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Arzneimittel und Therapie
Orale Thromboseprophylaxe mit Rivaroxaban
Nach einer Operation befindet sich der Körper im Alarmzustand. Unter anderem ist durch die großflächigen Verletzungen vor allem das Blutgerinnungssystem sehr aktiv. Dadurch fördert es nicht nur die erwünschte Wundheilung, sondern kann auch eine Thrombusbildung an anderen Stellen im Organismus auslösen. Diese Thromben können sich losreißen, Blutgefäße verstopfen und die lebenswichtige Sauerstoffzufuhr zum Herzen oder zum Gehirn unterbrechen oder sich in der Lunge ablagern. Thromboembolien können tödlich enden. In der EU sind jedes Jahr mehr als 1,5 Millionen Patienten von derartigen Blutgerinnseln betroffen, 544.000 von ihnen sterben daran.
Ein besonders hohes Thromboserisiko haben Patienten nach Hüft- oder Kniegelenkersatzoperationen, denn während der Implantation einer Knie- oder Hüftgelenkprothese werden die großen Beinvenen geschädigt, die das Blut zum Herzen zurücktransportieren. Hier muss man ohne entsprechende Behandlung mit Thromboseraten von bis zu 60% rechnen, bei Patienten mit Verletzungen der Wirbelsäule beträgt das Risiko sogar bis zu 80%.
Thromboseprophylaxe nach Operationen
Um tiefen Venenthrombosen nach einer Operation vorzubeugen, werden bisher in Europa perioperativ hauptsächlich Heparine und das synthetische Pentasaccharid Fondaparinux, eine Weiterentwicklung der Heparine, eingesetzt, ebenso bei Patienten mit instabiler Angina pectoris oder Myokardinfarkt in der Akutsituation. Als Standard gilt Enoxaparin. Es wird mehrere Stunden vor der Operation subkutan injiziert.
Bei Heparinen besteht die Gefahr einer heparininduzierten Thrombozytopenie, weswegen hier eine regelmäßige Überwachung der Thrombozytenzahl empfohlen wird. Wenn es zu einer heparininduzierten Thrombozytopenie kommt, können alternativ Hirudine gespritzt werden.
Dabigatran: genauso gut wie Enoxaparin
Im April 2008 wurde Dabigatran (Pradaxa® , Firma Boehringer Ingelheim) als erster oraler Wirkstoff zur Thromboembolie-Prophylaxe nach Knie- und Hüftgelenkersatz eingeführt.
Dabigatran bindet an das aktive Zentrum von Thrombin und wirkt damit als direkter Thrombininhibitor. Dabigatran wird als Prodrug Dabigatranetexilat in Dosen von 220 mg einmal täglich eingesetzt und schnell vom Körper in den Wirkstoff umgewandelt. Die Substanz wird nicht in der Leber verstoffwechselt, zu 85% über die Nieren ausgeschieden und hat bis jetzt in keiner Studie leberschädigendes Potenzial gezeigt. Eine Überwachung der Gerinnungswerte und der Thrombozytenzahl ist nicht notwendig.
In der Phase-III-Studie Re-Model wirkte Dabigatran in der primären Prävention thromboembolischer Ereignisse nach Kniegelenkersatz vergleichbar gut wie der Standard Enoxaparin, ebenso in der Re-Novate-Studie, in der Dabigatran in der primären Prävention thromboembolischer Ereignisse nach Hüftgelenkersatz mit Enoxaparin verglichen wurde. Dabei kam es unter der Therapie mit Dabigatran nicht häufiger zu Blutungen und Leberenzymerhöhungen.
Steckbrief: RivaroxabanHandelsname: Xarelto Hersteller: Bayer HealthCare, Leverkusen Einführungsdatum: 1. Oktober 2008 Zusammensetzung: Jede Filmtablette enthält 10 mg Rivaroxaban. Sonstige Bestandteile: Tablettenkern: mikrokristalline Cellulose, Croscarmellose-Natrium, Lactose-Monohydrat, Hypromellose, Natriumdodecylsulfat, Magnesiumstearat. Filmüberzug: Macrogol (3350), Hypromellose, Titanoxid (E 171), Eisen(III)oxid (E 172). Packungsgrößen, Preise und PZN: 10 Tabletten, PZN 5995074; 30 Tabletten, PZN 5995080. Stoffklasse: Antithrombotika. ATC-Code: B01AX06. Indikation: Zur Prophylaxe venöser Thromboembolien (VTE) bei erwachsenen Patienten nach elektiven Hüft- oder Kniegelenkersatzoperationen. Dosierung: 10 mg oral einmal täglich, unabhängig von den Mahlzeiten. Gegenanzeigen: Klinisch relevante akute Blutungen; Lebererkrankungen, die mit einer Koagulopathie und einem klinisch relevanten Blutungsrisiko verbunden sind; Schwangerschaft und Stillzeit. Nebenwirkungen: Anstieg der GGT, Transaminasenanstieg; An-ämie; Übelkeit; postoperative Blutungen. Wechselwirkungen: Starke Inhibitoren von CYP3A4 und von P-gp können die Plasmakonzentration von Rivaroxaban in einem klinisch relevanten Ausmaß erhöhen, was zu einem erhöhten Blutungsrisiko führen kann. Die gleichzeitige Anwendung von Rivaroxaban und starken CYP3A4-Induktoren kann die Plasmakonzentration von Rivaroxaban senken. Vorsicht ist geboten bei Patienten, die gleichzeitig mit auf die Gerinnung wirkenden Arzneimitteln wie nichtsteroidalen Entzündungshemmer, Acetylsalicylsäure, Thrombozytenaggregationshemmern oder anderen Antikoagulanzien behandelt werden, da sich hier das Blutungsrisiko erhöhen kann. Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Rivaroxaban ist mit Vorsicht bei Patienten einzusetzen, die ein erhöhtes Blutungsrisiko aufweisen. Bei der Anwendung von neuraxialer Anästhesie (Spinal/Epiduralanästhesie) oder Spinal/Epiduralpunktion können bei Patienten, die mit Antikoagulanzien behandelt werden, epidurale oder spinale Hämatome, die zu langfristiger oder dauerhafter Lähmung führen, auftreten. Die Anwendung von Rivaroxaban bei Patienten mit einer Kreatinin-Clearance unter 15 ml/min wird nicht empfohlen, bei Patienten mit einer Kreatinin-Clearance von 15 bis 29 ml /min ist es mit Vorsicht anzuwenden; ebenso bei Patienten mit einer mittelschweren Nierenfunktionsstörung (Kreatinin-Clearance 30 bis 49 ml/min), die gleichzeitig andere Arzneimittel erhalten, die zu erhöhten Rivaroxaban-Plasmaspiegeln führen. Bei zirrhotischen Patienten mit einer mittelschweren Leberfunktionsstörung sollte Rivaroxaban mit Vorsicht angewendet werden. |
Neu: der Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban
Jetzt kommt der neue Wirkstoff Rivaroxaban (Xarelto®) zur Thromboseprophylaxe nach Operationen auf den Markt. Wie Dabigatran kann auch Rivaroxaban oral angewendet werden und ist ebenfalls zur Prophylaxe von venösen Thromboembolien bei erwachsenen Patienten nach Hüft- oder Kniegelenkersatzoperationen indiziert.
Rivaroxaban wirkt indirekt über eine Hemmung des Faktors Xa, eines Schlüsselenzyms der Gerinnungskaskade. Dadurch wird sowohl die Bildung von Thrombin als auch Blutgerinnseln inhibiert, ohne Thrombin selbst oder die Thrombozyten zu beeinflussen; die primäre Wundheilung wird nicht gestört.
Rivaroxaban wird in einer Dosis von 10 mg einmal täglich als Tablette eingenommen und gut resorbiert, die Wirkung tritt rasch ein. Die erste Dosis kann sechs bis zehn Stunden nach der Operation gegeben werden.
Rivaroxaban wird nicht durch Enzyme des Cytochrom-P450-Systems metabolisiert, deshalb sind relativ wenig Wechselwirkungen zu beachten. Während der Behandlung ist eine Überwachung der Gerinnungsparameter nicht erforderlich.
Umfangreiches Studienprogramm
Die Zulassung von Rivaroxaban in der EU basiert auf den Ergebnissen des umfangreichen Record-Studienprogramms (Regulation of coagulation in major Orthopedic surgery reducing the risk of DVT and PE), in das mehr als 12.700 Patienten eingeschlossen waren, die einen elektiven totalen Hüft- (Record 1 und 2) oder Kniegelenkersatz (Record 3 und 4) erhielten.
Die Patienten erhielten 10 mg Rivaroxaban oral einmal täglich mit Behandlungsbeginn nicht früher als sechs Stunden nach der Operation oder Enoxaparin subkutan einmal täglich mit Behandlungsbeginn zwölf Stunden vor der Operation.
In allen Studien traten unter Rivaroxaban im direkten Vergleich weniger tiefe Venenthrombosen auf als unter Enoxaparin. Dazu gehörten Todesfälle, Lungenembolien sowie erneute tiefe Beinvenenthrombosen.
Das Sicherheitsprofil der beiden Substanzen war vergleichbar, und schwere Blutungen traten vergleichbar häufig auf, und Hinweise auf schwere Nebenwirkungen oder Leberfunktionsstörungen unter Rivaroxaban gab es nicht.
Die Record-Studien
In der Record-1-Studie betrug die Dauer der Thromboseprophylaxe für beide Substanzen fünf Wochen. Unter Rivaroxaban wurde im Vergleich zu Enoxaparin eine 70-prozentige relative Risikoreduktion bezüglich der Inzidenz des primären Wirksamkeitsendpunktes (eine Kombination aus tiefen Venenthrombosen, nicht-tödlichen Lungenembolien und Gesamtmortalität) beobachtet. Hinsichtlich der Blutungsraten gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Studienarmen.
In Record 2 ergab sich unter einer verlängerten Prophylaxe mit Rivaroxaban (35 +/- 4 Tage) eine 79-prozentige relative Risikoreduktion für den primären Wirksamkeitsendpunkt im Vergleich zu einer kurzen Prophylaxe mit Enoxaparin (zehn bis 14 Tage). Trotz der längeren Prophylaxedauer kam es unter Rivaroxaban nicht zum Anstieg des Blutungsrisikos.
In der Record-3-Studie erzielte Rivaroxaban im Vergleich zu Enoxaparin eine 49-prozentige relative Risikoreduktion bezüglich der Inzidenz des primären Wirksamkeitsendpunktes. Die Behandlungsdauer betrug für beide Regime zehn bis 14 Tage. Auch hier fand sich kein erhöhtes Blutungsrisiko in der Rivaroxaban-Gruppe.
In der Record-4-Studie erzielte Rivaroxaban im Vergleich zu der höheren, in den USA gebräuchlichen Enoxaparin-Dosis (30 mg, zweimal täglich) eine 31-prozentige relative Risikoreduktion bezüglich der Inzidenz des primären Wirksamkeitsendpunktes ohne einen signifikanten Anstieg von Blutungskomplikationen. Auch hier betrug die Behandlungsdauer jeweils zehn bis 14 Tage.
Weitere Studien zur Langzeitprophylaxe
Thrombosen können nicht nur nach einer Operation entstehen. Auch bei Patienten mit Vorhofflimmern oder mit künstlichen Herzklappen kann sich ein Thrombus bilden, der sich losreißen und zum Beispiel einen Schlaganfall verursachen kann.
Um das zu verhindern, werden bei diesen Patienten für die Langzeitprophylaxe venöser Thromboembolien Vitamin-K-Antagonisten eingesetzt. Sie müssen jedoch individuell dosiert werden und erfordern regelmäßige Laborkontrollen.
Die neuen oralen Antithrombotika Dabigatran und Rivaroxaban wurden jetzt zunächst für den Einsatz nach Operationen zugelassen. Zur Langzeitprophylaxe thrombotischer Ereignisse befinden sich beide Substanzen in umfangreichen Studienprogrammen.
Beide Substanzen werden einmal täglich eingenommen, und ihre Dosierung muss nicht ständig angepasst werden. Sie werden kaum oder nicht über Cytochrom P450 verstoffwechselt, beeinflussen die Leberfunktion nicht und haben eine große therapeutische Breite. Außerdem sind viel weniger Wechselwirkungen zu beachten als bei den Vitamin-K-Antagonisten.
Quelle Fachinformation zu Xarelto® , Stand September 2008. Eriksson BI, et al. Record1 Study Group: Rivaroxaban versus enoxaparin for thromboprophylaxis after hip arthroplasty. N Engl J Med 2008;358:2765–75. Lassen MR, et al. Record3 Investigators:Rivaroxaban versus enoxaparin for thromboprophylaxis after total knee arthroplasty. N Engl J Med 2008;358:2776–86. Kakkar AK, et al. Record2 Investigators: Extended duration rivaroxaban versus short-term enoxaparin for the prevention of venous thromboembolism after total hip arthroplasty: a double-blind, randomised controlled trial. Lancet 2008;372:31–9. Prof. Dr. med. Rüdiger Krauspe, Düsseldorf; Prof. Dr. med. Sylvia Haas, München; Dr. med. Patrick Mouret, Frankfurt/M; Dr. med. Rolf Pauschert, Bad Wimpfen; Launch-Pressekonferenz "Xarelto®: Die neue Dimension der Thromboseprophylaxe”, Berlin, 23. Oktober 2008, veranstaltet von Bayer Vital GmbH, Leverkusen.
hel
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