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Gesundheitspolitik
Privilegierung von ausländischen Versandapotheken vor dem Aus?
In der Verbundsache stehen gleich sechs Urteile von vier unterschiedlichen Oberlandesgerichten zur Revision an. Vordergründig geht es in den Verfahren um Apotheken-Taler, Rezept-Gutscheine, Prämien und Bonus-Systemen bei der Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Im Kern müssen vom BGH jedoch grundlegende ordnungs- und preisrechtliche Fragen des Arzneimittel- und Heilmittelwerbegesetzes beantwortet werden, die weit über die anhängigen Einzelfälle hinaus gehen. Dabei ist die rechtliche Beurteilung von Bonussystemen bislang durchaus unterschiedlich. Erst allmählich scheint sich bei den Wettbewerbskammern der Landgerichte und den Wettbewerbssenaten der Oberlandesgerichte (OLG) eine gewisse Tendenz durchzusetzen: Immerhin sehen inzwischen mit Ausnahme des OLG Bamberg alle Berufungsgerichte, deren Verfahren jetzt beim BGH anhängig sind, die "Rx-Boni-Modelle" wegen Verstoßes gegen die Arzneimittelpreisverordnung und/oder das Heilmittelwerbegesetz als wettbewerbswidrig an.
Taler als Rx-Rabatte?
Dabei unterscheiden sich die Bonus-Modelle in den einzelnen Verfahren durchaus: In zwei Fällen, über die das OLG Karlsruhe und das OLG Frankfurt/Main zu entscheiden hatten, waren von Apotheken bei der Einlösung von Rezepten Taler an Kunden abgegeben worden. Zu einer, wie es in der Regionalpresse hieß, "Art lokaler Ersatzwährung" entwickelte sich dabei der sog. Douglas-Taler – eine Prägung des inzwischen in den Ruhestand gegangenen Apotheker-Ehepaares Hermann und Ingeborg Douglas. Beide hatten schon in der Vergangenheit so manches Kapitel Apotheken-Rechtsgeschichte geschrieben. Die Taler konnten außerhalb der Apotheke, z. B. in Cafés, Eisdielen, Restaurants, am Zeitungskiosk, ja sogar an der Shell-Tankstelle für einen Ölwechsel, eingelöst werden. Obwohl es sich bei den Talern somit nicht um unmittelbare "Rx-Rabatte" handelte, sondern die eingeräumten Vorteile erst bei einem preisbindungsfreien Folgegeschäft realisiert wurden, untersagten beide Oberlandesgerichte die Marketingaktionen. Aus Kundensicht sei der Einkaufsvorteil nämlich weiterhin an den Arzneimittelkauf gekoppelt.
Keine Preisbindung für ausländische Versandapotheken?
Besonders brisant ist das beim BGH anhängige Verfahren eines hessischen Apothekenleiters gegen die niederländische Europa Apotheek in Venlo, die ihren Kunden einen dreiprozentigen Nachlass auf verschreibungspflichtige Arzneimittel versprochen hatte. Der Kläger war zuvor selbst von der Wettbewerbszentrale wegen der Einräumung von "Rx-Boni" verklagt worden. Das OLG Frankfurt/Main untersagte beide Bonussysteme – und ließ gleichzeitig in beiden Verfahren die Revision zum BGH zu. Der "Europa Apotheek-Fall" ist das einzige anhängige BGH-Verfahren mit "Auslandsberührung". Er ist weit über den konkreten Casus hinaus von grundsätzlicher Bedeutung. Im Zentrum steht dabei die Frage: Sind auch ausländische Versandapotheken, die – wie DocMorris, Europa Apotheek oder Vitalsana – Arzneimittel nach Deutschland liefern, an die deutsche Arzneimittelpreisverordnung und an das sonstige deutsche Preis- und Sozialrecht gebunden?
Stolperstein Bundessozialgericht?
Noch in einem Urteil vom 28. Juli 2008 hatte das Bundessozialgericht (BSG) mit einem knappen, auch als lapidar bezeichneten Hinweis auf das "Territorialprinzip" eine Bindung ausländischer Apotheken an das deutsche Preisrecht verneint. Damals war es um die sozialgesetzliche Beurteilung des Herstellerabschlags gegangen. Die BSG-Entscheidung ist weitgehend kritisch kommentiert worden. Auch Professor Joachim Bornkamm, Vorsitzender des 1. Zivilsenats, bezeichnete bei seiner rechtlichen Einführung in die anhängigen BGH-Verfahren die Entscheidung seiner Kollegen aus Kassel als "nicht so ohne Weiteres nachvollziehbar". Dies könnte darauf hinweisen, dass der BGH-Senat zur Auffassung gelangt, dass auch ausländische Versandapotheken, die grenzüberschreitenden Versandhandel mit Arzneimitteln betreiben, das in Deutschland geltende arzneimittelrechtliche Preisbindungsgebot zu beachten haben. Hierfür spricht in der Tat einiges. Eine andere Sicht würde nämlich dazu führen, dass ausländische Versandapotheken preis- und damit wettbewerbsrechtlich gegenüber deutschen Apotheken privilegiert würden – ein Umstand, den der deutsche Gesetzgeber bei Einführung des Versandhandels mit Arzneimitteln, wie sich aus der Amtlichen Begründung der einschlägigen Vorschriften ergibt, ausdrücklich vermeiden wollte. Oder wiederum in den Worten des BGH-Vorsitzenden: "Wettbewerbsvorteile für ausländische Apotheken – das ist es ja wohl nicht, was man unter einem funktionierenden Binnenmarkt in Europa versteht."
Hat der Gemeinsame Senat das letzte Wort?
Nichtsdestotrotz: Die Entscheidung des Bundessozialgerichts ist in der Welt. Sie könnte sich für den Zivilsenat als lästiger Stolperstein erweisen. Wenn der Bundesgerichtshof inhaltlich von der BSG-Entscheidung abweichen möchte, dürfte er nicht umhin kommen, den Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe anzurufen. Der Gemeinsame Senat hat eine Rechtsfrage zu entscheiden, wenn ein Senat eines der obersten Bundesgerichte in einer Entscheidung von einer Entscheidung eines anderen obersten Bundesgerichts abweichen möchte. Dadurch soll die Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes gewährleistet werden. "Beliebt" ist die Anrufung des Gemeinsamen Senats bei den obersten Gerichten nicht ("Horror pleni") – aber im vorliegenden "Europa Apotheek-Fall" kann wohl kein Weg daran vorbei führen, wenn die Karlsruher Richter inhaltlich von der BSG-Entscheidung abweichen möchten. Jenseits der rechtlichen Beurteilung "nationaler" Bonussysteme dürfte also noch etwas Zeit ins Land ziehen, bis beim grenzüberschreitenden Arzneimittelversand preis- und wettbewerbsrechtlich das letzte Wort gesprochen ist.
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