem-Regelung auf dem Kassenrezept ausschließt. Selbst wenn der Arzt das zivilrechtliche Haftungsrisiko gering schätzt, muss er immer auch an sein strafrechtliches Risiko denken: Eine fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB) bleibt nicht straffrei. Eine Verteidigung mit dem Hinweis, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot und die Regressgefahr Anlass für die Unterschreitung des Standards gewesen sei, wird nicht akzeptiert. Die divergierende Risikosituation des Vertragsarztes lässt sich entscheidend minimieren, wenn er aut idem ausschließt.
Angesichts der beschriebenen Besonderheiten und möglicher Probleme ist eine Substitution bei Schilddrüsentherapeutika als äußerst kritisch anzusehen und sollte vermieden werden. Es könnte einen Behandlungsfehler darstellen, wenn bei der medikamentösen Therapie erkennbare und vermeidbare Nebenwirkungen auftreten, in die der Patient nicht eingewilligt hat (BGH vom 15. 03. 2007 – IV ZR 289/03; sowie zur Haftung bei Präparatewechsel BGH vom 17. 04. 2007 – IV ZR 108/06 [9]).
Aus haftungsrechtlicher Sicht sollte eine Substitution nur dann zugelassen werden, wenn der Arzt sicher weiß, dass alle Arzneimittel, die zur Substitution infrage kommen, in gleicher Weise zur Behandlung des Patienten geeignet sind. Zusätzlich sollte eine Aufklärung des Patienten über die Zulassung der Substitution erfolgen.
Durch die Aufklärung soll der Patient eine eigenständige freie Entscheidung für oder gegen die Therapie treffen, sie muss daher die Risiken und Nebenwirkungen der Therapie umfassen. Ärzte, die aut idem zulassen, haben sicherzustellen, dass eine Substitution keine nachteiligen Folgen für den Patienten haben kann. Das setzt allerdings voraus, dass sie über die Substitutionsalternativen ausreichend informiert sind, was aber oft nicht der Fall ist. Zur Therapieverantwortung des Vertragsarztes gehört die Therapiekontrolle.
Nach Berufsrecht (§ 6 MBO) ist der Arzt zudem verpflichtet, seiner Arzneimittelkommission AkdÄ Arzneimittelrisiken zu melden. Dieser Berufspflicht kann er nicht nachkommen, wenn er nicht weiß, welches Arzneimittel der Apotheker abgegeben hat.
Wirtschaftliche Aspekte von aut idem
Es gibt keine gesetzliche Regelung, die dem Vertragsarzt aut idem verpflichtend vorgibt. Eine Sanktionierung für eine Verordnung mit aut idem ist pauschal nicht möglich. Eine standardisierte Prüfung der Häufigkeit des Aut-idem-Ausschlusses gibt es ebenfalls nicht. Ob und wie oft ein Arzt ein Kreuz gesetzt hat, ist nicht Inhalt der Datenlieferungen der Krankenkassen an die Prüfgremien. Der Ausschluss der Substitution auf einer Verordnung eines rabattvertragsgeregelten und damit als wirtschaftlich geltenden Arzneimittels entlastet das Arzneimittelbudget und fördert die Compliance innerhalb der Rabattvertragswelt.
Um nach einem eventuellen Präparatewechsel die individuelle Dosierung richtig einstellen zu können, sind weitere engmaschige Laboruntersuchungen erforderlich, um die Dosis gegebenenfalls anzupassen. Auch wenn der Patient das subjektive Gefühl hat, das neue Präparat habe nicht die gleiche Wirkung wie das bisher eingenommene, muss der Arzt eine Laboruntersuchung veranlassen. Der finanzielle Aufwand derartiger Kontrollen beträgt jeweils zwischen zehn und 25 Euro. Dem stehen minimale Einsparungen von etwa zwei Euro jährlich gegenüber, da die Preisunterschiede zwischen Originalpräparaten und Generika sehr gering sind. Der angestrebte Spareffekt würde ins Gegenteil verkehrt.
Quellen
[1] IMS Health. Einfluss von Rabattverträgen auf die Arzneimittelversorgung (Studie im Auftrag des BAH). Frankfurt 2010.
[2] Pruszydlo MG, et al. Medizinische Probleme und Risiken bei der rabattvertragsgerechten Umstellung von Medikationen in Deutschland. Dtsch Med Wochenschr 2008;133: 1423 – 1428.
[3] LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.10.2009. Az: L 7 KA 131/06.
[4] Blume H, et al. DPhG-Leitlinie Gute Substitutionspraxis – GSP. Dtsch Apoth Ztg 2002;142:1205 – 1214.
[5] Blume H, et al. DPhG-Statement: "Eine Nachbesserung ist dringend angezeigt!" – Austauschbarkeit von wirkstoffgleichen Fertigarzneimitteln. Dtsch Apoth Ztg 2008;148:1902 – 1903.
[6] www.formun-schilddruese, März 2011.
[7] Derwahl K-M. Schilddrüsenhormon-Substitution – Es gilt, die "Wohlfühldosis" zu finden. Ars Medici 2008;18: 794 – 796.
[8] Uhl D. Bedenken gegen pharmazeutische Bedenken – Unsicherheit bei der Umsetzung in die Praxis ist groß. Dtsch Apoth Ztg 2008;148:4046 – 4051.
[9] Drinhaus D. Retaxfalle "Austauschkriterium". Dtsch Apoth Ztg 2009;149:1271 – 1273.
Autor
RA Jörg Hohmann,
Kanzlei für Medizinrecht,
Friedensallee 48, 22765 Hamburg
www.lex-medicus.de
DAZ 2011, Nr. 32, S. 45
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