Gesundheitspolitik

Allianz gegen Medikamentenmissbrauch

ABDA, ADAC und DOSB im Schulterschluss

Berlin (ks). Medikamentenmissbrauch und -abhängigkeit findet meist im Verborgenen statt. Denn der weit überwiegende Teil der schätzungsweise mehr als 1,5 Millionen medikamentenabhängigen Bundesbürger nimmt Benzodiazepine und ist sich seiner Sucht oft selbst nicht bewusst. Schlagzeilenträchtiger – wenn auch vom klassischen Medikamentenmissbrauch abzugrenzen – ist das Doping im Leistungssport. Auch das sogenannte "Hirn-Doping" am Arbeitsplatz, in der Uni oder Schule erregt mittlerweile eine gewisse Aufmerksamkeit. Um die Öffentlichkeit für das Thema Arzneimittelmissbrauch noch mehr zu sensibilisieren, haben sich nun ABDA, ADAC und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) zusammengetan.

Präsidenten im Schulterschluss gegen die Sucht in der Bevölkerung: Heinz-Günter Wolf, ABDA, Thomas Bach, DOSB und Peter Meyer, ADAC (v. l.).
Foto: AZ/Sket

Als eine gemeinsame Aktion veranstalteten die drei Organisationen am 3. November in Berlin ein Symposium unter dem Motto: "Medikamentenmissbrauch in Deutschland: Eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung". Ihr Ziel: möglichst viele Menschen zu erreichen. Tatsächlich ist die Zielgruppe groß. Mehrere Millionen Menschen fahren täglich Auto, Millionen treiben Sport in Vereinen und Millionen besuchen die Apotheken.

ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf machte in seinen einleitenden Worten deutlich: Medikamente sind für viele Menschen ein großer Segen, aber sie haben auch ihre Schattenseiten. Apotheker sind hier im Grunde Ansprechpartner Nummer eins – doch auch das Engagement des DOSB ist verständlich. Der Leistungssport hat dem Doping den Kampf angesagt. Und: "was das Doping im Spitzensport, ist der Medikamentenmissbrauch im Freizeitsport und im Alltag", sagt DOSB-Präsident Thomas Bach. Während das Doping im Leistungssport geächtet ist und sanktioniert wird, müssen Prüflinge, die ähnlich wie Sportler in einem Leistungswettkampf stehen, noch keine Strafen für ihr "Hirn-Doping" fürchten. Auch der ADAC hat ein großes Interesse, dass die Menschen über das Abhängigkeits- und Suchtpotenzial mancher Arzneimittel besser Bescheid wissen. Dies gilt umso mehr, als dass sie am Straßenverkehr teilnehmen. So muss der Führer eines Fahrzeuges dieses sicher steuern können. In einigen Fällen mag dies nur möglich sein, wenn er zuvor Arzneimittel eingenommen hat. In anderen Fällen sollte er dies dagegen tunlichst unterlassen. "Fahruntüchtigkeit aufgrund zu hoher Dosierung oder Missbrauch von Medikamenten wird ebenso bestraft wie eine Alkoholfahrt ab 1,1 Promille", betonte ADAC-Präsident Peter Meyer.


Beleuchteten das Thema Sucht aus Apothekersicht Ernst Pallenbach (ABDA, li.) und Martin Schulz (AMK).
Foto: AZ/Sket

Pflichten der Apotheker

Prof. Dr. Martin Schulz, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) beleuchtete das Thema aus Sicht der Apotheker. Als Arzneimittelfachleute sind sie nach der Apothekenbetriebsordnung angehalten, einem erkennbaren Arzneimittelmissbrauch in geeigneter Weise entgegenzutreten – bei begründetem Verdacht können sie die Ausgabe eines Arzneimittels verweigern. Auch die Berufsordnungen bestimmen, dass die Pharmazeuten bei der Ermittlung, Erkennung, Erfassung und Weitergabe von Arzneimittelrisiken mitwirken müssen und diese Feststellungen an die AMK weiterleiten müssen. 2008 gab die Bundesapothekerkammer ihren Leitfaden zu Abhängigkeit und Missbrauch von Medikamenten heraus. Dieser liegt seit Oktober in einer frisch überarbeiteten Fassung vor. In ihm finden sich Hinweise, wie Arzneimittelmissbrauch zu erkennen ist, werden die problematischen Medikamentengruppen aufgeführt und erklärt, was Apotheker tun müssen und was sie tun können, um dem Missbrauch entgegenzuwirken und damit Patienten zu helfen. Am häufigsten sind es nach wie vor die Benzodiazepine und ihre nicht minder gefährlichen Nachfolger, die sogenannten Z-Substanzen Zopiclon und Zolpidem, die Menschen – vor allem ältere Frauen – abhängig machen. Etwa 1,1 bis 1,2 Millionen Betroffene soll es geben. Das Problem ist hier oft – insbesondere bei einer langfristigen Niedrigdosis-Abhängigkeit – , dass die Betroffenen sich gar nicht betroffen fühlen.

"Kreative Szene"

Schulz berichtete auch von einer sehr "kreativen Szene" abseits der Benzodiazepine. Über ihre Referenzapotheken erhält die AMK zahlreiche erstaunliche Meldungen – die zum Missbrauch steigen beständig. So finden sich im Internet Foren, in denen Tipps für Arzneimittel-Kombinationen und besondere Anwendungshinweise ausgetauscht werden, um einen maximalen Medikamentenrausch zu erlangen. Zu finden sind auch Anleitungen, wie beispielsweise aus legalem Ephedrin und Pseudoephedrin illegales Metamphetamin hergestellt werden kann.

Modellprojekt zum Benzodiazepin-Entzug

Die Apotheker sind bereits in unterschiedlicher Weise aktiv gegen den Arzneimittelmissbrauch. Etwa mit dem vom Bundesgesundheitsministerium geförderten Projekt "Ambulanter Entzug Benzodiazepinabhängiger Patienten in Zusammenarbeit von Apotheker und Hausarzt". Projektleiter Dr. Ernst Pallenbach von der ABDA erläuterte warum die Benzodiazepin-Abhängigkeit so verbreitet ist. Seitens der Patienten bestehe oft kein Problembewusstsein, Gefahren würden nicht erkannt, die Verantwortung gerne an den Arzt abgegeben. Hinzu komme zumeist eine ablehnende Haltung gegenüber psychiatrischer Diagnosen. In spezialisierten Einrichtungen tauchen Langzeitkonsumenten von Benzodiazepinen nur selten auf. Niedrigdosis-Abhängigkeit wird nicht als Abhängigkeit gesehen. Haben Arzt oder Apotheker dennoch einen Verdachtsfall, so ist es für sie nicht immer leicht, den Patienten auf einen Entzug anzusprechen. Selbst Fachleute überschätzen die Belastung und unterschätzen die Vorteile des Entzuges, so Pallenbach. Sie mögen auch das ggf. hohe Patientenalter als Hinderungsgrund ansehen, dabei profitierten gerade ältere Menschen besonders von dem Entzug, berichtete der Pharmazeut aus seinem Projekt. Apotheker scheuten sich zudem davor, sich in die ärztliche Therapie "einzumischen". Und hier setzt nun das Modellprojekt an. Da es für die Zielgruppe keine angemessenen Angebote gibt, wollte man eine niedrigschwellige Methode im ambulanten Bereich schaffen. Vorteile gibt es für alle Beteiligten: Die Apotheken sind für die Patienten leicht erreichbar, die Pharmazeutische Betreuung wird gefördert, die Zusammenarbeit von Arzt und Apotheker verbessert – und am Ende steht eine bessere Lebensqualität der Patienten. Ist ein Patient gefunden, der für das Projekt geeignet ist und mitmachen will, wird die Dosis allmählich reduziert. Dies kann sich über mehrere Monate hinziehen – "lieber langsam, dafür nachhaltig", erläuterte Pallenbach das Prinzip. Und die Patienten danken es. Fazit: Arzneimittel sind wertvoll für die Menschen und machen in aller Regel auch nicht süchtig – aber es bedarf einer qualifizierten Beratung bei der Anwendung.



AZ 2011, Nr. 45, S. 1

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