Praxis

Wettbewerb ja – Rabattverträge nein!

Ein Vorschlag zur Neuordnung des generikafähigen Arzneimittelmarkts

Von Cosima Kötting und Uwe May

Der Wettbewerb soll es in der Arzneiversorgung "richten". Die Idee ist ebenso einfach wie gut. Auch die neue Regierung hat sich vorgenommen, den Arzneimittelmarkt unter patienten- und mittelstandsfreundlichen sowie wettbewerblichen Kriterien effizient neu zu ordnen. Die Frage, die sich dabei stellt: Was konkret ist Wettbewerb in diesem Sektor und unter welchen Rahmenbedingungen kann er überhaupt seine positiven Kräfte entfalten? Eines wird immer deutlicher: Die Rabattverträge sind nicht die gesuchte Lösung. Patienten, Apotheker, Ärzte und Arzneimittelhersteller kritisieren unisono die medizinisch-pharmazeutischen wie auch die wirtschaftlichen Folgen des Systems. Das hier vorgeschlagene Erstattungspreis-Korridor-Modell könnte den Wettbewerb vollständig zur Geltung bringen und somit zu einer qualitativ hochwertigen und zugleich wirtschaftlichen Arzneimittelversorgung führen.

Die persönliche Affinität zu einem Präparat erhöht die Compliance des Patienten. Das Erstattungspreis-Korridor-Modell berücksichtigt diesen wichtigen Aspekt der Pharmakotherapie.
Foto: Bonviva

 

Der GKV-Arzneimittelmarkt steht aktuell unter dem beidseitigen Einfluss zentraler (z. B. Festbeträge) und selektivvertraglicher Steuerungsinstrumente (z. B. Rabattverträge). Dieser Regulierungsmix ist durch ein hohes Maß an Intransparenz und ordnungspolitischen Inkompatibilitäten charakterisiert. Vor diesem Hintergrund stellt die Deregulierung des GKV-Arzneimittelmarktes im Sinne einer Entbürokratisierung und einer stringenten ordnungspolitischen Neuausrichtung eine grundsätzliche gesundheitspolitische Forderung dar. Leitprinzipien des nachfolgend vorgeschlagenen Modells sind der nachhaltige Wettbewerb im Arzneimittelmarkt sowie größere Wahlfreiheiten und gestärkte Eigenverantwortung der Versicherten.

Rabattverträge zerstören Wettbewerb im Generikamarkt

Das "Scharfstellen" der Rabattverträge durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz erfolgte mit dem Ziel, den nunmehr beitragssatzgleichen gesetzlichen Krankenkassen ein Wettbewerbsinstrument an die Hand zu geben und so zugleich die Qualität und Effizienz der Arzneimittelversorgung durch wettbewerbliche Anreize zu steigern. Das Rabattvertragssystem im Arzneimittelmarkt ist jedoch weder auf der Herstellerebene noch auf der Ebene der Krankenkassen geeignet, dem Wettbewerbsprinzip nachhaltig Geltung zu verschaffen.

Auf der Herstellerebene bringen die Rabattverträge den im Generikamarkt bis dato funktionierenden Wettbewerb auf mittlere Sicht zum Erliegen. Anstelle der beabsichtigten Intensivierung des Wettbewerbs wird dem Geschäftsmodell Generika durch ruinösen Wettbewerb die Basis entzogen, da die Freiräume zur Preis- und Qualitätsdifferenzierung eliminiert werden. Als Folge dieser Entwicklung ist die Oligopolisierung des Generikamarktes absehbar [1]. So entstehen Marktkonstellationen, die weder aus gesamtgesellschaftlicher Sicht noch aus der Kassenperspektive wünschenswert sind. Diese Analyse wird auch ausdrücklich durch das Bundeskartellamt geteilt [2].

Die Funktionsfähigkeit des angestrebten Wettbewerbs zwischen den Krankenkassen setzt hingegen voraus, dass die Wettbewerbsparameter von den Versicherten wahrnehmbar und bewertbar sind und so zum Kriterium ihrer Kassenwahl werden können. Dies gilt – wie Untersuchungen belegen – für die Beitragssatzhöhe und Prämien sowie für verschiedene (nicht immer sinnvolle) Serviceangebote der Kassen. Dagegen sind souveräne Konsumentenurteile über die inhaltliche Qualität von Rabattverträgen bzw. rabattierten Arzneimittelsortimenten keinesfalls zu erwarten. So würden nur drei Prozent der Versicherten die Rabattverträge der Krankenkassen zum Kriterium ihrer Kassenwahl machen [3]. Eine Kontroll- und Steuerungswirkung ist vor diesem Hintergrund nicht zu erwarten. Die Folge ist ein Marktversagen, das sich durch mangelnde Qualitätsorientierung und fehlende Nachhaltigkeit der Rabattvertragspolitik der Krankenkassen offenbart.

Rabattverträge gefährden Therapiequalität und -vielfalt

Nicht weniger wichtig als die ökonomischen Folgen sind die Auswirkungen des Rabattvertragssystems auf die Versorgungsqualität. Kurzfristig sind hier zuvorderst die Complianceprobleme der Patienten anzuführen: Mehrere wissenschaftliche Studien zeigen übereinstimmend, dass die Umstellung auf (andere) Rabattarzneimittel vielen Patienten Probleme bereitet [4]. Genannt werden hier unerwünschte Arzneimittelwirkungen, aber auch Beeinträchtigungen der therapeutischen Wirkung. Rechenbeispiele und Studien zeigen zudem die bedeutende gesundheitsökonomische Größenordnung einer Non-Compliance auf, wie sie das Rabattvertragssystem vielfach induziert hat [5].

Mittel- bis langfristig kommen weitere Auswirkungen des Rabattvertragssystems hinzu. Schon im Zuge der oben angesprochenen Oligopolisierung führt die Fokussierung auf den Preis als einzigen Wettbewerbsparameter zu einer abnehmenden Qualitätsorientierung sowohl beim aktuellen Sortiment als auch bei generischen Weiterentwicklungen. In der Endphase dieser Entwicklung haben die übrig gebliebenen Hersteller weder Anreize noch den finanziellen Spielraum, um ein therapeutisches Angebot auf höchstem Niveau aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. Nicht zuletzt bedeutet die Oligopolisierung auch eine Einschränkung der therapeutischen Vielfalt.

Erstattungspreis-Korridor-Modell: Raum für Wettbewerb und Therapievielfalt

Vor diesem Hintergrund wird hier ein Modell vorgestellt, das einen unter therapeutischen und wettbewerblichen Aspekten zu definierenden Korridor für die GKV-Erstattungspreise etabliert, in dem sich ein funktionsfähiger generischer Wettbewerb entfalten kann. Durch politische Vorgaben an die Methodik kann für die GKV die – mindestens – ausgabenneutrale Umstellung vom derzeitigen System auf das Erstattungspreis-Korridor-Modell sichergestellt werden.

Das Erstattungspreis-Korridor-Modell greift den auf der freien Preisbildung der Hersteller beruhenden Wettbewerbsgedanken auf und stellt diesen in den Vordergrund. Dabei werden bestimmte Vorkehrungen getroffen, um Marktmängel, die im Rabattvertragssystem auftreten, zu korrigieren. Als Instrument hierzu dient ein Erstattungspreis-Korridor, der an der unteren Preisgrenze den ruinösen Folgen eines extremen Preiswettbewerbs begegnet und an der oberen Preisgrenze (im Sinne eines optimierten Festbetrags) den Einsparzielen von Politik und Krankenkassen gerecht wird (Abb. 1).

Eine an die Erfordernisse des Generikamarktes angepasste, kategorisierende Arzneimittel-Evaluation dient in diesem Modell dazu, die Grenzen des GKV-Erstattungspreis-Korridors zu definieren. Unterschiedliche Niveaus von GKV-Erstattungspreisen zwischen Präparaten innerhalb eines Anwendungsbereichs können durch Unterschiede im Nutzen der Arzneimittel legitimiert sein. Der Nutzenbegriff umfasst therapeutische und pharmakoökonomische Eigenschaften, wobei z. B. auch Compliance und Patientenzufriedenheit Berücksichtigung finden (s. Textkasten).

Beispiele für Nutzenunterschiede

Primär: Heilungsraten, Lebensverlängerung, Verbesserung der Symptomatik, Verhinderung schwerer UAW.

Sekundär: Patientenzufriedenheit, Darreichungsform/Compliance, pharmakoökonomische Aspekte, andere UAW.

Diese Vorgehensweise tritt innerhalb der Indikationsbereiche einer "Gleichmacherei" von Arzneimitteln entgegen. Sind die Präparate in ihrem Nutzen identisch, so können Preisunterschiede in begrenztem Umfang durch wettbewerbspolitische Aspekte oder den Wert therapeutischer Wahlmöglichkeiten begründet sein. Liegt der Preis eines Präparates oberhalb des GKV-Erstattungspreis-Korridors, muss der Patient die Preisdifferenz zuzahlen, wenn er dieses Präparat wünscht. So kann er durch die Zuzahlung seine Wahlfreiheit vergrößern.

Umsetzbarkeit belegt

Eine Machbarkeitsstudie unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Jürgen Wasem, Universität Duisburg-Essen, hat die praktische Anwendbarkeit und einfache Umsetzbarkeit des Erstattungspreis-Korridor-Modells im generikafähigen Marktsegment sowohl unter dem Aspekt eines vertretbaren Zeit- und Ressourcenaufwandes als auch mit Blick auf die inhaltlichen Konsequenzen belegt [6].

Vorteile gegenüber dem heutigen System

Der langfristige Vorteil des Erstattungspreis-Korridor-Modells gegenüber dem Rabattvertragssystem liegt darin, dass es die oben beschriebenen Risiken, die aus der Zerstörung der wettbewerblichen Strukturen und der Reduzierung von Therapievielfalt und Versorgungsqualität resultieren, vermeidet. Aus fiskalischer Sicht setzt es den "Scheineinsparungen" des Rabattsystems, die durch verschiedene Folgekosten aufgezehrt werden (Abb. 2), echte Effizienzsteigerungen und daraus resultierende Einsparpotenziale für die GKV entgegen.

Gegenüber dem heutigen Festbetragssystem stellt das Erstattungspreis-Korridor-Modell eine Weiterentwicklung dar, weil es die bislang eher undifferenzierte Fortschreibung der gegebenen Preisverhältnisse am Markt durch nutzenbasierte, rationale Kriterien über die Höhe der Erstattungspreise ersetzt. Zudem macht es den Generikamarkt transparenter. Dadurch, dass Nutzenkriterien einen Einfluss auf die Preisbildung und die Nachfrage der Präparate erhalten, werden Ärzte und Hersteller motiviert, die Arzneitherapie zu verbessern. Die Struktur des Erstattungspreis-Korridor-Modells ist mit unterschiedlich großen Einsparvolumina – die auch über das Festbetragssystem hinausgehen können – vereinbar.

Für die Apotheke bringt das Erstattungspreis-Korridor-Modell aus heilberuflicher wie betriebswirtschaftlicher Sicht Vorteile mit sich: Der Zeit- und Verwaltungsaufwand, der mit dem Rabattsystem einhergeht, entfällt, während die Arzneimitteltherapie patientengerechter und mit verbesserter Compliance umgesetzt werden kann.

Internet

Das ungekürzte Methodenpapier der Autoren [7] steht als Anhang der Machbarkeitsstudie [6] im Internet: www.mm.wiwi.uni-due.de/aktuelles, 4. Nov. 2009

Quellen 

[1] Greß S, Kötting C, May U, Wasem J. Rabattverträge in der gesetzlichen Krankenversicherung – Auswirkungen einer Oligopolisierung des generikafähigen Arzneimittelmarkts. Gesundheitsökonomie und Qualitätsmanagement 2009;14: 237-242; DOI 10.1055/s-0028-1109188.

[2] Heitzer B. Prinzipien des Wettbewerbs im Gesundheitswesen aus Sicht des Bundeskartellamtes. Rede anlässlich der 54. Jahresversammlung des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller e.V. am 24. September 2008 in Berlin; www.bah-bonn.de/index.php?id=821.

[3] Institut für Demoskopie Allensbach. Selbstmedikation und GKV. Was die Bevölkerung wirklich will. 55. Jahresversammlung des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller e.V. am 16. September 2009 in Bonn; www.bah-bonn.de/index.php?id=821.

[4] WIdO. Arzneimittelrabattverträge der AOK. Pressemitteilung vom 6. Mai 2009.

[5] WHO. Adherence to long-term therapies: evidence for action. World Health Organization, 2003.

[6] Aidelsburger P, et al. Festlegung von Erstattungspreisen für Arzneimittel zur Behandlung der Gastroösophagealen Refluxkrankheit. Universität Duisburg-Essen, 2009; www.mm.wiwi.uni-due.de/aktuelles, 4. Nov. 2009.

[7] Kötting C, May U. Erstattungspreis-Korridor-Modell für den Deutschen Generikamarkt. Anhang zu [6]. 

 


Autoren

Cosima Kötting, BAH, Abteilung Arzneimittel in der GKV,
koetting@bah-bonn.de

 

Dr. Uwe May, BAH, Abteilungsleiter Gesundheitsökonomie und Grundsatzfragen Selbstmedikation; may@bah-bonn.de

 

Bundesverband der Arzneimittelhersteller e.V. – BAH, Ubierstraße 71 – 73, 53173 Bonn

 

 

Abb. 1: Korridor der GKV-Erstattungspreise im Generikamarkt (grün) nach [7].
Abb. 2: Einsparungen versus ­Folgekosten von Rabattverträgen – schematische Darstellung nach [7].

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