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"Die Rabattverträge sind ein Irrweg"

(ks). Die AOK-Rabattverträge für die Jahre 2009 und 2010 stehen an. Die Angebotsfrist für die jüngste Ausschreibung der AOK ist am 3. November abgelaufen. Bis Ende November will die AOK die Angebote gesichtet und bewertet haben und den Unternehmen mitteilen, ob sie zum Zuge gekommen sind. Zum 1. März 2009 sollen die neuen Verträge in Kraft treten. Wir befragten den Geschäftsführer des Branchenverbandes Pro Generika, Peter Schmidt, wie er den neuen Anlauf der AOK einschätzt.
Abschaffen Das ist für Pro-Generika-Geschäftsführer Peter Schmidt das Einzige, was man mit Rabattverträgen tun sollte.
Foto: DAZ/Sket

DAZ Was halten Sie davon, dass die AOK die Ausschreibung dieses Mal in fünf Gebietslose eingeteilt hat, für die die Zuschläge getrennt vergeben werden sollen?

Schmidt: Das Kernproblem der Vorgehensweise der AOK besteht darin, dass ab dem 1. März 2009 für jedes Gebietslos und für jeden Wirkstoff nur ein Zuschlag erteilt wird: Der Hersteller, dem die AOK den Zuschlag für einen der 64 ausgeschriebenen Wirkstoffe erteilt, beliefert die AOK-Patienten des jeweiligen Gebietsloses exklusiv mit seinen Produkten. Alle nicht zum Zuge gekommenen Hersteller unterliegen hingegen einem faktischen Belieferungs- und Verkaufsverbot. Dieses Versorgungsprivileg ist für die Patienten, die Apotheken und die Industrie höchst problematisch. So werden Millionen von Patienten zwangsweise auf ein neues, ungewohntes Arzneimittel umgestellt, da es sich bei den ausgeschriebenen Molekülen um die "generischen Blockbuster" handelt. Zumal bei älteren multimorbiden chronisch kranken Patienten kann diese Umstellung zu gravierenden Beeinträchtigungen ihrer Compliance führen. Dies verschlechtert nicht nur die Lebensqualität der Patienten, sondern verursacht schon jetzt erhebliche vermeidbare Ausgaben der Krankenkassen. Experten schätzen, dass die Non-Compliance mit jährlichen Mehrausgaben von etwa zehn Milliarden Euro zu Buche schlägt. Die im Frühjahr 2009 anstehende Massenumstellung kann diese Situation noch verschärfen.

Das Problem für die Apotheken ist, dass sie ihre Patienten mit einem bestimmten rabattbegünstigten Arzneimittel versorgen müssen. Das Auswahlermessen, das sie sowohl bei den Sortiments- als auch bei den bisherigen Wirkstoffverträgen besitzen, wird bei den neuen AOK-Verträgen also komplett beseitigt. Erfüllen die Apotheken ihre im Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V festgeschriebene Austauschverpflichtung nicht, kann die AOK sie auf Null retaxieren.

Was die Industrie betrifft, strebt die AOK mit ihrem Modell "Highlander – es kann nur einen geben" auf dem Papier zwar die Förderung des pharmazeutischen Mittelstandes an. Da sie wegen der mit diesem Modell verbundenen Anbieterkonzentration aber höchsten Wert darauf legen muss, dass die von ihr ausgewählten Hersteller jederzeit lieferfähig sind, werden gerade marktschwächere kleine und mittlere Unternehmen gegenüber der AOK darzulegen haben, dass sie in der Lage sind, ihren Lieferverpflichtungen stets im vollen Umfang zu genügen. Nicht von ungefähr nimmt dieser Punkt in den Vergabebedingungen der AOK breiten Raum ein. Die AOK will eine Wiederholung des Desasters vermeiden, das sie im Jahr 2007 erlebt hat. Daher haben größere Unternehmen, die ihre Leistungsstärke im Markt tagtäglich unter Beweis stellen, nach meiner Einschätzung recht gute Karten. Nicht gerade mittelstandsfreundlich ist auch der Ressourcenverbrauch für die Angebotserstellung. Je nach Wirkstoffpalette müssen die Unternehmen hierfür einige Dutzend bis einige Hundert Manntage aufwenden. Das ist Bürokratie pur.

DAZ Die Bekanntgabe der Zuschläge durch die AOK soll Ende November erfolgen, die Rabattverträge werden dann am 1. März in Kraft treten. Können die Unternehmen, die den Zuschlag erhalten haben, in dieser Frist die Lieferfähigkeit sicherstellen?

Schmidt: Die Zusage der uneingeschränkten Lieferfähigkeit ist integraler Bestandteil der Vergabebedingungen und der Rabattverträge. Ein Unternehmen, das diese Erklärung nicht abgegeben hat, ist von vornherein aus dem Rennen. Es wird sich zeigen, ob alle Unternehmen, die einen Zuschlag erhalten, die Zusage ihrer jederzeitigen Lieferfähigkeit einlösen können. Nach Einschätzung der Experten in den Unternehmen ist die Vorlaufzeit zwischen Zuschlagserteilung und Vertragsbeginn mit effektiv etwa zehn Wochen – die Weihnachts- und Neujahrspause ist abzusetzen – jedenfalls extrem kurz. Sie rechnen durchaus damit, dass in der Startphase der Rabattverträge auf breiter Front erneut Lieferengpässe und Lieferdefekte auftreten werden. Ihre definitiven Dispositionen können die Unternehmen nämlich erst nach der Zuschlagserteilung treffen. Erst dann können sie z. B. ihre Produktion hochfahren bzw. Lohnherstellern bindende Lieferaufträge erteilen sowie Blister, Packungen und Packungsbeilagen ordern. Kein Unternehmen kann es sich leisten, finanzwirksame Entscheidungen zu treffen, bevor die AOK ihm rechtswirksam den Zuschlag erteilt hat. Sollte es – wie zu erwarten – zu vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren kommen, wäre die Vorlaufzeit noch erheblich kürzer. Pro Generika hat immer wieder auf diese Gegebenheiten hingewiesen und eine längere Frist zwischen Zuschlag und Vertragsbeginn gefordert. Bislang leider ohne Erfolg.

DAZ Was glauben Sie, worauf sich Apotheker einstellen müssen?

Schmidt: Auf jeden Fall auf einen erheblichen Mehraufwand für die Beratung von Patienten, die wieder einmal umgestellt werden müssen. Den geballten Ärger und Unmut der AOK-Versicherten bekommen also auch dieses Mal diejenigen ab, ohne deren vorbildliche Leistung die Umsetzung der Rabattverträge überhaupt nicht möglich wäre: die Apothekerinnen und Apotheker sowie ihre Mitarbeiter.

DAZ Wird die Ausschreibung Ihrer Einschätzung nach erneut die Gerichte bzw. Vergabekammern beschäftigen?

Schmidt: Davon wird man aufgrund der ökonomischen Bedeutung der AOK-Ausschreibung für die Unternehmen ausgehen müssen. Der AOK-Marktanteil an den 64 ausgeschrieben Substanzen beläuft sich auf immerhin 43 Prozent des GKV-Marktes dieser Wirkstoffe. Wer hier nicht den Zuschlag bekommt, verliert den Zugang zu einem wichtigen und umsatzstarken GKV-Marktsegment. Da werden die Hersteller penibel darauf achten, dass alles rechtens zugeht – notfalls auch mit Hilfe der Vergabekammern und Gerichte.

DAZ Wie könnten Rabattverträge besser gestaltet werden?

Schmidt: Das Ziel von Pro Generika besteht nicht darin, Rabattverträge besser zu gestalten. Der Verband und seine Mitgliedsfirmen halten die Rabattverträge vielmehr für einen Irrweg, der schleunigst beendet werden sollte. Zum einen setzen sie den Hebel nämlich in einem Teilmarkt an, der die Krankassen ohnehin Jahr um Jahr um Milliarden von Euro entlastet. Mithilfe von Wirkstoffverträgen sind Krankenkassen dabei, kurzfristig den letzten Cent aus dem Generikamarkt herauszuquetschen. Der Preis, den sie dafür mittel- und langfristig zu zahlen haben werden, ist jedoch sehr hoch. Denn für die Hersteller zahlt es sich bei einer Minimalpreisstrategie der Krankenkassen nicht mehr aus, patentfreie Arzneimittel – etwa durch Verbesserungen der Galenik oder neue Darreichungsformen – weiter zu entwickeln. Hinzu kommt, dass sie im klassischen Generikageschäft nicht mehr das Geld verdienen, das sie benötigen, um die zeitaufwendige und teure Entwicklung und Produktion von Biosimilars zu finanzieren. Die Entwicklung jedes einzelnen Biopharmazeutikums kostet zwischen 80 und 120 Millionen Euro, in die Produktionsanlagen müssen weitere 30 bis 50 Millionen Euro investiert werden. Mit ihrer auf kurze Sicht angelegten Rabattvertragsstrategie bei den klassischen Generika vernichten Krankenkassen unter dem Strich die weitaus größeren Einsparpotenziale, die sie in Zukunft durch Biosimilars im Hochpreissegment der biologischen Arzneimittel generieren könnten.

DAZ Wir danken Ihnen für das Gespräch!

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