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Individualität, Differenzierung und ein bisschen "magic"

FRANKFURT (diz). Kaum eine Zeit in der Geschichte der deutschen Apotheke, in der die Apotheke mit so vielen Veränderungen konfrontiert war und vor so vielen Umstrukturierungen stand. Während neoliberale Kräfte das bewährte System der Apotheke mit Fremd- und Mehrbesitzverbot aufheben wollen, um Konzernen den Zutritt zum Apothekenmarkt zu ermöglichen und sich für einen ungehemmten Wettbewerb einsetzen, kämpfen die Apotheker heftig dagegen, da sie von der heutigen Struktur überzeugt sind. Wie entwickelt sich die Apotheke weiter? Wo liegt die Zukunft der Apotheke? In einem von der Stada initiierten Round-Table-Gespräch zum Thema "Zukunft der Apotheke" diskutierten Apotheker sowie Markt- und Marketingexperten in kleinem Kreis über die Zukunft und über das Zukunftsbild der Apotheke. Das Round-Table-Gespräch war ein Vorgespräch zum "1. Stada Apothekium Zukunftskongress", der vom 19. bis 30. Januar 2009 in verschiedenen Städten stattfinden wird.
Zukunftsangst ist fehl am Platz Ein engagierter Apotheker, der einen "guten Job" macht, wird auch in Zukunft erfolgreich sein. Beim Stada-Round-Table-Gespräch: Jens-Peter Schütz, Stadapharm-Geschäftsführer, und Peter Ditzel, DAZ-Chefredakeur.

Fotos: ballcom

Keine Frage, wer heute eine Apotheke erfolgreich betreiben will, darf sich nicht nur darauf berufen, die Bevölkerung ordnungsgemäß mit Arzneimitteln zu versorgen, so Jens-Peter Schütz, Geschäftsführer der Stadapharm. Zu einer gewinnbringenden Apothekenführung gehört es heute mehr denn je, aktiv zu sein, neue Wege zu gehen. Die Apotheke muss pharmazeutisch und betriebswirtschaftlich gut aufgestellt sein. Und sie sollte eine eigene individuelle Positionierung aufbauen. Dann wird sie sich in den Köpfen der Kunden und Patienten als lokale Marke verankern. Aufgrund eines großen Wettbewerbsdrucks wird dies nicht immer einfach sein, deshalb braucht ein erfolgreicher Apotheker auch Durchhaltevermögen. Zukunftsangst ist fehl am Platz. Für Schütz zeigt es sich deutlich: Ein engagierter Apotheker, der die Zukunft kreativ und mutig angeht, kurz gesagt "einen guten Job macht", wird erfolgreich überleben.

Chancen in der Differenzierung

Schütz ist überzeugt: Die Chancen der inhabergeführten Apotheke liegen in der Differenzierung über einen guten Service: "Ziel der Stada ist es, die Positionierungs- und Differenzierungsmöglichkeiten herauszuarbeiten. Die Kampagne ‚Alles Gute ist Beratung‘ setzt daher auf die Kernwerte der Apotheke: Beratung, Engagement, Innovation, Tradition und Qualität. Jetzt muss diese Kampagne mit Inhalten aufgeladen werden. Dafür sucht die Stada den Dialog mit den Apotheken, um die Zukunft zu gestalten."

Eine Möglichkeit zur Differenzierung bietet das wissenschaftlich fundierte Präventionsprojekt, das die Stada 2009 startet: Die PROCAM- oder auch Münster-Studie, geleitet von Professor Assmann, wird die größte Präventionsstudie Europas, die zweitgrößte Studie der Welt. Hierfür werden in Zusammenarbeit mit Apotheken drei Millionen PROCAM-Scores aus der Bevölkerung gesammelt, die Auskunft geben können über das Risiko des Einzelnen, an einer der drei großen Volkskrankheiten – Schlaganfall, Herzinfarkt, Diabetes – zu erkranken. Die Studie benötigt das pharmazeutische Knowhow der Apotheker und ermöglicht es, die Apotheke als Ort der Salutogenese zu positionieren. Die Apotheke zeigt, dass sie für weit mehr zuständig ist als nur für die Versorgung mit Arzneimitteln.

Teilnehmer am Round-Table-Gespräch

Jens-Peter Schütz, Geschäftsführer Stada GmbH und Stadapharm GmbH
Malte W. Wilkes, Vorstand und Marketingexperte des IFAM Instituts, Düsseldorf
Peter W. Ditzel, Chefredakteur und Mitherausgeber Deutsche Apotheker Zeitung
Axel Boos, Apotheker, Engel-Apotheke, Darmstadt
Holger Seyfarth, Apotheker, Arnsburg Apotheke, Frankfurt
Oliver Giehl, Apotheker, Brunnen Apotheke, Dreieich

Apothekenzukünfte

Unterstellt man, dass die Zukunft die Individualapotheke ist, sieht Marketingexperte und Zukunftsdenker Malte W. Wilkes mehrere Zukünfte. Ausgehend vom einzigen Existenzgrund, den die Apotheke hat, nämlich Sicherheit im Arzneimittelverkehr zu gewährleisten, muss ein Mehrwert hinzukommen, um sich im Markt erfolgreich zu positionieren. Er muss sich entscheiden, ob er sein Plus aus Tagesbedürfnissen definiert oder aus einem langfristigen Basistrend. Solche Basistrends könnten der technologische Fortschritt sein (z. B. Telemedizin, Teleinformation, Chips mit Ortung von Patienten), Dienstleistungen und Informationen, Beratung bei der Auswahl der Professionen (Heilpraktiker, Physiotherapeut, Apotheker) oder die Prävention.

Die Apotheke von Morgen gestalten

Den Weg hin zur "individuellen Individualapotheke" ist Apotheker Oliver Giehl, Brunnen Apotheke, Dreieich, schon immer gegangen. Er investiert in sein Personal und betreut seine Kunden individuell nach dem Motto "Wir nehmen uns Zeit für Sie". Er positioniert sich mit seiner Apotheke nicht billig, sondern setzt auf Qualität. Um gegen Ketten bestehen zu können – so sie denn kommen –, konzentriert er sich auf Qualität. Soziale Kompetenz und präventive Beratung gehören für ihn dazu. Wenn die Qualität dieser Leistungen gut ist, wird der Kunde auch bereit sein, mehr dafür zu bezahlen, so sein Credo.

Die Zukunft der Apotheke liegt in der Individualisierung – davon ist auch Apotheker Holger Seyfarth, Arnsburg Apotheke, Frankfurt überzeugt. Egal wie das individuelle Konzept aussieht: Entscheidend ist für ihn, dass es erfolgreich ist! Eine Möglichkeit der Abgrenzung sieht er in der Etablierung von Mikronetzwerken mit kleinen Fachgeschäften (Optiker, Hörgeräte-Spezialisten). Eine pharmazeutische Sprechstunde bringt zwar kein Geld, ist aber gut für das Image und könnte von Ketten so nicht geleistet werden.

Ob ein Wandel vom Apotheker zum Gesundheitsmanager für eine Neupositionierung der Apotheke wirklich nötig ist – diese Frage stellt sich Apotheker Axel Boos, Engel-Apotheke in Darmstadt. Laut Umfragen erwartet der Kunde gute Sortimente, gute Beratung und einen guten Preis in der Apotheke. Boos wörtlich: "Ich glaube schon, dass man beim Preis dagegen halten kann."

Andererseits ist der Preis nicht immer das Wichtigste: "Sonst müsste der Billigste immer auch der Marktführer sein", so Malte W. Wilkes. "Selbst ein Lebensmittel-Einzelhändler kann überleben, obwohl direkt neben ihm ein Aldi eröffnet, wenn er sich spezialisiert."

"Ich brauche nicht 100% Freunde, sondern 30% Marktanteil"

Grundvoraussetzung für die Differenzierung der Individualapotheke ist laut Wilkes die Innovation, was auch Preiskampf bedeuten könnte. Dann zerstört man bewusst den Markt des anderen. Marketingexperte Wilkes: "Der zentrale Satz dabei: Ich brauche nicht 100% Freunde, sondern 30% Marktanteil!" Im Übrigen, so ist Wilkes überzeugt: "Der Wettbewerb fängt nicht mit der Kette an, der Wettbewerb ist schon da. Aber er wird heute noch nicht gelebt."

Der Apothekenmarkt steht erst am Anfang einer neuen Entwicklung, so Peter Ditzel, Chefredakteur der Deutschen Apotheker Zeitung: "Das Karussell dreht sich so rasant wie noch nie. Der Ideenwettbewerb hat gerade erst begonnen. Kooperationen mit Premiumanspruch wollen sich genauso den Markt erobern wie Discount-Apotheken und andere Konzepte. Jetzt ist es höchste Zeit, sich auf seine Stärken zu konzentrieren und eine Strategie daraus zu bauen!"

Für Oliver Giehl ist es ärgerlich, dass das Thema Verbraucherschutz im pharmazeutischen Bereich immer mehr an Bedeutung verliert. Dabei ließe sich mithilfe der Apotheke im Gesundheitswesen durchaus Geld einsparen. So könnte man Apotheker beispielsweise gezielt in bestimmten Indikationsbereichen ausbilden.

Überlebenschancen sieht Boos auch in einer Vergrößerung der Apotheke. Seine Überzeugung: die Filialisierung voll ausschöpfen. Außerdem hilft der Anschluss an eine Apotheken-Kooperation, um an vernünftige Einkaufskonditionen zu kommen.

Auch Seyfarth geht davon aus, dass nur größere Apotheken überleben werden: "Wenn der letzte Mietvertrag ausgesessen ist, werden viele kleine Apotheken sterben."

Die bisherigen Konzepte – Wohlfühlapotheke, Diabetesapotheke etc. – waren eigentlich keine richtige Positionierung, so Wilkes. Hier wurden eher innerhalb einer Apotheke Nischen ausprobiert. Man wird durchhalten müssen – Disziplin und Konsequenz gehören zu einer stabilen, langfristig ausgerichteten Positionierung dazu. Auch Aldi war nicht von vorneherein erfolgreich. Das Konzept wurde immer wieder angepasst.

Was erwartet der Kunde von der Apotheke?

Wilkes: "Der Kunde der Zukunft erwartet von der Apotheke das Gleiche wie von jedem anderen Laden auch: das, was er aktuell gerade braucht." Dieser Kunde kauft heute bei Amazon ebenso wie morgen im Buchladen um die Ecke. Er deckt Tagesbedürfnisse und Basisbedürfnisse ab. Ziel muss sein, dass er mehr beim Buchladen kauft als bei Amazon. Die Bedürfnisse sind dabei nicht nur preisorientiert, sondern auch emotional.

Jeder Patient, der eine Arztpraxis verlässt, ist aus Kostengründen oftmals unterversorgt, so Giehl. Der Apotheker kann ihm eine Fürsorge zuteil werden lassen, die er beim Arzt vermisst. Hinzu kommt, so Boos, dass viele Kunden immer besser informiert sind, beispielsweise durch Recherchen im Internet. Die Apothekenmitarbeiter sollten offen damit umgehen und gemeinsam mit dem Kunden eine Lösung für sein Problem suchen.

Trend: Erlebniskauf – funktioniert das auch in der Apotheke? Ja, so Seyfarth, wenn die Ware in der Apotheke entsprechend präsentiert wird. Aktionstage können den Einkauf zum Erlebnis machen. Wilkes ergänzte: Die Konzeption Erlebniskauf ist abhängig von der Basispositionierung. Wenn die stimmt, kann man weiter denken. Die Konzeption sollte sein: "Ein normaler Apotheker verkauft nur Pillen, ein guter Apotheker verkauft auch Hoffnung und Leben."

Dass die Apotheke in Zukunft einen Mehrwert anbieten muss, davon zeigt sich Ditzel überzeugt. Er muss eine Strategie dazu haben. Er kann sich beispielsweise als soziale Drehscheibe positionieren.

Das VIP-Konzept der Stada

Wie Schütz ankündigte, startet die Stada zur Unterstützung der inhabergeführten Apotheke in Kürze das VIP-Konzept. VIP steht dabei für "Very Important Pharmacy". Das Konzept besteht aus zwölf unterschiedlichen Bausteinen, die individuell zusammengestellt werden können. Angeboten werden beispielsweise Sonnenschutzseminare und Photosensibilitätstests der Haut in der Apotheke. Es wird Promotionteams geben, durch die die Apotheke zum Stadtteil- oder Stadtgespräch wird, beispielsweise durch Rückenmassagen, Augeninnendruckmessung oder mithilfe der Wii Playstation. Mit einer Teilnahme an der PROCAM-Studie hat die Apotheke die Möglichkeit, Fragen zum Risiko, an einer der drei Volkskrankheiten zu erkranken, wissenschaftlich fundiert zu beantworten. Mit dem Modul "Audimax" will Stada PTAs die Möglichkeit geben, zu lernen, wie man einen Kunden erkennt, der über den Preis sprechen möchte, oder einen Kunden, der auf Qualität setzt, oder einen, der etwas über Studien hören will.

Aus Sicht von Wilkes fehlt dem Apotheker Hilfestellung bei der Entwicklung eines auf sich selbst bezogenen strategischen Konzepts, das auf Vorhandenem basiert, sozusagen einen bankenfähigen Businessplan.

Die angebotenen Marketingstrategien sollten allerdings nicht zu kompliziert sein. Deshalb, so Schütz, kann der Apotheker beim VIP-Konzept auswählen, was zu ihm passt.

Die Apotheke als magischer Ort?

Ist die Apotheke mehr als nur irgendein Geschäft, ist sie ein magischer Ort und der Apotheker eine mythische Figur? Nein, sagt Giehl: "Unser Ziel ist es, den Kunden zum Freund zu machen, und wenn er ein schlechtes Gewissen hat, wenn er woanders kauft, haben wir gewonnen." Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen daher in seiner Apotheke nicht den weißen Kittel tragen. Damit komme man dem Kunden auf seiner Ebene entgegen.

Dagegen meint Ditzel, dass der Apotheke nach wie vor eine gewisse Magie anhaftet, aber keineswegs so stark wie früher. Für ihn steht und fällt das Magische und Mythische einer Apotheke mit dem Charisma des Apothekers. Die Apotheke von heute muss modern sein, eine Art Gesundheitszentrum, in dem sich der Kunde gut aufgehoben fühlt, in dem er seine persönlichen Bedürfnisse erfüllt bekommt. Charisma, Kommunikation und Freundlichkeit gehören neben der Kompetenz zu den wichtigsten Faktoren.

In den Augen von Seyfarth hat der Apotheker Macht und Verantwortung: "Und wenn wir uns dieser Verantwortung stellen, kommt so schnell keiner an uns ran."

Und für Schütz ist die Apotheke mehr "magic" als magisch, denn die Apotheke ist nach wie vor ein besonderer Ort. "Aber", so Schütz, "das muss auch positiv aufgeladen und individuell gelebt werden."

Geschäftsidee: Basistrends aufnehmen! Malte W. Wilkes, Marketingexperte und Zukunftsdenker, IFAM Institut
Man kann beim Preis dagegen halten – der Preis ist aber nicht immer das Wichtigste: Axel Boos, Engel-Apotheke Darmstadt
Baut Mikronetzwerke auf: ­Holger Seyfarth, Arnsburg Apo- theke, Frankfurt

Geht den Weg zur "individuellen Individualapotheke": ­Apotheker Oliver Giehl, Brunnen-Apotheke Dreieich

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