Gesundheitspolitik

Betapharm-Chef: Es geht hier um Vertrauen

Der AOK Rabattvertrag lässt eine Metoprolol-Lieferung im September zu

AUGSBURG (diz). Die derzeitige Nichtverfügbarkeit des AOK-Rabattarzneimittels Metoprolol-Succinat der Firma Betapharm wird von vielen Apothekerinnen und Apothekern als Mitursache für die Fehldokumentationen auf den Verordnungen verantwortlich gemacht: "Wäre das Präparat im Handel gewesen, hätte es keine Fehldokumentation gegeben", so heißt es. Michael Ewers, Geschäftsführer der Betapharm, weist solche Vorwürfe von sich. Die Rabattverträge der AOK erlauben ausdrücklich eine Lieferfähigkeit der Produkte erst vier Wochen nach Zuschlagserteilung, wie er im AZ-Interview deutlich macht. Ewers stellte allerdings heraus, dass es hier auch auf Apothekerseite um Verlässlichkeit und genaues Arbeiten im System geht.
Michael Ewers

Foto: betapharm

AZ: Herr Ewers, die causa Metoprolol bewegt die Pharmalandschaft. Die AOK hat den Apothekern mittlerweile mit dem Staatsanwalt gedroht und einen Bußgeldkatalog hervorgezaubert, der Geldstrafen für die Apotheken vorsieht, die Rezepte mehrfach falsch bedruckt haben. Apotheker sehen Betapharm als Mitauslöser dieser Vorgänge. Wie fühlen Sie sich dabei? Ist Ihr Blutdruck schon in die Höhe gegangen, könnten Sie selbst schon Metoprolol einnehmen, wenn es denn auf dem Markt wäre?

Ewers: Der Vorgang ist in der Tat bemerkenswert. Für ein Präparat, das noch gar nicht im Markt ist, das noch gar keinen Blutdruck senken kann, hat es schon sehr viele Wallungen ausgelöst. Schwierig ist dabei, dass wir stellvertretend für denjenigen angesehen werden, der dieses Problem transparent gemacht hat. An der Tatsache, dass im Juni 30.000 Rezepte in den Apotheken falsch bedruckt wurden, lässt sich nicht rütteln, genauso wie es eine Tatsache ist, dass wir noch nicht lieferfähig sind. Aber diese beiden Vorgänge haben aus unserer Sicht nichts miteinander zu tun.


AZ: Herr Ewers, das sehen die betroffenen Apothekerinnen und Apotheker anders. Wäre das Präparat lieferbar gewesen, hätte es diesen Fall nicht gegeben. Der eine oder andere Apotheker geht davon aus, dass er zur Fehlbedruckung des Rezepts aufgrund der Nichtlieferbarkeit erst verführt wurde, sei es aus einer kleinen menschlichen Nachlässigkeit heraus oder aus der Alltagshektik heraus. Der Nährboden für den Lapsus war Ihr fehlendes Präparat. Letztlich geht es um die Frage: Warum schließt eine Firma einen Rabattvertrag ab, wohlwissend, dass sie erst in drei bis vier Monaten liefern kann?

"Wir haben die Vergabebedingungen für unseren Rabattvertrag erfüllt, auch für Metoprolol-Succinat", so Betapharm-Chef Michael Ewers. (Im Bild: Firmensitz in Augsburg)

Ewers: Dazu Folgendes: Wir haben die Vergabebedingungen für unseren Rabattvertrag erfüllt, auch für Metoprolol-Succinat. Es reicht aus, eine Zulassung zu haben, aber das Produkt muss noch nicht unbedingt im Markt sein. Dies hat die Konsequenz, dass wir als Hersteller einen bestimmten Zeitraum gesetzt bekommen, bis wann das Präparat im Markt sein muss.


AZ: Das ist so auch im Rabattvertrag geregelt?

Ewers: Ja, das steht explizit in den Verträgen: Nach vier Monaten nach Zuschlagserteilung müssen wir unsere Lieferfähigkeit gewährleisten. Wird ein Vertrag im Juni abgeschlossen, dann erwartet die AOK von ihrem Rabattpartner eine Lieferfähigkeit bis Mitte/Ende September. Dies gilt auch für Meto succ. Beta! Kann der Rabattpartner nicht liefern, kommen Strafkataloge der AOK zum Einsatz. Diese Sanktionen sind detailliert in den Rabattverträgen und Ausschreibungen definiert.


AZ: Sie haben sich vor diesem Hintergrund also sehenden Auges um diesen Rabattvertrag bemüht, wohlwissend, dass Sie erst im September liefern können. Das war also kein ungewöhnlicher Vorgang?

Ewers: Nein, überhaupt nicht. Das ist vertraglich abgestimmtes Regelverhalten: Wir haben ein Produkt, wir haben Lieferfristen, das Produkt wird hergestellt und innerhalb der Fristen ausgeliefert. In diesem Fall kommt auch hinzu, dass die Vergabe des Rabattvertrages durch juristische Klärung in der Vergabekammer und OLG stark verzögert wurde. Gerade dies kann man nicht planen – und der Fertigungsauftrag wird erst vergeben, wenn der Rabattvertrag Rechtsgültigkeit hat. Es gibt keine andere wirtschaftliche Verhaltensweise.


Info


Die Rabattverträge zwischen AOK und pharmazeutischem Unternehmer regeln, dass Letzterer seine Lieferfähigkeit erst ab dem vierten Monatsersten nach Zuschlagserteilung gewährleisten muss. Parallel dazu wurde zwischen AOK und Deutschem Apothekerverband vereinbart, das die Apotheker im Falle der Abgabe von nicht-rabattbegünstigten Arzneimitteln wegen Nichtverfügbarkeit von Rabattarzneimitteln ausnahmsweise keine weiteren Nachweispflichten hinsichtlich der Nichtverfügbarkeit treffen. Davon unberührt blieb jedoch die Pflicht des Apothekers zur Dokumentation, welches Arzneimittel tatsächlich abgegeben wurde.


AZ: Sie sind meines Wissens auch nicht die einzige Firma, die derzeit nicht lieferfähig ist …

Ewers: Es gibt einige Firmen, die bestimmt diese Frist ausnutzen werden. Wir dachten auch darüber nach, den Markt mit Teillieferungen des Präparats zu versehen. Aber dann wären wir für einige Zeit lieferfähig gewesen, dann wieder nicht usw. Wir wollten diesen Weg allerdings nicht gehen.


AZ: Aber die Apotheken haben das Präparat in ihrer Software gelistet und gehen davon aus, dass es auf dem Markt verfügbar ist …

Ewers: Hier gibt es unterschiedliche Softwarekonfigurationen. Manche Programme zeigen dem Apotheker sofort, dass das Präparat noch nicht lieferfähig ist, andere Programme können das nicht. Erst durch die Auslösung eines Bestellvorgangs beim Großhandel erhält die Apotheke dann die Rückmeldung, dass das Präparat nicht verfügbar ist.


AZ: Manche Apotheken erhielten ein Schreiben, dass Ihr Präparat nicht verfügbar ist …

Ewers: Hätte ich das ganze Desaster kommen sehen, hätte ich sicher allen Apotheken eine Mitteilung geschickt. So versandten wir unsere Mitteilung nur an Apotheken, die darum gebeten hatten. Wir gingen davon aus, dass die Rückmeldung des Großhandels über die Nichtverfügbarkeit ausreicht. Die Großhändler werden von uns wöchentlich informiert. Wir haben wöchentlich an alle Großhändler sogenannte Defektenlisten geschickt über diejenigen Präparate, die derzeit von uns nicht lieferbar sind. Da wir wissen, dass die Apotheken über ihre Software dann die Rückmeldung erhalten, wenn ein Präparat nicht verfügbar ist, gingen wir davon aus, dass dies ausreicht. Für die Apotheker erschien dies allerdings als mangelnde Transparenz. Ich kann nur sagen: Wir verstehen dies, aber es war zu keiner Zeit unsere Absicht, hier mangelnde Transparenz zu haben.


AZ: Meines Wissens hatte Betapharm schon mehrere Rabattverträge geschlossen – hatten Sie schon einmal ein ähnliches Problem wie bei Metoprolol-Succinat?

Ewers: Interimsweise gab es ab und an mal ein kurzfristiges Lieferproblem. Aber wir mussten noch nie mit einem so kurzen Zeitraum von der Vergabe eines Rabattvertrags bis zur Veröffentlichung durch die AOK fertigwerden. Das war hier das Problem: Wir mussten aus dem Stand von null auf hundert eine Produktion eines Arzneimittels hochfahren. Bei einem Arzneimittel dauert dieser Vorgang allerdings seine Zeit. Die Hauptherausforderung ist die Meldung der Rabattprodukte ab Juni 11 in der Software.


AZ: Hat dies auch damit zu tun, dass Sie mit vielen unterschiedlichen Lohnherstellern im In- und Ausland, so auch in Indien, zusammenarbeiten?

Die Arzneimittelqualität ist unabhängig vom Produktionsort gesichert. Im Bild eine Produktionsstätte von Dr. Reddys in Indien.

Foto: Dr. Reddys

Ewers: Die Arzneimittelqualität in Deutschland ist ein hohes Gut. Wenn Sie Arzneimittel herstellen, müssen sie all diese Anforderungen, die an ein Arzneimittel gestellt werden, erfüllen – unabhängig vom Produktionsort, egal ob Sie in Magdeburg, Tel Aviv oder Hyderabad produzieren. Die deutschen Inspektoren nehmen jeden Produktionsort ab, so dass man sagen kann: Es gibt keine Qualitätsunterschiede, egal, wo sie ein Arzneimittel, das in Deutschland auf den Markt kommt, produzieren lassen.


AZ: Aber beim Arzneimittel gibt es diese Diskussion, ob die in Billiglohnländern hergestellten Produkte qualitativ mithalten können …

Ewers: Das führt uns zur Diskussion über die Globalisierung der Warenströme. Viele Markenwaren werden heute in solchen Ländern produziert und da fragen nur wenige danach, wo beispielsweise die Sportschuhe oder T-Shirts hergestellt werden, wenn die Marke stimmt. Das kann man für gut empfinden oder auch nicht – wir werden diese Entwicklung nicht zurückdrehen können, auch nicht im Arzneimittelbereich und erst recht nicht, wenn die Krankenkassen immer weiter noch billigere Arzneimittel fordern. Dem Qualitätsanspruch muss jederzeit Rechnung getragen werden. Metoprolol-Succinat wird im Übrigen von einer spanischen Partnerfirma für uns produziert.


AZ: Lassen Sie uns noch kurz auf die Rabattverträge eingehen. Wie müssen Sie die Lieferfähigkeit nachweisen?

Ewers: Bei einem Rabattvertrag kommt es generell auf zwei Punkte an: auf den Preis und auf die Lieferfähigkeit. Die Lieferfähigkeit wird einerseits durch die Zulassungsunterlagen dokumentiert, andererseits durch einen Commitment-Letter, der von uns selbst (Produkte, die bei DRL hergestellt werden) oder durch unsere Lohnhersteller erstellt werden. Er bestätigt, dass wir oder unser Lohnhersteller lieferfähig sind und die geforderte Menge produzieren können.


AZ: Falls Sie sich bei kommenden AOK-Ausschreibungen wieder um Rabattverträge bemühen: Ziehen Sie aus den jetzigen Vorgängen rund um den Fall Metoprolol Konsequenzen? Würden Sie beim nächsten Mal etwas anders machen?

Ewers: Wenn wir ausreichend Zeit haben zwischen Vergabe des Rabattvertrags und dem Startzeitpunkt, dann ist nichts zu verändern. Wenn es allerdings zeitlich eng würde, würden wir in Zukunft dreimal überlegen, ob wir ein Angebot abgeben sollen. Meine Forderung an die Krankenkassen ist, die Rabattverträge so zu gestalten, dass wir als Rabattpartner eine Chance haben zu liefern.


AZ: Ein Blick auf die Apotheker, Herr Ewers: Ist das Vorgehen der AOK gegen die Apotheker in Ordnung?

Ewers: Es geht hier nicht um richtig oder falsch. Es geht vielmehr um einen sensiblen Punkt im System, nämlich um Vertrauen, um Verlässlichkeit und – akkurates Arbeiten muss sichergestellt sein. Wenn Abgabe und Dokumentation eines Arzneimittels nicht mehr übereinstimmen, hat unser System ein Problem. Genau dies darf der Apotheker nicht zulassen, hier steht er in der Verantwortung. Denn seine Dokumentationen auf dem Rezept lösen große wirtschaftliche Folgereaktionen für die Hersteller aus wie Zahlungen des Herstellerrabatts und Zahlungen des Rabatts aus dem Rabattvertrag. Hier steht er mit seiner Verlässlichkeit in der Pflicht. Im Übrigen glaube ich auch nicht, dass wir im Fall Metoprolol der Mehrheit der Apotheken Vorwürfe machen müssen. Ich denke, es geht hier eher nur um eine kleine Zahl schwarzer Schafe unter den Apothekern, die vorsätzlich handelten.


AZ: Herr Ewers, vielen Dank für das Gespräch.


Zur Historie der Betapharm


Das Unternehmen war von 1993 bis 2003 ein Tochterunternehmen der Hexal. Alle Produkte, alle Zulassungen, die Betapharm heute noch hat, stammen aus dieser Zeit. Die Betapharm ging dann in die Hände des Investors 3i und wurde relativ kurzfristig an die indische Firma Dr. Reddys übertragen. Betapharm musste dann rasch neue Herstellungsorte für seine Arzneimittel suchen, weil der Lohnherstellungsvertrag mit Salutas-Hexal beendet wurde. Zu dieser Zeit hat das Unternehmen 16 seiner 150 Wirkstoffe nach Indien verlagert. Mittlerweile werden dort bereits 29 Produkte hergestellt.



AZ 2011, Nr. 35, S. 1

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