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- AZ 39/2010
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Gesundheitspolitik
"Das Einsparvolumen ist unrealistisch"
AZ: Herr Trümper, das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz steuert in seine Zielgerade, die Debatten um die neue Gesundheitsreform werden hitziger. Wie es sich jetzt darstellt, läuft es für die Apotheken darauf hinaus, dass Sie nicht direkt belastet werden, aber die Einsparungen von rund 400 Millionen Euro, die der Gesetzgeber vom Großhandel verlangt, an die Apotheken durchgereicht werden. Bei vielen Apothekern führt dies zu depressiven Verstimmungen. Sollte dies so kommen, dürfte die Lage für viele Apotheken katastrophal werden. Vor diesem Hintergrund meine Frage: Will der Großhandel wirklich die geforderten Einsparungen an die Apotheken, an den Partner Apotheke, weitergeben?
Trümper: Lassen Sie mich in aller Deutlichkeit dazu sagen: Wir, der Phagro, hatten Ende April beim Bundesgesundheitsminister Rösler ein Gespräch, in dem er uns eröffnete, dass der Gesetzgeber ein Einsparvolumen für die GKV von 400 Millionen Euro definiert hat, die nicht verhandlungsfähig seien. Dieser Betrag solle auf der Ebene Apotheken und Großhandel eingespart werden.
AZ: Die Apotheken wurden ausdrücklich genannt?
Trümper: Ja, die Apotheken waren von Anfang an mit im Boot, als es um die Einspardiskussion ging. Ich habe unmittelbar in diesem Gespräch dem Bundesgesundheitsminister gesagt, dass ich es nicht für möglich halte, dieses Einsparvolumen weder bei Apotheken noch beim Großhandel zu erreichen. Mir ist die Situation des Pharmagroßhandels sehr bewusst, mir ist aber auch die Situation unserer Kunden, der Apotheken, bewusst.
AZ: Dies scheint aber in der Politik so nicht angekommen zu sein.
Trümper: Wir haben in diesem und in weiteren Gesprächen mit Parlamentariern vehement darauf hingewiesen, dass Einsparungen bei Apotheken und Großhandel nicht zu machen sind – bei allem Verständnis, dass im Gesundheitswesen gespart werden muss. Aber Apotheken und Großhandel haben bereits in der Vergangenheit so viele Reformen und Kürzungen hinnehmen müssen, dass keine Möglichkeit für Einsparungen besteht. Ich habe dies für den Großhandel mit Zahlen begründet.
AZ: Welche Zahlen konnten Sie vorlegen?
Trümper: Die Gewinne aller pharmazeutischen Großhandlungen in Deutschland zusammen liegen nach meiner Schätzung bei unter 150 Millionen Euro, wie gesagt aller vollversorgenden Pharma-Großhandlungen. Wo soll da ein Einsparvolumen von 400 Millionen Euro herkommen?
AZ: Die Gewinne standen denn auch weniger zur Debatte als die Großhandelsrabatte an die Apotheken …
Trümper: Das kam im Verlauf der weiteren Diskussion auf: Wenn man an den Gewinnen des Großhandels nicht einsparen kann, dann geht das nur über die Rabatte, die den Apotheken gegeben werden. Das war nur eine logische Konsequenz.
AZ: Hatten wir diese Forderung nicht bereits vonseiten der Krankenkassen?
Trümper: Richtig, diese Debatte ist im Jahr 2008 bereits vom Spitzenverband der Krankenkassen aufgebracht worden. Diese haben schon damals immer und zu jeder Gelegenheit auf ein angebliches Rabattvolumen in Höhe von 500 Millionen Euro hingewiesen – und dieses für sich eingefordert.
AZ: Aber Sie wissen, dass solche Rabattkürzungen viele Apotheken nicht verkraften …
Trümper: Das wissen wir sehr wohl. Wir sind so nah am Kunden dran, dass wir gut Bescheid wissen über die Lage der Apotheken. Eine Schwächung der wirtschaftlichen Kraft der Apotheken liegt uns naturgemäß fern. Wenn Apotheken in Existenznöte geraten, dann ist der pharmazeutische Großhandel der Erste, der dies zu spüren bekommt. Und wenn Apotheken – was zum Glück nicht allzu häufig passiert – in Insolvenz geraten, dann ist in den allermeisten Fällen der pharmazeutische Großhandel der größte Gläubiger. Somit ist doch die logische Konsequenz, dass wir als Pharmagroßhandel nicht nur für uns, sondern auch für die Apotheken mitkämpfen. Also, noch mal in aller Deutlichkeit: Diese Einsparvolumina sind überhaupt nicht realistisch.
AZ: Das haben Sie über die Fachöffentlichkeit hinaus bisher aber nie so deutlich ausgesprochen …
Trümper: Für uns ist es eine Frage des Stils, wie man mit so etwas umgeht. Wir haben diese Sachverhalte beim Gesundheitsminister ganz deutlich angesprochen und auch in Gesprächen mit allen Parteien immer wieder darauf hingewiesen. Aber wir sind nicht diejenigen, die das lauthals in die Medienlandschaft posaunen – das ist nicht unser Stil.
AZ: Wie soll es nun weitergehen?
Trümper: Ich möchte die Apotheken aufrufen, mit uns gemeinsam das Problem zu behandeln und nicht, wie es in einigen Fällen geschieht, gegen uns zu argumentieren. Wir haben den Sparwillen der Regierung nicht zum Laufen gebracht.
AZ: Haben Sie dem Ministerium mit der vom Phagro gewünschten Umstellung der Großhandelsmarge nicht eine Steilvorlage geliefert, die Einsparungen elegant durchzusetzen?
Trümper: Der Sparwillen des Ministeriums hat mit unseren Bemühungen, die Großhandelsspanne umzustellen, überhaupt nichts zu tun. Eigentlich war unser Vorschlag für eine Umstellung der Großhandelsmarge nur eine Reaktion. Das Grundproblem kommt doch aus dem Markt: Die heutige Vergütungsstruktur ist fast 30 Jahre alt – aber der Markt hat sich gewaltig verändert. Hersteller und Apotheken hatten großen Anteil daran, dass wir über andere Strukturen nachdenken mussten, weil sie das Direktgeschäft forciert haben. 2009 lagen wir bei einem Volumen des Direktgeschäfts einschließlich des nicht-rezeptpflichtigen Bereichs in Höhe von 19 Prozent. Das ist eine Größenordnung, bei der uns Margen entgehen. Da sollten sich die Apotheken, die das Direktgeschäft unterstützt haben, auch fragen, inwieweit sie ihren vollversorgenden pharmazeutischen Großhandel durch dieses Verhalten geschädigt haben. Uns hier den Schwarzen Peter zuzuschieben und zu sagen, wir haben von uns aus darauf hingewirkt, die Großhandelsspanne zu ändern, ist nicht fair. Darüber hinaus hat sich die Mischkalkulation durch die Zunahme preisgünstiger Generika (Stichwort Rabattverträge) für uns sehr negativ verändert. Wir hätten uns nicht um eine Änderung der Arzneimittelpreisverordnung bemühen müssen, wenn es diese Marktentwicklung nicht gegeben hätte.
AZ: Fakt bleibt, dass der Phagro auf eine Umstellung gedrängt hat.
Trümper: Das Einsparvolumen in Höhe von 400 Millionen Euro ist von der Koalitionsspitze vorgegeben. Sie glauben doch nicht, dass Frau Merkel und Herr Westerwelle sich über Einsparungen unterhalten und dies mit der Neustrukturierung einer Großhandelsmarge in Verbindung bringen. Hier ist ein Betrag gesetzt worden, der mit der Art der Großhandelsvergütung überhaupt nichts zu tun hat. Der beste Beweis ist doch das Jahr 2004. Auch damals hat man ein Sparvolumen umgesetzt. Unter Beibehaltung der Vergütungsstruktur hat man die Marge des Pharmagroßhandels um 50 Prozent gekürzt. Wenn man nun wieder sparen will, könnte man das genauso tun, wie man es 2004 getan hat, nämlich unter Beibehaltung der alten Struktur. Also nochmal: Die von uns forcierte Strukturänderung hat mit dem Sparwillen der Bundesregierung überhaupt nichts zu tun. Da gibt es auch keinen logischen Zusammenhang.
AZ: Sie sagten, Apotheker sitzen mit dem Großhandel in einem Boot. Wir sollten gemeinsam nach Lösungen suchen. Wie könnten denn solche Lösungen aussehen? Die Apotheker empfinden es so, dass der Großhandel die Einsparungen zu ihren Lasten machen will.
Trümper: Es gibt nur eine Lösung: Das Einsparvolumen, das der Gesetzgeber fordert, ist schlichtweg unrealistisch. Im Klartext: Sowohl bei den Apotheken als auch beim pharmazeutischen Großhandel sind diese Volumina nicht vorhanden. Will man eine Versorgung der Bürger auf heutigem Niveau, dann muss man zugestehen, dass man dafür auch Geld ausgeben muss. Wenn man unser Niveau mit dem anderer europäischer Länder vergleicht, wo es eine schlechtere Versorgung als bei uns gibt, stellt man fest, dass dort die Kosten zum Teil sogar höher sind. Deutschland liegt in einem guten Mittelfeld bei den Vergütungen für Apotheken und Großhandlungen, nimmt aber einen Spitzenplatz bei der Versorgung ein. Es sollte nicht unser Ziel sein, die Versorgung der Patienten zu verschlechtern, wobei ich nicht davon überzeugt bin, dass eine schlechtere Versorgung auch mit niedrigeren Kosten einhergeht. Man muss dem Gesetzgeber in aller Deutlichkeit sagen, wenn er dieses Einsparvolumen umsetzt, kommt es letztendlich zu extremen Problemen bei Apotheken. Das haben wir übrigens immer so vorgetragen.
AZ: Vielleicht bisher noch nicht deutlich genug …
Trümper: Es kann nicht Aufgabe des Phagro sein, in den Medien die wirtschaftliche Situation der Apotheken zu kommunizieren. Ich kann nur für den Pharmagroßhandel sprechen. Aber daraus leiten nun einige Personen ab, dass wir nicht stark genug für die Apotheken eingetreten sind. Aber: Wir sind nicht die Vertretung der Apotheken – das ist die ABDA.
Also, es gibt nur die Lösung, dass sich der Gesetzgeber die Zahlen von den Verbänden geben lässt und erkennt, dass ein Einsparvolumen in dieser Größenordnung schlichtweg zu Katastrophen führt. Wenn unter Apothekern nun eine Panikstimmung entsteht, dann kann ich das gut nachvollziehen.
AZ: Aber auch die Krankenkassen werden weiterhin die Rabatte einfordern zugunsten ihrer Versicherten.
Trümper: Die pauschale Aussage des GKV-Spitzenverbands, es werden 500 Millionen Euro an Rabatten gegeben, hat leider die Realität des Marktes nicht berücksichtigt. Natürlich gibt der Großhandel Rabatte an die Apotheken, aber diese Rabatte werden nur zum Teil im GKV-relevanten Bereich erwirtschaftet, die meisten stammen aus dem nicht-rezeptpflichtigen Bereich. Das haben wir auch mit Zahlen nachgewiesen. Wir halten es sogar für verfassungswidrig, wenn der Gesetzgeber nun auf ein Marktsegment zugreift, das nicht reguliert ist.
AZ: Ohne Großhandelsrabatte im OTC-Bereich könnten Apotheken selbst keine Rabatte weitergeben.
Trümper: Vollkommen richtig. Hier wird der Gesetzgeber seinen eigenen Überlegungen untreu. Denn er selbst hat mit dem GMG im Jahre 2004 das OTC-Sortiment aus der Erstattungsfähigkeit der GKV mit wenigen Ausnahmen herausgenommen, weil er mehr Wettbewerb wollte. Wettbewerb heißt aber auch, Rabatte zu geben. Dann muss er aber auch den Spielraum lassen für diese Rabatte. Und hier kommt ein zweiter Trugschluss, den der GKV-Spitzenverband impliziert: Er geht davon aus, dass die Großhandelsrabatte an die Apotheken dazu dienen, dass sich die Apotheker ein schönes Leben machen. Dem ist aber nicht so. Der Apotheker setzt diese Rabatte in seiner Apotheke ein, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Im OTC- und Freiwahl-Sortiment sind es die Hersteller, die Produkte bewerben, dem Großhandel Konditionen geben und diese Konditionen gibt der Großhandel der Apotheke weiter, damit diese ein beworbenes Produkt wettbewerbsrelevant anbieten kann. Also, die Rabatte, die der Großhandel den Patienten gibt, kommen letztendlich beim Patienten an, nicht beim GKV-Patienten, sondern bei dem Patienten, der die OTC-Produkte kauft, die dem Wettbewerb unterliegen. Und nun will der Gesetzgeber genau diese Rabatte abschöpfen, d. h., die Apotheke kann nicht mehr wettbewerbsfähig sein, es kommt nicht mehr beim Patienten an zugunsten einer GKV-Finanzierung. Das ist unserer Auffassung nach verfassungswidrig. Wir werden dies rechtlich prüfen lassen.
AZ: Dies kam bisher draußen in dieser Deutlichkeit nicht so an.
Trümper: Wir haben das immer sehr deutlich gesagt, sowohl im Gesundheitsministerium als auch gegenüber den Parlamentariern. Wir haben es nur nicht laut ausposaunt.
AZ: Herr Trümper, wir bedanken uns für dieses Gespräch.
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