Umwelt

Klimawandel und Gesundheit

Das Weltklima ändert sich. Jüngste Ergebnisse einer Studie des Umweltbundesamtes und des Max-Planck-Institutes für Meteorologie Hamburg zeigen: Auch in Deutschland ist bis zum Jahr 2100 mit einer mittleren Temperaturerhöhung von etwa 3 °C zu rechnen. Doch welche Auswirkungen könnten die prognostizierten Klimaveränderungen für die Volksgesundheit in Deutschland haben? Und welche Strategien bestehen oder müssen erarbeitet werden, um die Risiken zu beherrschen? Kein Thema für die Zukunft, sondern schon jetzt eine Herausforderung für das gesamte Gesundheitswesen und die Gesundheitspolitik, für Apotheker und Ärzte.
Abb. 1: Beispiele für direkte und indirekte Folgen des Klimawandels auf die Gesundheit [6].

Um den menschlichen Einfluss auf das Klima genauer zu analysieren und wissenschaftliche Grundlagen für politische Entscheidungsträger zu schaffen, haben zwei UN-Organisationen, das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP, United Nations Environment Program) und die Weltorganisation für Meteorologie (WMO, World Meteorological Organization), im Jahr 1988 das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ins Leben gerufen. Das IPCC erstellt regelmäßige Zusammenfassungen aktueller Forschungsergebnisse, um die Formulierung von Zielen für die globale Umweltpolitik, wie z. B. das Kyoto-Protokoll, zu unterstützen. Im Jahr 2007 erhielt die Organisation gemeinsam mit dem ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore den Friedensnobelpreis.

Die im 4. Sachstandsbericht des IPCC im Jahr 2007 vorgestellten Beobachtungen und Messungen lassen kaum Zweifel, dass das Klima sich ändert (s. Kasten) [1, 2]. Dies wird anhand verschiedener Szenarien erläutert, denen unterschiedliche Entwicklungen der Weltwirtschaft, des Bevölkerungswachstums und anderer Faktoren zugrunde liegen. In den jeweiligen Szenarien entwickeln sich die Emissionen, hauptsächlich von CO2 und SO2 , im Laufe des 21. Jahrhunderts unterschiedlich. Sie bewirken durch zahlreiche Wechselwirkungen Veränderungen des globalen und regionalen Klimas. Das IPCC kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass selbst bei einer Stabilisierung der Treibhausgas-Konzentrationen bis zum Jahr 2100 das Klima sich noch danach ändern und dass insbesondere der Meeresspiegel weiter steigen wird.

Indizien des Klimawandels laut IPCC

  • Die globale Erwärmung und der Meeresspiegelanstieg haben sich beschleunigt, ebenso das Abschmelzen der Gletscher und Eiskappen. In den letzten 100 Jahren hat sich die Erde im Mittel um 0,74 °C erwärmt. Elf der letzten zwölf Jahre (1995–2006) waren unter den zwölf wärmsten Jahren seit Beginn der Beobachtungen.

  • Es gilt als "gesicherte Erkenntnis", dass im weltweiten Durchschnitt menschliches Handeln seit 1750 das Klima erwärmt hat – vorrangig durch den Verbrauch fossiler Brennstoffe, die Landwirtschaft und eine geänderte Landnutzung. Das heutige Niveau der Treibhausgase liegt deutlich höher als in den letzten 650.000 Jahren.

  • Regionale Klimamuster ändern sich, z. B. Temperatur und Eisbedeckung in der Arktis, Niederschläge, vorherrschende Winde.

  • Extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen, Dürren, heftige Niederschläge sind häufiger geworden und die Intensität tropischer Stürme hat sich erhöht. [1, 2]

REMO: Deutschland in Quadern

Für Deutschland hat das Max-Planck Institut für Meteorologie in Hamburg (MPI-M) im Auftrag des Umweltbundesamtes nun einen Bericht zu Klimaauswirkungen und Anpassung in Deutschland erstellt [3]. Die Autoren gingen in drei Szenarien davon aus, dass die weltweiten Emissionen von Treibhausgasen aus Autos, Kraftwerken und Fabriken nur allmählich sinken. Die Szenarien orientieren sich an Bevölkerungswachstum, politischen Gegebenheiten, Wirtschaftswachstum sowie technologischem Wandel. Zur Berechnung der Klimadaten benutzte das MPI-M insbesondere das dreidimensionale hydrostatische regionale Klimamodell REMO (Regional Model). REMO ist aus dem Europa-Modell des Deutschen Wetterdienstes hervorgegangen und bildet die Fläche Deutschlands als Gitternetz mit Quadern aus 10 × 10 km Grundfläche und 100 m Höhe ab. Für jeden dieser Quader ermittelte das Rechenmodell für alle 30 Sekunden bis zum Jahr 2100 verschiedene Wettergrößen, z. B. Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Windstärke. Durch das enge Gitternetz können diese Faktoren im Vergleich zu den globalen Modellen des IPCC bis zu 20-mal genauer wiedergegeben werden.

Risiken und Chancen des Klimawandels

Risiken
  • sinkende Grundwasserspiegel im Sommer

  • erhöhte Waldbrandgefahr

  • Zunahme hitzebedingter Krankheiten

  • Gefährdung der Kühlung von Kraftwerken im Sommer
  • größere Hochwassergefahr durch Starkniederschläge

  • Auswirkungen auf Pflanzen und Tiere (veränderte Wachstumsbedingungen, Schädlingsbefall)

  • Ausbreitung von wärmeliebenden Tier- und Pflanzenarten (z.B. Anopheles-Mücken, Beifuß-Ambrosie)

Chancen

  • höhere Ernten in der Landwirtschaft (z. B. Weinbau)

  • Anbau neuer Pflanzenarten

  • weniger kältebedingte Krankheiten

  • mehr Sommertourismus, insbesondere an der Küste

Deutschland mit Mittelmeerklima?

Nach den Berechnungen des MPI-M soll im Jahresmittel die Temperatur in Deutschland bis zum Jahr 2100 um 2,5 bis 3,5 °C ansteigen – abhängig von den Emissionen der Treibhausgase. In den Wintermonaten soll die Temperaturzunahme im Süden und Südosten sogar über 4 °C betragen. Im Sommer ist in ganz Deutschland von einer Erwärmung in den Sommer- und Herbstmonaten auszugehen, wohingegen die Frühlingsmonate kaum wärmer werden sollen. Hitzewellen wie vor fünf Jahren soll es ebenfalls alle paar Jahre geben.

Der Jahresniederschlag in ganz Deutschland soll sich zwar nicht wesentlich ändern, aber saisonal und regional sind Änderungen zu erwarten: Während im Sommer vor allem im Süden, Südwesten und Nordosten bis zu 30% weniger Regen fällt, sind im Winter insbesondere in den südlichen und südwestlichen Mittelgebirgen und an den Küsten bis zu 30% mehr Niederschlag zu erwarten. Wegen der höheren Temperaturen schneit es seltener, und wo sich noch eine Schneedecke bildet, schmilzt sie im Frühjahr schneller ab. Keine gute Nachricht für Wintersportler!

Von einem Mittelmeerklima in Deutschland sind diese Prognosen zwar weit entfernt. Dennoch: "Diese schnellen und tief greifenden Veränderungen des Klimas in Deutschland können gravierende Folgen für die Menschen und die Umwelt haben", so das Fazit der Forscher. Die Veränderungen können Risiken für die Menschen darstellen oder auch Chancen eröffnen (s. Kasten). Wesentlich größer als die Auswirkungen der "schleichenden" Klimaänderungen sind allerdings die Schadenspotenziale extremer Wetterereignisse wie Hitzewellen, Starkniederschläge und Stürme.

Wie robust sind die Daten?

Für ein Zutreffen der MPI-M-Prognosen gibt es keine Garantie. Auf die unsichere Robustheit der Daten und der Klimamodelle weisen die Forscher selbst hin. Vertrauen in ihre Prognosen ziehen die MPI-M-Forscher daraus, dass sie ihr Modell mit der Klimaentwicklung der Vergangenheit abgeglichen haben. Letztlich ist REMO das bisher genaueste zur Verfügung stehende Modell. Eine präzisere Kalkulation der Klimafolgen liegt bislang in keinem anderen Land vor.

Gesundheitliche Auswirkungen des Klimawandels

Ob die beobachteten Klimaveränderungen vom Menschen verursacht wurden oder beeinflusst werden können, darüber gibt es unterschiedlichste Meinungen. Eines aber ist klar: Ändert sich das Klima – und darauf deuten mittlerweile vielfältige Indizien hin –, so werden die Folgen gravierend sein. Ein Themenfeld, das von vielen Betrachtern der Materie in diesem Zusammenhang nicht sofort wahrgenommen wird, sind die Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen. Sie werden alle Länder unabhängig von ihrem sozioökonomischen Entwicklungsstand betreffen, und zwar umso schlimmer, je weniger diese darauf vorbereitet sind. Beispiele dazu gibt es bereits: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) macht die unzureichende Vorbereitung der Gesundheitssysteme auf die Hitzewelle 2003 mit verantwortlich für die 22.000 bis 35.000 – nach anderer Schätzung bis zu 70.000 – zusätzlichen Sterbefälle in Westeuropa. Besonders alte und kranke Menschen litten unter den lang anhaltenden hohen Temperaturen in der ersten Augusthälfte. In Deutschland gab es nach vorsichtigen Schätzungen des Deutschen Wetterdienstes 7000 vorzeitige Sterbefälle, davon 2000 allein in Baden-Württemberg [5]. Im Lichte dieser Zahlen und Aussagen erscheint es wichtig, Vorsorge gegen die negativen Auswirkungen künftiger klimabedingter Ereignisse auf die Gesundheit zu treffen.

Direkte und indirekte Auswirkungen

Es gibt direkte und indirekte Auswirkungen von Klimaveränderungen auf die menschliche Gesundheit (Abb. 1) [6]. Die direkten Auswirkungen reichen von (positiven oder negativen) Änderungen des Wohlbefindens bis zu vermehrten Krankheiten und erhöhter Sterblichkeit. Dazu gehört auch, dass die häufigeren Wetterextreme wie Dürren, Stürme, Sturmfluten, Überschwemmungen, Lawinen oder Erdrutsche das Leben und die Gesundheit vieler Menschen bedrohen. Deswegen befürchten manche Experten, dass man den Klimawandel möglicherweise bald eher an der Zahl der Toten als am Thermometer ablesen könnte.

Zu den indirekten Auswirkungen von Klimaveränderungen zählen der Einfluss des Klimawandels auf bestehende Ökosysteme, die Verfügbarkeit von Trinkwasser, die Reinheit der Luft und die Höhe des Meeresspiegels. Die Folgen für den Menschen sind vielfältig und bislang kaum überschaubar. Im Hinblick auf die menschliche Gesundheit ist hier neben möglicher Mangelernährung und qualitativ wie quantitativ unzureichender Trinkwasserversorgung insbesondere die Ausbreitung von Infektionskrankheiten zu berücksichtigen, vor allem solcher, die durch Tiere übertragen werden.

Hitze und Kälte

Ein enger Zusammenhang zwischen Außentemperatur und Mortalitätsrate besteht zweifellos. Dass Kältewellen sich durch eine erhöhte Sterblichkeitsrate auszeichnen, ist allerdings in Deutschland eher auf vermehrte Infektionen zurückzuführen als auf die Temperaturen selbst. Für die sommerliche Hitze, die ggf. noch durch Windstille, hohe Luftfeuchtigkeit und intensive Sonneneinstrahlung verstärkt wird, gilt hingegen eine direkte Korrelation zwischen Temperatur und Mortalität. Betroffen sind vor allem ältere Menschen und Kleinkinder sowie Patienten mit Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen. Deutlich stärker als auf dem Lande wirken sich solche Hitzewellen in urbanen Gebieten aus. Durch die Aufwärmung von Stein und Asphalt sowie die geringe Windgeschwindigkeit steigen die Temperaturen in Bodennähe, und nachts ist weniger mit Abkühlung zu rechnen.

Abgesehen von diesen Temperaturextremen haben auch Abweichungen in der Durchschnittstemperatur Einfluss auf die Sterblichkeit. Dabei sind die Temperaturen, bei denen die Sterblichkeit in der Bevölkerung jeweils am geringsten ist, regional unterschiedlich. Unterhalb und oberhalb dieser "optimalen" Temperatur nimmt die Sterblichkeit zu, und zwar vor allem bei den oben genannten Risikogruppen. Durch Adaptionsprozesse des Menschen an seine Umweltbedingungen beeinflussen Minustemperaturen in kalten Ländern die Sterblichkeitsstatistik weniger stark als in warmen Ländern; das Gegenteil gilt für warme Temperaturen. Daraus lässt sich ableiten, dass eine Temperaturzunahme von z. B. 3 °C in einer bestimmten Region bereits zu einer Erhöhung der Sterblichkeit führt, während diese in anderen Gebieten durch die Annäherung an die Optimaltemperatur sinkt (Abb. 2). Die Auswirkung auf die durchschnittliche Mortalität weltweit ist derzeit nicht vorhersehbar [7, 8].

Klimawandel und Vektor-assoziierte Krankheiten

  • Ausdehnung / Verschiebung der Verbreitungsgebiete von Tropenerkrankungen: Malaria, Dengue-Fieber, Gelbfieber, West-Nil-Fieber, Leishmaniose, Kala-Azar, Schistosomiasis, Chikungunya

  • Ausdehnung / Verschiebung der durch Zecken übertragenen Krankheiten: FSME, Lyme-Borreliose

  • Vermehrte Cholera-Infektionen bei Überschwemmungen, aber auch durch Überleben des Erregers in den Meeren (Badeurlaub!)

  • Vermehrt Salmonellosen durch höhere Temperaturen, aber auch vermehrte Übertragung durch Fliegen

Extremwetterereignisse

Extremwetterereignisse wie Dürren, Überschwemmungen, Stürme und Sturmfluten, Lawinen und Erdrutsche haben in den letzten Jahren objektiv und "gefühlt" zugenommen. Viele sind der Ansicht, dass dies eine Folge des anthropogenen Treibhauseffekts ist. Einen eindeutigen Beweis, dass tatsächlich auch für die Zukunft mit einer Zunahme solcher Ereignisse zu rechnen ist, gibt es bislang allerdings nicht. Auch das MPI-M hält sich nach den REMO-Berechnungen mit Aussagen hierzu noch zurück. Klar ist, dass solche Extremereignisse weitreichende Konsequenzen für das menschliche Leben und die menschliche Gesundheit haben können. Sie bringen nicht nur Tod und Verletzungen; bei einigen Ereignissen sind auch ihre indirekten Folgen, z. B. die Ausbreitung verschiedener Krankheiten (u. a. Cholera, Diarrhöen) durch verunreinigtes Trinkwasser nach Überschwemmungen oder die Zerstörung von Infrastruktur, zu berücksichtigen.

Tropenkrankheiten in Deutschland?

Die WHO schätzt vor allem Krankheiten, die durch verschiedene Tiere übertragen werden, als sehr bedrohlich ein. Dazu gehören Malaria, Meningoenzephalitis, Lyme-Borreliose und Dengue (s. Kasten). Während es in den Stammländern selbst bei einem Temperaturanstieg möglicherweise zu heiß für Erreger und Überträger wird, könnte sich das Verbreitungsgebiet tropischer Krankheiten nach Europa hin verschieben. Zu beachten ist dabei, dass die Aktivität sowohl von Krankheitserregern als auch von Vektoren bei höheren Temperaturen gesteigert sein kann. Bei Mücken etwa ist die Entwicklung vom Ei bis zur Imago in starkem Maße temperaturabhängig. Die Gefahren sind nicht zu unterschätzen, denn für viele der durch Mücken übertragenen Infektionskrankheiten stehen kaum Arzneimittel zur Verfügung. Zudem sind für viele Erreger Resistenzen nicht ungewöhnlich [9].

Malaria

Die für Malaria verantwortlichen Plasmodien überleben bei Temperaturen zwischen 15–19 °C und 33–39 °C. Arten der Anopheles -Mücke, die die Plasmodien übertragen können, sind in Europa seit Langem heimisch. Bei Plasmodium vivax , dem Erreger der Malaria tertiana, verringert sich die Sporozoitenreifung in der Mücke von 18 Tagen auf 10 Tage, wenn die Tagesdurchschnittstemperatur von 20 auf 25 °C steigt. Bei einer Lebensdauer von 25 Tagen bleibt einer heimischen Anopheles -Mücke, die z. B. einen Malaria-infizierten Touristen sticht, folglich mehr Zeit, den Erreger weiterzugeben [10]. Anschaulich wird dies, wenn man bedenkt, dass bereits heute in Mitteleuropa jedes Jahr Tausende solcher von Touristen eingeschleppten Malaria-Fälle auftreten. Findet der Parasit also in den heißen Sommermonaten günstige Lebensbedingungen, so könnte es regional zu Ausbrüchen von Malaria kommen. Das wäre auch kein Novum, denn die Krankheit trat schon früher in Deutschland auf (z. B. am Oberrhein) und war insbesondere in Italien häufig (italienisch "malaria" = schlechte Luft). Die Verbesserung der Wohnverhältnisse und die Trockenlegung von Feuchtgebieten halfen, die Malaria einzudämmen, doch von der Malaria befreit wurde Europa erst durch die großflächige Anwendung des Insektizids DDT nach dem Zweiten Weltkrieg.

Dengue-Fieber, Gelbfieber, West-Nil-Fieber

Während die Malaria eher in ländlichen Gebieten auftritt, kommt das Dengue-Fieber bevorzugt in Städten vor. Bis zu 5 Prozent der Erkrankten sterben daran. Kinder und Jugendliche sind stärker gefährdet, bei Kindern unter einem Jahr liegt die Todesrate sogar bei etwa 30%. Die Krankheit wird durch Aëdes aegypti (Gelbfiebermücke) oder Aëdes albopictus (Asiatische Tigermücke) übertragen, die bei Temperaturen oberhalb 12 °C lebensfähig sind.

Das saisonale Vorkommen von A. albopictus wird seit den 80er Jahren in einzelnen südeuropäischen Ländern gemeldet, z. B. in Italien und Albanien. Mittlerweile hat die Mücke auch die Alpen überquert: Im Herbst 2007 wurde ihr Vorkommen in Süddeutschland (bei Rastatt) und in der Schweiz (Aargau) gemeldet. Denkbar ist die sprunghafte Einschleppung solcher nicht-heimischer Arten insbesondere durch internationale Warentransporte. Gegen Dengue existiert bislang kein direkt wirksames antivirales Mittel, eine Impfung ist nicht möglich. Auch das Auftreten von Gelbfieber und West-Nil-Fieber in Deutschland ist nicht unwahrscheinlich; die jeweiligen Viren nutzen ebenfalls Aëdes- Mücken als Überträger.

Zecken als Vektoren

In hiesigen Breitengraden werden die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME, vor allem in Süddeutschland) und die Lyme-Borreliose von Zecken übertragen. Durch milde Wintertemperaturen erhöht sich die Überlebenswahrscheinlichkeit von Zecken und Wirtstieren, sodass im darauf folgenden Jahr bereits zu Beginn der Saison eine ansehnliche Zeckenpopulation vorhanden und damit das Infektionsrisiko für Menschen erhöht ist. So konnten nach milden Wintertemperaturen bereits Fälle von FSME in Schweden und in hochgelegenen Regionen Tschechiens nachgewiesen werden. Eine weitere Ausbreitung ist bei den prognostizierten höheren Wintertemperaturen wahrscheinlich. Zurückgehen könnten die Erkrankungen hingegen in Gebieten mit hohen Sommertemperaturen, da Zecken sehr empfindlich auf Hitze und Trockenheit reagieren.

Klimawandel und Gesundheitswesen

  • Krankenhausplanung, z. B. Bettenkapazitäten, Personalplanung, Ausrichtung von Krankenhäusern, Arzneimittellisten
  • Notfallplanung für klimatische Extremereignisse oder Extremtemperaturen, z. B. für Rettungsdienste, Krankenhäuser, Ärzte, Behörden, Polizei, Presse, Alten- und Pflegeheime
  • Überdenken der Produktionskapazitäten für benötigte Arzneimittel, z. B. Impfungen
  • Aus- und Weiterbildung von Ärzten und Apothekern
  • Schulung besonders gefährdeter Patienten, z. B. Senioren, Eltern von Kleinkindern, Patienten mit Erkrankungen der Atemwege und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Allergiker
  • Erforschung der Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Vektor-assoziierten Krankheiten

Allergien

Für Allergiker könnten sich durch den Klimawandel die Bedingungen in zweierlei Hinsicht verschlechtern. Zum einen ist zu erwarten, dass sich durch einen späteren Wintereintritt sowie einen früheren Frühling die Pollenflugsaison nochmals deutlich ausdehnen wird (sie hat sich in den letzten 30 Jahren bereits um durchschnittlich 10 bis 11 Tage verlängert). Zum anderen schafft das veränderte Klima günstigere Verbreitungsbedingungen für wärmeliebende allergene Pflanzenarten; dabei ist aber nicht ausgeschlossen, dass sich die Wachstumsbedingungen für bereits heimische allergene Pflanzen auch verschlechtern können.

Bestes Beispiel für eine allergene Pflanze, die sich in Deutschland ausbreitet, ist die Beifuß-Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia). Dieses in Nordamerika beheimatete und dort mit großem Aufwand bekämpfte Kraut blüht zwar schon seit dem 19. Jahrhundert vereinzelt in Deutschland, doch wird es erst in letzter Zeit vermehrt beobachtet und macht Allergikern in Italien und Frankreich schon zu schaffen [11]. Bereits geringste Pollenmengen reichen für eine Allergisierung. Zudem sind Kontaktallergien und auch Kreuzreaktionen mit anderen Korbblütlern möglich. Eine Studie, die die Auswirkungen des Klimawandels auf die Verbreitung der Ambrosie in Österreich untersuchte, kam zu dem Ergebnis, dass sich die von ihr besiedelbaren Flächen bis zum Jahr 2050 versechsfachen könnten. Je nach dem Temperaturanstieg im Sommer könnten sich bis zu 80% der Fläche Österreichs zu optimalen Habitaten für die Ambrosie wandeln – womit fast ausschließlich die Hochgebirgsregionen verschont würden [12]. Weiterhin scheint die Ambrosie bei einem höheren CO2 -Gehalt der Luft vermehrt Blüten und Pollen zu produzieren, was die Leiden der Allergiker noch verstärkt [13].

Das Wichtigste in Kürze

  • Bis zum Jahr 2100 soll in Deutschland die Durchschnittstemperatur um ca. 3 °C ansteigen.

  • Die Klimaveränderungen haben auch auf die menschliche Gesundheit erhebliche Auswirkungen.

  • In vielen Bereichen des Gesundheitswesens besteht Handlungs-, Planungs- und Forschungsbedarf, da sowohl schleichende Klimaveränderungen als auch Extremereignisse viele Todesopfer fordern können.

Auch positive Folgen?

Verschwiegen werden soll an dieser Stelle nicht, dass der Klimawandel in einigen Gebieten auch positive Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben könnte. So könnten in Deutschland bei wärmeren Herbst- und Wintermonaten die durch Kälte begünstigten Krankheiten wie Atemwegsinfekte, grippale Infekte oder Virus-Grippe abnehmen. Auch für einige Allergiker könnten höhere Temperaturen und Trockenheit von Vorteil sein, wenn sich dadurch etwa die Lebensbedingungen für bestimmte Schimmelpilze verschlechtern. Nach Einschätzung des IPCC werden aber insgesamt die negativen Folgen überwiegen [14].

Initiativen der WHO

Die vorliegenden Fakten und Modelle haben die WHO sensibilisiert und mobilisiert. Auf der 61. Weltgesundheitsversammlung (World Health Assembly, WHA) vom 19. bis 24. Mai 2008 in Genf wurde eine Resolution verabschiedet, die die Mitgliedstaaten zum Handeln aufruft [15]. Bereits zuvor hatte das für Europa zuständige Regionalbüro der WHO auf einer Konferenz in Bonn Handlungsoptionen der Mitgliedstaaten zum Thema Klimawandel ausgelotet [16]. Das WHO-Regionalkomitee für Europa hat auf seiner 58. Tagung in Tiflis vom 15. bis 18. September 2008 die WHA-Resolution mit Ansätzen für eine europäische Lösung diskutiert. Auch bei der nächsten Europäischen Ministerkonferenz der WHO zu Gesundheit und Umwelt wird der Klimawandel ein wichtiges Thema sein.

Die WHO und ihre regionalen Büros können aber letztlich nur Wege aufzeigen und Anregungen geben. Für die aktive Mitwirkung bei Programmen und die Umsetzung von Abwehrstrategien sind die einzelnen Staaten selbst gefordert, etwa bei der Katastrophenabwehrplanung oder beim (Hoch-) Wassermanagement. Gerade im Gesundheitswesen besteht Handlungsbedarf, bei dem auch die Apotheker in Offizin und Krankenhaus nicht außen vor bleiben sollten (s. Kasten). Selbst wenn der Klimawandel abstrakt und noch zeitlich weit entfernt erscheint – ein erneuter Hitzesommer wie 2003 oder ein regionaler Malariaausbruch sind keine Fiktion.

Fazit

Zwar mögen Klimamodelle wie REMO mit vielerlei Unsicherheiten behaftet sein. Da sie jedoch derzeit die genauesten verfügbaren Informationen bieten, tun die Verantwortlichen gut daran, sie in ihre Überlegungen und langfristigen Planungen einzubeziehen. Denn schleichende Prozesse des Klimawandels haben bereits eingesetzt, und schon aus ökonomischen Gründen wäre es unvertretbar, ihre Folgen für die Volksgesundheit außer Acht zu lassen. Es ist unbedingt vonnöten, die Infrastruktur des Gesundheitswesens und die Arzneimittelversorgung anzupassen sowie Heilberufler und Patienten zu schulen. Denn die nächste Hitzewelle kommt bestimmt.


Quellen

[1] Solomon S, et al (eds). Climate Change: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge University Press, Cambridge 2007.

[2] 4. Sachstandsbericht (AR4) des IPCC (2007) über Klimaänderungen; Kurzzusammenfassung: www.bmbf.de/pub/IPCC_AG1_kurzfassung_dt.pdf.

[3] Jacob D, et al, Max-Planck-Institut für Meteorologie Hamburg im Auftrag des Umweltbundesamtes. Klimaauswirkungen und Anpassung in Deutschland – Phase 1: Erstellung regionaler Klimaszenarien für Deutschland; Download unter www.umweltbundesamt.de.

[4] Robine JM, et al. Report on excess mortality in Europe during summer 2003.

[5] Koppe C, Jendritzky G. Die Auswirkungen der Hitzewelle 2003 auf die Mortalität in Baden-Württemberg, Sozialministerium Baden-Württemberg, Stuttgart 2004.

[6] Dobler G, Jendritzky G. Krankheiten und Klima, in: Lozán JL, et al. Warnsignal Klima. Hamburg 1998, 334-337.

[7] McMichael AJ. Human Population Health, in: Watson RT, et al. Climate Change 1995. Impacts, Adaptions and Mitigations of Climate Change: Scientific-Technical Analyses. Cambridge 1996, 561-584.

[8] Keatinge WR, et al. Heat related mortality in warm and cold regions of Europe: observational study. Br Med J 2000;81: 795-800.

[9] Voigt T. Mücken als Überträger von Infektionskrankheiten zunehmend bedeutsam. Med Monatsschr Pharm 2008;31: 280.

[10] Grätzel von Grätz P. Der Klimawandel bringt neue Insekten nach Europa, aber nicht zwangsläufig auch neue Epidemien. Ärzte Zeitung, 13.09.2007.

[11] Kusnick C. Mehr Allergien durch Ambrosiapollen? Dtsch Apoth Ztg 2008;148(33):36.

[12] VINCA – Institut für Naturschutzforschung und Ökologie GmbH und Umweltbundesamt Ges.m.b.H. Ein allergener Neophyt und seine potentielle Ausbreitung in Österreich – Arealdynamik der Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia) unter dem Einfluss des Klimawandels. Wien 2006; www.austroclim.at/startclim.

[13] Rogers CA, et al. Interaction of the onset of spring and elevated atmospheric CO2 on ragweed (Ambrosia artemisiifolia L.) pollen production. Environmental Health Perspectives 2006, doi:10.1289/ehp.8549.

[14] McMichael A, Githeko A. Human Health, IPCC WG2, Ex. Summary.

[15] Resolution WHA61.19 Climate change and health; www.who.int/globalchange/climate/EB_CChealth_resolution/en/index.html.

[16] Protect health from climate change in the WHO European Region. Bonn, 7.–9. April 2008.


Anschrift des Verfassers:

Thiemo Steinrücken, Morseweg 22, 53125 Bonn

ulthiemo@web.de

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.